5. Juni 2017

Rückblick April & Mai 2017: Künstler*innen treffen und verabschieden


APRIL
26.04.17 Diskussionsveranstaltung zur Wahl in Frankreich (Schaubühne)

Entscheidung in Frankreich. Vor der zweiten Runde der französischen Präsidentschaftswahlen diskutierten in Berlin lebende französische Journalist*innen (Daniel Cohn-Bendit, Pascale Hugues, Hélène Kohl und Elise Graton). Es moderierten Andreas Fanizadeh und Tania Martini (taz-Kulturredaktion).

Es ging nicht nur um Trends, Ergebnisse, Einschätzungen zur Wahl in Frankreich sondern auch darum, wie sich das Ergebnis auf die Demokratie in Europa, die Zusammenarbeit über Grenzen hinaus, die freie Presse und die soziale Gerechtigkeit auswirken könnte sowie um eine Bewertung des Abschneidens der französischen Rechten.

Eine Koproduktion von taz.die tageszeitung und Schaubühne Berlin.


28.04.17 Freunde treffen Künstler: Christoph Gawenda (Freunde der Schaubühne)

Die Freunde und Freundinnen der Schaubühne trafen sich mit dem Ensemblemitglieder Christoph Gawenda, um mit ihm über seine schauspielerische Laufbahn zu sprechen und Einblicke in seine Arbeit an der Schaubühne zu bekommen. Christoph hatte sich zwischen Auslandsgastspielen, Vorstellungen und Fotoshooting Zeit für den Freundeskreis genommen hat.

Ein Fotobericht hierzu ist auf der Seite der Freunde der Schaubühne zu finden.

Christoph Gawenda in "Angst essen Deutschland auf" von Patrick Wengenroth
    hier mit Jule Böwe und Lucy Wirth (Foto: Heiko Schäfer)


MAI      
10.05.2017 Angélica - Una tragedia (Schaubühne)

Dokumentarfilm über Angélica Liddell von Manuel Fernández-Valdés

Hätte ich diesen Dokumentarfilm über Angélica Liddell gesehen, bevor ich ihr aktuelles Stück "Toter Hund in der Chemischen Reinigung: Die Starken" gesehen habe, hätte ich dieses vermutlich anders wahrgenommen. Manuel Fernández-Valdés hat die spanische Schauspielerin, Regisseurin und Performerin Angélica Liddell bei den Proben zu "Todo el cielo sobre la tierra (El síndrome de Wendy)" im Frühjahr 2013 begleitet. Liddell nutzt dabei Elemente aus Peter Pan, verknüpft diese mit der realen Geschichte des norwegischen Massenmörders Anders Behring Breivik und lässt chinesische Walzertänzer*innen sowie einen deutschen Philosophistudenten auftreten. Außerdem rechnet sie in einem Monolg mit ihren Geschlechtsgenossinen ab. Gezeigt wird eine Künstlerin, die sich gemeinsam mit einem chinesischen Schauspieler zu "House of the rising sun" in Trance tanzt, die sich mit dem deutschen Schauspieler einen Kampf um einen deutschen Satz liefert, die einen Monolog wie eine Rasende spricht, die von ihren Schauspieler*innen fordert bis an viele Grenzen zu gehen. Außerdem liefert sie - im Film in Schriftform eingeblendet - Einblicke in ihr Inneleben. Angélica Liddell verbindet ihr Privatleben mit ihrer Kunst, drückt Ängste und Wut aus. Oft erinnert sie mich an Marina Abramovic. Manchmal meint man zu verstehen, was in ihr vorgeht. Manchmal ist man ratlos, was sie ausdrücken möchte. Faszinierend und berührend ist diese Persönlichkeit. - Sollte ich "Toter Hund" noch mal eine Chance geben? - Durch eine eigentlich unbedeutende Auseinandersetzung musste F.-V. seine Filmarbeiten und damit die Probenbegleitung unterbrechen. Auch hier zeigt sich die Eigensinnigkeit von Liddell. Erst kurz vor der Premiere versöhnten sich die beiden wieder und er durfte - wenn auch mit Einschränkungen - weiter filmen.


18.05.17 Ausstellungseröffnung: Enjoy the Journey - Fotos von Robert Beyer (Schaubühne)

In der ehemaligen Universum Lounge neben dem Kassenfoyer
vom 19. Mai bis 25. Juni 2017
Täglich von 11 bis 20 Uhr geöffnet
Eintritt frei

Aus der Ausstellung "Enjoy the Journey":
Lars Eidinger, Gastspiel »Richard III.«, Avignon 2015
(Foto: Robert Beyer)


Robert Beyer, Ensemblemitglied seit 1999, hat über zehn Jahre seine Kolleg*innen sowie das Leben vor und hinter der Bühne auf Gastspielreisen der Schaubühne dokumentiert, Portraits, die zwischen Privatheit und Selbstdarstellung changieren. Auch Bilder der Architektur der besuchten Städte sind zu sehen.

Gezeigt wird eine Auswahl von 60 Bildern, darunter Aufnahmen der Gastspielreisen nach Sydney (2010), Jerusalem (2011) und Ramallah (2012).

Alle Fotografien, die in der Ausstellung zu sehen sind, werden im Original (in einer Auflage von 5 Stück) verkauft:
22 x 14,5 cm, ohne Rahmen: 40 Euro
22 x 14,5 cm, mit Rahmen: 50 Euro
45 x 30 cm, ohne Rahmen: 70 Euro
45 x 30 cm, mit Rahmen: 100 Euro
74 x 79 cm, ohne Rahmen: 150 Euro
74 x 79 cm, mit Rahmen: 200 Euro

Wer ein Bild kaufen möchte, kann sich unter presse@schaubuehne.de an Maria Hartmann wenden.


19.05.17 revisited thisisitgirl von Patrick Wengenroth (Schaubühne)

Zum 5ten mal habe ich diese Inszenierung gesehen. Hier mein Bericht.
 

26.05.17 Faust (Volksbühne)
Die letzte große (und vor allem großartige) Inszenierung von Frank Castorf! Wunderbare sieben Stunden mit allen Volksbühnen-Lieblingen: Alexander Scheer, Sophie Rois, Martin Wuttke, Lilith Stangenberg, Marc Hosemann, Valery Tscheplanowa, Sir Henry uva.

"Das Männliche ist das Vergängliche."- Und weil wir alle wissen, dass dieser Abend einer der letzten mit diesem Ensemble und einer Volksbühne in dieser Art und Form ist, schwanken wir zwischen Euphorie und Wehmut. Diese sieben Stunden waren nie langweilig, sondern eine große Freude. Die Schauspieler*innen haben zum (fast) letzten mal auf dieser Bühne gezeigt, was die Volksbühne ist und nach dem Ende dieser Spielzeit vielleicht nie mehr sein wird.

Danke und auf Wiedersehen!

Mit: Martin Wuttke (Faust), Marc Hosemann (Mephistopheles), Valery Tscheplanowa (Margarete und Helena), Alexander Scheer (Lord Byron und Anaxagoras), Sophie Rois (Die Hexe), Lars Rudolph (Doktor Wagner), Lilith Stangenberg (Meerkatze Satin), Hanna Hilsdorf (Homunculus), Daniel Zillmann (Monsieur Bordenave, directeur du Théâtre des Variétés), Thelma Buabeng (Phorkyade), Frank Büttner (Valentin), Angela Guerreiro (Papa Legba und Baucis), Abdoul Kader Traoré (Baron Samedi & Monsieur Rap rencontrent Aimé Césaire) und Sir Henry (Der Leiermann)

Regie: Frank Castorf
Bühne: Aleksandar Denic
Kostüme: Adriana Braga
Licht: Lothar Baumgarte
Kamera: Andreas Deinert, Mathias Klütz
Videoschnitt: Jens Crull, Maryvonne Riedelsheimer
Musik/Ton: Tobias Gringel, Christopher von Nathusius
Tonangel: Dario Brinkmann, Lorenz Fischer, William Minke, Cemile Sahin
Dramaturgie: Sebastian Kaiser

25. Mai 2017

Noch mal, aber anders: Re-re-usw.-visited "thisisitgirl" von Patrick Wengenroth (Schaubühne)

Als ich hörte, dass aufgrund eines krankheitsbedingten Ausfalls von Andreas Schröder seine Rolle in thisisitgirl von Patrick Wengenroth übernommen wurde, beschloss ich kurzfristig, das Stück noch einmal zu sehen. Die Inszenierung gehört zu meinen Lieblingen auf dem Spielplan. Dies war mein 5ter Besuch.

Da Patrick Wengenroth sowohl von der Physiognomie her, als auch bei Stimme, Dialekt und Sprachrhythmus ein ganz anderer Typ ist als Andreas Schröders, hat er die Rolle anders gespielt. Das hat den entsprechenden Szenen eine neue Note gegeben. Jedoch war der Unterschied erstaunlicherweise nicht so groß, wie ich es erwartet hätte. Einige Stellen - P.W. hat den Text übrigens weitestgehend und verständlicherweise eingelesen - wurden wohl auch inhaltlich etwas geändert, aber ich fragte mich doch jedes mal, ob und wo ein Unterschied zur Ur-Version besteht. Zumal das Stück auch davon lebt, dass vieles improvisiert wirkt bzw. wird.

Die Anfangsszene, in der Wengenroth normalerweise den Teppich auf der Bühne saugt, wurde übrigens von einem Mitarbeiter aus der Requisite übernommen. Er trat im glitzernden Pailettenkleid mit Federboa auf.

Noch etwas muss ich erwähnen: Noch nie zuvor ist mir aufgefallen, wie unterschiedlich Iris Becher, (die einzige weibliche Rolle) in diesem Stück je nach Szene spielt: Mal wirkt sie ganz jung (wie ein Mädchen), mal total erwachsen, mal hysterisch-verrückt, mal ganz entschlossen. Und alle "Typen" sieht man ihr jedesmal intensiv am Gesichtsausdruck an. Was für eine tolle Schauspielerin!

Iris Becher mit Ulrich Hoppe (Foto: Gianmarco Bresadola)
"thisisitgirl" Iris Becher (Foto: Gianmarco Bresadola)

21. Mai 2017

Max Penthollow schreibt mir // Kapitel 18: Mobbing im Klinikum - Ein Ärztestück ("Professor Bernhardi" in der Schaubühne)

Max Penthollow schreibt mir...

Liebe Maren,

vor kurzem war ich in der Schaubühne bei "Professor Bernhardi" von Arthur Schnitzler.

Hier sind einige von meinen Eindrücken:

"Professor Bernhardi" von Arthur Schnitzler - Fassung von Thomas Ostermeier und Florian Borchmeyer - Regie: Thomas Ostermeier - Premiere am 17. Dezember 2016

Wien um 1900, Elisabethinum, Privatklinik. Professor Bernhardi ist Chefarzt einer klinischen Abteilung, und Ärztlicher Leiter des Hauses, Jude.

Der Tod einer jungen Patientin während eines sie betreffenden Disputs zwischen Pfarrer Reder und Professor Bernhardi ist der Auftakt zum Stück.

Es geht im einzelnen so: ein 18jähriges Mädchen hat nach einer verbotenen Abtreibung eine Sepsis und ist todgeweiht. Ihr Leben ist auch mit aller ärztlichen Kunst nicht mehr zu retten. Sie ist euphorisch und hat Phantasien, dass jemand sie abholen wird.

Hochroitzpointner (Moritz Gottwald), Kandidat der Medizin und superschlau ("die macht's nicht mehr lange!"), hat den Priester rufen lassen. Pfarrer Franz Reder (Laurenz Laufenberg) will der Patientin, die nichts von ihrem bevorstehenden Tod ahnt, die Sterbesakramente spenden, er will sie – Christin – von ihren Sünden freisprechen und sie mit Gott vereinen und ihre Seele der Erlösung und dem Ewigen Leben zuführen. Professor Bernhardi (Jörg Hartmann) kommt zur Szene hinzu und versucht, Pfarrer Reder von seinem Vorhaben abzuhalten, in der Absicht, die junge Patientin in ihrer glücklich-euphorischen Gefühlslage in Frieden sterben zu lassen und sie nicht mit der Schreckensnachricht ihres herannahenden Todes zu peinigen. Professor Bernhardi und der Pfarrer Reder diskutieren, währenddessen stirbt die junge Patientin.

Für Professor Bernhardis teilweise judenfeindliche und selbst karriere-affine Kollegen ist dieses Ereignis ein willkommener Anlass, um gegen Professor Bernhardi einen Skandal zu konstruieren. Professor Bernhardi wird in der Folge wegen Behinderung der Religionsausübung zu einer zweimonatigen Haftstrafe verurteilt und muss ins Gefängnis und verliert seine Berufserlaubnis. Seine Stelle wird frei.

Arthur Schnitzler (1862-1931), selbst Arzt und Jude, hat das Stück 1912 geschrieben, 21 Jahre vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 mit den bekannten Konsequenzen.


Das Ärztekollegium tagt - Robert Beyer, Veronika Bachfischer, Lukas Turtur, Eva Meckbach, Thomas Bading, Jörg Hartmann, Sebastian Schwarz, David Ruland, Konrad Singer (Foto: Arno Declair)

Auf der klinisch weißen Bühne spielen 15 Darsteller und Darstellerinnen des Ärztekollegiums und weiteren Krankenhauspersonals und dazu Politiker, 17 Rollen - 17 Hauptrollen. Aus meiner Sicht ist es ein schönes Ensemble-Theater in einer nuancenreichen Inszenierung mit fesselnder Bühnengestaltung mit ausgeklügelter Videoarbeit und mit hervorragendem lustvollem und unterhaltsamem Spiel aller Darsteller und Darstellerinnen.

In der Darstellung der Vehemenz und Besessenheit, mit der Menschen - unter bestimmten Voraussetzungen und in bestimmten gesellschaftlichen Konstellationen - in Gruppen oder in Massen auf andere Menschen oder Menschengruppen losgehen, um sie zu zerstören und zu vernichten, ist das Stück aus meiner Sicht zeitlos, immer aktuell und seine Botschaft allgemein gültig.

Ich finde: so präzise und dezent in der Darstellung, so verstörend und vernichtend in der Konsequenz! Finsterst und so realistisch!

Ein wichtiges Stück und ein munterer und unterhaltsamer Theaterabend!

Ich empfehle: hingehen und das böse Spiel genießen! Die Vorstellungen sind immer schnell ausverkauft!

Allerliebst

Max

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Regie: Thomas Ostermeier   
Bühne: Jan Pappelbaum   
Kostüme: Nina Wetzel   
Musik: Malte Beckenbach   
Ko-Komposition: Simon James Phillips
Bildregie: Matthias Schellenberg
Kamera: Moritz von Dungern, Joseph Campbell, Florian Baumgarten
Videodesign: Jake Witlen   
Dramaturgie: Florian Borchmeyer   
Licht: Erich Schneider   
Wandzeichnungen: Katharina Ziemke

Dr. Bernhardi: Jörg Hartmann   
Dr. Ebenwald: Sebastian Schwarz   
Dr. Cyprian: Thomas Bading   
Dr. Pflugfelder: Robert Beyer   
Dr. Filitz: Konrad Singer   
Dr. Tugendvetter: Johannes Flaschberger   
Dr. Löwenstein: Lukas Turtur   
Dr. Schreimann/Kulka, ein Journalist: David Ruland   
Dr. Adler: Eva Meckbach   
Dr. Oskar Bernhardi: Damir Avdic   
Dr. Wenger/Krankenschwester: Veronika Bachfischer   
Hochroitzpointner: Moritz Gottwald   
Professor Dr. Flint: Hans-Jochen Wagner   
Ministerialrat Dr. Winkler: Christoph Gawenda   
Franz Reder, Pfarrer: Laurenz Laufenberg   

Dauer: ca. 165 Minuten


Weitere Infos auf der Seite der Schaubühne.

12. Mai 2017

FIND 2017 - Beziehungen und Trennungen (Rückblick Tag 9-11)

Finale beim FIND. In den letzten drei Tagen habe ich noch einmal Produktionen gesehen, die sowohl inhaltlich als auch formal sehr unterschiedlich sind.


7.4.2017. LOS INCONTADOS – Anatomía de la violencia en Colombia: un tríptico von Mapa Teatro (Bogotá)

Ein Karneval der Skurrilitäten. Eine Kinder-Marching-Band beginnt und beschließt diesen verrückten und ziemlich wirren Abend. Während das Bühnenbild immer weiter mit Requisiten, Pflanzen, Glitzerluftschlangen und Luftballons gefüllt wird und sich dadurch mehrmals verändert, wird ein Stück kolumbianische Geschichte erzählt. Drei ineinander geschachtelte Bühnenbilder, drei phantastische Mikrokosmen. LOS INCONTADOS - DIE UNERZÄHLTEN macht sichtbar, was in den letzten 50 Jahren in Kolumbien passierte: Ein langer Krieg. Die surrealen Bilder werden in den drei Teilen miteinander verbunden und zeigen eine Vision der lateinamerikanischen Demokratien seit Ende des Zweiten Weltkriegs. - Ein anstrengendes Stück, bei dem sich mir vieles nicht erschließt. Mit besseren Kenntnisse über das Land und die Geschichte Kolumbiens, hätte ich sicher mehr verstanden.

Das kolumbianische Kollektiv Mapa Teatro wurde 1984 in Paris von den Geschwistern Rolf, Heidi und Elizabeth Abderhalden gegründet. Es gehört seit mehr als 30 Jahren zu den bedeutendsten Theaterformationen Lateinamerikas. Mapa Teatro nutzt verschiedene Kunstformen (Theater, Musik, Video uvm.) und verbindet diese zu einem Gesamtkunstwerk.


"LOS INCONTADOS - Anatomía de la violencia en Colombia: un tríptico" von Mapa Teatro, Konzept und Regie: Heidi und Rolf Abderhalden (Foto: Mauricio Esguerra)
 
Koproduktion: Mapa Teatro, Iberescena, Festival Iberoamericano de Teatro de Bogotá und Prod.Art.Br, Europäisches Touring: Camille Barnaud, Ximena Vargas In Zusammenarbeit mit dem ¡Adelante! Festival des Theater Heidelberg.

Konzept, Dramaturgie und Regie: Heidi und Rolf Abderhalden
Musik und Sounddesign: Juan Ernesto Díaz
Visual Design: Heidi und Rolf Abderhalden
Kostüm: Elizabeth Abderhalden
Bühne: Pierre Henri Magnin
Video: Luis Antonio Delgado
Live Video: Ximena Vargas

Mit: Heidi Abderhalden, Agnes Brekke, Andrés Castañeda, Julián Díaz, Jeihhco, Danilo Jiménez, Santiago Nemirowski, Santiago Sepúlveda mit der Mapa Teatro Kinderkapelle: Lesly Ramírez, Melanie Ramírez, Sofía Rodríguez, Mariana Saavedra, Darío Sinisterra, Sebastián Zúñiga

Dauer: ca. 70 Minuten

Englischsprachiger Essay zum Stück in Pearson's Preview: Theatre that Lies to Tell the Truth (with an appearance by Pablo Escobar)


8.4.2017 From here I will build everything von Cédric Eeckhout

Die kurze Show des belgischen Schauspielers Cédric Eeckhout vor Mitternacht am vorletzen Tag des FIND ist eine kleine aber sehr unterhaltsame Performance, in der auch seine Mutter mitspielt (sie bereitet belgische Pommes zu, die am Schluss mit einem Zuschauer verzehrt werden). "My mother is Wallonian and my father is Flemish. They divorced in 1982. Ich bin en Europäisch produit. And I am in crisis. Just like Europe" erklärt er am Anfang. Er zieht Parallelen zwischen seiner eigenen Familiengeschichte und der Geschichte Europas (Scheidung / zerfallende EU). Vieles erinnert an die Autorenklubs von Patrick Wengenroth. Das merkt man auch am Publikum: Viele bekannte Gesichter - man fühlt sich wie in der Familie oder im Freundeskreis.

Die Inszenierung entstand beim Festival XS 2017 des Théâtre National de la communauté francaise de Belgique, Brüssel. Dank an: Théâtre de Vidy-Lausanne, La comédie de Reims, Le théâtre de la Criée à Marseille und Lieu Unique à Nantes.

Text und Regie: Cédric Eeckhout in Zusammenarbeit mit Douglas Grauwels
Dramaturgie: Nils Haarmann
Bühne und Kostüm: Frédérik Denis, Laurence Hermant
Beratung: Andrea Romano

Mit: Cédric Eeckhout, Douglas Grauwels, Jo Libertiaux

Dauer: ca. 25 Minuten


9.4.2017 Please Excuse My Dear Aunt Sally von Kevin Armento

Diese Geschichte wird aus der Sicht eines Handys erzählt. In der szenischen Lesung leihen Laurenz Laufenberg, Stephanie Eidt und Kay Bartholomäus Schulze, dem Erzähler ihre Stimmen. Ein Schüler verliebt sich in seine Lehrerin und beginnt mit ihr eine Beziehung. Zeuge dieser Verbindung ist das Handy, das mittles Fotos und Textnachrichten den Verlauf der Geschichte nachhalten kann. Mal witzig, mal hektisch, mal empört und mal (scheinbar) überlegen offenbart das Handy den Zuschauer*innen dieses Stücks, was sich zwischen den beiden Protagonist*innen abspielt und wie sich die Gefühle entwickeln. Der US-amerikanische Autor Kevin Armento erzählt in rasantem Tempo von der illusorischen Natur elektronischer Verbindungen und der Gefahr der Vereinzelung im Zeitalter digitaler Liebe. Die Schauspieler*innen der Schaubühne lesen und stehen schwarz gekleidet auf einer schwarzen Fläche mit Neon-Leuchtstreifen, sie sind die Inkarnation des Handy-Erzählers. Spannend ist diese Geschichte und Dank des hervorrangenden Vortrags mit den ausgezeichneten Stimmen ein großer Spaß beim Zuhören (und Zusehen).
Mein Wunsch: Mehr Darbietungen dieser Art beim nächsten FIND!

Laurenz Laufenberg, Kay Bartholomäus Schulze und Stephanie Eidt in »Please Excuse My Dear Aunt Sally« von Kevin Armento, Regie: Christoph Buchegger (Foto: Gianmarco Bresadola)

Regie: Christoph Buchegger
Aus dem Englischen von Theresa Schlesinger
Bühne: Emilie Cognard   
Kostüme: Anna Kurz

Mit: Stephanie Eidt, Laurenz Laufenberg, Kay Bartholomäus Schulze   

Dauer: ca. 60 Minuten


9.4.2017 Democracy in America von Romeo Castellucci (Cesena)
frei nach dem Buch von Alexis de Tocqueville

Es ist nicht unüblich, dass bei den Stücken von Romeo Castellucci das Performative mit philosphischen Gedanken verknüpft wird. In dieser Inszenierung greift er einen Text von Tocqueville auf, in dem ein neues Modell repräsentativer Demokratie beschrieben und auf deren Gefahren hingewiesen wird (Tyrannei der Mehrheit, Schwächung intellektueller Freiheit angesichts populistischer Rhetorik und die zweifelhafte Beziehung zwischen den Interessen der Gemeinschaft und individuellen Ansprüchen). Hinter einem Gaze-Vorhang tanzen Frauen und bilden aus den Buchstaben des Begriffe "Democray in America", die auf Fahnen genäht wurden, neue Begriffe; zwei Ureinwohner unterhalten sich, ebenso wie ein Paar. Etwas langatmig ist die gut zweistündige Vorstellung, optisch ist sie jedoch wie immer bei Castellucci ansprechend.

"Democracy in America" von Romeo Castellucci (Foto: Gianmarco Bresadola)

Produktion: Socìetas – Cesena Koproduktion: deSingel International Artcampus, Wiener Festwochen, Festival Printemps des Comédiens à Montpellier, National Taichung Theatre in Taichung (Taiwan), Holland Festival Amsterdam, Schaubühne Berlin, Festival d’Automne à Paris mit MC93 Maison de la Culture de Seine-Saint-Denis à Bobigny, Le Manège – Scène nationale de Maubeuge, Teatro Arriaga Antzokia de Bilbao, São Luiz Teatro Municipal (Lissabon), Peak Performances Montclair State University (NJ-USA).
Unter Beteiligung von: Théâtre de Vidy-Lausanne und Athens and Epidaurus Festival.

Regie, Bühne, Licht, Kostüme: Romeo Castellucci   
Text: Claudia Castellucci / Romeo Castellucci   
Musik: Scott Gibbons
Korrepition: Evelin Facchini
Regieassistenz: Maria Vittoria Bellingeri
Skulpturen auf der Bühne und Mechanismen: Istvan Zimmermann und Giovanna Amoroso

Mit: Olivia Corsini, Giulia Perelli, Gloria Dorliguzzo, Evelin Facchini, Stefania Tansini, Sofia Danai Vorvila
Tänzerinnen: Virág Arany, Emmanouela Dolianiti, Michèle Even, Lisanne Goodhue, Claudia Greco, Rosabel Huguet, Raisa Kröger, Elia López, Tatiana Mejia, Sofie Roels, Roberta Ruggerio, Elisabeth Ward

Choreographie inspiriert von Folkloretraditionen aus Albanien, Botswana, England, Ungarn, Sardinien.

Dauer: ca. 135 Minuten

Englischsprachiger Essay zum Stück in Pearson's Preview: What’s Gone Wrong in America? A Conversation with Romeo Castellucci

26. April 2017

FIND 2017 - Zwei Klassiker mit neuer Perspektive (Rückblick Tag 7 & 8)

Hamlet und Iphigenie  - sie gehören mit zu den bekanntesten Bühnenfiguren, die Dramen zum Lektürekanon im Schulunterricht, die Stücke oft gespielt auf deutschen Bühnen. Zwei englischsprachige Theatermacher haben sich der Figuren angenommen und als Inspiration für ihre Stücke genommen.

5.4.2017 Hamnet von Bush Moukarzel und Ben Kidd (Dublin)

Hamnet trifft auf seinen Vater. Richtig! Hamnet mit "n", nicht mit "l" wie in Hamlet. Es handelt sich um den "echten" Sohn William Shakespeares, der im Alter von elf Jahren starb. Hamnet kann zwar in einen Dialog mit seinem Vater treten, ihn jedoch nur als Geist auf der anderen Seite der Leinwand sehen. Bis die Perspektive wechselt und Shakespeare leibhaftig auf der Bühne steht, nun aber seinen Sohn nur als Geist wahrnehmen kann. Dead Center war schon im letzten Jahr mit zwei Produktionen zum FIND eingeladen: In "Lippy" wird eine Geschichte erzählt, die so vielleicht nie stattgefunden hat und mit "Checkov's First Play" hatten sich Dead Center auch schon einen Klassiker vorgenommen und im wahresten Sinne des Wortes zerlegt. In "Hamnet" stellt der 11jährige Junge Fragen an seinen abwesenden Vater und kann sich für die Antworten nur der Stücke Shakespeares bedienen, die er jedoch nicht versteht. Das Faszinierende an diesem Abend ist zum einen die Leistung des Kinderdarstellers Ollie West, zum anderen die technischen Tricks, die den Vater auf die Leinwand zaubern. Auf dieser sind die beiden vereint, sie spielen und sprechen zusammen. Auf der Bühne ist Hamnet allein.


"Hamnet" von Dead Centre, Regie: Bush Moukarzel, Ben Kidd (Foto: Gianmarco Bresadola)

Dead Centre, gegründet 2012 in Dublin von Bush Moukarzel und Ben Kidd. Ihr erstes Projekt »Souvenir« entwickelten sie für das Dublin Fringe 2012. Mit »Souvenir« gastierten sie in London und in New York. Das zweite Projekt »(S)quark!« fand in Dublin statt und reiste anschließend nach Russland (2013). »LIPPY « feierte in Dublin Premiere (2013) und tourte bereitsnach New York, London, Deutschland und Edinburgh. 2015 fand die Premiere von »Chekhov’s First Play« in Dublin statt und wurde u. a. in Holland, Estland, Berlin, Bordeaux und Brisbane gezeigt.

Regie: Bush Moukarzel, Ben Kidd
Text: Bush Moukarzel, Ben Kidd, William Shakespeare
Bühne: Andrew Clancy
Kostüme: Grace O Hara
Lichtdesign: Stephen Dodd
Sounddesign: Kevin Gleeson
Video: Jose Miguel Jimenez
Dramaturgie: Michael West
Produktion: Matthew Smyth, Rachel Murray

Mit: Ollie West

Dauer: ca. 60 Minuten


Eine Koproduktion von Abbey Theatre und Dead Centre.



6.4.2017 Iphigenia in Splott von Gary Owen (Cardiff)

Die arbeitslose Effie lebt in Splott, einem Arbeiterviertel in Cardiff. Ihr Leben dreht sich um Ausgehen und Trinken. Als sie sich in einen Kriegsveteranen verliebt und von ihm schwanger wird, glaubt sie ihr Leben könnte sich ändern. Und sie glaubt plötzlich an die Liebe. Dank Effie kann der Ex-Soldat das erste mal seinen verstümmelten Körper ohne Scham zeigen. Sie muss allerdings bald feststellen, dass er eine Familie hat und statt ihn zu verpflichten, sich um das Kind zu kümmern, beschließt sie das Familienglück nicht zu zerstören. Sie "opfert" sich, um einem anderen zu helfen. Dennoch möchte sie das Kind zur Welt bringen. Endlich hat sie nicht nur eine Aufgabe, sondern weiß auch, dass sie nicht mehr alleine sein muss. Doch die Geburtswehen setzen viel zu früh und ausgerechnet in einer Unwetternacht ein, der Krankenwagen, der sie in eine Klinik für Frühgeburten bringen soll, kommt nicht rechtzeitig an. Das Kind stirbt bei der Geburt. Obwohl sie die Möglichkeit hat, das Krankenhaus zu verklagen und so eine hohe Summe kassieren könnte, die ihr finanzielle Sicherheit bringen würde, sieht sie davon ab, die Klage durchzubringen. Warum? Um die Angestellten des Krankenhauses zu schützen, denn die hohe Zahlung würde für das Krankenhaus hohe Einsparungen bedeuten, Entlassungen würden folgen und damit eine schlechtere Versorgung der Patientinnen. Effie "opfert" sich ein zweites mal. - "Iphigenia in Splott" ist inspiriert von der Geschichte der Iphigenie, die in der griechischen Mythologie von ihremVater geopfert wurde, um gute Winde für die Fahrt nach Troja zu bekommen. Doch hier geht es um ein marodes Sozialsystem und Opfer, die gebracht werden müssen, um Profitinteressen nicht weiter zu befüttern. - Sophie Melville spielt die Effie mit Arbeiter*innenjargon und Proll-Klamottten so echt, dass man irgendwann vergisst, dass es sich hier um eine Schauspielerin handelt. Im anschließenden Publikumsgespräch erzählt sie, dass ihr Leben auch wie das der Effie hätte verlaufen können...
Eine beeindruckende Leistung und eine bewegende Geschichte!


"Iphigenia in Splott" von Gary Owen, Regie: Rachel O'Riordan (Foto: Mark Doeut)

Mit "Iphigenia in Splott" gewann Gary Owen den Preis für das Beste Neue Stück bei den UK Theatre Awards 2015, den James Tait Black Drama Prize, sowie den George Devine, Meyer Whitworth und Pearson Best Play Award. Weitere Stücke: "Violence and Son", "Crazy Gary’s Mobile Disco", "The Shadow of a Boy", "The Drowned World", "Mrs Reynolds and the Ruffian" und "Love Steals Us From Loneliness".

Eine Produktion des Sherman Theatre, Cardiff.

Regie: Rachel O’Riordan   
Bühne und Kostüme: Hayley Grindle
Mit: Sophie Melville

Dauer: ca. 80 Minuten


19. April 2017

FIND 2017 - Traurigkeit und Selbstversuch (Rückblick Tag 5 & 6)

Mit etwas Verspätung hier nun weitere Rückblicke des insgesamt sehr eindrucksvollen und wechselhaften (im positiven Sinne!) FIND 2017.


3.4.2017 Tristesses von Anne-Cécile Vandalem (Brüssel/Liège)

Auf einer fiktiven dänischen Insel mit Namen "Traurigkeiten" leben acht Menschen. Dort wird an einem Abend die Leiche von Ida gefunden, an den Fahnenmast mit der dänischen Flagge geknüpft. Ihre Tochter Martha, die Parteiführerin der rechten "Partei des völkischen Erwachens", kommt auf die Inseln, um zu verhindern, dass der Vorfall in die Öffentlichkeit gelangt. Das Stück ist eine merkwürdige Mischung aus schwarzer Komödie, Kriminalfall und Politstück mit einem großen Schauspielensemble und eigens dafür komponierten Musik. Melancholie (vor allem verkörpert durch die Töchter) und Humoriges (die hysterische Figur des Pfarrers) wechseln sich ab bzw. greifen ineinander. Auf der Bühne ist das komplette Dorf mit kleinen beengenden Häusern nebst Kirche errichtet. Ein Großteil der Handlung spielt sich im Inneren der Häuser ab, die per Live-Video auf eine Leinwand projiziert wird, was zusammen mit der überdrehten Spielweise der Figuren stark an die Castorf-Inszenierungen der Volksbühne erinnert. In "Tristesses" untersucht Anne-Cécile Vandalem, die auch die Rolle der Martha Heiger spielt, die Beziehung zwischen Macht und Emotionalisierung.

"Tristesses" Konzept, Text und Regie: Anne-Cécile Vandalem (Foto: Christophe Engels)


Koproduktion: Théâtre de Liège / Le Volcan – Scène Nationale du Havre / Théâtre National – Bruxelles / Théâtre de Namur, centre dramatique / Le Manège.Mons / Bonlieu Scène Nationale Annecy / Maison de la Culture d’Amiens – Centre européen de création et de production / Les Théâtres de Marseille – Aix en Provence. Im Rahmen des europäischen Theaternetzwerks PROSPERO: Théâtre National de Bretagne / Théâtre de Liège / Schaubühne Berlin / Göteborgs Stadsteatern / Théâtre National de Croatie, World Theatre Festival Zagreb / Festival d’Athènes et d’Epidaure / Emilia Romagna Teatro Fondazione.

Konzept, Text und Regie: Anne-Cécile Vandalem   
Musik: Vincent Cahay, Pierre Kissling
Bühne: Ruimtevaarders
Video: Arié van Egmond, Federico D’Ambrosio
Technische Leitung: Damien Arrii
Produktion: Das Fräulein (Kompanie)

Mit: Vincent Cahay, Anne-Pascale Clairembourg, Epona und Séléné Guillaume, Pierre Kissling, Vincent Lécuyer, Bernard Marbaix, Catherine Mestoussis, Jean-Benoit Ugeux, Anne- Cécile Vandalem, Françoise Vanhecke

Dauer: ca. 130 Minuten

Englischsprachiger Essay zum Stück in Pearson's Preview: Creating Distance

Hierzu wird es in Kürze noch einen Gastbeitrag von Steffi Eisenschenk geben.


4.4.2017 Tijuana von Lagartijas tiradas al sol (Mexiko-Stadt)

Der mexikanische Schauspieler Gabino Rodríguez wagte eine Selbstversuch, indem er sich mit angeklebtem Bart, unter falschem Namen und ohne Kontakt zu Freund*innen und Familie in Tijuana an der US-Grenze in einer Montagefabrik als Arbeiter verdingte. Sechs Monate tauschte er sein Leben gegen das der Figur Santiago Ramírez und erlebt, was es bedeutet von einem Lohn von umgerechnet 3,50 Euro am Tag zu leben sowie den Arbeitsbedigungen, der Ausbeutung und der Willkür der Vorgesetzten ausgeliefert zu sein. Darüber hinaus muss er mit den Lebenumständen im Arbeiterviertel umgehen, in dem häufig Gewalt herrscht. Daneben plagen ihn ethische Zweifel, weil er die Menschen, die ihm vertrauen, für diesen Versuch permament anlügen muss. Rodríguez ließ sich dafür u.a. von der Methode Günter Walraffs inspirieren, filmte und fotografierte mit seinem Handy heimlich u.a. einen Mob, der einen vermeintlichen Dieb im Viertel fast totprügelt. Diese Bilder und Aufnahmen werden im Stück verwendet. Das Stück, das vornehmlich aus den Schilderungen des Schauspielers besteht, ist die Dokumentation über diesen Versuch, der - das zeigt das Stück - am Ende doch nicht widerspiegeln kann, wie es denen ergeht, die immer so leben müssen. Und man fragt sich: War es für Rodríguez schlimmer, weil er in einer Situation zurchtkommen muss, die er so nicht kennt, oder besser, weil er immer die Gewissheit hat, wieder in sein altes Leben zurückkehren zu können? Ein weiteres Highlight für mich bei diesem Festival - auch wegen des tollen Schauspielers!

"Tijuana" ist der Auftakt eines großangelegten politischen und gesellschaftlichen Panoramas mit dem Titel "Die Demokratie in Mexiko (1965–2015)", das insgesamt aus 32 Teilen bestehen soll (für jeden der mexikanischen Bundesstaaten). Das Theaterkollektiv Lagartijas tiradas al sol (gegründet 2003) versucht in verschiedenen theatralen Formen die Grenze von Dokumentartheater und Schauspiel auszuloten, um die Widersprüche des Landes aufzudecken und so mit den Mitteln des Theaters politisch zu mobilisieren.

"Tijuana" von Lagartijas tiradas al sol (Foto: Escensas do cambio)

Ein Projekt von Gabino Rodríguez, basierend auf Texten und Ideen von Günter Walraff, Andrés Solano, Martin Caparrós

Mitarbeit Regie: Luisa Pardo
Licht: Sergio López Vigueras
Bühne: Pedro Pizarro
Sounddesign: Juan Leduc
Video: Chantal Peñalosa, Carlos Gamboa
Künstlerische Mitarbeit: Francisco Barreiro

Dauer: ca. 75 Minuten


4. April 2017

FIND 2017 - Kochen und Tragödie (Rückblick Tag 1-4)

Demokratie und Tragödie ist das Motto des diesjährigen FIND. Das Festival Internationale Neue Dramatik hat begonnen und ist mittlerweile auch schon fünf Tage alt. Den Auftakt machte eine Inszenierung von Angélica Lidell (schon vor zwei Jahren beim FIND zu Gast), die das erste mal mit einem deutschen Ensemble arbeitete. Außerdem wurde in den ersten Tagen auffällig viel gekocht. Zeit für eine Zwischenbilanz.


30.3.2017 PREMIERE Toter Hund in der Chemischen Reinigung: Die Starken von Angélica Lidell

Eine der Hauptaufgaben des Schauspielers ist es Ethik und Ästhetik mit Unterhaltung zu verbinden, sagt der Hund (Damir Avdic), der, wie er erklärt, durch einen Schauspieler ersetzt wurde, weil der viel billiger ist. Die Publikumsbeschimpfung mit der anschließenden Aufforderung an das Publikum zu gehen, sollte das Stück nicht gefallen, ist das Spannendste an der Inszenierung.  Es entsteht dabei eine etwas 10minütige Pause, die für die Zuschauer*innen erst unangenehm ist und sich nach einer Weile in Entspannung auflöst. Diese Zumutung an das Publikum ist für viele erträglicher als die Performance. Schon vor dieser Szene haben viele das Theater verlassen. Warum? Es fällt schwer zu folgen – es wird viel gerannt, etwas zertrümmert, herumgeschrien. Rousseau und Diderot werden zitiert. Vielleicht liegt es daran, dann man die Botschaft daher nur schwer herausfiltern kann. Es soll ja um „Europa in einer dystopischen Zukunft“ gehen, in der es keine Migrant*innen und keine Kriminalität mehr gibt. In der chemischen Reinigung treffen Personen aufeinander, die Geschichten ihrer Schuld und Sünden erzählen. Mit großer Spannung wurde diese Produktion von Angélica Lidell erwartet, die derzeit zu den interessantesten Theatermacher*innen gehört. Wahrscheinlich wird es das Stück schwer haben, vielleicht findet es aber auch seine Fans.


"Toter Hund in der Chemischen Reinigung: Die Starken" von Angélica Lidell - Ulrich Hoppe, Renato Schuch, Veronika Bachfischer, Iris Becher (Foto: Gianmarco Bresadola)



Regie, Bühne und Kostüme: Angélica Liddell   
Mitarbeit Regie: Gumersindo Puche
Dramaturgie: Florian Borchmeyer   

Der Hund: Damir Avdic   
Getsemani: Iris Becher   
Octavio: Ulrich Hoppe   
Combeferre: Renato Schuch   
Lazar: Lukas Turtur   
Hadewijch: Veronika Bachfischer   
Susana: Susana AbdulMajid

Dauer: ca. 155 Minuten

Essay zum Stück in Pearson's Preview: Poesie, die unsere Bequemlichkeit zertrümmert. Angélica Liddell’s »Toter Hund in der Chemischen Reinigung«

31.3.2017 & 1.4.2017 The Gabriels:  Election Year in the Life of one Family von Richard Nelson (New York)
Teil 1: Hungry
Teil 2: What did you expect?
Teil 3: Women of a Certain Age

Menschen sind die einzigen Lebewesen, die kochen – egal wie schlimm die Zeiten sind.
Jeder der drei Teile der Gabriels hat die Dauer der Zubereitung eines Essens. Ratatouille, Pasta, Kekse und andere Dinge werden von den Mitgliedern der Familie Gabriel zubereitet. Die Handlung ist im Jahr der Wahlen zum neuen Präsidenten der USA angelegt und spielt im Frühjahr, Sommer und Herbst (am Wahltag) 2016. Die Familie Gabriel trifft sich, um gemeinsam zu kochen und über die Familie zu sprechen – vor allem im Andenken über den verstorbenen Thomas. Dabei fließen immer wieder Überlegungen über die anstehenden Wahlen und die Kandidat*innen ein. Das Besondere für alle Zuschauer*innen, die vor zwei Jahren die Apple Family (ebenfalls von Richard Nelson und mit den gleichen Schauspieler*innen) gesehen haben: Es fühlt sich an, würde man alte Bekannte wieder sehen und schnell wächst einem auch diese Familie mit all ihren sympathischen (und unsympathischen) Eigenschaften ans Herz.

"The Gabriels: Election Year in the Life of one Family" von Richard Nelson, Regie: Richard Nelson (Foto: Joan Marcus)

Eine Produktion des Public Theater New York.

Regie: Richard Nelson   
Bühne: Jason Ardizzone-West, Susan Hilferty
Kostüme: Susan Hilferty

Mit: Meg Gibson, Lynn Hawley, Roberta Maxwell, Maryann Plunkett, Jay O. Sanders, Amy Warren

Dauer: jeweils ca. 95 Minuten

Englischsprachiger Essay zum Stück in Pearson's Preview: Home Cooking and Intimacy: Richard Nelson’s »The Gabriels«


2.4.2017 Verein zur Aufhebung des Notwendigen von Christophe Meierhans (Brüssel)

Gekocht wir auch im nächsten Stück im Studio der Schaubühne und zwar vom Publikum selbst. Jeder erhält zu Beginn eine Nummer und muss eine Aufgabe aus dem ausgelegten Kochbuch, das Skript des Stückes, erledigen: Zutaten auswählen, wegbringen, schneiden, pürieren, braten, mischen und dabei ein zwei Gänge-Menü zubereiten. Dabei wird die Gruppe auf der Bühne, die das Essen zubereitet immer größer. Man muss sich arrangieren. Manche denken dabei an die Gruppe (Sind Vegetarier anwesend, die etwas anderes als das zerlegte Lamm essen möchten?), manche halten sich streng an ihre Aufgabe. Manche nutzen die Situation, um das zu tun, was sie vermutlich zu Hause in der eigenen Küche niemals tun würden (Obst wird an die Wand geworfen). Irgendwann entscheidet jede*r selbst, wie er*sie sich einbringen möchte. Dass das zubereitete Essen hinter nicht besonders gut schmeckt (jedoch immerhin genießbar ist), spielt keine so große Rolle. Das Gemeinschaftserlebnis gilt den meisten wohl mehr. Demnach geht allerdings die Idee, dass das "fertige Essen wie die Summe aller Entscheidungen schmeckt" nicht ganz auf. Auch dass sich im Vorgang des Kochens die "verinnerlichte und alltäglich gelebte Praxis, als Weg, unsere persönlichen und kollektiven Bedürfnisse zu befriedigen und gemeinsam bindende Entscheidungen zu treffen" zeigen soll, ist nicht ganz einleuchtend. Dennoch ist ein solcher Abend eine schöne Idee und tolles Theaterexperiment, das tatsächlich Spaß macht.

Koproduktion: Kaaitheater, Vooruit, BIT Teatergarasjen, BUDA, Nouveau Théâtre de Montreuil, Vaba Lava. Mit Unterstützung von: Regierung von Flandern, Kunstenwerkplaats Pianofabriek. Ein House On Fire Projekt, mit Unterstützung des Kulturprogramms der Europäischen Union.

Konzept und Regie: Christophe Meierhans   
Dramaturgie: Bart Capelle
Bühne und Konzeptionelle Beratung: Holger Lindmüller, Michael Carstens
Produktion: Hiros

Dauer: ca. 150 Minuten


2.4.17 Accesso von Pablo Larraín (Santiago de Chile)

Sandokan versucht Produkte zu verscherbeln, die niemand braucht. Da er sie aber humorvoll an Mann und Frau bringen möchte, hat er erst mal die Lacher auf seiner Seite. Doch die lustige Performance wird immer wieder durch Flashbacks unterbrochen. Er erzählt von seiner Kindheit, dem Missbrauch durch Priester, von Armut und Drogen. Diese Schilderungen sind detailliert und schockierend und manchmal kaum zu ertragen. Um Zugang (Accesso) zu einerm "besseren" Leben (=Essen, Drogen) zu bekommen, lässt der junge Sandokan das alles über sich ergehen, überredet schließlich seine Schwester, den "Onkel" auch zur Verfügung zu stehen und verwechselt Missbrauch mit Liebe. Als die Behörden schließlich auf den Missbrauch aufmerksam werden, die Kinder befragen und wieder zurück in ihre ärmlichen Verhältnisse schicken wollen, ist er sogar empört und will die Täter schützen. Der chilenische Schauspieler Pablo Larraín (der bereits im auf der Berlinale 2015 mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnetetn Film "El Club" den Paria Sandokan spielte) bewegt sich während des Stücks fortwährend durch die Zuschauerreihen und kommt den Leuten dabei sehr nah - manchen vielleicht zu nah -, spricht sie an, bietet Wein aus einer Flasche an und beendet den Abend mit einer Beschimpfung: Was für Menschen seien wir eigentlich, die ins Theater gehen und uns seine Geschichte als Kunst anschauen? Standing Ovations für Larraín. Beeindruckt und aufgewühlt verlässt man den Saal. - Bisher mein Highlight beim diesjährige FIND.

"Acceso" von Roberto Farías und Pablo Larraín, Regie: Pablo Larraín (Foto: Sergio Armstrong)

Regie: Pablo Larraín   
Produktion und Regieassistenz: Josefina Dagorret
Produktion: Association Sens Interdits (Frankreich/France) in Zusammenarbeit mit/in collaboration with Fitam, Fundación Teatro a Mil (Chile)

Mit: Roberto Farías

Dauer: ca. 55 Minuten