6. September 2016

Die Quadratur des Hamsterrads: "de
rdiemann" von Herbert Fritsch nach Texten von Konrad Bayer (Volksbühne) - Gastbeitrag von Steffi Eisenschenk

Zum 100. Jahrestag des Dadaismus machte Herbert Fritsch die Showbühne der Volksbühne mit Konrad Bayers Texten zum quietschbunten Hamsterrad. Von Tristesse und Depression kaum eine Spur, meist krachend komisch. Wobei das Dauergrinsen der Schauspieler*innen durchaus eine hilflose Verzweiflung widerspiegelt - das Gefangensein im Anzug der Sprache.

„Wie Bayer vorführt, bewegt sich die so entstandene 'Welt' in einem geschlossenen Kreis. Klassifikation und Etikettierung der 'Wirklichkeit' reduzieren das Erkennen darauf, einen Gegenstand "mit seinem rechten Namen zu bezeichnen"(Essay über Konrad Beyer und die „zerschneidung des ganzen“)

Wie sie staksen, wie sie reden! Diese So-Tun-Also-Ob-Sätze zwischen Rhythmus und Reimgesäusel - umwerfend sinnlos die Suche nach einem Zusammenhang. Und doch orchestriert und parodiert Fritsch das konventionelle Getue auf der Bühne in unglaublicher Stringenz für Lacher und Überspitzungskomik. In knallbunten “plastic is fantastic” Kostümen stolzieren die sieben Schauspieler*innen als Gaga-Gang zwischen Showtreppe und überdimensioniertem Megafon. Floskel- und Nonsenskonversation, bis einem die Tränen über die Wagen laufen vor Lachen. Dann mit Beatles Pilzköpfen in mausgrauen Einheitsanzügen, die Abschied nehmen. Einer fehlt, die Lücke wird betrauert, man zerfließt in ein Knäuel des gemeinsamen Selbstmitleids. Ein grotesker Trauer-Behavorismus, was über den Klangrhythmus der Sprache, den Orgelanschlag und Gestik funktioniert.

Überhaupt: die Musik. Rinks und lechts arbeiten die Musikinstrumente mit den Musiker*innen. Sie geben den Performer*innen Halt in der Mitte der Bühne. Das Klangbett als Gerüst für die singenden und sprechende Schauspieler*innen, die man nur bewundern kann, dass jedes Wort und jede Gestik scheinbar zusammenhaltlos zum Quatsch wird. Und wie sie zwischen und mit den Mikroständern kämpfend herumzappeln im Gesprächsfetzengeplapper, im Erwarten der erhofften Wiedergabe des Unsinns im Umgang miteinander. Das Wort genommen, das Wort gegeben. Gleichzeitig verbindet und trennt die Sprache. Eine Drehscheibe zwischen Kollektiv und Alleinsein, denn plötzlich singt ein Mikrostar tieftraurig “Niemand hilft mir”. Wo man sich vorher noch gemeinsam einsam berauscht vom Applaus auf der Showtreppe produzierte, um dann verängstigt aus dem Rampenlicht zu fliehen vor der Öffentlichkeit. Doch es gibt kein Entrinnen vor den voyeuristischen Massen. Und dann kommt Karl. „der ganze Karl hat sich da versammelt“. Erst einer, dann sieben Karls. Vereint im Gleichklang “a a a a a a a” was einem wie Kindersprache durch die Nase weht, bis das o unterbricht und der Chor “ a a a a a o a a” tönt.

Wie spielerisch Fritsch damit die ästhetische Form des Dadaismus auf die Ebene der Gesellschaft, dem sozialgesellschaftlichen Diskus von Kollektiv und Individualismus hebt - überraschend, wie die extreme Form der Sinnentleerung von mir trotzdem auf politisch - gesellschaftlich assoziiert wird: zwischen Wortwiederholung und Wortabnutzung, von Facebook-Newsfeed-Fetzen zu Selbstbehauptungen sowie Vereinheitlichung und Gleichschaltung, händeringend kontrastiert durch Individualismus. Knallige Fröhlichkeit in pink, rot, blau und gelb. Bis Fritsch die Grimassenlächler auf dem Rücken liegend zappeln lässt und der Zuschauer sieht als Schattenwurf einen Totentanz der Mistkäfer, im blauen Licht. Dieses Bild ist sein eigener Himmel. Da-Da-Dagewesene.


Die Inszenierung war zum 53. Theatertreffen 2016 in Berlin eingeladen, außerdem ging der 3sat-Preis 2016 an Herbert Fritsch für sein “Intensivstation Theater”, so die Jury.

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Regie & Bühne: Herbert Fritsch
Kostüme: Victoria Behr
Licht: Torsten König
Musikalische Leitung: Ingo Günther

Mit: Florian Anderer, Jan Bluthardt, Werner Eng, Annika Meier, Ruth Rosenfeld, Axel Wandtke, Hubert Wild, Ingo Günther (dasderdiemannorchester), Michael Rowalska (dasderdiemannorchester), Taiko Saito (dasderdiemannorchester) und Fabrizio Tentoni (dasderdiemannorchester)

Spieldauer: 1 Stunde 45 Minuten

Am 26.10.2016 das nächste mal an der Volksbühne zu sehen - Tickets & weitere Infos.