24. Mai 2011

tt11: Das wars... leider!


Kaum ist man so richtig in Theatertreffen-Stimmung, ist es auch schon wieder vorbei. Und jetzt heißt es leider wieder 50 Wochen warten bis zum nächsten. Das tt12 wird unter einer neuen Intendanz und neuer Direktion stattfinden. Wir dürfen gespannt sein, welche Neuerungen das bringt, welche Inszenierungen eingeladen werden und wie das Publikum und die Presse darauf reagieren.

Am vorletzten Tag, Sonntag, wurde - wie immer zum Abschluss - der Alfred Kerr Darstellerpreis verliehen. Jurorin Eva Mattes lobt die Leistung von Lina Beckmann in Das Werk/Im Bus/Ein Sturz und im Kirschgarten.

Direkt danach gabs die Abschlussdiskussion, in der sich die Jury den kritischen Fragen des Publikums stellen musste. Die Frage, die viele bewegete: Warum zwei Inszenierungen von Herbert Fritsch (Der Biberpelz und Nora) eingeladen wurden. Eine befriedigende Antwort gab es von der Jury leider nicht. Dafür Begründungen, warum bestimmte Produktionen nicht eingeladen wurden. Aber das kann ja auch interessant sein. Etwas ärgerlich waren einige Wortmeldungen aus dem Publikum, bei denen es schlicht darum ging, jetzt auch noch mal zu sagen, welches Stück man langweilig fand und welches einen nicht berührt habe. Nach der xten Wortmeldung dieser Art, war das dann doch etwas einseitig. Vor allem, weil die Kritisierenden kaum deutlich machten, was sie denn nun anders oder besser machen würden und welches denn die Kriterien für die Auswahl sein sollen. Wie so oft lief das dann mal wieder auf die Frage hinaus, welchen Sinn das Theatertreffen erfüllen soll. Dies zu beantworten ist m.E. unmöglich, denn da gibt es unzählige Ansichten und einen Konsens wird man hier schwer finden können.

Das Theatertreffen hat mir in diesem Jahr viel Spaß und mich um einige Theatererkenntnisse reicher gemacht. Aber ein Wermutstropfen bleibt wie immer: Als normal arbeitender und durchschnittlich verdienender Mensch, kann man es sich zeitlich und finanziell kaum leisten, alle eingeladenen Inszenierungen zu sehen. Schade! Man hat doch immer das Gefühl, etwas wichtiges verpasst zu haben und nicht überall mitreden zu können. Zwei Wochen Urlaub im Mai nächsten Jahres wären vielleicht eine Lösung. Und ich nehme mir mal wieder vor, jetzt schon mit dem Sparen für die Tickets anzufangen.

Um das Theatertreffen bis zur letzten Minute auskosten zu können, bin ich am späten Abend noch zum Konzert von Lisa Bassenge im Foyer der Berliner Festspiele gegangen. Was für eine herrliche Stimmung: Die Euphorie des (fast) letzten Abends. Überall wuseln die Schauspieler von Via Intolleranza II und andere bekannte Gesichter herum und im Garten tummeln sich die Theaterfans trotz Regens rund um das obligatorische Lagerfeuer.

Aber irgendwann muss dann auch mal Schluss sein. Also schnell raus aus dem Festspielhaus, nicht mehr rumdrehen, sonst wird man wehmütig, und sich aufs nächste Jahr freuen!

PS. Das Blogger/innen-Team hat dieses Jahr eine tolle Arbeit gemacht. Der tt11-Blog war in den letzten drei Wochen meine Haupt- und Lieblingslektüre. Weiter so und vielen Dank!

PPS. Das Logo des tt1 war genial! Besonders der Überraschungsefekt, wenn man es umdreht. Super Idee!

Bild: © Berliner Festspiele

22. Mai 2011

tt11: Gedanken zu "Via Intolleranza II" von Christoph Schlingensief


Christoph Schlingensief fehlt. Und dann ist er irgendwie doch da. In der Schlusszene von Via Intolleranza II sitzt er auf der Bühne - eine Filmprojektion. Und man glaubt - möchte glauben -, dass er da jetzt wirklich spricht. Afrika helfen, ohne zu manipulieren - geht das überhaupt? Helfen, ohne dabei den Gutmenschen in sich zu befriedigen. Um dieses Dilemma geht es im Stück. Ein Dilemma, dem sich Schlingensief selbst während seines Operndorf Projekts immer wieder bewusst wurde. Seine Zweifel werden im Stück gezeigt, in den Text gearbeitet. Und manchmal weiß man nicht, ist das jetzt Ironie oder war das so ("Es wurden schon 319 Euro für das Projekt an Spendengeldern gesammelt.") Als Zuschauer/in ertappt man sich dabei, wie man seine Reaktion überprüft: Darf man jetzt lachen oder nicht? Und an vielen Stellen im Stück: Wird da jetzt ein Afrika-Klischee gezeigt und überspitzt dargestellt, das man als gebildete/r Zuschauer/in natürlich durchschaut oder merkt man gar nicht, wie sehr man selbst, in die Klischee-Falle tappt? Veralbern die auf der Bühnen einen gar oder ist vieles ganz schön Ernst gemeint? Als einer der Schauspieler aus Burkina Faso nach dem Schlussapplaus versucht, das Publikum zum Mitsingen zu animieren, kommen nur ein paar verhaltene Töne zurück. Und einige peinlich berührte Lacher. Das ist nichts für das Theatertreffenpublikum - da ist es wieder das Dilemma.

"Das Operndorf Afrika soll Produktions- und Lebensbedingungen schaffen, durch die in einem der finanziell ärmsten Länder der Welt Ausbildung, Austausch und Kunstproduktion möglich werden. [...] Das Operndorf soll ein eigenständiger Organismus sein, der dann wächst, wann er es will, der aus sich selbst heraus seine Eigenarten entwickelt und unwahrscheinliche Konstellationen erzeugt." ( aus: Programmheft "Via Intolleranza II")

Weitere Infos und Spendenmöglichkeiten hier!

Foto: Aino Laberenz

20. Mai 2011

tt11: Stückemarkt Preisverleihung

Die Gewinner/innen des Stückemarkts stehen fest. Den Förderpreis der neuen Dramatik erhält Juri Sternburg ("der penner ist jetzt schon wieder woanders"). Den Werkauftrag erhält Anne Lepper ("Hund wohin gehn wir") und mit dem Hörspielpreis wurde Mario Salzar ("Alles Gold was glänzt") ausgezeichnet. Herzlichen Glückwunsch!

Hier ist das Interview, das die tt11-Blogger/innen mit den drei Autor/innen führten, nachzulesen - sehr amüsant!

Das besondere am Stückemarkt bzw. den szenischen Lesungen der neuen Texte ist aus meiner Sicht das Rohe und noch nicht Eingeordnete. Bei der Lesung von "Brachland" (Dimitrij Gawrisch), die ich zu Beginn des Stückemarkts sah, ging mit der Technik einiges schief und die Schauspieler verpassten hier und da ihre Einsätze. Das verzeiht man ihnen aber gern, weil es zeigt, dass der Text noch nicht in eine fertige Inszenierung gepackt ist und noch ganz viel Spielraum für Interpretation und Umsetzungsmöglichkeiten lässt.

14. Mai 2011

tt11: "Verrücktes Blut" von Nurkan Erpulat


Schiller in Kreuzberg mit sieben Schüler/innen arabischer und türkischer Herkunft. Die Lehrerin kämpft zunächst einen aussichtslosen Kampf: An die Umsetzung des Sturm-und-Drang Stücks "Die Räuber" mit den Jugendlichen ist nicht zu denken, denn sie schafft es zunächst kaum, sie zu einem respektvollen Umgang miteinander und ihr gegenbüber zu bewegen. Dabei ist "Respekt" ein Begriff, der den Protagonisten zwar leicht und häufig über die Lippen geht, deswegen aber keinesfalls praktiziert wird.

Als ihr eine geladene Pistole aus dem Rucksack eines Schüler in die Hände fällt, übernimmt sie die Regie. Zunächst noch unsicher und zitternd entwickelt sie sich im Laufe des Stücks zu einer kompromislosen Bestimmerin über die Handlungen der Jugendlichen. Mit Drohungen und Gewalt erzwingt sie Dialoge aus "Die Räuber" und "Kabale und Liebe", die sich im Laufe des Spiels verselbständigen. Plötzlich verschwimmen die Realität der jungen Schauspieler mit der Handlung bzw. den Texten der Dramen. Die Lehrerin will die Schülerin mit Kopftuch dazu bringen, sich aus ihrer Rolle der unterdrückten Muslima zu befreien, fordert von dem Jungen kurdischer Herkunft endlich selbstbewusst zu sein und sich gegen seine Peiniger zu wehren und bringt den Macho, der die anderen unterdrückt dazu, sich mit heruntergelassener Hose zu unterwerfen.

Während die Lehrerin zunehmend aggressiver versucht, die Schüler/innen dazu zu bewegen, über ihre Handlungen und ihre Attitüden zu reflektieren, kippen die Reaktionen dieser: Plötzlich fordern sie Toleranz und eine zweite Chance für den Schurken - sie schreien nach den Werten der Aufklärung, die ursprünglich auf dem Lerhplan standen.

Irgendwann gelangt das Mädchen mit Kopftuch in den Besitz der Waffe und hat zum ersten mal die Chance, den jungen Männern zu sagen, wo es lang geht. Sie nimmt ihr Kopftuch ab, kann aber mit der neuen Situation nicht umgehen. Sie verliert die Kontrolle über ihr Tun. Ist die Forderung der Lehrerin nach mehr Emanzipation muslimischer Mädchen zu naiv, zu schnell? Sind ihr die Konsequenzen bewusst? Und so wird jeder Befreiungsschlag der Schüler/innen sofort wieder in Frage gestellt...

Am Schluss wird klar: Es ist alles bloß Theater. Doch einer - der schüchterne kurdische Junge, der während der ungewöhnlichen Probe, den Franz Moor spielen musste - nimmt seine Rolle allzu ernst und kann das Spiel nicht beenden. Auch dann nicht als alle alle ihn beschwören, jetzt aufzuhören.

Trotz des ernsten Themas und der Brutalität und Rücksichtslosigkeit, die hier inszeniert wird, erlaubt das Stück den Zuschauer/innen immer wieder aberwitzige Momente und Lacher, die einem freilich in der nächsten Sekunde wieder im Halse stecken bleiben.

Verrücktes Blut
Ballhaus Naunynstraße, Berlin / Ruhrtriennale
von Nurkan Erpulat und Jens Hillje

Mit Sesede Terziyan und Nora Rim Abdel-Maksoud, Erol Afşin, Emre Aksızoğlu, Tamer Arslan, Sohel Altan G., Rahel Johanna Jankowski, Gregor Löbel

Uraufführung 02. September 2010, Gebläsehalle, Duisburg
Premiere 09. September 2010, Ballhaus Naunynstraße, Berlin

Termine beim Theatertreffen 2011:
11./12./13./14. Mai 2011, 20 Uhr

Weitere Infos zum Stück.

Foto: Ute Lankafel












8. Mai 2011

tt11: Theaterpreis Berlin 2011 für die Gotscheff-Familie


Wo Thilo ist, will Dimiter Gotscheff wissen, nachdem er den Theaterpreis gemeinsam mit seinen Schauspieler/innen Almut Zilcher, Wolfram Koch und Samuel Finzi entgegen genommen hat. Er habe Sarrazin persönlich eingeladen, er sei wohl nicht da. Er habe ihm zeigen wollen, wie es ist, wenn "vier Gaukler mit Migrationshintergrund" in Deutschland einen Preis erhalten. Die "Gaukler" kommen aus Bulgarien (Gotscheff und Finzi), Koch wuchs in Frankreich auf und Zilcher ist ein "armes Flüchtlingskind" aus Österreich.

Auch in Samuel Finzis Dankesrede geht es um Herkunft: Er könne noch immer nicht Deutsch sprechen, aber da er ja Schauspieler sei, würde er einfach so tun, als könne er es. Er hoffe, als Schauspieler mit Migrationshintergrund nach dem Erhalt des Theaterpreises den ersten Teil dieses Wortes streichen zu können - vielleicht irgendwann mal nur noch den letzten Teil zu benötigen: Schauspieler mit Grund.

Wolfram Koch, der es wie Luther halten möchte ("Tritt fest auf, machs Maul auf, hör bald auf."), erzählt eine bezaubernde Anekdote über einen Kindertheaterbesuch mit seinem 5jährigen Sohn.

Almut Zilcher erklärt in Anlehnung an ihre Rolle aus Ritter, Dene, Voss, wie es ist, in der Gotscheff-Familie zu leben und zu spielen. Und als Zuschauer/in wird einem nach der fast 2,5stündigen Preisverleihung wieder einmal klar, auf der Bühne sehen wir doch die am liebsten, die da auch hingehören: Schauspieler.

Das beweist nicht zuletzt auch der moderierende Peter Jordan, indem er die Patzer in der Technik durch spontane Improvisationen rettet. Überhaupt können die Zuschauer/innen dank seiner Auftritte immer wieder zwischen den zahlreichen Redebeiträgen kurz durchatmen und entspannt lachen.

Noch nie ging der Theaterpreis an ein vierköpfiges Team. Die Schauspieler beflügeln den Regisseur und umgekehrt heißt es in der Jurybegründung. Und das ist der Grund, warum Gotscheff sich den Preis mit drei Mitgliedern seiner "Familie" teilen darf. Dazu passt das Foto auf dem Programm zur Preisverleihung: Koch und Finzi sitzen auf Zilchers und Gotscheffs Schoß - ein ungewöhnliches, aber wunderschönes Motiv.

Herzlichen Glückwunsch an die Preisträger/innen und danke dafür, immer noch mehr Lust aufs Theater zu bekommen!

3. Mai 2011

tt11 Pressekonferenz (3. Mai 2011)

Wer wissen möchte, welche Themen die Teilnehmer/innen der heutigen tt11 Pressekonferenz bewegten, kann dies im Live-Blogging des tt-Blog nachlesen.

Iris Laufenberg, Leiterin des Theatertreffens, sagt während der PK übrigens: "Das Theatertreffen ist ein Festival für das Publikum, nicht für die Elite." ---- Ehrlicherweise müsste man allerdings dazu sagen, dass es sich beim tt-Publikum um ein sehr spezielles handelt. Es wäre wünschenswert, dass sich beide Seiten einander stärker öffnen.