4. Dezember 2018

Max Penthollow schreibt mir // Kapitel 20: Sehnsucht und Erfüllung - Die Glasmenagerie (Deutsches Theater)

Max Penthollow schreibt mir:


Liebe Maren,

am 26. November war ich im Deutschen Theater in Tennessee Williams' "Glasmenagerie" aus dem Jahr 1944, Regie Stephan Kimmig, Premiere am 16. Dezember 2016.

Menagerie (französisch Ménagerie), die,

1) ein kleiner Tierpark an Fürstenhöfen;

2) Wandertierschau, häufig zu einem Zirkus gehörend.

(aus: Goldmann Lexikon, Bertelsmann Lexigraphisches Institut, Gütersloh 1998, Band 15, S. 6533)


Auf der Bühne ist die kleine Familie, Mutter, Sohn und Tochter - Amanda, Tom und Laura, in ihrem Wohn- und Esszimmer mit Schneiderei. Der Vater ist weg, es gibt nur noch die Erinnerung an ihn und ein Bild auf der Bühne. Ein Mann und Verehrer, Jim, kommt schließlich noch hinzu. Zwei Hühner – eine Henne und ein Hahn – sind in einem kleinen gläsernen Gehege links seitlich auf der Bühne untergebracht und haben ab und zu eigene Bühnenauftritte.

Die Glasmenagerie ist Lauras Sammlung kleiner zarter und zerbrechlicher Glastiere in einem kleinen Pappkarton, mit dabei auch ein Einhorn, das in der Spielhandlung durch versehentliche unachtsame Behandlung sein Horn verliert. "Das ist aber überhaupt nicht schlimm. Gar nicht schlimm."

Als Zweites hat Laura ihre Schallplatten.

Das Stück ist ein Spiel über Hoffnung und Sehnsucht nach Nähe, Liebe und Glück und über die Unmöglichkeit ihrer Erfüllung. Ein Leben in Geborgenheit und Liebe und Glück ist "eine Realität, von der sie nur träumen können".

Anja Schneider und Linn Reusse (Foto: Arno Declair)

Die wunderbaren Darstellerinnen und Darsteller dürfen zeigen, was sie alles können, womit sie – so stelle ich es mir vor - vielleicht schon immer und schon in der Schule und in ihrem ganzen Leben ihre Lieben und andere Menschen begeistert und zum Lachen und zum Staunen gebracht haben, mit Kunststückchen, Kabarett, Klamauk und slapstickartigem Witz. Hinreißend spielen sie das melancholische Spiel um Erwartung, Enttäuschung, Liebesverlangen und Liebesverlust, herzzerreißend und zum Weinen. Sie sind fantastisch und in ihrem Element: Anja Schneider, Linn Reusse, Marcel Kohler und Holger Stockhaus.

Durch das in Form und Inhalt gegensätzliche Spiel entsteht ein eindrückliches Bild einer unendlichen Sehnsucht und grenzenlosen Hoffnung sowie einer großen und unermesslichen Traurigkeit. Für mich war das Stück gerade in dieser polaren Art der Inszenierung ganz wunderschön und bezaubernd und der Abend für mich besonders anrührend, bewegend und entzückend!

Anja Schneider als Amanda Wingfield (Foto: Arno Declair)
 
Die Bedeutung der beiden leitmotivischen Hühner auf der Bühne, Henne und Hahn, bestimmen wir selbst. Uns allein ist es überlassen, was wir an Interpretation in dieses Motiv hineinlegen möchten oder nicht. Ich habe dieses Moment sehr genossen!

In der Nacht gibt es einen heftigen Regenschauer.

Jeder (jede) sollte eine Glasmenagerie haben.


Allerliebste Grüße

Max

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Regie: Stephan Kimmig
Bühne: Katja Haß
Kostüme: Anja Rabes
Musik: Michael Verhovec

Deutsch von Jörn van Dyck

Amanda Wingfield: Anja Schneider
Laura Wingfield: Linn Reusse
Tom Wingfield: Marcel Kohler
Jim O’Connor: Holger Stockhaus

20. November 2018

Max Penthollow schreibt mir // Kapitel 19: Total Therapy - Therapeutisierung des Alltags

Max Penthollow schreibt mir...

Liebe Maren,

am 13. November war ich bei der Premiere von Interrobangs neuer Performance "Total Therapy" im Festsaal der Berliner Sophiensäle.

In der Programm-Ankündigung steht: "in Total Therapy widmen sich Interrobang der zunehmenden Therapeutisierung des Alltags. Im Zuge von gesteigerter Selbstoptimierung, omnipräsentem Coaching und allgegenwärtiger Feedbackkultur werden immer weitere Lebensbereiche therapeutisiert."

Interrobang ist eine Performancegruppe aus Berlin.

Wir sind im Festsaal der Sophiensäle, gefühlt etwa 50 Theatergäste, Frauen und Männer. Im Raum stehen mehrere mit Buchstaben bezeichnete runde weiße Tische mit umgebenden Stühlen, am Boden sind große kreisrunde weiße Felder angelegt, es gibt das stufenförmige Theater-Podest, mehrere Kabinen mit weißen Vorhängen und ein Info-Center in der Mitte des Saals. Es ist ein Spiel und dauert zwei Stunden. Es gibt mehrere Spielgruppen mit jeweils wechselndem Teilnehmerinnen und Teilnehmern und dazu jeweils jemand vom Performance-Team, die oder der die jeweilige Gruppe in der jeweiligen Spielphase leitet. Teilweise findet das Spiel im freien Raum statt, teilweise an den runden Tischen.

 Erste Runde: Was denken wir über unsere Mitspieler*innen? (Foto: Renata Chueire)

Wir alle bekommen einen weißen Rucksack. Wir beurteilen die anderen und die anderen beurteilen uns, mit jeder Menge Vorurteilen, anhand kleiner weißer Zettel mit vorgefertigten Aufdrucken, die wir beliebig verteilen oder zuweisen können: "du hilfst den Nachbarn im Treppenhaus" oder "du hast versucht, die anderen zu übervorteilen". Alle Zettel kommen in den Rucksack. Wir bekommen Attribute in Form von bunten Spielkarten mit Aufschriften, z.B. Dominanz, Ehrgeiz, Bosheit und Mitgefühl. Wir spielen in kleinen Gruppen miteinander um den Erfolg und geben und erhalten Feedback in Form von Anerkennung oder Ablehnung, dementsprechend bekommen die anderen und bekommen wir Eigenschaften zugewiesen. Daraus entsteht jeweils ein individuelles Bild unserer Persönlichkeit.

Zweite Runde: Eigenschaften gewinnen oder verlieren (Foto: Renata Chueire)

Im letzten Viertel der Spielzeit und nachdem wir selbst erlebt haben, wie willkürlich und beliebig und zusammenhangsfrei wir untereinander Feedback und Eigenschaften vergeben und erhalten haben, geht das Spiel in eine Phase der Meditation. Wir bekommen Kopfhörer mit Frauenstimmen und Männerstimmen, die uns weiter begleiten. Die Stimmen leiten uns an, unsere im Spiel erlebten Begebenheiten und Situationen des Spielverlaufs nochmals in Gedanken an uns vorüberziehen zu lassen und zu reflektieren. Für mich war diese Phase eine besonders schöne, entspannende kathartische Situation. Aus dem Kopfhörer vernehmen wir phasenweise weitere beliebige an uns persönlich gerichtete anerkennende oder abwertende Kommentare zu unserer Persönlichkeit. In einer Kabine mit weißem Vorhang betrachten wir uns selbst im Spiegel und bekommen durch eine Lücke in der weißen Kabinenwand einen Gegenstand gereicht, einen kleinen bunten Holzpropeller oder ein kleines rotes Reh aus Plastik. Zum Abschluss begeben wir uns unterer weiterer Kopfhörer-Anleitung zum Podest und suchen uns dort einen Platz aus. Dann gestalten wir unter Anleitung auf den Boden-Ebenen des Podests unsere eigene Collage aus dem Inhalt unseres weißen Rucksacks, den Gegenständen und Zetteln und Eigenschafts-Spielkarten. Nur für uns allein und so wie wir es wollen. Jetzt sind wir ganz bei uns. Niemand bewertet unsere Collagen außer uns selbst. Für mich ist jetzt alles so richtig wie ich es mache und alles ist gut.
 
Bin ich das wirklich? (Foto: Renata Chueire)


Ich habe die Runde sehr genossen und bewundere es sehr, mit welcher Liebe und Hingabe Interrobang sich hier wieder ein wunderbares Spiel für uns ausgedacht haben. Wir alle spielen mit und erleben dabei, jeder für sich, wie relativ Selbstoptimierung, Coaching und allgegenwärtiges Feedback sein können. Wir erleben, wie gut es uns tun kann, in unserem eigenen Leben und Alltag eine Distanz zum Mainstream und zu unserem eigenen Anteil am Mainstream zu finden. So jedenfalls habe ich es erlebt.

Danke, Interrobang!

Allerliebste Grüße

Max


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Konzept: Interrobang
Von und mit: Bettina Grahs, Lisa Großmann, Kaja Jakstat, Elisabeth Lindig, Till Müller-Klug, Lajos Talamonti, Nina Tecklenburg
Bühne / Kostüm: Silke Bauer
Musik: Friedrich Greiling
Lichtdesign / Technische Leitung: Dirk Lutz Produktion ehrliche arbeit – freies Kulturbüro
Öffentlichkeitsarbeit: Tina Ebert
Hospitanz: Miriam Bach
Fotografie: Paula Reissig
Fotocollage: Silke Bauer

Eine Produktion von Interrobang in Koproduktion mit Schauspiel Leipzig, WUK Performing Arts Wien und SOPHIENSÆLE. Gefördert durch die Senatsverwaltung für Kultur und Europa und die Konzeptionsförderung des Fonds Darstellende Künste e.V. – aus Mitteln des Bundes.

Weitere Termine:
Residenz Schauspiel Leipzig
11.-18. April 2019

WUK Wien
Termine tbc

Bemerkenswerte Produktionen von Interrobang aus den vergangenen Jahren, über die wir berichtet haben:
Brot und Spiele
Der Prozess 2.0
To Like Or Not To Like


15. November 2018

Falscher richtiger Ehemann: Champignol wider Willen (Schaubühne)

Ein großer Fritsch-Abend in jeder Hinsicht. Und mal wieder eine richtig schöne Komödie an der Schaubühne. Das Ensemble (die alte Frisch-Truppe erweitert durch langjährige Ensemblemitglieder und Schauspielstudent*innen der UDK) kann hier zeigen was es in Sachen Komödie drauf hat. Fritsch nimmt sich diesmal ein Stück von Georges Feydeau vor, ein Autor des Vaudeville - geradezu eine Steilvorlage für Fritsch.

Das Timing ist perfekt. Gesang und Choereographie in typischer Fritsch-Manier. Allen voran Bastian Reiber als Saint-Florimon und Florian Anderer als Champignol turnen, springen, zappel über die große Bühne, dass das Publikum vor Freude jauchzt. Szenenapplaus gibt’s schon nach den ersten drei Minuten.

Und man fragt sich: Warum ist eigentlich bisher noch niemand auf die Idee gekommen, Robert Beyer in einem Fritsch-Stück zu besetzen? Das passt einfach perfekt.

Carol Schuler und Robert Beyer (Foto: Thomas Aurin)

Optisch ist alles (konsequent bis hin zum Programmheft) in Camouflage gehalten, Bühne und Kostüme in zig Varianten des Tarnlooks in allen möglichen Farbkombinationen.

Die Verballhornung des Militärs ein großer Spaß. Eine Verwechslungskomödie so gut und satt, wie man sie im Boulevardtheater nicht finden wird. Denn Klischees werden hier nicht platt ausgespielt, sondern zu großer Kunstfertigkeit gemacht.

Ursina Lardi als Angele und Ensemble (Foto: Thomas Aurin)


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Regie und Bühne: Herbert Fritsch   
Kostüme: Victoria Behr   
Musikalische Leitung: Ingo Günther   

Saint-Florimond: Bastian Reiber   
Champignol: Florian Anderer   
Angèle, seine Frau: Ursina Lardi   
Camel, ihr Onkel: Werner Eng   
Mauricette, seine Tochter: Fine Sendel*
Singleton, deren Mann: Damir Avdic   
Camaret, Capitaine: Axel Wandtke   
Adrienne, seine Tochter: Iris Becher   
Célestin, sein Neffe: Bernardo Arias Porras   
Charlotte, Dienstmädchen bei Champignol: Carol Schuler   
Joseph, Diener bei Champignol / Jérôme, Diener bei Rivolet: Robert Beyer   

Fourrageot, Commandant: Stefan Staudinger   
Ledoux, Adjudant: Robert Beyer   
Belouette, Sergent: Vito Sack*
Grosbon, Caporal: Carol Schuler   
Deneuve, Reservist: Bernardo Arias Porras   
Delon, Reservist: Nina Bruns*
Prinz von Valance, Reservist: Maximilian Diehle*
Depardieu, Reservist: Robert Knorr*
Schneider, Reservist: Teresa Annina Korfmacher*
Bardot, Reservist: Sarah Schmidt*
Ein Gendarm: Stefan Staudinger   

Musiker_innen: Ingo Günther, Taiko Saito, Fabrizio Tentoni   

In Kooperation mit der Universität der Künste Berlin (UdK).

* Studierende der UdK

Essay zum Stück in Pearson's Preview: Champignol in Farbe – oder: Komödie wider Willen

5. Oktober 2018

TheaterRückBlick August & September 2018: Wiederholung & Neuanfänge

Die Theaterferien sind vorbei! Im August und September gab es Neues und Bekanntes.

August   

31.08.2018 Neues Stück II Tanztheater Wuppertal Pina Bausch / Alan Lucien Oyen (Tanz im August / Volksbühne)

Im Stück der Pina Bausch Company wird der Grenzbereich zwischen Tanz, Theater, Text und Film erkundet. Die Schönheit der Bewegung zählt auf der Bühne. Es gibt außerdem ein Wiedersehen mit bekannten Gesichtern wie Nazareth Parandero, einer Webgleiterin von Pina Bausch.
 

September   
   
01.09. 2018 Deutschland-PREMIERE Die Wiederholung von Milo Rau (Schaubühne)

Meinen Bericht zu dieser Inszenierung gibt es hier!


02. 09. 2018 Lö Grand Bal Almanya von Nurkan Erpulat (Maxim-Gorki-Theater)

„57 Jahre Scheinehe“ - lautet der ironische Untertitel des Stücks von Nurkan Erpulat, das bereits 2010 im Ballhaus Naunynstraße lief und am Gorki-Theater wiederaufgelegt wurde. Beschrieben wird die Geschichte der türkischen Gastarbeiter*innen, die im Rahmen des Anwerbeabkommens in den 60ern nach Deutschland kamen. Die Texte, die die Schauspieler*innen sprechen sind Originalzitate von Politiker*innen zwischen den 80er Jahren bis heute. Es wird aber auch viel gesungen (der Abend wird als Singspiel angekündigt). Eine Parodie auf das schwierige Verhältnis der Deutschen und Türken, die mittlerweile in der dritten Generation hier leben, mit aktuellen Bezügen wie die NSU-Morde und deutschen Waffenlieferungen in Kriegsgebiete. Insgesamt ein kurzweiliger Abend, der leider aber auch zu viele Klischees ausweist, was irgendwann ermüdet.

13. 09. 2018 Yes but No von Yael Ronen (Maxim-Gorki-Theater)

Meinen Bericht zu dieser Inszenierung gibt es hier!


21. 09. 2018 re-revisited Ungeduld des Herzens nach dem Roman von Stefan Zweig in einer Fassung von Simon McBurney, James Yeatman, Maja Zade und dem Ensemble (Schaubühne)

Laurenz Laufenberg und Marie Burchard in "Ungeduld des Herzens" (Foto: Gianmarco Bresadola)

Meine Begeisterung für dieses Stück ist auch beim dritten Besuch ungebrochen. Großartig choreographiert, schnell und präzise gespielt,


23. 09. 2018 Brunch zum Spielzeitbeginn der Freunde der Schaubühne

Unser traditioneller Brunch zum Beginn der Spielzeit der Schaubühne. Direktor Tobias Veit nahm diesen zum Anlass, zu erläutern wie es zur „Absage“ der geplanten Vorstellungen des Volksfeind-Gastspiels in Nanjing (China) kam. Hierzu hat die deutsche Presse berichtet, z.B. hier. http://www.taz.de/!5535414/ Die Filmemacher Matthias Schellenberg und Andreas Nickl, die schon seit einigen Jahren die Volksfeind-Gastpiele im Ausland begleiten und dokumentieren waren in China vor Ort, so dass sie Geschehnisse tw. mit der Kamera festgehalten werden konnten. Der Film „Volksfeind auf Reisen“ wird durch den Freundeskreis finanziell ermöglicht.

2. Oktober 2018

Ja sagen, nein meinen: "Yes but no" von Yael Ronen (Maxim Gorki Theater)

Der Beitrag des Gorki-Theaters zur #MeToo Debatte.

Yael Ronens Schauspieler*innen schildern in dem 75-minütigen Stück "Yes but no" ihre Erfahrungen beginnend mit ersten Erlebnissen in der Pubertät bis ins Erwachsenenalter - als Opfer und als Täter*innen.

Themen sind die Überschreitung von sexuellen Grenzen, Missbrauch, Ängste, die eigene Unsicherheit darüber, was ein "Nein" bedeutet - für mich, für den*die andere*n -, Kommunikation, wo Schamgrenzen beginnen, Verschiebung von Grenzen durch die Online-Möglichkeiten. Wo beginnt Verletzung? Wo wird geschwiegen, statt zu reden? Warum folgen eigentlich immer noch so viele den patriarchalen Strukturen?

Dass Yael Ronen die Biografien ihrer Schauspieler*innen zum Bestandteil des Stückes macht, ist nicht neu. Doch hier geht sie noch ein Stück weiter.

Etwa in der Mitte des Stücks fragen die Schauspieler*innen das Publikum, wer schon einmal Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen gesammelt hat, wer diese angezeigt hat, wer persönlich und in seinem*ihrem Umfeld etwas dagegen unternommen hat. Dass sich viele Frauen melden würden, wenn gefragt wird, schon einmal sexuell belästigt wurde, war klar. Erschütternd ist, dass sich bei dieser Frage fast alle Frauen im Publikum melden und auch viele Männer. 

So deprimierend das hier alles klingen mag, der Abend ist nicht düster. Dank der Songs und der Musik erhält das Stück eine versöhnliche Note. Außerdem fühlt man sich aufgefordert, es nicht beim Hashtag zu belassen, sondern gerade jetzt weiterzudenken und weiterzukämpfen - diese Erkenntnis erlangt man nicht zuletzt Dank der Umfrage im Stück.

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Regie: Yael Ronen
Bühne: Magda Willi
Kostüme: Amit Epstein
Songs und Musik: Yaniv Fridel, Shlomi Shaban, Ofer Shabi
Additional Songwrinting: Riah May Knight, Lindy Larsson
Video: Hanna Slak
Mit: Riah May Knight, Lindy Larsson, Svenja Liesau, Orit Nahmias, Taner Şahintürk

Nächste Vorstellungen:
5. Oktober 2018
29. Oktober 2018
7. November 2018

Tickets und weitere Infos zum Stück auf der Seite des Gorki-Theaters.

9. September 2018

Gewalt verstehen: Berlin-Premiere "Die Wiederholung" von Milo Rau (Schaubühne)

Die Spielzeit 2018/19 an der Schaubühne wurde mit dem Gastspiel "Die Wiederholung" von Milo Rau eröffnet.

Die Handlungdes Stücks, das derzeit durch Europa tourt, beruht auf einem wahren Fall, der sich 2012 in Liège ereignete: Ein junger Mann arabischer Herkunft spricht vor einer Schwulenbar drei Männer in einem Auto an und steigt zu ihnen in den Wagen. Einige Tage später wird seine Leiche gefunden. Er wurde stundenlang zusammengeschlagen und getötet. Was hat die Täter zu dieser Tat getrieben? Wie kann man Gewalt, die (scheinbar) sinnlos an einem Menschen verübt wird, verstehen? Was bedeutet das für die Angehörigen und wie geht jede*r einzelne damit um?

Vier professionelle Schauspieler*innen und zwei Laiendarsteller*innen stellen die Geschehnisse dieses Abends nach, treten dabei aber immer wieder aus ihren Rollen. Zwar wird dabei z.B. der expliziten Dartellung der Gewalt vorwegenommenen, wie diese "nur" gespielt wird, jedoch erscheint sie dem Publikum (gerade deswegen) umso eindriglicher. Man fragt sich: Wie können Menschen einem Menschen das antun?

Keine leichte Kost für den Auftakt der Theatersaison 2018/19 - aber gerade dieser Tage umso eindringlicher.

Aus "Die Wiederholung von Milo Rau & Ensemble (Foto: Hubert Amiel)

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Konzept und Regie: Milo Rau   
Bühne und Kostüme: Anton Lukas   
Video: Maxime Jennes, Dimitri Petrovic
Recherche und Dramaturgie: Eva-Maria Bertschy   
Dramaturgische Mitarbeit: Stefan Bläske, Carmen Hornbostel   
Licht: Jurgen Kolb   
Sounddesign: Jens Baudisch   
Kamera: Maxime Jennes, Moritz von Dungern
Produktion: Mascha Euchner-Martinez, Eva-Karen Tittmann   

Mit: Tom Adjibi, Suzy Cocco, Sara de Bosschere, Sébastien Foucault, Fabian Leenders, Johan Leysen   

»Die Wiederholung« ist eine Produktion des International Institute of Political Murder (IIPM), Création Studio Théâtre National Wallonie-Bruxelles. Gefördert durch den Hauptstadtkulturfonds Berlin, Pro Helvetia und Ernst-Göhner-Stiftung. In Koproduktion mit Kunstenfestivaldesarts, NTGent, Schaubühne Berlin, Théâtre Vidy-Lausanne, Théâtre Nanterre-Amandiers, Tandem Scène Nationale Arras Douai, Théâtre de Liège, Münchner Kammerspiele, Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt a. M., Theater Chur, Gessnerallee Zürich, Romaeuropa Festival.

12. August 2018

Die Stadt im Blut haben: "Affe" mit Songs von Peter Fox (Neuköllner Oper)

Ein Theaterstück/Musik-Theaterabend mit den Songs von Peter Fox Album "Stadtaffe" aus dem Jahr 2008. Für die Berliner*innen die Chance, das Berlin-Gefühl von vor zehn Jahren noch einmal kurz aufleben zu lassen: "Schwarz zu Blau", "Haus am See", "Alles neu" u.a.

Die Story (geschrieben von John von Düffel und Regisseur Fabian Gerhardt) ist dabei fast zweitrangig und zugegeben auch irgendwie nicht wirklich gut oder gar komplex. Protagonist ist ein feierfreudige Berliner, der Probleme mit seiner Beziehung und seinem Erinnerungsvermögen hat. Vom Club ins Krankenhaus zum nächsten Trip geht seine Reise durchs nächtliche Berlin. Dabei trifft er merkwürdige Gestalten und weiß am Ende der Nacht nicht, was real war und was nicht. Am Ende bleibt die Message die Peter Fox (alias Pierre Baigorry) in seinen Songtexten eigentlich besser ausdrückt: Berlin ist anstrengend und manchmal möchte man einfach nur weg. Gleichzeitig lieben wir unsere Stadt und können nicht ohne sie.

Der Abend ist großartiges Entertainment. Wer von der Handlung nicht allzu viel erwartet, kann sich hier 1,5 Stunden gut unterhalten lassen und darf am Schluss mittanzen: "Schüttel dein' Speck!"

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Buch: John von Düffel/Fabian Gerhardt
Regie: Fabian Gerhardt
Arrangements / Musikalische Leitung: Fred Sauer
Ausstattung: Michael Graessner
Choreografie: Stella Caric
Video: Vincent Stefan

Mit: Achan Malonda, Lea Schaaf, Sven Scheele, Jochen Weichenthal, Armin Wahedi Yeganeh und Rubini Zöllner

2. Juli 2018

Vision Gypsy Europa*: "Roma Armee" von Yael Ronen (Maxim Gorki Theater)

Romnija, Rom und Romani Traveller aus verschiedenen europäischen Ländern (Schweden, England, Deutschland, Österreich, Serbien, Rumänien, Kosovo). Dazu der Deutsch-Türke Mehmet Atesci und Orit Nahmias aus Israel, die in vielen Inszenierungen von Yael Ronen mitwirkt. Sie bilden die Roma Armee, die Diskriminierung, Ausgrenzung und Rassismus den Kampf ansagt. Jede*r präsentiert sich dabei mit ihrer*seiner persönlichen Geschichte. Keiner*r ist nur eins, nur Roma, ihre Identitäten machen viel mehr aus: Mann, Frau und Eltern, queer, feministisch, divers und übernational, Schauspieler*in, Sänger*in, Politiker*in und Aktivisti*in. Es ist jeweils die Summe dieser biografischen Merkmale, die jede Persönlichkeit auf der Bühne ist. 

Die Schwestern Simonida und Sandra Selimović (Gründerinnen des ersten feministischen und professionellen Romatheaterverein Romano Svato) haben zusammen mit der Gorki Hausregisseurin Yael Ronen das Stück entwickelt, um historische Ereignisse sowie persönlichen Erfahrungen zu erforschen. In Roma Armee geht es um Selbstermächtigung und das Hinterfragen der eigenen Rolle. Zusammen mit den bildenden Künstler*innen Delaine und Damian Le Bas aus England wurde eine Vision für ein Safe European Home („Gypsy Europa“) entwickelt.

Schon nach wenigen Minuten nehmen die Schauspieler*innen das Publikum für sich ein. Mit ihren Geschichten, mit Gesang und Rap, mit dem humorvollen Umgang mit Klischees, mit ihrem Selbstbewusstsein. Auch wenn die Roma, Gypsies und Traveller in Europa immer noch strukturell ausgegrenzt werden und sie mit den typischen Vorurteilen behandelt werden, ist das Stück weit entfernt davon sie in die Opferrolle zu drängen. Zwar wird ihre Situation thematisiert, aber der Stolz auf die eigene Identität hat ebenfalls viel Raum. Und die Vision eines europäischen "Gypsylandes"*.

Regie: Yael Ronen

Nach einer Idee von Sandra und Simonida Selimovic

Mit: Mehmet Atesci, Mihaela Dragan, Riah May Knight, Lindy Larsson, Orit Nahmias, Sandra Selimovic, Simonida Selimovic

In English, German, Romanes

*siehe hierzu auch den Text von Damian Le Bas im Programmheft zu "Roma Armee"

Nächste Vorstellungen: 22. und 23.09.2018 um 19:30

Vor dem Gorki Theater

8. Juni 2018

Wenn andere erzählen: Premiere "Im Herzen der Gewalt" (Schaubühne)

Für die Bühnenfassung von "Im Herzen der Gewalt" adaptierte Thomas Ostermeier gemeinsam mit Édouard Louis dessen Roman.

Sowohl der Roman als auch das Stück leben von der Gegenüberstellung und Überblendung der jeweiligen Erzählung des Protagonisten und seiner Schwester. Geschildert wird eine Nacht, in der Édouard (Laurenz Laufenberg) einen Mann, Reda (Renato Schuch), mit zu sich nach Hause nimmt. Nach einer Liebesnacht schlägt die Situation um. Reda beraubt Édouard, bedroht ihn mit einer Pistole und vergewaltigt ihn schließlich. Nach den traumatischen Erlebnissen begibt sich Édouard ins Krankenhaus und zur Polizei. Dort wie auch bei seiner Schwester Clara schildert er die Geschehnisse. Rassismus und Homophobie werden erkennbar. Der Täter ist Algerier, darauf wird alles reduziert. Èdouard wird seiner eigenen Geschichte beraubt.

Laurenz Laufenberg, Christoph Gawenda, Renato Schuch, Alina Stiegler (Foto: Arno Declair)

In der Bühnenfassung erhält die Schwester (Alina Stiegler) eine stärkere Stimme und tritt immer wieder als Figur auf, die das Verhaltens des Bruders kritisiert, ihn als zu naiv, zu eingebildet darstellt, als jemand, der aus Scham seine Herkunft verdrängen möchte. Als Gegenfigur zu dem gebildeten Aufsteiger ist sie die einfache Frau aus der nordfranzösischen Provinz, die immer wieder Zwischenbemerkungen macht, sich in die Szenen einmischt.

Die Darstellung der Gewalt beeindruckt auf der Bühne noch mehr als im Buch. Fast unerträglich die Szene zwischen Laurenz Laufenberg und Renato Schuch, in der die Vergwaltigung gezeigt wird.

Als beim Schlussapplaus der Autor selbst auf die Bühne kommt, schwankt die Stimmung zwischen Euphorie (über das gelungene Stück) und Beklemmung (weil der, der es erlebte hier ist). Tränen im Publikum, wache Diskussion unter den Zuschauern im Anschluss - ein großer Theaterabend!

Laurenz Laufenberg, Renato Schuch und Alina Stiegler (Foto: Arno Declair)


Regie: Thomas Ostermeier   
Mitarbeit Regie: David Stöhr   
Bühne und Kostüme: Nina Wetzel   
Musik: Nils Ostendorf   
Video: Sébastien Dupouey   
Dramaturgie: Florian Borchmeyer   
Licht: Michael Wetzel   
Mitarbeit Choreographie: Johanna Lemke   

Mit: Christoph Gawenda, Laurenz Laufenberg, Renato Schuch, Alina Stiegler   
Musiker: Thomas Witte

Essay zum Stück in Pearson's Preview: Für Opfer und Täter sprechen

3. Juni 2018

TheaterRückBlick Mai 2018: Revisited

Bekannte Stücke im Mai. Und doch war hier einiges neu.


3.-7. 05. 2018 Reise nach Lyon / Professor Bernhardi (Freunde der Schaubühne e.V.)

Programmheft "Professor Bernhardi" in Lyon


Mit den Freunden der Schaubühne waren wir in Lyon. Die Schaubühne war mit "Professor Bernhardi" zu einem Gastspiel ins Celestins Theatre de Lyon eingeladen. Neben einem Mittagessen mit dem Team und den Schauspieler*innen, durften wir die Stadt kennenlernen. Highlight: Natürlich der Besuch des Stücks.

Celestins Theatre de Lyon


17. 05. 2018 The Encounter von Complicité/Simon McBurney (Schaubühne)
Nach dem Roman "Amazon Beaming" von Petru Popescu

Im April 2015 hatte Simon McBurney im Rahmen des FIND sein Work in Progress "Amazon Beaming" vorgestellt. Unter dem Titel "The Encounter" wurde die Performance nun als Gastspiel an der Schaubühne gezeigt. Was ist real? Was ist Erfindung? Keine*r weiß, wann das Spiel beginnt und wann der Schauspieler improvisiert mit dem Publikum kommuniziert. Mithilfe von Kopfhörern, die Teil einer neuartigen Audiotechnologie sind, wird eine Klangwelt als Reise für die Zuschauer*innen/Zuhörer*innen erschaffen.


29. 05. 2018 der die mann von Herbert Fritsch nach Texten von Konrad Bayer (Schaubühne)

Mit der Spielzeit 2017/18 wurde der die mann von Herbert Fritsch, das auch zum Theatertreffen 2016 eingeladen wurde, von der Volksbühne an die Schaubühne übernommen. Damals habe ich das Stück mit Steffi E. gesehen, die darüber auf TheaterBlick geschrieben hat.

Im September ist es noch mehrmals zu sehen, Tickets gibt es hier.

Florian Anderer, Annika Meier, Axel Wandtke, Ruth Rosenfeld (Foto: Thomas Aurin)


Regie und Bühne: Herbert Fritsch   
Kostüme: Victoria Behr   
Musikalische Leitung: Ingo Günther   

Mit: Florian Anderer, Jan Bluthardt, Werner Eng, Annika Meier, Ruth Rosenfeld, Axel Wandtke, Hubert Wild   
dasderdiemannorchester: Ingo Günther, Michael Rowalska, Taiko Saito, Fabrizio Tentoni

2. April 2018

TheaterRückBlick März 2018: Kinder

Kinder kann man schon früh fürs Theater begeistern. Ansonstens gabs viel für diejenigen, die Akrobatisches lieben.

18.03.18 Kinder des Paradieses (Berliner Ensemble)
Nach dem Film "Les Enfants du paradis" ("Die Kinder des Olymp") von Jacques Prévert und Marcel Carné.

Die Entstehungsgeschichte des Films, der während des Zweiten Weltkriegs gedreht wurde, ist von Schwierigkeiten geprägt. Juden und Mitglieder des Resistance, die am Film mitwirken, wurden von der Gestapo beobachtet. Nach Ende des Kriegs wurden die "Kinder des Paradiese" 1945 gezeigt. Wegen einer Liebesaffäre mit einem deutschen Offizier war die Hauptdarstellerin Arletty jdoch inhaftiert. Im Stück rekapituliert sie ihre Liebesaffären zum Pantomimen Baptiste Deburau, zum Dichter und Mörder Lacenaire, zum Schauspieler Frédérick Lemaître. Schutz erhielt sie vom begüterten Grafen de Montray. Die Akrobat*innen gestalten die Atmosphäre des Inszenierung. Ilse Ritter als Arletty gibt den Rahmen des Stücks.

Kathrin Wehlisch als Garance
Peter Moltzen als Baptiste Deburau
Ilse Ritter als Arletty
Felix Rech als Frédérick Lemaître
Antonia Bill als Nathalie
Tilo Nest als Lacenaire
Sascha Nathan als Theaterdirektor
Martin Rentzsch als Jericho / Graf de Montray
Mitja Ley als Avril
Biliana Votuchkova als Gräfin

Akrobatik: Marula Bröckerhoff, Kristina Francisco, Lukas Flint, Marvin Kuster, Mitja Ley, Karlo Janke, Marc Unruh

Regie/Bearbeitung: Ola Mafaalani
Musik: Eef van Breen
Bühne: André Joosten
Kostüme: Johanna Trudzinski
Choreografie: Maria Marta Colusi
Licht: Ulrich Eh
Dramaturgie/Bearbeitung: Alexandra Althoff
Musik: Eef van Breen (Blechblasmusik, Sänger, Komponist), Biliana Voutchkova (Violine), Antonis Anissegos (Tasteninstrumente)


24.03.18 PREMIERE Null von Herbert Fritsch (Schaubühne)

Wennn man eine weitere Klammer für die Stücke dieses Monats finden möchte, so ist vielleicht auch die Artistik. Dass Herbert Fritschs Schauspieler*innen das können, ist nicht neu. Die Fahrt auf dem Gabelstapler von Florian Anderer lässt einen dennoch die Luft anhalten.

Die Bühne so karg ausgestattet als hätte man vergessen, die Kulissen aufzubauen. Sie dürfen auf einer Null-Bühne auftreten.

Minutenlangen besprechen sie ihre geplante Choreographie. Probieren? Ja, aber erst muss noch was geklärt werden.

Die mechanische Riesenhand. Die "Hand Gottes"? Jedenfalls wünscht man sich beim Schlussapplaus diejenigen auf die Bühne, die sie gebaut haben,.

Das neue Fritsch-Stück macht Spaß, auch ohne, dass man alles verstehen muss (wie so oft bei ihm).

Schutz oder Bedrohung? Unter der Riesenhand: Jule Böwe, Bernardo Arias Porras, Ingo Günther, Florian Anderer, Carol Schuler, Bastian Reiber, Axel Wandtke, Ruth Rosenfeld (Foto: Thomas Aurin)

Im Kontrast zu früheren knallbunten Kostümen bei Fritsch, hier Pastelltöne (auch die Farbe ist irgendwie Null). Kostüme und Perücken werden nach der Pause getauscht und so treten sie als ihre eigenen Zwillinge auf. Jule Böwe trägt Ruth Rosenfelds blonden Pagenkopf und ihr blaues Kleidchen. Axel Wandtke bekommt Bastian Reibers Baskenmütze usw.

Regie und Bühne: Herbert Fritsch   
Kostüme: Bettina Helmi   
Musik: Ingo Günther   
Dramaturgie: Bettina Ehrlich   
Licht: Carsten Sander   

Mit: Florian Anderer, Bernardo Arias Porras, Jule Böwe, Werner Eng, Ingo Günther, Bastian Reiber, Ruth Rosenfeld, Carol Schuler, Axel Wandtke   


28.03.18 Emil und die Detektive (Atze Musiktheater)

Kindertheater mit meinem Patenkind! Wer seinen Kindern den Zauber des Theater nahe bringen möchte, sollte hier hingehen. Der Eintritt ist sehr erschwinglich.
Dazu gibt es einen gesonderten Beitrag. 

3. März 2018

Rückblick Februar 2018: Brot & Spiele und Worte & Bewegung

Im kurzen Februar habe ich nur zwei - dafür aber eindrückliche - Stücke gesehen.


03.02.2018 BROT und SPIELE von Interrobang (Sophiensäle)

Mitmachen im Theater - nicht jedermanns Sache. Aber bei Interrobang gehörts dazu. Dass man bei der neuesten Produktion der freien Performancegruppe über das Schicksal der Protagonist*innen auf der Bühne in der Weise mitbestimmen kann, dass sie sogar "Demütigungen" - ob berechtigt oder unberechtigt - aushalten müssen, macht die Zuschauer*innen zu Beteiligten. Und so merken wir irgendwann, dass wir selbst Spieler*innen werden. Die Botschaften: Als Nutzer*innen von Online Angeboten geraten wir schneller in ein Spiel, dass wir (vielleicht) nicht mehr kontrollieren können, als wir glauben. Wenn aus dem Spiel Ernst wird, können wir nicht einfach aufhören, denn wir sind auch abhängig von den anderen "Mitspieler*innen". Selbst entscheiden, wann es genug ist? Fehlanzeige!


23.02.2018 revisited TRUST (Schaubühne)

Im April 2010 habe ich dieses Stück zum ersten mal gesehen. Und seit dem immer, immer wieder (ich habe aufgehört zu zählen, wie oft). Mit Freund*innen, die oft ins Theater gehen und mit denen, die ich dafür begeistern will. Trotz einigen Umbestzungen immer wieder ein Highlight. Fürs Herz und für den Kopf.
Hier mein Bericht vom ersten Besuch.

Tanz ergänzt Worte (Foto: Heiko Schäfer)

4. Februar 2018

Rückblick Januar 2018: Fotos, Musik, Premiere

Der Januar ist für mich immer durch Veranstaltungen rund um das Theater und mit den Freunden der Schaubühne geprägt. Außerdem gab es die Premiere des neuen Stücks von Rainald Grebe.


14.01.2018 PREMIERE fontane.200: Einblicke in die Vorbereitungen des Jubiläums des zweihundertsten Geburtstags Theodor Fontanes im Jahr 2019 (Schaubühne)
Ein Abend von und mit Rainald Grebe

Im nächsten Jahr wird der 200. Geburtstag von Theodor Fontane gefeiert und Rainald Grebe, der zuletzt "Westberlin" an der Schaubühne inszenierte, wurde gefragt, ob er dazu einen Abend machen möchte. Wohl auch deswegen, weil man bei Grebe schnell an Brandenburg denkt (Brandenburg-Lied), dessen Bedeutung eng mit dem Leben und Schreiben Fontanes verknüpft ist. Man erhofft sich durch das Fontane-Jahr große Aufmerksamkeit für das Bundesland. Herausgekommen ist kein Lobgesang auf einen der größten deutschen Dichter, sondern eine kritische Auseinandersetzung. Dennoch ist seine neue Inszenierung voller Klamauk und Spaß: Puppentheater, revueartige Zusammenfassungen von Fontanes Büchern und rasant aufbereiteter Geschichsunterricht. Und am Ende steht die Frage, warum eigentlich überwiegend die Männer gefeiert werden. Nach Fontane 2019 folgt Beethoven 2020. Vielleicht ein Grund für Grebe in Bonn zu inszenieren...


Geschichtsunterricht mit Tilla Kratochwil, Iris Becher und Florian Anderer (Foto: Thomas Aurin)

Musik: Jens-Karsten Stoll   
Regie: Rainald Grebe   
Bühne: Jürgen Lier   
Kostüme: Kristina Böcher   
Video: Matias Brunacci, Christin Wilke

Mit: Florian Anderer, Damir Avdic, Iris Becher, Rainald Grebe, Tilla Kratochwil, Jens-Karsten Stoll, Axel Wandtke  


18.01.2018 Booklaunch im C/O Berlin
Bildband Fotokampagnen der Schaubühne 2013-2017

1 Theater - 5 Jahre - 5 Kampagnen - 6 Fotografen - 48 Schauspieler*innen - 158 Fotos

Ende des letzten Jahres erschien das umfangreiche Fotobuch der Schaubühne, das die Fotos der Kampagnen der letzten fünf Jahre sowie Interviews enthält.

Juergen Teller
Ute Mahler und Werner Mahler
Pari Dukovic
Brigitte Lacombe
Paolo Pellegrin

Die Fotografen prägten mit ihrere jeweiligen Handschrift die Kampagnen und so kann man viele der Schauspieler*innen über den Zeitraum der fünf Jahre in ganz unterschiedlichen Facetten sehen: eindrückliche Porträts und überraschender Momentaufnahmen, streng formaler Schwarz-Weiß-Fotografien und puristischer Nahaufnahmen.

In der Monographie sind alle Fotos erstmals zusammen zu finden. Ergänzt wird das über 300 Seiten umfassende Buch mit Texten von Christoph Amend, Thomas Ostermeier, Joseph Pearson, Dirk Peitz, Ingo Taubhorn und Anne Waak.

Die Freunde des Schaubühne unterstützten die Produktion des im Kerber Verlag erschienenen Bildbands finanziell.



Fotobuch der Schaubühnen-Kampagnen von 2013-2017
Zum Booklaunch im C/O Berlin kamen viele Schauspieler*innen und andere an der Entstehung des Buchs Beteiligte. Im Rahmen eines Podiumstalks erzählten Ute und Werner Mahler, Paolo Pellegin, Thomas Ostermeier und Eva Meckbach wie die Fotoproduktionen verliefen und was die entstandenen Bilder den Schauspieler*innen bedeuten.

Das Buch ist im Webshop der Schaubühne für 40 Euro erhältlich (Buchhandelspreis: 48 Euro).


21.01.2018 Carrington / Brown (Bar Jeder Vernunft)

Rebecca Carrington, die ihr Cello-Spiel in ein Comedy-Programm einbaut präsentiert regelmäßig Shows in der Bar Jeder Vernunft. Zusammen mit ihrem Mann Colin Brown gibt sie Einblicke in ihr Leben in Berlin und auf Tour weltweit. Massentauglich verpackt erzählt sie dabei, wie sie als Britin in Deutschland wohnt, arbeiter und auftritt. Dabei interpretiert und kombiniert sie klassische sowie zeitgenössische Musik. Der Unterhaltungswert ist groß, das Ambiente des Spiegelzelts der Bar Jeder Vernunft trägt zum Wohfühlen bei. Comedy meets Classic. Manchmal ist der Humor etwas flach, aber musikalisch ist der Abend allemal bemerkenswert.

3. Januar 2018

Rückblick Dezember 2017: Liebe, Wut, Gewalt

Mein Rückblick des Theatermonats Dezember 2017.


03.12.17 Streitraum: "Gewalt und Gerechtigkeit" mit Édouard Louis (Schaubühne)

In seinem Roman »Im Herzen der Gewalt« erzählt der französische Autor Édouard Louis die Geschichte seiner eigenen Vergewaltigung nicht allein als furchtbare Erfahrung der Gewalt durch seinen Angreifer. Sondern er erzählt auch von der Art und Weise, wie die Justiz ihm diese Erfahrung Stück für Stück enteignet, wie sie, je häufiger er sie erzählen, begründen, rechtfertigen muss, weniger ihm als der Polizei, den Medizinern, den Ermittlungsbeamten gehört. Édouard Louis’ Roman führt ins analytische Zentrum der Fragen nach Trauma und Sprachlosigkeit, Gewalt und Gerechtigkeit – und nicht zuletzt zur Frage unserer gesellschaftlichen Verantwortung im Reproduzieren von gewaltförmigen Strukturen und Praktiken. (Auszug aus der Synopse auf der Seite der Schaubühne)

Edouard Louis habe ich in Manchester bei der Premiere von „Rückkehr nach Reims“ kennengelernt. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits seinen ersten Roman „Das Ende von Eddy“ gelesen. Kurz darauf begab er sich weltweit auf Lesereise für sein zweites Buch „Im Herzen der Gewalt“. Wiedergetroffen habe ich ihn im Rahmen einer Lesung in der Autorenbuchhandlung im September 2017, ein weiteres mal im Streitraum bei Carolin Emcke zum Thema „Gewalt und Gerechtigkeit“. Louis, ein Schüler von Didier Eribon, ist so etwas wie der Shootingstar der französischen Literaturszene. Er ist einer der angenehmsten und freundlichsten Gesprächspartner, die ich kenne. Dankbarkeit für den in der Diskussion mit Thomas Ostermeier geäußerten Hinweis inbegriffen, dass Gewalt, wie sie in seinem Buch beschrieben wird, oft auch Frauen wiederfährt, und wie Frauen in vielen Situationen in Angst um sexuelle Übergriffe leben müssen.

Im Frühjahr 2018 wird in der Schaubühne eine Bühnenfassung des Buches (mit Laurenz Laufenberg und Renato Schuch, Regie: Thomas Ostermeier) zu sehen sein. 


05.12.17 Der gute Mensch von Sezuan von Bertolt Brecht / Musik von Paul Dessau (Schaubühne)

Koproduktion mit der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« Berlin

In jeder Spielzeit gibt es eine Produktion mit den Studierenden des 3. Studienjahr der Ernst Busch unter der Regie von Peter Kleinert. In der Sezuan-Vorstellung, die ich gesehen habe, durfte eine Schauspielerin wegen einer Stimmbandentzündung nicht sprechen. Kurzerhand übernahmen die Kolleg*innen ihren Text. Die Inszenierung funktionierte trotzdem, sogar gut. Ohnehin spielen alle Schauspieler*innen verschiedene Rollen. Wie gut das Zusammenspiel klappte, zeigte sich vor allem dann, als sie sich gegenseitig aushalfen, wo jemand den kurzfristig einstudierten Text der Kollegin nicht parat hatte. Gerade durch diese Improvisationen sammelten sie Sympathipunkte beim Publikum.

Frederik Rauscher, Mayla Häuser, Lea Ostrovskiy, Tiffany Köberich, Leander Senghas, Jan-Eric Meier (Foto: Gianmarco Bresadola)

Regie: Peter Kleinert   
Bühne: Céline Demars   
Kostüme: Susanne Uhl   
Musik: Hans-Jürgen Osmers   
Dramaturgie: Nils Haarmann   

Shen Te / Shui Ta: Laura Balzer    
Yang Sun, ein stellungsloser Flieger / Bruder Wung: Jan Bülow   
Erster Gott / Die Witwe Shin / Nichte: Mayla Häuser   
Wang, ein Wasserverkäufer / Schwangere Schwägerin: Jan Meeno Jürgens   
Zweiter Gott / Hausbesitzerin Mi Tzü / Kind: Tiffany Köberich   
Barbier Shu Fu / Neffe: Jan Eric Meier   
Dritter Gott / Frau Yang, die Mutter des Fliegers / Mutter: Lea Ostrovskiy   
Schreiner Lin To / Bonze / Großvater: Frederik Rauscher   
Arbeitsloser / Polizist: Leander Senghas   
Erzähler / Kellner / Vater: Lukas Walcher


12.12.17 Die Wiedervereinigung der beiden Koreas von Joël Pommerat (Berliner Ensemble)

Übernahme aus dem Schauspiel Frankfurt.

Nach Motiven aus Artur Schnitzlers "Reigen", Tschechows Einaktern und Ingmar Bergmans "Szenen einer Ehe" wird in Joël Pommerats Stück die Liebe beleuchtet. In 19 Szenen werden verschiedene Liebesgeschichten erzählt. Was bedeutet Liebe, wenn die Partnerin wegen ihrer Demenz den Partner nicht mehr erkennt und sich an die gemeinsame Vergangenheit nicht mehr erinnern kann? Wie geht man damit um, wenn geistig Behinderte lieben und ein Kind erwarten? Wie weit kann die Liebe zwischen einem Pfarrer und einer Prostituierten gehen? Lustig und traurig sind diese kleine Episoden und die Dialoge lassen einen oft an selbst erlebte Situationen erinnern. Ich fühlte mich häufig an Szenen aus Yasmina Rezas Stücken und Texten erinnert.

Regie: Oliver Reese
Bühne: Hansjörg Hartung
Kostüme: Elina Schnizler
Musik: Jörg Gollasch

Mit: Verena Bukal, Franziska Junge, Corinna Kirchhoff, Josefin Platt, Carina Zichner, Martin Rentzsch, Veit Schubert, Marc Oliver Schulze, Till Weinheimer)


16.12.17 Buchvorstellung: MIMOS Ursina Lardi (Schaubühne)

Ursina Lardi ist seit der Spielzeit 2012/13 Ensemblemitglied der Schaubühne. Wer sie noch nicht als Lenin in Milo Raus gleichnamigem Stück und in "Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs" gesehen hat, sollte dies bald nachholen. Sie rettet Thomas Ostermeiers "Die kleinen Füchse" in der Rolle der Birdie und ist wunderbar in "Die Ehe der Maria Braun." Falk Richters "For the disconnected child" (leider nicht mehr auf dem Spielplan) machte sie zu einem der größten Theatererlebnisse, die ich erleben durfte. Dass sie 2017 den Schweizer Grand Prix Theater/Hans-Reinhart-Ring, den wichtigsten Theaterpreis der Schweiz, erhielt, ist daher kein Wunder. Die Schweizerische Gesellschaft für Theaterkultur widmete ihr daher den neuesten Band der Reihe »MIMOS. Schweizer Theater-Jahrbuch«, der mit Interviews und Beiträgen von u. a. Romeo Castellucci, Michael Haneke, Thomas Ostermeier, Milo Rau und Volker Schlöndorff Einblick in ihre Arbeit für Theater und Film gibt, und ihren eindrucksvollen Werdegang dokumentiert. Anlässlich der Buchpremiere sprach Ursina Lardi mit dem Theaterkritiker Andreas Wilink.Thomas Ostermeier hielt einführene Worte voll ehrlicher Bewunderung - ein schöner Moment!


Buchempfehlung: MIMOS 2017 Ursina Lardi


17.12.17 Die letzte Station von Ersan Mondtag (Berliner Ensemble)

Alte und Gebrechliche treffen aufeinander, singen und tanzen zusammen. Wie sieht das Ende des Lebens aus? Was ist am Übergang zum "Jenseits"? Ersan Mondtag versucht mit Tänzer*innen und Schauspieler*innen zu zeigen, was uns vor und nach dem Tod erwartet: Komisch und traurig zugleich. "Die künstlerische Handschrift von Ersan Mondtag bewegt sich zwischen Performance, großer Oper, Sprechtheater und darstellender Kunst."

Regie: Ersan Mondtag
Bühne/Video: Stefan Britze
Kostüme: Raphaela Rose
Musik: Diana Syrse
Mit Constanze Becker, Judith Engel, Peter Luppa, Laurence Rupps, Ty Boomershine, Brit Rodemund, Christopher Roman, Jone San Marin, Frederic Tavernini.

Weitere Infos auf der Seite des BE.


18.12.17 Prima Vista Lesung mit Tilo Nest (Berliner Ensemble)

Ich habe bereits einen Bericht über diesen tollen Abend verfasst.


22.12.17 Wut von Elfriede Jelinek (Deutsches Theater)

Welche zerstörerische Wut steckt dahinter, wenn Menschen Attentate verüben? Warum kommunizieren Menschen nicht mehr, sondern äußern ihre Verzweiflung, Ohmacht und Angst durch Gewalt? Vor dem Hintergrund des Überfalls auf die Redaktion von Charlie Hebdo im Jahr 2015 stellt Jelinek in ihrem Stück diese Fragen und lässt Figuren aus der griechischen Mythologie sowie Wutbürger sprechen. Dank dem furiosen Auftreten der Schauspieler*innen (Andreas Döhler, Sebastian Grünewald, Linn Reusse, Anja Schneider, Sabine Waibel) wird der Abend zu einem tobenden und tosenden Abbild dessen, was im Inneren vieler steckt.

Regie: Martin Laberenz
Bühne: Volker Hintermeier
Kostüme: Aino Laberenz
Musik: Bernhardt.
Video: Daniel Hengst


27.12.17 Die Blechtrommel nach dem Roman von Günther Grass (Berliner Ensemble)

Fulminate One-Man-Show des Schauspielers Nico Holonics als Trommler Oskar Matzerath. Der Roman von Günther Grass gilt als Meilenstein der deutschen Nachkriegsliteratur. In dieser Fassung wird die Geschichte nicht nur aus der Sicht der Hauptfigur erzählt, sondern Oskar auch zur einizigen Figur auf der Bühne erkoren - zusammen mit unzähligen Blechtrommeln als Bühnenbild.

Übernahme der Inszenierung von Oliver Reese aus dem Schauspiel Frankfurt.

Regie: Oliver Reese
Bühne: Daniel Wollenzin
Kostüme: Laura Krack
Musik: Jörg Gollasch