21. November 2016

TheaterBlick unterwegs... "Er spricht gut Deutsch" - Othello (Staatsschauspiel Dresden)


Um den Blick mal wieder auf die Spielpläne anderer Theater auch außerhalb von Berlin zu richten, bin ich nach Dresden gefahren. Bekannt ist das Theater u.a. für seine Bürgerbühne, die gerade in den letzten Monaten immer auch einen Gegenpol zu den sogenannten "besorgten Bürger*innen" gebildet hat.

Ich habe mich aber für ein Stück entschieden, das im großen Haus am 29. Oktober 2016 Premiere hatte: Othello (Regie: Thorleifur Örn Arnarsson).

Staatsschauspiel Dresden (Foto: Maren Vergiels)


Ich weiß nicht, wie oft ich Othello schon gesehen habe, erinnern kann ich mich an eine Inszenierung des Schauspiel Bonn (das muss in den 90ern gewesen sein) und die Ostermeier-Inszenierung in 2010 an der Berliner Schaubühne (mit Sebastian Nakajew als Othello, Stefan Stern als Jago und Eva Meckbach als Desdemona).

Der Theaterabend beginnt quasi mit einem Vorspiel, einem Video-Projekt, das Teil der Inszenierung ist. Auf einer großen Leinwand über dem Eingang des Theaters sieht man wie Bürger*innen aus Dresden und Schauspieler*innen des Hauses abwechselnd Texte in verschiedenen Sprachen aus  "Die Fremden" sprechen.

Video-Projekt "Die Fremden" (Foto: Krafft Angerer)

Diesen Text schrieb Shakespeare etwa zeitgleich zur Entstehung von Othello, er ist Teil eines Theaterstücks, das von verschiedenen Autoren verfasst wurde. In Shakespeares Szene spricht Thomas Morus zu den Bürger*innen Londons, um einen gewalttätigen Aufstand gegen die Fremden und Flüchtlinge aus Flandern und Frankreich zu verhindern. Der Bezug zu aktuellen Geschehnissen ist beeindruckend.

Auf der Fahrt nach Dresden habe ich in Carolin Emckes gerade erschienenen Buch "Gegen den Hass" das Kapitel über Clausnitz (Hass und Missachtung Teil 1: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit) gelesen. Die Texte dieser Mahnrede erscheinen wie ein Echo:

"Würd’s euch gefallen, wenn ihr dort auf ein Volk träft, so barbarisch, dass es wild ausbricht in Gewalt und Hass, euch keinen Platz gönnt auf der weiten Welt [...]"

"Was dächtet ihr, wenn man mit euch so umging? So geht’s den Fremden, und so berghoch ragt eure Inhumanität.“

(aus: William Shakespeare: Die Fremden, übersetzt von Frank Günther)

Vor der Vorstellung haben die Theaterbesucher*innen die Möglichkeit, Teil des Projekts zu werden und sich beim Vortragen eines Satzes aus dem Shakespeare-Text filmen zu lassen. Ich mache mit.

Zur Inszenierung:
Zu Beginn tritt der Othello-Darsteller Ahmad Mesgarha noch bei Saallicht auf. Er erzählt, dass er bereits seit der Wende an diesem Haus Schauspieler ist und eines seiner ersten Stücke ein Kafka-Abend war. In der Kritik habe damals in Klammer hinter seinem Namen gestanden: Er spricht gut Deutsch. Mesgarha ist in Deutschland geboren, in Berlin aufgewachsen, sein Vater ist Iraner. Im Iran habe er nie gelebt. Für die Othello-Inszenierung sei er der einzige, für den keine Maske vorgesehen sei, er tritt ohne Schminke auf. Seine Maske sei sein Name.

Ahmad Masgarha als Othello und Daniel Sträßer als Jago (Foto: Krafft Angerer)

Einige der anderen Schauspieler*innen sind weiß geschminkt und tragen sehr schrille Kostüme (Sunneva Ása Weishappel) mit Anleihen an Barock, Punk und Hip-Hop. Mesgarha trägt hingegen relativ schlichte Kleidung: Ein Anzug bzw. Stiefel und eine Unformjacke.

Paula Skorupa als Bianca und Alexander Angletta als Cassio (Foto:Krafft Angerer)

Othello ist ein gelassener Mann, den Beleidigungen nicht aus der Fassung bringen. Es muss etwas anderes her, um ihn zu brechen. Die durch die Intrigen Jagos erzeugte Eifersucht macht ihn schließlich zu jenem Monster, das die anderen in ihm immer sehen wollen.

Leider geht im Laufe des Stückes die angekündigte Thematik - man erwartet nach dem ersten Auftritt, dass im Folgenden die Thematik des Fremdenhasses bzw. die Mechanismen, die Hass entstehen lassen, stärker beleuchtet werden - etwas verloren. Das Othello-Thema der Eifersucht tritt in den Vordergrund. Jago (Daniel Sträßer - toller Schauspieler, den ich mir merken muss) ist der Star des Abends und die Figur des Othello wird, abgesehen vom Schluss, irgendwie etwas zur Nebenfigur.

Daniel Sträßer als Jago und Ahmad Mesgarha als Othello (Foto: Krafft Angerer)

Und das obwohl Ahmad Mesgarha toll spielt - er erinnert mich in manchen Posen übrigens an Ingo Hülsmann (das mag aber auch daran liegen, dass die Berliner Schaubühne mit ihren Schauspieler*innen, die ich so gut kenne, für mich natürlich immer über-präsent ist und ich mich nicht davon frei machen kann, Vergleiche zu ziehen).

Desdemona (Katharina Lütten) hat nach einem schwachen Beginn starke Momente und steigert sich auch im Laufe des Abends immer weiter. Großartig ist ihr Wutausbruch, bei dem Stühle und andere Teile der Kulisse fliegen. Es ist nachvollziehbar, wie ihre Emotionen hochkochen als Othello ihr ihre Treue nicht glauben will. Ihr gesamter aufgestauter und zunächst zurückgehaltener Ärger entlädt sich in dieser Szene. Vielleicht ist die Figur vom Regisseur auch so angelegt worden, dass sie im Verlauf der Handlung stärker wird - keine duldene Desdemona.

Ahmad Mesgarha als Othello und Katharina Lütten als Desdemona (Foto: Krafft Angerer)


Noch ein Wort zum Bühnenbild (Julia Hansen): Die weiße Bühne wird immer weiter mit Requisiten, Sand und schließlich Graffitis auf der Wand gefüllt. Zum Schluss wird die bunt besprühte Wand mit Farbrollen komplett schwarz überstrichen. Und ich muss noch mal eine Parallel zur Schaubühne ziehen: In Thomas Ostermeiers Volksfeind wird die schwarze Wand immer wieder mit Kreide beschrieben und schließlich weiß überstrichen.

Auch noch erwähnenswert: Der beeindruckende Rap von Thomas Schumacher.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Ich habe den Abend sehr genossen und die Fahrt nach Dresden hat sich auf jeden Fall gelohnt. Dank der guten Schauspieler*innen, dank der Kostüme und des Bühnenbildes und auch dank der guten Idee, das aktuelle Thema der Fremdenfeindlichkeit als Aufhänger zu nehmen inkl. des Video-Projekts, ist es eine (trotz der beschriebenen Schwächen) gelungene Inszenierung. Unbedingt anschauen!

Für mich war das mit Sicherheit nicht der letzte Theaterabend in Dresden.

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Othello: Ahmad Mesgarha
Jago, Othellos Fähnrich: Daniel Sträßer
Desdemona: Katharina Lütten
Cassio, Othellos Leutnant: Alexander Angeletta
Emilia, Jagos Frau: Lucie Emons
Bianca, Cassios Geliebte: Paula Skorupa
Rodrigo, ein junger Herr aus Venedig: Simon Käser
Brabantio, Senator, Desdemonas Vater: Lars Jung
Der Doge von Venedig: Thomas Schumacher

Regie: Thorleifur Örn Arnarsson
Bühne: Julia Hansen
Kostüm: Sunneva Ása Weishappel
Musik: Arnbjörg María Danielsen
Video: Wanja Saatkamp

Spieldauer: ca. 2 Stunden 40 Minuten (eine Pause)

Nächste Vorstellungen:
25.11.2016   
01.12.2016   
13.12.2016   
21.12.2016   
26.01.2017

Tickets können online hier gekauft werden.

Weitere Infos zum Stück auf der Seite des Staatsschauspiel Dresden.


6. November 2016

Rückblick September und Oktober 2016: Spielzeitbeginn, Premieren, Tanz und Diskussionen

Die theaterfreie Zeit im Sommer war dieses Jahr wegen meines Besuchs des Göteborg Theaterfestivals im August zum Glück erträglich. Wie immer startete ich die Spielzeit mit dem Tanz im August und dem alljährlichen Brunch der Freunde der Schaubühne.


SEPTEMBER

04.09.16 Tanz im August: Until our Hearts stop von Meg Stuart/Damaged Goods (Volksbühne)
Die sechs Performer*innen bringen nicht nur sich selbst sondern auch das Publikum an die Grenze des Zumutbaren. In der Performance werden physische Grenzen ausgelotet. Meg Stuarts Performance ist eine Produktion an den Münchner Kammerspielen.


08.09.16 PREMIERE Empire von Milo Rau (Schaubühne)

Rami Khalaf, Maia Morgenstern, Akillas Karazissis in EMPIRE (Foto: Marc Stephan)

Mit Empire schließt Milo Rau seine Europa-Trilogie, eine dreijährige Auseinandersetzung mit Mythos und Realität Europas, ab.  Schauspieler*innen aus Griechenland, Syrien und Rumänien erzählen von künstlerischer und wahrer Tragik, von Folter, Flucht, Trauer, Tod und Wiedergeburt.

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Eine Produktion des IIPM – International Institute of Political Murder. In Koproduktion mit dem Zürcher Theater Spektakel, der Schaubühne am Lehniner Platz Berlin und dem Steirischen Herbst Graz. Gefördert vom Regierender Bürgermeister von Berlin – Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten, Hauptstadtkulturfonds Berlin, Pro Helvetia und Migros-Kulturprozent. Mit freundlicher Unterstützung: Kulturförderung Kanton St. Gallen.

Konzept, Text und Regie: Milo Rau   
Musik: Eleni Karaindrou
Bühne und Kostüme: Anton Lukas   
Video: Marc Stephan   
Dramaturgie und Recherche: Stefan Bläske, Mirjam Knapp   
Sounddesign: Jens Baudisch
Technik: Aymrik Pech
Produktionsleitung: Mascha Euchner-Martinez, Eva-Karen Tittmann

Text und Performance: Ramo Ali, Akillas Karazissis, Rami Khalaf, Maia Morgenstern

Dauer: ca. 120 Minuten

Weitere Infos und Trailer zum Stück auf der Seite der Schaubühne.

Essay zum Stück in Pearson's Preview: Empire on and off-stage: A Conversation with Milo Rau


18.09.16 Brunch der Freunde der Schaubühne
An unserem Brunch am Wahltag in Berlin wurde über den Spielplan 2016/17 gesprochen, der selbstverständlich von den aktuellen politischen Ereignissen geprägt sein wird.


24.09.16 re-re-re-visited thisisitgirl von Patrick Wengenroth (Schaubühne)
Stücke, wie dieses sind auch beim vierten mal noch so gut wie beim ersten mal. Für alle Feminist*innen und auch alle anderen: Hingehen!


28.09.16 PREMIERE Schatten (Eurydike sagt) von Elfriede Jelinek/Katie Mitchell (Schaubühne)

Jule Böwe in Schatten / Eurydike sagt (Foto: Gianmarco Bresadola)

Katie Mitchell hat bereits mehrmals an der Schaubühne inszeniert und fast immer geht es in ihren Stücken um Weiblichkeit aus einer feminsitischen Sicht. Mit Elfriedee Jelineks Text zelebriert sie durch die Entsteheung eines Live-Films auf der Bühne Eurydikes unfreiwillige Reise aus dem Reich der Schatten zurück in die patriarchale Zivilisation.
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Regie: Katie Mitchell   
Mitarbeit Regie: Lily McLeish   
Bildregie: Chloë Thomson
Bühne: Alex Eales   
Kostüme: Sussie Juhlin-Wallen   
Videodesign: Ingi Bekk
Mitarbeit Videodesign: Ellie Thompson   
Sounddesign: Melanie Wilson, Mike Winship   
Licht: Anthony Doran
Dramaturgie: Nils Haarmann   
Skript: Alice Birch   

Mit: Jule Böwe, Stephanie Eidt, Renato Schuch, Maik Solbach
Kamera: Nadja Krüger/Stefan Kessissoglou, Christin Wilke, Marcel Kieslich
Boom Operator: Simon Peter

Dauer: ca. 75 Minuten

Weitere Infos und Trailer auf der Seite der Schaubühne.

Essay zum Stück in Pearson's Preview: Weder Theater, noch Kino: Katie Mitchells dritte Kunstform in »Schatten«


OKTOBER
    
16.10.16 Streitraum: Kosmopolitismus und Menschenrechte (Schaubühne)
Carolin Emcke diskutierte mit ihrer Doktomutter Seyla Benhabib.
Einen Mitschnitt der Veranstaltung gibt es hier.


16.10.16 Podiumsdiskussion „Warum spielen“ (Schaubühne)
Am Abend des selben Tages gab es eine weitere Podiumsdikussion. Max und ich haben dazu diesen Beitrag verfasst.


26.10.16 Buchvorstellung: Carolin Emcke "Gegen des Hass" (Schaubühne)
Die mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnete Autorin las aus und sprach über ihr Buch mit René Aguigah (Deutschlandradio Kultur). In "Gegen des Hass" versucht sie zu erklären, wie es zu den extremen Formen der Feindlichkeit gegen Geflüchtete, Rassismus, Homophobie, religiösem und nationalistischem Fanatismus und Demokratiefeindlichkeit kommt und appelliert an ihre Leser*innen dem Hass zu widersprechen. Ein Lob des Vielstimmigen, des "Unreinen". Ein Denkanstoß und eine Argumentationshilfe für alle, die eine humanistische Haltung und offene Gesellschaft wollen.


31.10.16 re-visited Never Forever von Falk Richter (Schaubühne)
Nun habe ich auch dieses Stück von Falk Richter noch einmal gesehen. Regine Zimmermann ist eine tolle Besetzung für die weibliche Hauptrolle und jede Gelegenheit Tilmann Strauß zu sehen, der ja nicht mehr im Ensemble ist, ist lohnenswert. Berührend: Ilse Ritter!

Ilse Ritter in NEVER FOREVER (Foto: Arno Declair)