4. Februar 2017

Rückblick Januar 2017: Ganz nah dran und über allem schwebend

Das Theaterjahr 2017 hat begonnen und ich habe neben dem Streitraum drei Stücke gesehen, eins davon zum wiederholten Male. Begonnen hat der Januar für mich allerdings auf dem traditionellen Neujahrsempfang bei Friedrich Barner (Direktor der Schaubühne), den er seit mittlerweile sieben Jahren für die Freundeskreismitglieder ausrichtet. Herrlich, dass man hier mit Gleichgesinnten über vergangene und kommende Theatererlebnisse bin spät in die Nacht diskutieren kann!


18.01.17 PREMIERE Der eingebildete Kranke von Molière (Schaubühne)
Der weiße gefließte Kasten, in dem die Schauspieler*innen agieren und in dem Der eingebildete Kranke (Peter Moltzen als Argan) schlimm in seinem Rollstuhl leidet, schwebt sozusagen über den Köpfen der Zuschauer*innen, schwingt wie ein Pendel hin und her und bringt eine grausige Gestalt aus Molières Komödie nach der anderen zum Vorschein. Ein Bühnenbild (wie immer von Olaf Altmann), das man als typisch für Michael Thalheimer bezeichnen könnte. Auch sonst: Vieles kennt man von dem Regisseur - die wilden Kostüme (von Michaela Barth; z.B. die Kunstbrüste von Jule Böwe als Béline oder die Woll-Halskrause mit Bommeln von Renato Schuch als Thomas Diafoirus), die fratzenhaft geschminkten Gesichter, das nervös-hektische Sprechen. Thalheimer hat hier allerdings noch etwas draufgepackt: Blut, Urin und andere Körperflüssigkeiten werden in Massen im Laufe des Stückes überall verteilt, verspritzt, verschmiert. Ekel - at it's best!

Im weiß gefließten Horror-Kabinett: R. Schuch, U. Hoppe, P. Moltzen, J. Böwe, R. Zimmermann (Foto: Katrin Ribbe)

Er ist aber auch widerlich dieser Argan. Zu Beginn spricht er Zeilen aus dem Gedicht "Die Hölle" von Andreas Gryphius ("Ach! und weh! Mord! Zetter! Jammer! Angst! Creutz! Marter! Würme! Plagen...."), quasi als Prophezeiung dessen, was da alles an Ekelhaftigkeiten auf die Figuren des Stückes und die Zuschauer*innen zukommen wird. Er suhlt sich in seinen vermeintlichen Krankheiten, im Selbstmitleid und dem ganzen Schmodder auf der Bühne. Was soll man auch tun, wenn die Ärzte (Ulrich Hoppe als Doktor Diafoirus) einem sowieso nur das Geld aus der Tasche ziehen wollen, dabei aber noch nicht mal den Puls messen können. Mal ehrlich: Jede*r hat sich doch schon mal eine Behandlungsmethode eines Arztes/einer Ärztin in Frage gestellt. Aber man ist halt ausgeliefert, was soll man tun? Und dann gibt's ja immer noch die, die sich lieber gar nicht behandeln lassen, obwohl sie ernsthaft krank sind. Also: Als wäre das alles noch nicht genug, tritt schließlich Bruder Béralde (Kay Bartholomäus Schulze) als bluttriefende Mumie auf - zumindest optisch ein noch schlimmerer Zombie als die anderen. Da wirkt das Hausmädchen Toinette (Regine Zimmermann) fast erfrischend, auch weil sie als einzige vom Bühnenrand aus das Geschehen zu Durchblicken scheint. Helfen kann sie Argan allerdings auch nicht und so bleibt dieser am Ende wieder allein mit den Zeilen aus Gryphius' Gedicht. Nach diesem anstrengenden 90-minütigen Horror-Kabinett, ist man froh, wieder an die Luft zu kommen.

     
23.01.17 Väter und Söhne von Brian Friel nach dem Roman von Iwan Turgenjew (Deutsches Theater)
Diese Produktion wurde zum Theatertreffen 2016 eingeladen. Seitdem ist sie ständig ausverkauft. A. und ich schafften es beim dritten Anlauf endlich Karten zu bekommen. In Turgenjews Roman kehren die beiden Studenten Arkadij und Bazarow für den Sommer in ihre ländliche Heimat zurück. Mit ihrer nihilistische Überzeugung stellen sie Kunst, Wissenschaft und sämtliche Konventionen in Frage. Hieran entspinnt sich in Väter und Söhne eine Generationenbild, bei dem die typischen Konflikte zwischen der Eltern- und Kindergeneration zu Tage kommen. Das Besondere der Inszenierung von Daniela Löffner ist die Anordnung im Bühnenraum. Die Zuschauer*innen sitzen im Viereck um das Bühnenquadrat, das mit wenig Ausstattung (Stühle, Sonnenschirme, ein langer Tisch) auskommt. Im Laufe der vier Stunden lässt man sich immer weiter in die Handlung hineinziehen. Man versteht die Söhne, man versteht die Eltern gleichermaßen, leidet mit, ist abgestoßen von der rücksichtslosen Art Bazarows (Alexander Khuon) und hat sofort wieder Mitleid mit diesem Verlorenen, der - so ahnt, so erfährt man zum Schluss - eigentlich auch nur Zuneigung und Anerkennung will. Marcel Kohler in der Rolle des Arkadij, der bei allem Nihilismus den Lebensfreuden zugetan ist, erhielt während des Theatertreffens 2016 den Alfred-Kerr Darstellerpreis. Das Duo Khuon-Kohler funktioniert zusammen, aber auch im Zusammenspiel mit den Frauen, die - die eine tougher und abgeklärter (Franziska Machens als Anna Sergejewna Odinzowa), die andere verspielter und unbelasteter, deswegen aber keineswegs naiv (Kathleen Morgeneyer als Katerina Sergejewna) - perfekt zusammenpassen zu scheinen. Alles gipfelt in einer Zusammekunft aller Protagonist*innen am Ende des Stückes, bei denen Wahrheiten ausgesprochen werden wollen, dann aber doch durch das erzwungene Aufrechterhalten der Fassade unterdrückt werden müssen.
   
  
27.01.17    re-re-re-visited Ein Volksfeind (Schaubühne)
Dass der Volksfeind immer aktuell ist und zwar an jedem Ort und zu jeder Zeit ist nicht mehr neu. Darum ist es auch nicht verwunderlich, wie die letzten politischen Ereignisse wie von alleine in die mit dem Publikum geführt Dikussion nach der Rede von Stockmann einfließen: Björn Höcke und Donald Trump sind damit (einmal mehr) präsent im Theater.

Christoph Gawenda als Thomas Stockmann (Foto: Arno Declair)


29.01.17 Streitraum Extra: Stimmen aus der Türkei (Schaubühne)
Seit dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei wird in rasendem Tempo die Demokratie und die Meinungsfreiheit abgebaut: Richter*innen, Journalist*innen und Lehrer*innen wurden ihrer Posten enthoben, Zeitungsredaktionen geschlossen und Menschen aus allen Gesellschaftsbereichen inhaftiert. Eigentlich war für diesen Streitraum eine Diskussionsrunde geplant. Da aber alle Angefragten Teilnehmer*innen aufgrund von Bedenken absagen mussten, wurde aus der Veranstaltung eine Lesung. Imran Ayata, Karen Krüger, Eva Meckbach, Katharina Narbutovic, Sebastian Schwarz, Özlem Topcu und Carolin Emcke lasen Berichte, Briefe, Interviews und Tweets von Künstler*innen und Autor*innen aus der Türkei.