26. Dezember 2010

WaitsWilsonWoyzeck: "Woyzeck" (Deutsches Theater)

Es handelt sich mal wieder um eine Kooperation des genialen Robert Wilson, der das Konzept für diese Woyzeck-Version entwarf, mit dem noch genialeren Tom Waits. Die Songs von Waits, stark gesungen von den Darstellern, gehen - wie immer, wenn er Musik fürs Theater komponiert - direkt in den Kopf und Körper und bleiben da. Mein Lieblingslied des Abends "All the world is green", ein Duett von Woyzeck (Moritz Grove) und Marie (Claudia Renner, die die erkrankte Maren Eggert großartig vertreten hat). Wenn Frauen die Theatersongs von Waits singen, gefallen sie mir fast noch ein bisschen besser als vom großen Meister selbst.

Auf der trichterartigen Bühne in den Kammerspielen des Deutschen Theaters rennen, rutschen und rollen die Figuren des Büchner-Stückes (Regie: Jorinde Dröse) um ihr Leben. Der Tambourmajor wird von Christoph Franken als wunderbare Karikatur eines aufgeblasenen, selbstherrlichen, rücksichtslosen Menschen gespielt. Der Hauptmann und der Doktor erscheinen wie Figuren aus dem Zirkus.

Der Abend hat viel von einem Musical - allerdings ohne Zuckerguss und Happy End.

20. November 2010

Dankesbrief an Georgette Dee: "Lieben Sie Brahms?" (BE)


Liebe Georgette Dee,

danke für einen wunderbaren Abend! Von Deinen Geschichten konnte ich nicht genug bekommen. Von Deiner Musik sowieso nicht. Die eine oder andere Träne habe ich vergossen: vor Lachen und vor Rührung. Besonders habe ich mich über viele Stationen Deiner (Lebens-)Geschichte(n) gefreut, die auch Stationen in meinem Leben waren. (Ich plane, sehr bald einmal wieder in den Odenwald zu fahren, um dort Hirschgulasch zu essen.) Der gesamte Abend war wie ein langes Lied - eins hat sich zum anderen gefügt und ich bewundere Deine Fähigkeit zu erzählen, so dass viele lebendige Bilder entstehen. Bilder, die ich gerne mit nach Hause genommen habe. Das ist "Kunscht"! Gerne hätte ich Dir noch weitere drei Stunden zugehört, aber so muss ich einfach wieder kommen, wenn du auf dieser oder einer anderen Bühne stehst. Darauf freue ich mich!

Alles Gute, Deine Maren


Foto: Lesley Leslie-Spinks

10. November 2010

Flaschenbier und Nagellack: "Jacke wie Hose" (BE)


In Jacke und Hose mit Hut kommt sie auf die Bühne: Svetlana Schönfeld als Max (Ella) Gericke in „Jacke wie Hose“ von Manfred Karge. Der raubeinige Kerl, den sie darstellt, raucht, trinkt und lackiert sich die Fingernägel. Und sie erzählt ihre Geschichte bzw. die ihres früh verstorbenen Mannes. Dabei wechselt sie die Tonlage und Stimmung je nach „Rolle“ und versucht, sich dabei immer mehr in eine Frau zu verwandeln – mit Kleid, hohen Schuhe und Lippenstift. Die Zuschauer erfahren, dass sie, um ihre Existenz zu sichern, in die Hose/Rolle ihres Mannes schlüpfen und dabei ihre Weiblichkeit ein Leben lang verneinen musste. Auch wenn sie fröhlich singt ("Puppchen, mein Puppchen!"), spürt man die Melancholie, die sie umgibt. Ella/Max hat ihre Rolle gut gespielt – zu gut. Denn: Sie ist nach der langen Zeit in Hosen unfähig Frau zu sein. Unbeholfen sind ihre Gehversuche in den hohen Schuhen und der Eierlikör will einfach nicht schmecken.

„Jacke wie Hose“ am BE ist eine Geschlechterstudie, in der Rollenbilder, die gesellschaftlichen Vorgaben unterworfen werden, kritisch hinterfragt werden. Eine Frau muss ihre Persönlichkeit negieren, um in einer patriarchalisch geprägten Welt zu überleben.

Svetlana Schönfeld spielt Ella-Max virtuos und schafft es die Zerrissenheit der Figur überzeugend darzustellen. Diese Schauspielerin, die den gut einstündigen Monolog mühelos meistert, muss man einfach mögen.

Foto: Barbara Braun

1. November 2010

Die Bühne ist die Welt: Die Entdeckung des Himmels

Harry Mulisch, Autor zahlreicher Romane, Novellen Essays, Dramen, Opernlibretti und Gedichte, ist am Samstag im Alter von 83 Jahren gestorben. Sein umfangreiches Werk war stark durch die Erinnerung an den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg geprägt und fand Leser in aller Welt. Einige seiner Bücher wurden in mehr als 30 Sprachen übersetzt. Jahrelang galt Mulisch als Anwärter auf den Literaturnobelpreis.

Für mich gehört "Die Entdeckung des Himmels" zu den beindruckendsten Werken der Literatur überhaupt. Ich verschenke dieses - mein Lieblingsbuch - immer wieder an Menschen, die mir wichtig sind und von denen ich sicher bin, dass sie es ebenso schätzen werden wie ich. In dieser Geschichte um eine Freundschaft, die über vier Jahrzehnte verfolgt wird, geht es um Politik, Musik, Literatur, Religion, Architektur, Kunst, Naturwissenschaften, Astrologie uvm. Harry Mulisch hat in diesem Roman die Welt zu einer Bühne gemacht, auf der nicht nur die beiden "Spielleiter" im Himmel Regie führen, sondern auch die kluge weibliche Hauptfigur (Ada) - und zwar mehr als die Männer des Romans ahnen.

Wer "Die Entdeckung des Himmels" liest, lernt und lernt und lernt. Und ist nach der Lektüre nicht nur an Wissen sondern auch an Erkenntnis für das eigene Leben reicher. Dieses Buch ist eine große geistige Bereicherung.

30. September 2010

MordArt - ein improvisierter Krimispaß von Paternoster


Im BKA-Theater am Mehringdamm bleibt es spannend!

Der Herbst steht unwiderruflich vor der Tür. Die Tage werden kürzer, die Nächte kälter und Schauerliches geht vor sich: Ein geheimnisvoller Mörder treibt sein Unwesen. Zuletzt gesichtet wurde er im BKA-Theater am Mehringdamm…

Wenn die Schauspieler vom Paternoster-Team den Täter jagen, greift das Publikum ins Geschehen ein. In diesem packenden Krimi entscheiden die Zuschauer über den Verlauf der Handlung mit, indem sie den Darstellern Vorgaben für alle Szenen und Rollen geben. Da bei diesem schaurig-komischen Krimierlebnis alles improvisiert ist, bleibt es bis zum Schluss spannend. Sind alle Zeugen glaubhaft? Wer versucht, etwas zu vertuschen? Warum stiftet ein bisher Unverdächtiger plötzlich Verwirrung? Und kaum ist ein Geheimnis gelöst, nimmt die Handlung einen neuen Verlauf. Bis zur letzten Szene bleibt eines offen: Wer ist der Mörder?

Eintritt:
19/14/10,- € im Vorverkauf
21/16/12,- € an der Abendkasse
(Der Vorverkauf gilt bis einen Tag vor der Veranstaltung. Am Spieltag gelten die Abendkassenpreise.
)

Termine in 2010:
Donnerstag, 07. Oktober 2010 um 20:00 Uhr
Donnerstag, 04. November 2010 um 20:00 Uhr
Donnerstag, 02. Dezember 2010 um 20:00 Uhr
Einlass jeweils ab 19:00 Uhr

Weitere Informationen und Gutscheine unter 030 - 69 00 14 11 oder www.improtheater-paternoster.de.

Kartenbestellungen unter 030 - 20 22 007 oder www.bka-theater.de.

Foto: Paternoster

1. September 2010

Christoph Schlingensief: Erinnern braucht manchmal keine Worte

Gestern fand die letzte Veranstaltung der Temporären Kunsthalle Berlin statt: Ein Vortrag von Künstler und Kurator John Bock, der die Arbeiten der Installation „FischGrätenMelkStand“ erläuterte. Ein Teil der Arbeiten stammte von Christoph Schlingensief. Das Publikum, gerade noch fröhlich und amüsiert über die Ausführungen von John Bock, hielt inne als die Arbeiten von Schlingensief und Bilder des Opernhauses in Afrika gezeigt wurden. Jeder im Raum wartete darauf, was John Bock über den Tod seines Freundes Christoph Schlingensief sagen würde. Er tat das einzig Richtige: Er ersparte sich jeglichen Kommentar und ließ ganz einfach die Bilder wirken. In den letzten Tagen ist sicherlich alles über Schlingensief, seine künstlerische Arbeit, seine Krankheit und sein Sterben gesagt worden. Da ist es unnötig, bei einer solchen Veranstaltung noch einmal große Worte zu schwingen. Durch sein Schweigen hat John Bock jedem die Möglichkeit gegeben, für sich selbst zu entscheiden, ob und wie er sich in diesem Moment an Christoph Schlingensief erinnern möchte. Manchmal ist es eben auch gut, etwas ohne Worte auszudrücken.

22. August 2010

Die Besten auf der Bühne

In Berlin laufen einem ständig Schauspieler/innen über den Weg, die man von einer der vielen Bühnen kennt. Jedes mal, wenn ich ein bekanntes Gesicht sehe, freue ich mich so, als würde ich einen alten Bekannten treffen. Wenn ein/e Schauspieler/in, die/den ich besonders mag, neben mir im Café sitzt oder hinter mir an der Kasse steht, überlege ich immer, ob ich mal „Hallo!“ sage und „Ich fand dich in dem-und-dem Stück besonders gut.“

Wenn mich jemand fragt, welchen Schauspieler oder welche Schauspielerin ich am liebsten mag, fällt es mir gar nicht so leicht, eine Antwort zu geben. Es gibt so viele Theaterschauspieler/innen, die ich aus unterschiedlichen Gründen toll finde. Trotzdem habe ich hier eine Liste, meiner Top-3 Schauspieler und Schauspielerinnen erstellt.

SCHAUSPIELER


Martin Wuttke (Berliner Ensemble) – Mein All-time-favourite allein schon wegen Arturo Ui (Berliner Ensemble) - und das seit 15 (!) Jahren. Auch seine eigenen Inszenierungen am BE sind brillant, vor allem „Pffft oder der letzte Tango“. Schade, dass er an die Burg gewechselt und daher nur noch selten in Berlin zu sehen ist.

Lars Eidinger
(Schaubühne) – „Hamlet“ ist mein Lieblingsstück von Shakespeare. Dementsprechend bin ich anspruchsvoll, wenn es um die Besetzung und die Inszenierung des Stückes geht. Seit zwei Jahren ist Lars Eidinger mein neuer Lieblings-Hamlet, denn er hat der Figur noch ein paar neue Facetten gegeben. Schwer zu glauben, dass das noch zu toppen ist. Bewundernswert an Eidinger ist vor allem seine bedingungslose Hingabe an jede Rolle.

Ulrich Matthes
(Deutsches Theater) – Wenn man Matthes auf der Bühne sieht, hat man nie das Gefühl, dass da ein Schauspieler steht. Matthes “unterspielt“ all seine Rollen so, dass das Handwerk des Schauspiels quasi zum verschwinden kommt. Man nimmt ihm einfach jede Figur 100prozentig ab.

SCHAUSPIELERINNEN

Carmen-Maja Antoni
(Berliner Ensemble) – Wenn man in ein Stück mit Carmen-Maja Antoni geht, kann man eigentlich nichts falsch machen. Egal, wie gut oder schlecht die Inszenierung ist, sie rettet immer den Abend. Sie hat ein unzweifelhaft komisches Talent. Außerdem hat sie mal bei einem Publikumsgespräch, als ein Zuschauer von der „Pflicht ins Theater zu gehen“ sprach, geantwortet: „Aber was für eine schöne Pflicht!“... Jawohl!

Meike Droste
(Deutsches Theater) – Sie ist so uneitel und echt auf der Bühne, dass man ihr jede Rolle abkauft. Oft strahlt sie eine gewisse Melancholie aus, die ihre Darstellung umso glaubhafter macht. Es gibt keinen Grund, Meike Droste nicht zu mögen. Sie braucht keine übertriebene Show, denn sie hat eine unglaubliche Aura.

Sophie Rois (Volksbühne) - Die Intensität des Spiels von Sophie Rois ist so stark, dass sie eigentlich niemanden kalt lassen kann. Deswegen zieht sie das Publikum bei jedem Auftritt scheinbar mühelos in ihren Bann. Dies zusammen mit ihrem bezaubernden österreichischen Akzent, macht sie für mich zu einer Lichtgestalt auf der Bühne.

Besonders erwähnen möchte ich außerdem:
Stefan Kurt, Samuel Finzi, Traute Hoess, Stefan Stern, Dejan Bucin, Jürgen Holtz, Alexander Scheer, Michael Maertens, Alexander Khuon, Michael Schweighöfer, Götz Schubert, Josef Bierbichler, Sabin Tambrea, Christopher Nell…

31. Juli 2010

Kommen wir noch rein? - Offene Probe "Othello" (Schaubühne)

„Fünf können noch rein“ sagt die Dame am Bühneneingang der Schaubühne. Es ist kurz nach sieben und wir warten seit einer guten halben Stunde auf den Einlass. Die offene Durchlaufprobe von Othello (Regie: Thomas Ostermeier) wurde per Newsletter und auf Facebook angekündigt. Es hieß dort, man solle sich einfach um 19 Uhr am Bühneneingang einfinden und brauche auch keine Karte. Mit so vielen Leuten hatte die Schaubühne offensichtlich nicht gerechnet. Gut, dass wir so früh hier waren, denken wir noch als wir in der Schlange stehen. Hinter uns stellen sich immer mehr Menschen an. Jetzt stehen wir vor der Tür und können erst mal nicht rein, weil sich von der Seite einige reindrängeln wollen, die auf Sonderbehandlung hoffen. Während ein Mitarbeiter der Schaubühne über zwei Drittel der Wartenden nach Hause schickt, gehen ein, zwei, drei, vier, fünf Leute an uns vorbei hinein. Dreharbeiten unterbrochen, extra aus Cottbus angereist, Freund eines Schauspielers, das sind die Gründe, mit denen sie sich Einlass verschaffen. Das darf nicht wahr sein! Werden wir jetzt so kurz vorm Ziel weggeschickt? Zum Glück wurden eben in der Schaubühne die Plätze noch mal durchgezählt und wir sowie ca. zehn weitere dürfen dann noch rein.

Theater erzeugt bei mir ja sowieso immer ein Hochgefühl, aber wenn man zu den „Auserwählten“ einer solchen Veranstaltung gehört, ist das Kribbeln gleich noch mal so schön. Ostermeier macht eine kurze Ankündigung, erklärt den Zuschauern in der ersten Reihe, dass sie nass gespritzt werden könnten. Die haben sich das wohl schon gedacht, denn die Bühne ist ein riesiges Wasserbassin. Die Probe läuft ohne Unterbrechung durch, nur an wenigen Stellen gibt es kleine, kaum merkliche Fehler oder Versprecher. Irgendwann vergisst man, dass man eigentlich in einer Probe sitzt. Erst beim Schlussapplaus fällt das wieder auf, weil sich die Schauspieler nicht verbeugen, sondern einfach die Bühne verlassen als das Licht wieder angeht. Im Theater ist man eben abergläubisch. Vor der Premiere darf man sich nicht verbeugen. Ich finde diesen Aberglauben sympathisch.

Ich bin mir sicher, die Othello-Premiere wird ein Erfolg. Die Inszenierung ist an keiner Stelle ermüdend, die Schauspieler – so kennt man es von der Schaubühne – spielen sich die Seele aus dem Leib. Das Wasser – nein, kein abgedroschenes Theatermittel – wird perfekt eingesetzt. Und ich hatte mal wieder ein Aha-Erlebnis, weil mir der Text von Othello selten so verständlich war. Iago bzw. der Schauspieler Stefan Stern überragt alle. Wenn man ihn nicht hassen müsste, weil er einer der gemeinsten Intriganten in der Welt des Theaters ist, könnte man ihn glatt bewundern.

24. Juli 2010

Ja!

Paternoster, eines der renommiertesten Improvisationstheater aus Berlin hat heute etwas ganz Bezauberndes auf die Bühne gebracht. Wir waren zu dieser ungewöhnlichen Theatershow als „Komparsen“ eingeladen. Es handelte sich um einen Heiratsantrag, der als Firmenshow getarnt war. Das Publikum, bis auf den zukünftigen Bräutigam und die Eltern der Braut waren eingeweiht. Sie lockte ihn ins BKA, um die Show unter dem Motto „REWE Ost fusioniert mit REWE West“ zu sehen. Auf den Tischen luden – passend zur Show und passend zum eigentlichen Anlass des Abends – Produkte der REWE-Handelsmarke Ja! zum Verzehr. Das Ensemble von Paternoster gab eine gute halbe Stunde einige seiner Impro-Nummern zum Besten bis der, für den der gesamte Abend geplant war, unter einem Vorwand auf die Bühne gelockt wurde. Was folgte war ein Heiratsantrag von ihr, der selbst mich, die ich für derlei Kitschiges normalerweise nicht zu haben bin, rührte. Er sagte „Ja!“. Was für eine tolle Idee, glänzend umgesetzt vom Paternoster-Team! Danke für einen außergewöhnlichen Abend!

20. Juli 2010

Lohn des Lügners: "Der Parasit" (BE)


In Schillers Komödie „Der Parasit oder die Kunst sein Glück zu machen“ (Ein Lustspiel nach dem Französischen des Picard.) fallen fleißige und gebildete Bürger auf die Lügen eines Mannes herein. Dieser beherrscht nichts weiter als die Kunst des Blendens.



Die Handlung in Kürze:
Ein neuer Minister (Selicour) ist ins Kabinett berufen und tritt sein Amt an – Grund für die Ministerialbeamten, sich ihm als unentbehrlich darzustellen. Wer nach oben will, biedert sich an, zeigt sich eifrig, macht sich wichtig. List, Intrige und Lüge – oder anders gesagt: Manipulation, Networking, Mobbing sind die Mittel, um die eigene Karriere auf Kosten anderer voranzutreiben. Inkompetenz im Regierungsbetrieb geht rücksichtslos vor. Die Angestellten müssen hilflos mitansehen, wie sich der ungebildete Selicour durch Lug, Trug und Heuchelei eine berufliche Laufbahn bereitet. Dabei lebt er – wie ein gefräßiger Parasit – von den Mühen anderer Leute Arbeit (Firmin und dessen Sohn Karl), er nutzt sie rücksichtslos aus. Je höher er die Karriereleiter hinaufsteigt, umso tiefer fallen seine Konkurrenten. Der Erfolg Selicours beruht auch auf der Leichtgläubigkeit seiner Mitmenschen. Höhepunkt des falschen Spiels ist Selicours Plan, sich durch die Heirat mit Narbonnes Tochter in dessen Familie einzunisten.

„Der Parasit“ ist eine humorvolle Parabel über die Kunst des Lügens und darüber wie Rücksichtslosigkeit in einer Gesellschaft zum Erfolg führen kann. Das Stück ist höchst aktuell, denn heute und in unserer Gesellschaft wird Blendern und Lügnern häufig eher Aufmerksamkeit und Achtung geschenkt als Menschen, die mit fundiertem Wissen, einer guten (Aus-)Bildung und Können aufwarten können.

Oder um es mit Schillers Worten zu sagen: „Die kriecherische Mittelmäßigkeit kommt weiter als das geflügelte Talent, der Schein regiert die Welt". Bei Schiller scheitert der Betrüger am Ende, doch die nächsten warten schon. Denn: "Die Gerechtigkeit ist nur auf der Bühne“.

Zur Inszenierung:
In der Inszenierung von Philip Tiedemann am Berliner Ensemble werden sämtliche Figuren als Puppen dargestellt. Die Schauspieler agieren auf einer steilen pyramidenartigen Treppe. Sie sind halb menschlich, halb künstlich: Die Oberkörper sind die der Schauspieler, die Beine werden durch die von Puppen ersetzt. Sie tauchen aus den Klappen auf der Treppe auf wie Kasperlepuppen, wie der Teufel, die (Groß-)mutter, der junge Liebende und weitere Stereotypen. Jede Geste wird entsprechend mit einem passenden Geräusch eines Ein-Mann-Orchesters unterstrichen. Der Parasit Selicour wird gleich von sieben Schauspielern (Thomas Wittman u.a.) dargestellt, die teilweise gleichzeitig auf der Bühne erscheinen. Dejan Bucin als Karl Firmin und Axel Werner als Madame Belmont seien an dieser Stelle noch besonders lobend erwähnt.

Foto: Barbara Braun (Thomas Wittmann als Selicour und Alexander Ebeert als La Roche)

6. Juli 2010

Eines Abends wird ein Getös' sein: "Die Dreigroschenoper" (BE)


Der Mensch ist gar nicht gut,
Drum hau' ihn auf den Hut.
Hast du ihn auf den Hut gehaut,
Dann wird er vielleicht gut.
Denn für dieses Leben
Ist der Mensch nicht gut genug.
Darum haut ihn eben
Ruhig auf den Hut.

(Jonathan Jeremiah Peachum)



Christina Drechsler (Polly Peachum), Stefan Kurt (Macheath)
Foto: Lesley Leslie-Spinks


Schön wars mal wieder! Mal wieder eine Inszenierung von Robert Wilson am BE: Die Dreigroschenoper. Natürlich könnte man auch sagen, kennst du eine, kennst du alle. Denn die Wilson-Inszenierungen sind sich in ihrer Ästhetik ähnlich und viele Elemente wiederholen sich. Außerdem arbeitet Wilson immer wieder mit den gleichen Schauspielern. Aber wenn man wie ich Gefallen daran gefunden hat, dann kann man eigentlich auch nicht genug davon bekommen. Nicht genug von den tollen Kostümen, den roten Haaren und den androgyn geschminkten Gesichtern. Wilsons bricht in all seinen Inszenierungen die Geschlechterrollen auf und öffnet die Beziehungen der Figuren.

Hinzu kommt, dass ich die Musik der Dreigroschenoper so gerne mag, dass ich am liebsten immer mitsingen würde. Die gesangliche Leistung des Ensembles war wie immer solide und dem Stück absolut angemessen. Großartig war natürlich auch Stefan Kurt (der mir schon in Wilsons Leonce und Lena als Valerio von allen am besten gefallen hat) als Mackie Messer. Unter den weiblichen Darstellerinnen hat mir Traute Hoess besonders gefallen, weil sie die Celia Peachum mit so viel Witz und Charme spielt, dass sie zum heimlichen Star des Abends wird.

17. Juni 2010

Ein Loblied auf Theater-Blogs

Über dieses Loblied auf Theater-Blogs habe ich mich sehr gefreut und möchte es daher meinen Theater-Blog-Leser/innen nicht vorenthalten:

Manuel Braun: Theaterblog

Gut beobachtet und klug geschrieben. Danke!

15. Juni 2010

Spielfreude im Hexenkessel


Nun macht Don Juan nicht nur sein Glück bei den Mädchen, sondern er macht die Mädchen glücklich und - unglücklich, aber seltsam, gerade so wollen sie es haben, und es wäre ein schlechtes Mädchen, das nicht unglücklich werden möchte, um einmal mit Don Juan glücklich gewesen zu sein. - Sören Kierkegard


Das gehört zum Sommerprogramm: Hexenkessel Hoftheater
Heute: Don Juan von Molière

Nachdem ich mit Berlin-Besuch (eine Freundin aus USA plus eine Freundin aus Bonn) den ganzen Tag durch die Stadt gestreift war und wir uns mit leichtem Sonnenbrand auf der Nase ein Bierchen in der Strandbar im Monbijou Park an der Spree gegönnt hatten, war diese locker-leichte Inszenierung genau das Richtige: Ein engagiertes Ensemble mit großer Spielfreude, viele bunte Kostüme, Zoten, Slapstick und einige sehr nette Anspielungen zum aktuellen Geschehen ("Das war's, ihr seid raus aus dem Stück." - "Ach gut, dann können wir ja jetzt in Ruhe Fußball gucken."), die Handlung bekannt, aber irgendwie immer wieder gut.

Zurücklehnen, entspannen, Kopf ausschalten und einfach Spaß haben - auch so darf Theater sein.

25. Mai 2010

Theatertreffen 2010: Beim 3sat-Preiskampf macht Juli Zeh für Paulman und Herwig das Rennen

Nur 60 Minuten hatten die vier streitbaren Experten, die am Wochenende vor Lifepublikum in den Berliner Festspielen und den 3sat-Zuschauern an den Bildschirmen eine Entscheidung über die Vergabe des mit 10.000 Euro dotierten Theaterpreises treffen mussten.

Die vier Experten und ihre Kandidaten waren:
Juli Zeh (Autorin) für die Schauspieler Annette Paulmann und Paul Herwig in "Kleiner Mann - was nun?"
Christopher Schmidt (Journalist) für die Regie von Victor Bodó in "Die Stunde da wir nichts voneinander wussten"
Tobi Müller (Journalist) für das gesamte Ensemble der "Kontrakte des Kaufmanns"
Burghart Klaußner (Schauspieler) für den Schauspieler Markus John in "Die Schmutzigen, die Häßlichen und die Gemeinen"

Schnell, war klar, dass Juli Zeh mit ihren Kandidaten das Rennen machen würde. Denn schon ihr Plädoyer zu Beginn des Preiskampfs ließ ihre Mitstreiter mit ihren Gegenargumenten blaß aussehen. Mich und meine Begleiter hat sie sofort und nachhaltig überzeugt. Und so schaffte sie es dann auch, zunächst Christopher Schmidt und Tobi Müller und endlich sogar Burghart Klaußner (weil der Preis damit wenigstens an Schauspieler gehen würde) auf ihre Seite zu ziehen. Dabei hat sie zwar einen kleinen Trick angewandt und die anderen nach ihrer zweiten Wahl gefragt - und plötzlich stand es 3:1 - und ihre zweite Wahl erst auf Nachfrage genannt, aber wer so clever agiert, gewinnt am Schluss zu Recht.

Da auch ich immer dazu tendiere die Leistungen von Schauspielern auszuzeichnen, weil man deren Arbeit m.E. nicht hoch genug bewerten kann, bin ich mit dem Ergebnis zufrieden. Insgesamt kam die Veranstaltung im Vergleich zum letzten Jahr professioneller daher (andere Kulisse und Ausstattung), die Moderatorin Tita von Hardenberg hätte es allerdings nicht gebraucht. Sie wirkte in meinen Augen nicht nur falsch besetzt, sondern war eigentlich auch vollkommen überflüssig.

Toll, war das Live-Blogging der Theatertreffen-Blogger, die die 60 Minuten kurz, knackig und witzig komentierten.

22. Mai 2010

Die Entscheidung zwischen Chucks und Sneakers: " Das Prinzip Meese" (Maxim-Gorki-Theater)

"Das Prinzip Meese" von Oliver Kluck wurde 2009 mit dem tt-Stückemarkt Förderpreis ausgezeichnet.

In dem Stück, das derzeit am Maxim Gorki Theater zu sehen ist, stehen zwei um-die-30-jährigen stellvertretend für eine Generation, die zwar gut ausgebildet, aber doch irgendwie orientierungslos ist. Dem permanenten Vorwurf der Passivität und Antriebslosigkeit ("Ich habe noch Rudi Dutschke gekannt und was macht ihr? Twittern!") ausgesetzt, führen sie ein Leben mit wechselden Jobs und werden durch das Fernsehen und die mediale Welt beeinflusst. Fünf Sprachen und ein Einser-Abi helfen leider auch nicht, bei der Suche nach dem Sinn.

Die Performance der Anfangssequenz von Baywatch und die anschließende Befragung des Publikums nach bekannten Fernsehserien der 80er und 90er ist so witzig, weil man sich sofort an seine eigene Jugend erinnert fühlt: Das A-Team, Ein Colt für alle Fälle und Beverly Hills 90 210 sind die Sendungen, die wir als Jugendliche gesehen haben. Auch in den Lebensläufen (z.B. Studium der Germanistik, Soziologie, Theaterwissenschaften und Kommunikationswissenschaften mit anschließender Hospitanz am Theater, bei der es zwar kein Geld gab, das aber trotzdem total Spaß gemacht hat oder Verkäuferin bei Peek & Cloppenburg, mit Partywochenende im Weekend und der Bar25) findet man sich zwangsläufig selbst wieder.

Auch in Sachen Mode, wissen die Protagonisten, was ihre Generation auszeichnet. Glaubt doch jeder achso individuell zu sein. Dabei entscheidet sich diese Generation letztendlich doch nur zwischen Chucks und Sneakers.

Weitere Infos zum Stück hier: http://www.gorki.de/-/repertoire/519539

18. Mai 2010

Theatertreffen Public Viewing: Ein anderes Theaterfeeling

Am Wochenende war ich mit Freunden beim Public Viewing des Theatertreffens auf dem Potsdamer Platz. Die Live-Übertragung einiger Stücke wurde in diesem Jahr zum ersten mal für Zuschauer angeboten, die keine Tickets mehr bekommen haben. Das rbb Fernsehen hat dies für die Spätnachrichten dokumentiert und unter den Zuschauern O-Töne eingefangen. Der Kelch ging auch an mir nicht vorüber und so wurde auch ich zu meinen Eindrücken befragt. Nach meinem Statement auf die Frage "Kommt bei Ihnen denn das richtige Theaterfeeling auf?" glaubte ich, eine insgesamt positive Antwort gegeben zu haben. Hatte ich eigentlich auch, aber…

„Zu lang und zu intellektuell“, meinte einer meiner Begleiter, selbst Fernsehjournalist, „das wird geschnitten“. Er hatte Recht. Als mein Statement tatsächlich in einem Bericht des rbb ausgestrahlt wurde, staunte ich nicht schlecht. Denn: Meine Antwort wurde so zusammen geschnitten, dass der Eindruck entstand, als wäre ich von der Veranstaltung nur mäßig begeistert. Durch die Weglassung eines ganzen Teils meiner Aussage und weil natürlich auch die Frage nicht mitgesendet, sondern meine halbe Antwort nur in den Kontext gestellt wurde, ist ein etwas verzerrtes Bild entstanden.

Natürlich hatte ich gesagt, dass es etwas anders ist, als wenn man im Theater sitzt. Weil es a) zu kalt war und b) Theater auf dem Bildschirm nicht das gleiche (weil nicht so unmittelbar) ist wie ein Stück im Zuschauerraum zu verfolgen. Insgesamt halte ich das Theatertreffen Public Viewing jedoch für eine gute Idee, weil es einem die Chance gibt, wenigsten einige Stücke zu sehen, für die man keine Karten bekommen konnte. Und besser als zu Hause vor dem Fernseher ist es allemal. Denn: Schließlich macht man sich auf, um gemeinsam mit Gleichgesinnten ein Stück Kultur zu teilen, eine Stimmung mitzuerleben, sich mit anderen vor und nach dem Stück auszutauschen und wenigsten ein kleiner Teil des tt zu sein.

Darum hoffe ich, dass es im nächsten Jahr eine Fortsetzung des tt-Public Viewing geben wird. Dann hoffentlich bei besseren Temperaturen.

10. Mai 2010

Authentisch

Gestern wurde der Theaterpreis 2010 an Margit Bendokat verliehen. Auf der Bühne im Deutschen Theater wurde für die Schauspielerin gesprochen, gesungen und gespielt. Die Laudatio hielt Nicolas Stemann. Dabei sind bei mir vor allem folgende seiner Worte hängen geblieben (sinngemäß): Im Theater herrsche im Moment die Sitte mit Tieren, Kindern und echten Hartz-IV-Empfängern zu arbeiten, um möglichst authentisch zu sein. (Die Anspielung ist klar!) Wenn man diese jedoch aus ihrer Umgebung nähme und sie dann auf eine Bühne stelle, dann sei das alles andere als authentisch. Denn wenn man Botschaften an da Publikum aussenden wolle, dann funktioniere das mit ausgebildeten Schauspielern besser, denn nur diese seien auf Grund ihrer Fähigkeiten in der Lage diese zu vermitteln. So eine sei Margit Bendokat. Wenn man mit einer solchen Schauspielerin arbeiten könne, brauche man keinen Hartz-IV-Chor.

Ich finde Nicolas Stemann hat Recht. Sicher – Tiere und Laien auf der Bühne haben ihre Daseinsberechtigung, aber ehrlich gesagt schaue ich auch lieber guten Schauspielern zu und kann dabei jede Menge mitnehmen.

3. Mai 2010

Der Theatertreffen-Blog ist gestartet!

Ab heute sind die Blogger des Theatertreffens wieder aktiv.

Junge Nachwuchskulturjournalisten kommentieren hier Eindrücke und Erlebnisse rund um das tt2010.

http://www.theatertreffen-blog.de/tt10/

In einem ersten interessanten Beitrag geht es um die Frage, ob kulturjournalistisches Bloggen überhaupt möglich ist.

Viel Spaß beim Lesen und mitdiskutieren!

30. April 2010

Theatertreffen 2010: Public Viewing


Die Karten-Nachfrage beim tt ist wie immer groß und die Tickets sind nicht günstig. Wer keine Karte mehr bekommen hat, kann in diesem Jahr zwei Inszenierungen beim Public Viewing im Sony Center am Potsdamer Platz sehen:




Freitag, 14. Mai 2010, 20:00 Uhr

Burgtheater, Wien
„Der goldene Drache“ von Roland Schimmelpfennig
Regie: Roland Schimmelpfennig
Fernsehregie: Hannes Rossacher
Bühne und Kostüme: Johannes Schütz

Samstag, 15. Mai 2010, 20:00 Uhr
Thalia Theater Hamburg/Schauspiel Köln,
„Die Kontrakte des Kaufmanns“ von Elfriede Jelinek
Regie: Nicolas Stemann
Fernsehregie: Harald Spieß
Bühne: Katrin Nottrodt

Foto: Die Kontrakte des Kaufmanns (c) David Baltzer

26. April 2010

Theatertreffen: TheaterBlick @ Preiskampf am 22. Mai 2010


Ein Theaterstreit für eine Auszeichnung.

Im Rahmen des Theatertreffens 2010 findet am 22. Mai der 3sat-Preiskampf statt.

Infos zur Veranstaltung:
Der Preisträger wird live vor laufenden Kameras bestimmt. Das Publikum im Haus der Berliner Festspiele und die 3sat-Zuschauer an den Bildschirmen werden Zeuge des Preiskampfs um die Auszeichnung für eine „herausragende künstlerische Leistung aus dem Kreis der zum Theatertreffen eingeladene Inszenierungen“. Die Jury muss sich innerhalb von 60 Minuten verständigen; nur wenn Einigkeit erzielt wird, gibt es den Preis. Es wird also richtig spannend!

Vier streitbare Experten mit durchaus unterschiedlicher Sicht auf das Theater nominieren jeweils ihren persönlichen Kandidaten aus den Theatertreffen-Inszenierungen. Die Mitglieder der Jury (die Autorin Juli Zeh, die Journalisten Tobi Müller und Christopher Schmidt und der Schauspieler Burkhardt Klaußner) – versprechen einen harten, aber fairen Kampf.

Im letzten Jahr erhielten Birgit Minichmayr, Nicholas Ofczarek und Werner Wölbern für ihre schauspielerische Leistung in „Der Weibsteufel“ von Karl Schönherr in der Inszenierung von Martin Kušej den mit 10.000 Euro dotierten Preis. Meinen Bericht dazu könnt ihr hier lesen: http://theater-in-berlin.blogspot.com/2009/05/theatertreffen-part-2-preiskampf.html

20. April 2010

Robert Wilsons Videoportraits in der Kunsthalle Koidl



Fotos:
Zhang Huan, Künstler, Musik Michael Galasso
Robert Wilson 2004(Courtesy: Robert Wilson / Produced by Dissident Industries Inc.)
Prinzessin Caroline von Monacco, Musik Bernard Hermann
Robert Wilson 2006 (Courtesy: Robert Wilson / Produced by Dissident Industries Inc.)


Der Theatermacher Robert Wilson zeigt seinen einzigartigen Stil auch in seinen Videoportraits. Noch bis 2. Mai 2010 in der Kunsthalle Koidl in Berlin.
http://www.kunsthalle-koidl.de

ROBERT WILSON Video Portraits
A Collectors View

9. Februar – 2. Mai 2010
Kuratoren: Noah Koshbin und Matthew Shattuck
Robert Wilson Video Portrait, Prinzessin Caroline von Monaco,
2006, Musik Bernard Hermann
Die Ausstellung ROBERT WILSON Video Portraits, A Collectors View zeigt Video Portraits
aus drei internationalen Sammlungen:

Prinzessin Caroline von Monacco, 2006, Musik Bernard Hermann
Sammlung Bernice Steinbaum (Miami, Florida),

Zhang Huan, Künstler, 2004, Musik Michael Galasso
Sammlung Michael Weinstein (NYC, NY)

Horned Frog, 2006, Musik J.S. Bach, Goldberg Variationen, interpretiert von Glenn Gould
Sammlung Watermill Center (Watermill, NY).

Die Ästhetik Robert Wilsons prägt bereits seit 40 Jahren die internationale Theater-und Opernszene. Wilsons enge Freundschaften und Kollaborationen mit führenden Künstlern, Autoren und Musikern inspirierten ihn seit 2004 auch zu der fortlaufenden Serie der Video Portraits. In den stilistisch ansprechenden Video Portraits inszeniert Robert Wilson den Auftritt der Portraitierten, lässt ihre individuellen Biographien sprechen und fügt durch die Wahl der Musik eine weitere erzählerische Komponente hinzu.

Zahlreiche Quellen der Inspiration werden zitiert, diese speisen sich aus der Kunst der Avantgarde, des experimentellen Theaters und eines persönlichen Erinnerungsschatzes. So erkunden die Video Portraits historische und kulturelle Momente in dem Oeuvre des ingeniösen Künstlers. Robert Wilson tritt als Autor der Portraits auf und verwandelt die Ausstellungshalle in eine Bühne für den Auftritt der Portraitierten.

Dramatische Kühle, surrealer Traum, reizvolle Studien minimaler Bewegungen -Wilsons
charakteristischer Einsatz von Licht und faszinierender Farbigkeit sowie seine
investigative Annäherung an die Strukturen einer einzelnen Bewegung erfüllen den Raum mit einer einnehmenden Präsenz von Farbe, Klang und einer differenzierten Wahrnehmung der Zeit.

Die Ausstellung wurde zuvor in zahlreichen Galerie-und Museumsausstellungen gezeigt,
unter anderem in New York, Los Angeles, Miami, Omaha, Iowa, Moskau, Neapel, Spoleto,
Hamburg, Paris, Singapur, Sao Paulo, Graz, Groningen und ab Mai 2010 in Karlsruhe.

Die Ausstellung wurde produziert von Dissident Industries Inc.

ARD-Interview mit Robert Wilson:
http://www.ard.de/kultur/kunst-ausstellung/robert-wilson-video-portraets/-/id=8394/mpdid=1419164/nid=8394/did=1419164/1lelhdc/index.html

Ein weiteres interessante Interview im Art Kunstmagazin:
http://www.art-magazin.de/kunst/27903/robert_wilson_interview

13. April 2010

Zum Tod von Werner Schroeter

Gestern ist Werner Schroeter im Alter von 65 Jahren seinem Krebsleiden erlegen. Der Film- und Theaterregisseur zählte zu den außergewöhnlichsten Erscheinungen der deutschen Kulturszene. Er hat über 80 Theaterstücke inszeniert, zuletzt "Quai West" an der Berliner Volksbühne.

In den letzten vier Monaten ist Werner Schroeter mir auffällig oft begegnet - oder ich ihm. Im Januar wurde ihm der Teddy Award für sein Lebenswerk verliehen und ich saß tief bewegt vor dem Fernseher. Ich hörte die Rede dieses Mannes, der zwar deutlich von seiner Krankheit gezeichnet war, aber es dennoch schaffte, die Menschen zu unterhalten und für sich zu einzunehmen.

Vor etwa vier Wochen ist er mir im Eingangsbereich des KaDeWe begegnet. Ich fragte mich noch, ob er sich in Berlin so wie viele andere Künstler wohl fühlt, weil man hier nicht dauernd von Fans belagert wird. Etwa eine halbe Stunde später stand er - so ein Zufall - neben mir an einer Ampel. Ich habe still in mich hineingelächelt und ihn natürlich nicht angesprochen. Jetzt frage ich mich, ob ich es hätte tun sollen. Einfach bloß, um zu sagen, wie er mich beeindruckt.

Zuletzt ist mir Werner Schroeter auf einer Streichholzschachtel begegnet, am vergangenen Samstag in der Volksbühne. Dort lagen diese Give aways mit den Namen verschiedener Regisseure auf dem Infotisch aus. Und viele Menschen haben sich eine Schroeter-Streichholzschachtel eingesteckt.

Ob die heute auch alle damit in der Hand zu Hause sitzen und denken, wann und wo habe ich Werner Schroeter zuletzt gesehen?

12. April 2010

Das war die 2. Lange Nacht der Opern und Theater

Ich denke, ich spreche für meine Mitstreiter, wenn ich sage: Mit dieser Langen Nacht können wir sehr zufrieden sein. Da ich in diesem Jahr besser geplant hatte als im letzten, hat alles viel reibungsloser geklappt. Die Erfahrung des letzten Jahres hat mich gelehrt, genügend Zeit zwischen den Veranstaltungen einzuplanen. Dann ist alles etwas entspannter. Ich hatte aber auch den Eindruck, dass die Spielstätten nicht so überlaufen waren wie beim letzten mal. Oder wir hatten einfach Glück!

Das Programm war gut gemischt, es gab echte Highlights, wunderbare Neuentdeckungen und auch Überraschungen.

Das bat-Studiotheater hat mir/uns besonderen Spaß gemacht. Keiner von uns, wusste so recht, was in der Spielstätte für Schauspielschüler der Ernst Busch auf uns zukommen würde. Die Begeisterung war daher um so größer. Wer also mal abseits der großen Häuser etwas Neues kennen lernen möchte, dem sei dies an Herz gelegt.

Das Gleiche gilt für das Eigenreich (Greifswalder Str.), ein kleines Theater, das selbst vielen Bewohnern des Prenzlauer Berg kein Begriff ist. Umso schöner, wenn man die Chance hat, es im Rahmen einer solchen Veranstaltung kennen zu lernen. Ein Besuch lohnt auch hier.

Die viel gepriesene Berlin-Revue von Mark Scheibe im Admiralspalast hat uns hingegen wenig überzeugt. Ich hatte vielleicht auch zu hohe bzw. die falschen Erwartungen. Irgendwie war mir, das zu klamaukig, die Witze etwas zu platt und insgesamt nichts wirklich Neues. Aber so etwas ist ja auch Geschmackssache...

Schließlich haben wir uns in der Komischen Oper noch die "Schönsten Operntode" angesehen. Gute Idee, auf diese Weise Ausschnitte aus dem aktuellen Programm zu zeigen und somit auch Nicht-Operngängern Geschmack auf die Oper zu machen. Aufgelockert wurde das ganze vor allem durch die Moderation: Im Vergleich zur oben beschriebenen Mark Scheibe Show war das nämlich ein klügerer und subtilerer Humor. Nebenbei bekamen wir noch einige wissenswerte Infos über die Oper, die selbst einigen fleißigen Opernbesuchern neu waren.

Die Abschlussparty war etwas durchwachsen, was sicherlich damit zusammenhing, dass bei vielen die gute Stimmung durch die lange Wartezeit vor der Volksbühne zerstört wurde. Mir ist nicht ganz klar, warum einige teilweise bis zu einer Stunde auf den Einlass warten mussten, denn der Bühnenraum hätte selbst bei dem großen Andrang noch viel mehr Leute gefasst. Etwas unangenehm waren auch die Sicherheitsleute, die durch ihre Präsenz nicht gerade zu einer guten Atmosphäre beitrugen. Die Veranstalter werden ihre Gründe dafür haben, Security einzusetzen, können aber an diesem Teil des Abends sicher noch einiges besser machen. Im letzten Jahr hat es ja auch ohne Sicherheitsleute geklappt - oder sie sind einfach weniger aufgefallen. In jedem Fall war die Abschlussparty da besser, entspannter und fröhlicher.

Alles in allem war es aber ein tolle Veranstaltung, die auf jeden Fall weiter geführt werden sollte. Denn sie bietet sowohl für Theater-Profis als auch für -Neulinge jede Menge Überraschungen und zeigt Theater in all seinen Facetten.

5. April 2010

Es würde nichts ändern, ob du gehst oder bleibst

TRUST mit Tänzern der Compagnie anoukvandijk dc und Schauspielern der Schaubühne am Lehniner Platz

Mir war nicht klar, was mich hier erwarten würde - Tanz- bzw. choreographisches Theater ist ja immer so eine Sache. Entweder begeistert es mich total oder ich muss mich sehr bemühen, Zugang dazu zu finden. Dieses Stück hat mich begeistert.

Schon nach wenigen Minuten, wenigen Sätzen, wenigen Bewegungen der Darsteller auf der Bühne taucht man ein in die Atmosphäre und lässt sich vom Rhythmus des Stücks abholen. Die Tänzer und Schauspieler winden sich über die Bühne, ziehen sich an, stoßen sich ab, an und wieder ab wie in einer Endlosschleife.

Die von den Darstellern gesprochenen Texte werden wiederholt, gleichzeitig oder versetzt von mehreren gesprochen, unterschiedlich betont. Das Stück mutet bisweilen wie ein Musikvideo an, bei dem Teile immer wieder gesampelt und neu gemischt werden.

Die Dialoge (oder Monologe) scheinen zum Teil übertrieben und doch kennt man sie genau: "Wir haben eigentlich keine Beziehung zueinander außer, dass du mein Freund bist, aber ansonsten..."

Die Figuren des Stückes suchen nach ihrer Identität und dem Sinn ihres Handelns: "Ich kann doch nicht immer, wenn mir etwas nicht passt, ein Che Guevara T-Shirt kaufen und damit den Ku-Damm auf und ab laufen."

Sie versuchen, ihre Beziehung zu ordnen: "Lass uns einfach alles so lassen wie es ist. Es ist zu kompliziert, das jetzt alles zu ändern. Lass uns nicht alles durcheinander bringen."

Das alles ist gespickt mit einer tragischen Komik, die es dem Zuschauer erlaubt, auch immer wieder einen ironischen Blick auf diese (und die eigenen) Beziehungen zu werfen.

Wer etwas übrig hat für choreographisches Theater, Bewegung und Klang sollte dieses Stück sehen.

26. März 2010

Shakespeares Sonette revisited


Diese Woche war ich noch mal in Shakespeares Sonetten im BE (Wilson/Wainwright). Und ich fand es wieder toll - fast noch besser als beim ersten mal. Denn dieses mal konnte ich mich auf und über die Szenen freuen, die ich schon kannte. Am liebsten hätte ich mitgesungen. Was besonders schön war: Von den 10 Personen, die mit mir da waren, waren 9 ebenso begeistert. Geteilte Freude ist ja bekanntlich doppelte Freude!

Ich hoffe, dass es eine CD vom Stück geben wird und überlege noch mal reinzugehen. Vielleicht mit Freunden, die mich in Berlin besuchen. Dieses Stück muss einfach jeder gesehen haben!

11. März 2010

Pressekonferenz zur 2. Langen Nacht der Opern und Theater

Theater, Musik und Tanz vom Keller bis unters Dach

Im Rahmen der Pressekonferenz zur 2. Langen Nacht der Opern und Theater (10. April 2010) wurde heute das Programm vorgestellt. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt in diesem Jahr auf Tanz. Neu ist ein spezielles Programm für Kinder und Jugendliche. Als besonderes Highlight wurde eine öffentliche Probe von "Wie es euch gefällt" (Theater am Kurfürstendamm, Regie: Katharina Thalbach) angekündigt.

Jede Bühne und jedes Haus setzt sein Programm anders in Szene: Sie lassen sich in den Bauch gucken (Schaubühne), präsentieren den Umbau auf offener Bühne (Staatsoper), erlauben den Blick hinter die Kulissen (Friedrichstadtpalast, Renaissance-Theater) und den Probenbesuch (s.o.).

Ab Mitternacht findet in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz die Lange-Nacht-Party statt.

Die Lange Nacht ist zum einen als Inspiration für diejenigen gedacht, die nicht so häufig ins Theater gehen. Für geübte Theatergänger kann sie ein neues und vollkommen anderes Theatererlebnis sein. Es geht nicht darum, ein oder zwei Stücke komplett zu sehen. Vielmehr sollen sich die Zuschauer treiben und inspirieren lassen.

Darüber hinaus ist die Lange Nacht vor allem eine Möglichkeit, insbesondere die kleinen Bühnen kennen zu lernen, deren Programm von Lokalkolorit geprägt ist.

Eröffnet wird die Lange Nacht am 10. April 2010 um 18.00 Uhr am Platz des 18. März.

Während der Langen Nacht können die Zuschauer acht Shuttle-Bus-Linien nutzen, die zwischen den Veranstaltungsorten eingesetzt werden. Die Tickets gelten während der gesamten Nacht auch für alle öffentlichen Verkehrsmittel.

http://berlinertheaterblick.blogspot.com/

http://berlin-buehnen.de/langenacht/de_DE/program

15. Februar 2010

Diktatorengattin-Doppelgängerin-Doppelgängerin

Schon bevor das Stück beginnt, finden sich die Zuschauer in einer für das Theater eher ungewöhnlichen Situation. Sie müssen auf Sitzsäcken Platz nehmen. Das führt dazu, dass sich alle so benehmen, als ob sie sich zu Hause im Wohnzimmer vor den Fernseher flätzen. Man macht es sich mit der Jacke unter dem Kopf gemütlich, kann genüsslich die Beine ausstrecken und jederzeit ganz entspannt die Sitz- bzw. Liegeposition verändern.

Was dann folgt ist ein 1,5 stündiger Spaß auf unter hinter der Bühne. Die Protagonistinnen verschwinden immer wieder hinter die Kulissen. Dort werden sie (zunächst) unbemerkt von einer Kamera gefilmt und philosophieren über das Theater:

„Kann ich denn nicht in meinem Kleid rumstehen und tun, was ich kann als Ersatz für eine Inszenierung. Ich muss doch nicht in Kostümentwürfen rumstehen, die aussehen wir aus Abu Ghraib und die Carmen singen. […] Die kriechen auf dem Boden rum und wälzen sich in ihrer Spucke […] Dann stehe ich eben mit einem Fächer vor einem Don José in einem Astronautenanzug, na und?“

Diese Kritik der Doppelgängerin der Diktatorengattin (Elena Ceaucescu) mutet wie pure Ironie an. Denn: Wie oft hören wir derlei Anmerkungen über das zeitgenössische Theater. Wie oft müssen sich die Theaterleute der Volksbühne wohl solche Vorwürfe über die eigenen Inszenierungen anhören? Pollesch hat sich bestimmt ins Fäustchen gelacht, als er diese Zeilen schrieb und damit so vielen Theatergängern den Spiegel vorhält.

Gewürzt wird das ganze von slapstickartigen Einlagen – Sophie Rois und eine ihrer Doppelgängerinnen stehen sich gegenüber und spielen Original und Spiegelbild –, rustikalem Witz – mit den Worten „wir müssen sie verschwinden lassen“ werfen sie eine Decke über den Leichnam des getöteten Diktators alias Olive – und einem grandiosen Verwirrspiel der Identitäten. Pollesch verwischt die Grenzen von Darstellung und Dargestelltem, die Schauspielerinnen wechseln ständig zwischen verschiedenen Figuren hin und her, tauschen ihre Rollen.

Über allem steht – wie so oft – die schauspielerische Leistung von Sophie Rois, die Elena Ceaucescu im schmalen Rock mit Puffärmeln brillant hysterisch gibt.

3. Februar 2010

Schauspieler in der Kneipe

So geht das nicht! Andere Menschen quatschen bei jeder unpassenden Gelegenheit irgendwelche Soap-Sternchen, Fernsehmoderatoren und Musiker an, um ihre Autogrammsammlung zu erweitern. Ich hingegen bringe es nicht übers Herz, einen Theaterschauspieler anzusprechen, wenn er neben mir in der Kneipe sitzt oder an der Kasse steht. Ein Autogramm will ich gar nicht. Ich würde ihm oder ihr nur gerne sagen, dass ich ihn/sie in dem und dem Stück gesehen habe und ihn/sie da ganz toll fand.

Gestern saß ich mit einer Freundin in einer Kneipe und zwei Tische weiter ein Schauspieler, der mir schon in diversen Inszenierungen aufgefallen war. „Geh doch mal hin!“ hat meine Freundin gesagt. Habe ich aber nicht. Nicht weil ich mich nicht getraut habe, sondern weil ich ihn nicht nerven wollte. Dabei hätte er sich bestimmt über ein Kompliment gefreut. Ich finde sowieso, dass man die Leistung von Theaterschauspielern nicht genug honorieren kann.

Ich werde das ab jetzt besser machen: Wenn ich irgendwo einen Schauspieler sehe, den ich mag, und er sich nicht gerade mit seiner Freundin im innigen Zwiegespräch befindet, werde ich einfach hingehen und ihm meine Hochachtung ausdrücken.

24. Januar 2010

Prolls vor der Glotze: Tod eines Handlungsreisenden in der Schaubühne

Ich halte das deutsche Fernsehen derzeit für eine absolute Zumutung und bin erschüttert darüber, was uns sowohl die Privaten als auf die Öffentlich-Rechtlichen derzeit anbieten. Da kommt mir diese Inszenierung wie gerufen.

Nicht im Amerika der 40er sondern im gegenwärtigen Deutschland spielt Luk Precevals „Tod eines Handlungsreisenden“ (A. Miller) an der Schaubühne. Familie Loman sitzt im Unterhemd vor dem Fernseher und starrt stur auf die Mattscheibe. Hier wird nicht mehr mit-, sondern nur noch aneinander vorbei geredet. Man schaut sich beim Reden nicht an, sondern nur in die Glotze. Aber auch da ist kein Heil zu finden, denn die Talk- und Quizshows, Reality-TV und Halbwissenssendungen plätschern so vor sich hin. Die Inhalte sind genauso belanglos und dumm, wie das was die Familienmitglieder von sich geben. Das Fernsehprogramm ist das Spiegelbild dieser sozial degenerierte Familie, die sich vom Schwachsinn einlullen lässt – oder umgekehrt? Der Vater, Willy Loman (Thomas Thieme), hört seiner Frau und den Söhnen nicht zu und faselt fortwährend davon, wie toll seiner Karriere verlaufen ist. Dabei hat er die Bedürfnisse der Familienmitglieder vollkommen aus dem Blick verloren und verkennt, dass er beruflich am Ende ist. Auch mit Beleidigungen spart er nicht und brüllt unkontrolliert jeden an, der versucht, an sein Verständnis zu appellieren. Es wird mit Bierdosen geworfen und sich geprügelt. Die Wut des Sohnes, Biff (Bruno Cathomas) schaukelt sich bis zur Aggressivität. Die angestauten Emotionen entladen sich.

Und über den Köpfen der Zuschauer schwirrt ein Gedanke: So möchte man nicht sein. Diese Gefühl kennt man: Wer einmal eine Sendung des sogenannte Unterschichtenfernsehen, das in seinen zahllosen Reality-Formaten die „Schicksale“ von Menschen entblößt, gesehen hat, kennt die Fremdscham, die einem beinahe körperliche Schmerzen bereitet, zu gut. Nein, so bin ich zum Glück nicht, denkt hier sicher jeder. Und wieder stellt sich die Frage: Spiegelt das Fernsehen die Gesellschaft wieder oder schauen sich die Zuschauer ein Verhalten und menschliches Miteinander ab, das das Fernsehen vormacht. Gesteigert wird das Ganze noch durch die Auftritte der jungen Frau, der Affäre Willy Lomans, die wie ein Porno-Queen mit hochgepitschter Stimme und entblößten Brüsten auf der Bühne und in den Köpfen der Zuschauer für Peinlichkeiten sorgt. Das Ende, der Tod von Willy Loman, erscheint einem da nach fast zwei Stunden Familienzoff fast wie eine Erlösung. Die Familie versammelt sich nebst Geliebter zur Totenwache und Lomans Chef macht ein Foto von der Leiche – zur Erinnerung.

Fazit: Probleme sollten ausgesprochen werden. Deren Lösung findet sich nicht im Fernsehen. Denn das kann derzeit kaum mehr als billige Unterhaltung leisten. Lieber öfter mal ins Theater gehen.

8. Januar 2010

Theaterstücke lesen

Wenn mich ein Theaterstück besonders beeindruckt hat, habe ich immer das Bedürfnis, das Drama danach auch zu lesen. Leider stelle ich dann immer wieder fest, dass Dramen eben für die Bühne gemacht sind. Ein Stück zu lesen, macht mir nicht mal halb so viel Spaß wie es zu sehen. Selbst dann nicht, wenn ich es unter dem unmittelbaren Eindruck der Inszenierung - also direkt danach - lese. Ich empfinde es als furchtbar anstrengend, mich in die Handlung hineinzuversetzen und besonders dann, wenn viele Figuren in einer Szene auftreten, verliere ich den Faden.

Schillers sämtliche Dramen habe ich während des Studiums gelesen und mich mit vielen Textstellen ausgiebig beschäftigt. Ich liebe Schiller und kann die Texte teilweise mitsprechen, wenn ich ein Stück sehe. Aber: Egal, wie intensiv ich mich damit auseinandergesetzt habe, so richtig verstanden habe ich die Stücke immer erst, wenn ich sie gesehen habe. Der eigene Interpretationsrahmen ist zwar dadurch eingeschränkt, dass in der Inszenierung schon eine Deutung vorgegeben ist, aber erst das gesprochene Wort und die Darstellung ist wirklich greifbar.

Da BE veröffentlicht übrigens in seinen Programmbüchern immer die Strichfassung seiner Inszenierungen. Hier kann man sehr gut sehen, wie Regisseure und Dramaturgen mit dem Text arbeiten und welche Aspekte ihnen wichtig erscheinen. Daher empfehle ich allen Theaterstückelesern die Investition von 5 Euro in diese schicken Druckerzeugnisse.

7. Januar 2010

Kriemhilds Blutbad in der Schaubühne

Auf den leeren Stufen einer ansteigenden Tribüne sitzen Kriemhild, Siegfried, Hagen und alle anderen Figuren der Nibelungen-Sage. Sie tragen Alltagskleidung und wirken auch sonst ziemlich nichtssagend. Von schillernden Sagenfiguren und Helden ist nichts zu spüren. Sie wirken antriebslos. „Erzähl uns was, der Tag wird sonst zu lang“ beginnt König Gunther das 31/2 stündige Stück von Hebbel. Und so treten die Figuren des Dramas auf: Siegfried, der glänzende Held der Nibelungen-Sage, wirkt bisweilen wie ein Riesenbaby, ist übergewichtig, schlecht gekleidet und ungeschickt. König Gunther ist ein Durchschnittsbürger im Rollkragenpulli und Hagen sieht aus wie ein Student, den man erst nach und nach als eine der zentralen Figuren wahrnimmt. Er entpuppt sich freilich im Laufe des Stückes als mörderischer Psychopath. Kriemhild und Brunhild sind Mädchen in Röckchen und Lederjacke. Alles in allem scheinen die Sagenhelden entzaubert. Aber das ist auch gut so, denn in der Inszenierung von Marius von Mayenburg, dem Hausdramaturgen der Schaubühne, tritt somit stärker das zutage, um was es in den Nibelungen geht: Eifersucht, Rache, Wut, Betrug, Verrat, Großmut…

Erzählt wird viel, zumindest am Anfang halten sich die Schauspieler noch mit Aktionen zurück. Umso präsenter wirkt die von Hagen auf die Bühne getragene Riesen-Axt – das Schwert Balmung. Nach den bekannten Lügen, Intrigen und Misstrauen entspinnt sich das Unaufhaltsame. Brunhild wird betrogen, fordert Rache, die von Hagen durchgeführt wird. Siegfried stirbt, was in Kriemhild wiederum noch größere Rachegelüste wachruft. Nicht zuletzt auch dadurch, dass der eigene Bruder nicht zu ihr steht, sondern sich oportunistisch auf die Seite Hagens stellt.

Das Stück endet schließlich in einem furiosen Blutbad, und das ist durchaus wörtlich zu nehmen. Hagen, Gunther und Giselher schütten mehrere hundert Liter Blut vom oberen Absatz des Gerüsts. Ein rauschender roter Wasserfall ergießt sich minutenlang über die Treppe in der deren Mitte Kriemhild sitzt. Wer jetzt „typisch Schaubühne“ denken mag, dem sei gesagt, dass diese Szene aber genau das verdeutlicht, was im Stück gerade stattfindet: Kriemhilds nicht zu bremsender Blutrausch, der erst enden darf, wenn Hagens Kopf abgeschlagen wird. Die Königin, zu Beginn des Stückes noch ein braves, fast unschuldiges Mädchen, hat sich in eine rasende Mörderin verwandelt, der kein Opfer und kein Verlust zu groß ist, um ihr Ziel zu erreichen: die Rache an ihrem Gatten. Ideologie und Fanatismus haben sie blind gemacht gegenüber jeglicher Moral.

"Die Nibelungen" in der Schaubühne bleibt mit seinen Bildern und der Botschaft im Gedächtnis. Auch wenn bei dem sehr textlastigen Stück etwas Kondition gefragt ist, so lohnt es sich schon wegen des schauerlich beeindruckenden Endes bis zum Schluss zu bleiben.