10. November 2017

General Assembly vom 3.-5.11. & Sturm auf den Reichstag am 7.11. - Ein Fazit (Wenn die persönlichen Probleme ganz klein werden)

Ein wahnsinniges Projekt. Wie soll man 19 Stunden in sieben Sitzungen und die Wortbeiträge von 60 Abgeordneten plus Diskussionen bei diesem Weltparlament in ein paar Worte fassen? Ist es möglich ein Fazit zu ziehen? Kann ich eigentlich darüber urteilen, ob die General Assembly sinnvoll, richtig und erfolgreich war?

Das Weltparlament in der Schaubühne.


Ob die Idee, ein Weltparlament zu inszenieren funktioniert hat, ist eine der Fragen, die sich stellt. Die Antwort: Ja. Schon allein, weil die General Assembly stattgefunden hat. Mit echten Akteur*innen und echten Fragen der Weltpolitik, in ernsthaften Debatten. Das Ziel: Demokratische Strukturen finden, die die gesamte Welt betreffen.

Ist es dann überhaupt noch Theater? Ja und nein. Tatsächlich hätte dieses Weltparlament nicht stattgefunden, wenn es nicht als Theaterprojekt mit einem vorher festgelegten Ablauf, mit von der Regie bestimmten Regeln und ausgewählten Parlamentarier*innen geplant worden wäre. Andererseits handelt es sich um echte Probleme der Welt, um Betroffene mit wahren Geschichten und tatsächlicher Geschichte. Das Theater (die Schaubühne als Raum und Rahmen) bildet dabei nur die Möglichkeit, dies alles überhaupt stattfinden zu lassen. Es sei performativ, so Robert Misik in seiner Rede in der Abschlusssitzung, und daher Theater. Aber indem es so tue, als sei es ein echtes Weltparlament, sei es das letzlich auch. Die Utopie eines Weltparlaments ist wahr geworden, allein dadurch, dass es jemanden gab, der sie "einfach" umgesetzt hat.

Wäre ein nicht-inszeniertes Weltparlement ebenso abgelaufen, wie an diesen drei Tagen am vergangenen Wochenende? Nein. Denn vermutlich wären andere Personen an der Generalversammlung beteiligt gewesen. Die Regeln wären andere gewesen (z.B. mehr Raum für Diskussionen für die einzelnen Themen und Anträge, vielleicht mehr Antagonist*innen, womöglich mehr Mitbestimmung den Ablauf betreffend). Doch: Die General Assembly hat nie für sich in Anspruch genommen, perfekt zu sein oder die ideale Plattform für die Fragen der Weltpolitik darzustellen. Wichtig ist, dass sie ein Anfang ist. Auch wenn in der Abschlusssitzung Kritik an der Form und den Abläufen geübt wurde, ist am Ende doch jedem und jeder klar geworden - so zumindest mein Eindruck - dass es ein Weltparlement braucht und die Idee Nachahmer*innen finden muss.

Das Weltparlament wird weitergehen in anderen Städten und Ländern, mit den gleichen und teilweise anderen Abgeordneten. Der Anfang war voller Fragen, z.B. wie die Abgeordneten in Zukunft ausgewählt werden, resümmierte Milo Rau.

Ein Fazit von Regisseur Milo Rau.

Und die General Assembly hat noch mehr bewirkt: Noch nie habe ich erlebt, dass ein Theaterpublikum so intensiv, hitzig und wach in den Pausen diskutierte. Und dabei spielte es überhaupt keine Rolle, ob nun Freund*in oder Fremde*r gerade da stand. Alle fühlten sich als Teil des Geschehens auf der Bühne des Theaters. Trotz unterschiedlichster Meinungen, waren alle Menschen, die als Beobachter`*innen, die Sitzungen verfolgten so stark involviert, dass sich niemand entziehen wollte. Und da werden die persönlichen Sorgen und Nöte auf einmal ganz klein und unwichtig.

Kein Publikum mehr

Wir hatten miterlebt, wie einer der Parlemtarier von den weiteren Sitzungen ausgeschlossen werden sollte, weil er den Genozid an den Armenieren geleugnet hatte. Genauso so groß wie die Empörung über die Aussage des AKP-Anhängers saß der Schock, darüber, dass es hier ja dann doch eine Regie gab, die den Ausschluss bestimmen kann. Verstärkt wurde diese Schrecksekunde durch die Aussage des Parlamentspräsidenten, der erklärte er sei "just an actor" und müsse die Anweisung der Regie befolgen. Theater oder nicht...?! Die Frage: Kann oder muss der Raum, das Theater, die Form die Menschen dort oben schützen oder muss man sich hier genau darüber hinwegsetzen? Meines Erachtens war der Ausschluss richtig, aber weil sie als Regieanweisung kam (oder so wirkte), entstand das Gefühl, dass hier über die Köpfe der "eigentlichen" Entscheider*innen bestimmt wurde. Weil die Parlamentarier*innen jedoch darauf insistierten, abstimmen und entscheiden zu können, ob der Delegierte bleiben kann oder nicht, bewiesen sie ihre Macht. Der Ausschluss wurde rückgängig gemacht, die Regie stand trotz begründeter Einwände eine Fehlentscheidung ein. 

Dieser Vorfall zeigte, dass das Konzept des Weltparlements noch vieler Verbesserungen bedarf. Sie zeigte aber aber auch, dass die Idee der Selbstermächtigung funkioniert. Die Regie war nötig, um die Utopie umsetzen zu können. Aber sobald diese Utopie einmal real wird, entwickelt sie sich von allein.

Noch mal Robert Misik: Das Parlament der Träume sei auch eines der Alpträume.
Die Folgen der Kolonialisierung, die Ausbeutung von Menschen, Tieren und der Umwelt, die Macht der Konzerne, die Folgen des Konsums der westlichen Welt, der durch uns verursachte Klimawandel, Hunger, Folter, Krieg - all das wissen wir ja eigentlich, aber es ist auch irgendwie wichtig, dies in allen schonungslosen Einzelheiten noch mal geschildert zu bekommen, auch wenn es oft schwer zu ertragen ist. Damit wir hier in unserem gemütlichen Theatersessel darüber nachdenken, dass es so wie es ist, nicht bleiben kann. "Sie können uns nicht alles nehmen und dann erwarten, dass wir nicht kommen" sagte Abou Bakar Sidibé (Filmemacher aus Mali). Und "Afrika ist die Mülldeponie für die Konsumprodukte der westlichen Welt" erklärte die Aktivistin Joana Adesuwa Reiterer.

Jeder*r kann in seinem Leben und Konsumverhalten etwas ändern, um die inakzeptablen Zustände nicht weiter zu fördern. Aber genauso wichtig ist es auch, dass die von uns gewählten Politiker*innen, sich dieser Probleme annehmen und Lösungen dafür anbieten. Die Abgeordneten der General Assembly repräsentierten diejenigen, die von den Entscheidungen der Politik betroffen sind, aber kein Mitspracherecht haben. Aber globale Politik muss mit einem globalen Parlament gemacht werden.

Weltparlament für alle und alles


Daher sollte am Ende der General Assembly die Verabschiedung eine Charta für das 21. Jahrhundert stehen, die mit dem Sturm auf den Reichstag dem Deutschen Bundestag symbolisch übergeben werden sollte. Elf Anträge wurden von der Generalversammlung angenommen, zwei abgelehnt, zwei konnten aufgrund von Formulierungsfragen nicht entschieden werden. Aus diesen Anträgen und den diskutierten Erweiterungsvorschlägen wird in den nächsten Tagen in Zusammenarbeit mit den politischen Beobachter*innen die finale Charta für das 21. Jahrhundert entstehen. Diese wird in verschiedenen europäischen Parlamenten, auch dem Deutschen Bundestag, verlesen werden.

Da müssen wir mit unseren Forderungen hinein! Der Sturm auf den Reichstag.

Der Sturm auf den Reichstag war vor allem eine letzte Zusammenkunft aller Beteiligten, Abgeordneten, Unterstützer*innen (auch Mitglieder des Bundestages waren dabei) und ein guter Abschluss der General Assembly. Wir haben den Reichstag nur symbolisch gestürmt, d.h. bis zur für uns vorgesehenen Abgrenzung. Aber es hat gut getan, zu sehen, wie etwas in Gang gesetzt wurde, was nun hoffentlich überall auf der Welt wiederholt werden wird.

Ein wahnsinniges Projekt - ja. Aber so wichtig und so richtig!

Themen, Abgeordnete, Ziele der General Assembly.

Idee & Umsetzung: International Institute of Political Murder (IIPM )/ Milo Rau.

Kooperationspartner: Schaubühne am Lehniner Platz


Fotos: Elmar Engels, Maren Vergiels
 

1. November 2017

General Assembly und Sturm auf den Reichstag (IIPM / Milo Rau)

Demokratie für alle und alles.

Vom 3. bis 5. November 2017 versam­meln sich 60 Abgeordnete der General Assembly aus der ganzen Welt, um zu verhandeln, wo wir als Weltgemeinschaft stehen. Soziale, ökologische, technologische und politische Fragen werden im Rahmen dieses ersten "Weltparlaments" der Menschheitsgeschichte gestellt, begleitet von einer Gruppe internationaler politischer Beobachter*innen.

Was sind die Forderungen des globalen "Dritten Standes"? Dies wird in der sogenannten "Charta für das 21. Jahrhundert“ verabschiedet.

Den Abschluss bildet am 7. November der „Sturm auf den Reichstag“ (ein Reenactement des "Sturms auf den Winterpalast vor 100 Jahren). Dieses zukunftweisende Symbol soll den Weg für den notwendigen politischen Umbruch, für globale Demokratie und internationale Solidarität im 21. Jahrhundert schaffen.

Wer etwas dazu beitragen möchte, sollte dabei sein und um 15 Uhr auf die Wiese vor dem Reichstag kommen.

Für die General Assembly gibt es noch Tickets für die 4. Plenarsitzung (Cultural Global Commons) am 5.11.2017, 10 - 13 Uhr.

Weitere Informationen (z.B. Tagesordnung, Abgeordnete) und Livestream der Plenarsitzungen in deutsch, englisch und französisch auf www.general-assembly.net.