22. Dezember 2013

Familie im goldenen Hamsterrad: „Tartuffe“ von Moliére an der Schaubühne

Michael Thalheimer inszeniert zum zweiten mal an der Berliner Schaubühne. Sein "Tartuffe" wurde mit Spannung erwartet, denn zuvor erfuhr so gut wie niemand etwas über seine Inszenierung. Selbst am Haus wusste man wenig.



Lieblingsszenen:
1. Der Auftritt von Urs Jucker als Monsieur Loyal gehört jetzt zu meinen Top 3 der lustigsten Theatermoment; selten hab ich jemanden so viel aus so einem kurzen Auftritt herausholen sehen. 
2. Damis (Franz Hartwig) versucht, seinem Vater die Wahrheit über Tartuffe zu sagen: Hin- und hergerissen zwischen Mitleid und Verachtung für den pummeligen, linkischen, Butterkeks mampfenden Jungen.
3. Tartuffe treibt die Familie durch das Hamsterrad des Bühnenbilds.



Bühne: Olaf Altmann, ein goldener Kasten, der sich im Laufe des Stückes zunächst zur Seite neigt und sich schließlich vertikal um seine Achse dreht. An der Wand ein Kruzifix. Der Ledersessel, als einziges Möbelstück, hängt somit an der Wand und der Decke. Es entstehen tolle Bilder, wie etwa wenn Mariane (Luise Wolfram) auf der Ecke des Kastens steht und sich das blaue Kleid wie ein Fächer entfaltet.



Herausragender Schauspieler: Tolle Ensembleleistung! Geradezu akrobatisches Können, wird den Schauspielern in der rotierenden schmalen Bühne abverlangt.
Orgon: Ingo Hülsmann
Elmire: Regine Zimmermann
Tartuffe: Lars Eidinger
Dorine: Judith Engel
Mariane: Luise Wolfram
Damis: Franz Hartwig
Valère: Tilman Strauß
Cléante Kay: Bartholomäus Schulze
Madame Pernelle: Felix Römer
Monsieur Loyal: Urs Jucker

Regie: Michael Thalheimer

Kritiken: Nachtkritik, Spiegel online, Tagesspiegel online, Zeit online, Welt online

Infos und Termine auf der Website der Schaubühne.

Fotos: Katrin Ribbe

12. August 2013

Forest: The Nature of Crisis – Konsumkritik märchenhaft-romantisch im Müggelwald (Schaubühne/Constanza Macras und DorkyPark)

Romantisch: Kleider leuchteten den Weg im Müggelwald

Eine Melusine auf dem Steg. Schaurige Figuren in wallenden Kleidern, die durch den Wald huschen, Märchengestalten wie die Prinzessin auf der Erbse oder der große böse Wolf am Wegesrand. In „Forest: The Nature of Crisis“ greift Constanza Macras mit ihrem Tanzensemble Mythen und Märchen auf und verbindet sie mit der Frage nach dem Ausweg aus der Krise. Ein Ausweg durch Rückkehr zur Natur?

Märchen I: Es war einmal...

Auf einem Parcours durch den Müggelwald werden Tanz, Performance, Texte und Musik dargeboten und verschiedenen Orte im Wald einbezogen. Durch die Schauplätze werden unterschiedliche Stimmungen beim Zuschauer wach gerufen. Man ist amüsiert, ergriffen, gespannt, wenn man den Umweltaktivisten, Waldschützern, Ökonomen und Freaks begegnet. Die Geschichten, die aus dem Märchenrepertoire bekannt sind (Hänsel und Gretel, Schneewittchen etc.), werden in die Gegenwart geholt. Das Umfeld des Waldes bricht dies jedoch gleich wieder. Mit der zunehmenden Dunkelheit auf der Wanderung durch den Müggelwald werden die Schauplätze romantischer und schauriger. Höhepunkt und Schlussstation ist eine Holzhütte auf einer Lichtung. Hier können das Tanzensemble noch mal sein ganzes Können zeigen.

Märchen II: Schlaflos - Schuld war die Erbse


Bemerkenswert: Die fast akrobatische Leistung der Tänzer und der schaurig-schöne schräge Erlkönig-Vortrag am Ende des Abends.

Konsumkritik: Blumen ohne Pestizide kaufen

Weitere Infos auf der Website der Schaubühne am Lehniner Platz.

Regie und Choreographie: Constanza Macras
Musik: Jelena Kuljic, Kristina Lösche-Löwensen, Almut Lustig
Von und mit: Louis Becker, Emil Bordás, Ádám Horváth, László Horváth, Catriona James, Nile Koetting, Jelena Kuljic, Johanna Lemke, Kristina Lösche-Löwensen, Almut Lustig, Ana Mondini, Felix Saalmann, Miki Shoji
Gäste: Sarah Bockers, Esteban Castro, Aris Chantzopoulos, Samantha Franchini, Martina Garbelli, Albert Garcia Saurí, Ina Gercke, Jolanda Löllmann, Uwe Preuss, Jefferson Preto, Luana Rossetti, Rodolfo P.P. Da Silva

9. Juli 2013

Theater-Täter

Kann man die Qualität eines "Tatorts" (oder "Polizeiruf 110") daran ablesen, ob ein oder mehrere Theaterschauspieler mitspielen (und in welcher Rolle)? Ich kenne viele, die sich einen Sonntagabendkrimi nur anschauen, wenn von ihnen geschätze Theaterschauspieler mitspielen, weil sie die Drehbücher nicht gut finden und die Umsetzung ansonsten überhaupt einfach schlecht.

Nehmen Theaerschauspieler viel von ihren Rollen mit in den Sonntagabendkrimi? Martin Wuttkes Keppler aus dem Leipziger Tatort hat wenig mit den Figuren zu tun, die er beispielsweise in der Volksbühne spielt.

Eine interessante Betrachtung zum Thema "Tatort und Theater" liefert Matthias Dell auf nachtkritik.de als "Versuch das Theater im Tatort wiederzuerkennen". Unter anderem stellt er Überlegungen darüber an, ob es sich lohnen würde eine Art Deutschlandkarte zu erstellen, in der verzeichnet ist, welche der deutschsprachigen Bühnen die meisten Schauspieler für den "Tatort" stellt. Ebenfalls wäre eine Variante denkbar, in der bilanziert wird, von welchen Schauspielschulen die Darsteller kommen.

Ein lesenswerter Artikel!

12. Mai 2013

tt13: Die Fahrt, ein Sekt und ein Buch

tt13-Rotkäppchen-Sekt

Anlässlich des 50jährigen Theatertreffens gab’s heute „Die Fahrt“ – eine Busfahrt durch Berlin auf den Spuren des Theatertreffens zwischen 1964 und 2013. Für Stimmung sorgte nicht nur der Sekt, der schon vor dem Einstieg an die Teilnehmer verteilt wurde, sondern auch die Ausführungen des Guides von Zeitreisen. Eine echte Berliner Schnauze, die sich am Ende als Dresdner outete (der allerdings schon seit 20 Jahren in Berlin lebt). Vom Theaterfach sei er nicht, gab er zu, aber Dank der hervorragenden Vorbereitung, hat man das so gut wie nicht gemerkt.

Die Fahrt-Busse

Die Tour führte vorbei an Spielstätten des Theatertreffens: Berliner Ensemble (Heiner Müllers „Arturo Ui“ mit dem genialen Martin Wuttke), Schillertheater („Marat/Sade“, das beim allerersten Theatertreffen eingeladen war), Grips Theater, Akademie der Künste („Selbstbezichtigung/Weissagung“ von Peter Handke), Deutsches Theater, Volksbühne (Castorfs „Dämonen“ mit Volksbühnenstars wie Sophie Rois, Henry Hübchen, Milan Peschel, Martin Wuttke u.a.), Maxim-Gorki-Theater, Hanger 5 des Flughafens Tempelhof („Riesenbutzbach“ von Christoph Marthaler), HAU.
Sandra Hüller - die Stimme des Theatertreffens 2013

Als Zugabe kamen Margit Bendokat, Carmen-Maja Antoni, Christian Grashof, Peter Böhme, Jürgen Holtz (gerade noch mit dem Theaterpreis ausgezeichnet) und Gerd Wameling auf dem Bildschirm zu Wort. Passend zur jeweils vorgestellten Inszenierung trug die sympathische Sandra Hüller Theatertexte vor – selbstironisch, völlig uneitel und erfrischend komisch.

Obwohl man als Berliner und fleißiger Theatergänger zwar wirklich eine Menge weiß und die Ausführungen Größtenteils mit einem wissenden Lächeln und Kopfnicken quittieren konnte, hat sicher jeder hier noch was gelernt, das er dem nächsten Berlinbesuch weitergeben kann. Und beim nächsten Theaterbesuch kann man seiner Begleitung eine weitere Theateranekdote unter die Nase reiben.

50 Jahre Theatertreffen zwischen 2 Buchdeckeln

Und weil ich dank der schönen und überaus amüsanten Fahrt noch mehr Lust auf Theater(treffen) bekam, habe ich mir den Abend mit dem Jubiläumsband zum Theatertreffen versüßt. Das Highlight dieses Buches: 126 Theatermenschen, die Fragen aus einem Katalog mit insgesamt 50 Fragen zum Theater beantwortet haben, genannt „Zwischenrufe“. Die netteste Rückantwort kam dabei von Angela Winkler, die einfach eine Postkarte schickte. Die lustigste Antwort kam von Ingo Hülsmann auf die Frage 3: Welcher Zwischenruf von anderen hat Ihnen am besten gefallen? – Eine Schauspielerin auf der Bühne rief: „Ich werde mich jetzt entkleiden.“ Zwischenruf: „Oh nein, bitte nicht!“



Weitere Fahrten:
Sa 11.05.2013, 16:30
So 12.05.2013, 14:00
Mi 15.05.2013, 18:30
Sa 18.05.2013, 17:00
So 19.05.2013, 17:00


Weitere Infos auf der TT-Website.

9. Mai 2013

"That's the way the potatoe mashes" - The Black Rider an der Schaubühne

Ich habe „The Black Rider“ vom genialen Trio Waits/Wilson/Burroughs bereits vor 16 Jahren im Schauspiel Bonn  gesehen und nun die Inszenierung an der Schaubühne von Friedrike Heller schon zum zweiten mal. Das Stück verliert nicht an Attraktivität noch an Aktualität.

Musikalische Verstärkung holt sich Heller, die zum wiederholten Male an der Berliner Schaubühne inszeniert hat, mal wieder durch die Band „Kante“.

Jule Böwe, Ulrich Hoppe, Tilmann Strauß, Franz Hartwig, Sebastian Nakajew und die Band Kante (Foto: Thomas Aurin)




























Mein Herz gehört bei Hellers Black Rider definitiv Jule Böwe. Die kann zwar nicht so toll englisch, was man beim Singen schon sehr hört, aber das ist vollkommen egal. Denn irgendwie passt es wunderbar. Meinetwegen könnte sie irgendeinen Sprachkauderwelsch singen – es wäre trotzdem anziehend. (Zugegeben: Ich kenne die Texte der Songs in- und auswendig, was sicher ein Vorteil ist.)  Dabei bin ich eigentlich gar kein ausgesprochener Jule-Böwe-Fan, aber hier hält sie das ganze Stück zusammen. Heller fasst in ihrer Figur, die dauerbetrunken über die Bühne torkelt, mehrere Rollen (Mutter, Onkel) zusammen, was dem Stück in meinen Augen gut tut.


Jule Böwe (Fotos. Thomas Aurin)

Ein Phänomen ist auch Franz Hartwig als Wilhelm, der eine unglaubliche Kondition beweist und obendrein so süß ist, dass man sich keine bessere Besetzung aus dem Schaubühnen-Ensemble vorstellen kann. Ergänzt wird er hervorragend durch Lucy Wirth, die relativ  neu an der Schaubühne ist, aber sofort überzeugt. Tilmann Strauß als wunderbar schmieriger Stelzfuß, Ulrich Hoppe und Sebastian Nakajew sorgen für weitere Lacher und einen entspannt amüsanten Abend.

Lucy Wirth und Franz Hartwig (Foto: Thomas Aurin)
Heller hat die dem Stück imanente Waffen- und Drogenthematik versucht herauszustellen. Zusätzlich hat sie Originaltexte von William Burroughs eingebaut. Diesen kann man die Geschehnisse rund um den Tod seiner Frau entnehmen kann, die er erschossen hat, als er die Apfelszene aus Wilhelm Tell nachspielen wollte. Aber davon abgesehen, handelt es sich einfach um eine Inszenierung, bei der man nicht jedem Quatsch eine tieferen Bedeutung beimessen muss, und wenn man sich darauf einmal eingelassen hat, macht es vor allem eins: Spaß!

Weitere Infos zur Black-Rider Inszenierung an der Schaubühne hier. 

13. Januar 2013

Alles eine Frage des Lichts: Polleschs „Don Juan“ mit Martin Wuttke in der Volksbühne


Wuttke/Pollesch – eine verlässliche Kombination für einen amüsanten Abend. René Pollesch hat sich für die Molière-Trilogie an der Volksbühne „Don Juan“ vorgenommen, von dem – wie nicht anders zu erwarten – am Ende nicht viel mehr übrig bleibt als der Name. Denn eigentlich ist es ein Stück über den Schauspieler Martin Wuttke, der auch im „Geizigen“ (Regie: Frank Castorf) und im „Eingebildeten Kranken“ (hier führt er selbst Regie), die Hauptrolle spielt.

Dazu der bekannte Pollesch-Sprech im typisch leiernden Tonfall  mit den üblichen Pollesch-Schauspielern (Brigitte Cuvelier, Jean Chaize u.a.): In den ersten Szenen ein ständiges Wiederholen einer Textpassage  über Begehrlichkeiten und schwindende Attraktivität im Reigen der Schauspieler. Sie fallen dabei unentwegt übereinander her, küssen sich ab und begrabbeln sich. Und mittendrin Wuttke – das Hauptobjekt des Begehrens. Wuttke im Rollstuhl. Trotz Wadenbeinbruchs steht er auf bzw. rollt und humpelt über die Bühne. Seine jüngsten krankheitsbedingten Ausfälle werden damit zum Thema. Sein Nichterscheinen bei der Premiere von „Der Geizige“ in Wien im Sommer des letzten Jahres ist eines der zentralen Themen im Stück. Sein „größter Erfolg“ sei es gewesen  – eine Anspielung auf die vielen Spekulationen der Boulevard-Presse, die aus einem eigentlich untragischen Vorfall eine riesen Sache machte.

Polleschs typische Assoziationsketten: „Deine letzte SMS hatte auch nicht mehr die Größe von früher.“ (Wuttke zu Lilith Stangenberg) – „Erzähl du mir nichts von Größe.“ (sie zu Wuttke, den sie um fast zwei Köpfe überragt).  Und: Das Licht, das sich geändert habe, sei schuld daran, dass er nicht mehr attraktiv wirke. Wenn die Scheinwerfer auf die Reihe der Schauspieler gerichtet sind, steht Wuttke im Dunkeln und ist nicht zu sehen.

Eine der komischsten Szenen ist das Namen-Kauderwelsch, das minutenlang zelebriert wird und dann am besten wirkt, wenn die Schauspieler dabei selbst lachen müssen. Ich mag so was sehr!
Auffällig sind die zahlreichen Texthänger, die Souffleuse steht  – auch das kennt man von Pollesch – mit auf der Bühne. Ob sie die Beinschiene nur als Anspielung auf Wuttkes Beinverletzung trägt oder gar selbst eine hat, weiß man nicht. Das passt zum Abend, an dem Realität (Wuttke) und Stück ständig durcheinandergemischt werden, dass es irgendwann auch keine Rolle mehr spielt.

Mit: Franz Beil, Maximilian Brauer, Jean Chaize, Brigitte Cuvelier, Lilith Stangenberg und Martin Wuttke

Regie: René Pollesch
Bühne: Bert Neumann
Kostüme: Nina von Mechow
Licht: Lothar Baumgarte
Dramaturgie: Anna Heesen