19. Dezember 2011

Im Männerknast: Premiere „Edward II“ von Christopher Marlowe (Schaubühne)


Gedanken und Gefühle sortieren nach diesem Stück, das mich wahnsinnig berührt hat. Ein Inszenierung deren Bilder und Eindrücke einem nicht so schnell aus dem Kopf gehen.

Edward II, König von England ist verliebt in den Emporkömmling Gaveston und ignoriert von seinem Liebestaumel verblendet die bevorstehende Gefahr (England ist von Feinden umzingelt). Er kommt seinen Pflichten als Herrscher nicht mehr nach und verliert zunehmend an Autorität. Eine Gruppe von Edelmännern will Gaveston beseitigen. Die Motive sind dabei unterschiedlich: Während der Anführer Mortimer für sich Karriere- und Aufstiegschancen wittert und obendrein mit der verstoßenen Königin anbandelt, geht es Edwards Bruder Kent darum, die Ordnung wieder herzustellen.

Ivo van Hove verlegt die Handlung von Edward II (Christopher Marlowe) in ein Gefängnis und besetzt das Stück durchgehend mit Männern. Machtkämpfe und Gewalt sind hier an der Tagesordnung und über den Knastzellen, die von je einem Mann bewohnt werden, hängt eine Videoleinwand auf der Bilder aus den Zellen oder dem hinteren Bühnenbereich gezeigt werden. Als Gefängniswärter überblickt Leicester von seinem Büro aus die Geschehnisse in den Zellen und führt schließlich auf Anweisung Hinrichtungen durch.

Gaveston stört die Männer in ihrer Ordnung und ihrem Standesdünkel und muss beseitig werden. Nicht an der Homosexualität des Königs stören sie sich – diese wird von allen Insassen praktiziert (zusätzlich hat Ivo van Hove die einzige weibliche Rolle ebenfalls mit einem Mann besetzt). Eifersucht und die Angst, jemand von unangemessenem Stand könne von der Gunst des Königs profitieren, treibt sie an.

Um an dieser Stelle zwei schauspielerische Leistungen zu hervorzuheben: Stefan Stern überzeugt als Edward in seiner Hingabe an seinen Geliebten Gaveston (Christoph Gawenda) sowie seiner Verzweiflung über dessen Tod und dem folgenden Verfall. Aus dem Ensemble sticht außerdem Kay Bartholomäus Schulze als verstoßene Königin Isabella heraus. Der schwierige Text scheint wie für ihn geschrieben zu sein – einen anderen Schauspieler kann man sich in dieser Rolle in dieser Inszenierung nur schwer vorstellen.

Kaum eine Minute bleibt dem Zuschauer, um sich zu erholen. Die an die Nieren gehenden Gewaltszenen werden verstärkt durch die Verdopplung auf der großen Videoleinwand. Das intensive sehr körperliche Spiel der Schauspieler – oft finden zudem Handlungen parallel auf der Bühne statt – gewährt einen tiefen Einblick in die Seelen der Figuren. Noch nicht mal zwischen den Szenen, wenn die Bühne dunkel wird, bleibt Zeit, um das Gesehen sacken zu lassen, denn auf dem Bildschirm werden zwischen den Szenen die Themen (Politik, Verrat, Homosexualität…) des Stückes mit einem Donnerschlag eingeblendet. Die Schlussszene, in der Leicester nach getaner Arbeit und der Durchführung aller Morde, den Weg nach Hause antritt, wo er von seiner Frau mit dem Abendessen empfangen wird, führt einem noch einmal die Kaltblütigkeit im Stück vor Augen. Soeben wurden sechs Menschen niedergemetzelt und schon sind sie Geschichte, man geht zur Tagesordnung über.

Wenn ich die Nachtkritik und die Kritikerrundschau lese, frage ich mich, ob ich das selbe gesehen habe, wie die meisten Kritiker. Natürlich gibt es unterschiedliche Geschmäcker. Aber kann man eine Inszenierung so unterschiedlich auffassen?

Infos zum Stück auf der Seite der Schaubühne.

Foto: Jan Versweyveld

7. Dezember 2011

Raum für Schauspieler: "Kinder der Sonne" von Maxim Gorki (Deutsches Theater)

"Kinder der Sonne" wurde kürzlich von der Berliner Theatergemeide zur Aufführung des Jahres gewählt. Und im Oktober erhielt Stephan Kimmig den Faust-Preis für seine Inszenierung. Dabei lebt das Stück vor allem von den guten Schauspielern, von den Dialogen, vom Text. Das Identifikationspotential mit den Figuren ist groß. Leicht lässt es sich in die Situationen, in denen sich die Figuren befinden, hineinfühlen. Das ist wohl auch einer der Gründe, warum das Stück ein solch großer Erfolg am Deutschen Theater ist. Warum es insbesondere für seine Regieleistung ausgezeichnet wurde, bleibt vor diesem Hintergrund etwas unklar. Aber vielleicht ist genau das der Regie-Trick: Den Schauspielern (u.a. Nina Hoss, Ulrich Matthes, Olivia Gräser/Katharina Schüttler) Raum geben sich entfalten zu können, ihnen die Möglichkeit geben, ihr Können voll auspielen zu können. Es ist eine Wohltat ihnen dabei zuzusehen, allen voran Alexander Khuon. Auf jeden Fall hat Stephan Kimmig da etwas Tolles für das Publikum geschaffen.

In Gorkis Stück lässt tritt die sogenannte "Intelligenzija" auf - ein Wissenschaftler (Ulrich Matthes), ein Künstler (Sven Lehmann) und ein Tierarzt (Alexander Khuon). Diese Menschen sind in ihre Welt so stark eingebunden, dass sie, obwohl sie sich moralisch verantwortlich fühlen, nicht im Stande sind zu handeln. Ich empfehle in diesem Zusammenhang das Programmheft zur Inszenierung. Hierin finden sich sieben Interviews mit Personen, die die Themen, Figuren und Empfindungen in Gorkis Stück wiederspiegeln. Ein Tierarzt, der das Theater liebt, eine Dozentin, ein Genetiker, eine Architektin, die von der unerwiedertern Liebe zu ihrem Chef spricht (sehr berührend!) u.a.

Weitere Infos auf der Seite des Deutschen Theaters