12. Mai 2015

Liv Ullmann und Katie Mitchell: Fräulein Julie revisited (Max Penthollow schreibt mir)

Max Penthollow schreibt mir... Gedanken zum Film "Fräulein Julie" von Liv Ullmann

Schauspieler/innen: Jessica Chastain, Colin Farrell, Samantha Morton, Nora McMenamy
Drehbuch: Liv Ullmann, Irland/Norwegen 2014 nach August Strindberg
Englischsprachige Originalfassung mit deutschen Untertitel

Ein Kammerspiel. Drei Hauptdarsteller, eine weitere vierte Rolle: Fräulein Julie als junges Mädchen am Anfang des Films, kurzer Auftritt.

Ort der Handlung: Irland 1890, Mittsommernacht.

Viel Strindberg-Originaltext, Filmdauer etwas über zwei Stunden, vielleicht ein bisschen lang, wie auch immer.

Sehr schöne Leistungen der Schauspieler bzw. Schauspielerinnen. Nach meiner gründlichen Vorbereitung auf das Stück durch meine zahlreichen (!)  Schaubühnenbesuche bei „Fräulein Julie“(!) fand ich den Film sehr schön, Strindberg revisited.

Das Besondere an dem Film für mich – deswegen schreibe ich diesen Text – sind Ähnlichkeiten und Parallelen zu der Inszenierung von Katie Mitchell an der Schaubühne mit dem live gemachten und gezeigten Film.

Nach meiner Auffassung des Ganzen sind diese Ähnlichkeiten Zitate und Querverweise und Hommagen an die Inszenierung von Katie Mitchell (Premiere am 25.09.2010). Vielleicht sind ja auch beide Inszenierungen von einer gleichen Quelle einer Darstellung inspiriert, aber wohl eher nicht. Das fand ich jedenfalls besonders faszinierend!

Die Ähnlichkeiten, die ich gesehen habe, sind in bestimmten Leitmotiven, in einzelnen Aspekten von Regie und Drehbuch und Ausstattung.

Leitmotive: Wasser, Regen mit Gewitter, Blut, das das Wasser rot färbt (am Schluss), dann das Feuer im Küchenofen und in den Petroleumlampen, die immer wieder mal angezündet werden, geraucht wird hier nicht (politisch korrekt: im Film von 2014 darf natürlich auch nicht geraucht werden oder wird eben nicht geraucht, so habe ich es jedenfalls gesehen). Dann die Verwendung von Blumenblüten am Anfang und am Schluss des Films, auch der Einsatz der Cello-Musik (hier mit Klavier).

Dann: das Szenenbild mit dem getöteten Vogel auf dem „Hauklotz“ in der Küche gleicht im Film weitgehend dem Szenenbild in der Schaubühnen-Inszenierung.

Auch den Schluss finde ich sehr ähnlich in beiden Inszenierungen (bei Strindberg geht Fräulein Julie nur zur Tür hinaus, mit dem Rasiermesser, aber der Strindberg-Text lässt keinen Zweifel darüber, was sie dann tun wird). Das Wasser wird vom Blut rot gefärbt, in der Schaubühne auf dem Küchentisch, im Film in einem Bach.

Diese Dinge fand ich alle sehr spannend in dem Film und das war es genau, was ich sehen wollte, und ich habe im Wesentlichen alles bekommen, was ich wollte. Das finde ich richtig toll!

Tilmann Strauß und Jule Böwe in Katie Mitchells Schaubühnen-Inszenierung von "Fräulein Julie" (Foto: Stephen Cummiskey)
Insgesamt ist mir Katie Mitchells Schaubühnen-Inszenierung von „Fräulein Julie“ näher als der Film, sie ist kürzer, für mich lebendiger, der Geschlechterkampf und die Abgründe in den Beziehungen sind verkürzt und mehr konzentriert und stilisiert und gemildert durch die eingefügte dänische Lyrik, die mir immer und immer wieder sehr gut gefällt. („die Orangenbäume, die Aprikosenbäume, die vierzehn Kristallgitter, die sieben kristallinischen Systeme, Zypressen, Cerebellum“, „das unbenutzte Bett des Schlaflosen“ und so weiter).

Trivia: Etwa in der Mitte des Films erzählt Fräulein Julie John von ihrer Mutter und öffnet bei dieser Gelegenheit ein kleines Medaillon mit einem Foto (schwarzweiß) von ihrer Mutter. Man sieht das Foto nur in zwei kurzen Einstellungen. Ich habe niemanden erkannt, aber ich dachte, es ist ein besonderer Moment in einem Film für einen kurzen Auftritt der abgebildeten Person und habe dann im Nachhinein erwartet, dass es vielleicht Liv Ullmann gewesen sein könnte. Aber dann kam das Bild nicht mehr und auf meine Frage habe ich also bisher keine Antwort.

Ich denke an Alfred Hitchcock und seine kurzen Auftritte in seinen Filmen. In „Dial „M“ for Murder“ („Bei Anruf Mord“) von 1954 ist Alfred Hitchcock z.B. auf einem Foto in einer Herrenrunde an einem Tisch sitzend zu sehen.

Der Film „Fräulein Julie“ läuft seit 22.01.2015 in mehreren kleinen Kinos (Programmkinos) in Berlin, deutsch oder englisch OmU (Central, Moviemento u.a.).

Für Theater-, „Fräulein Julie“- und Katie Mitchell-Fans wie mich aus meiner Sicht ganz spannend und höchst zu empfehlen!

Wer ist die Frau (Fräulein Julies Mutter) auf dem Schwarzweißfoto in dem Medaillon? Liv Ullmann? Im Abspann ist ziemlich am Schluss zu lesen: „in memory Asa Allen“).