28. Dezember 2012

Wir feiern den Weltuntergang: Nicolas Stemanns Gefahr-Bar an der Schaubühne



Zwischen Weihnachten und Weltuntergang gibt’s die Gefahr-Bar. Das Theater- und Musik-Trio um Nicolas Stemann präsentiert Texte, Lieder und Aktionen – niveauvoller Quatsch und humorvolle Aufarbeitung jüngster Medienthemen. Ein Abend unter dem Motto „Untergang und Zukunft der Kultur“.

Als Höhepunkt wird Deutschlands Super-Künstler gesucht: Heidi Klum (Stemann), Elfriede Jelinek und Peter Handke (Thomas Kürstner und Sebastian Vogel) nehmen Jonathan Meese, Judith Holofernes, den allgegenwärtigen David Gareth und andere (alle gespielt von Tilmann Strauß aus dem Schaubühnen-Ensemble) unter die Lupe und aufs Korn.

Foto: Arno Declair

Der Name „Gefahr-Bar“ stand bislang für eine Reihe von schnellen, einmaligen Aktionen, die ohne Probe an unterschiedlichen Orten aufgeführt wurden. An der Schaubühne tritt Stemann mit seinen Schauspielern und Musikern, die durch Tilmann Strauß als Gast ergänzt werden, erstmals mit einer abendfüllenden Show auf. Dass dabei immer noch kräftig improvisiert wird, ist keine Frage. 

Und damit‘s auch schön lustig im Publikum zugeht, wird Rotwein und Wodka an die Zuschauer verteilt. Wir sind in Feierstimmung!

10. September 2012

Zum Wohle der Gesellschaft? - Ein Volksfeind (Schaubühne)

Als der Badearzt Thomas Stockmann (Stefan Stern) entdeckt, dass das Heilwasser seines Heimatorts vergiftet ist – die Zuleitungsrohre führen durch ein durch Fabriken verseuchtes Gebiet -, will er im Interesse der Allgemeinheit die Öffentlichkeit aufklären. Helfen soll ihm die Presse (die Journalisten Hovstadt / Christoph Gawenda  und Billing / Moritz Gottwald sowie der Verleger Aslaksen / David Ruland), die ihm zunächst Unterstützung zusagt.

Stadtrat Peter Stockmann (Ingo Hülsmann) - Foto: Arno Declair
Stockmann fordert seinen Bruder Peter, Stadtrat des Badeortes auf, die nötigen Maßnahmen vorzunehmen. Dieser weist ihn jedoch eindringlich auf die Folgen hin: Hohe Kosten und Imageschädigung für den Kurort – die wirtschaftliche Entwicklung sei damit auf Jahre gefährdet. Ein Gegengutachten soll beweisen, dass sich Stockmann bei seinen Untersuchungen geirrt hat.

Und plötzlich beginnen auch die Unterstützer zu schwanken, wobei weniger die Zweifel an Stockmanns Untersuchung oder die Angst um Folgen für die Gesellschaft eine Rolle spielen. Man befürchtet vielmehr die Gefährdung der eigenen Karriere und Finanzierung der Zeitung (Ausbleiben der Anzeigenschaltung durch Konzerne).

Auf einer Volksversammlung spricht Stockmann und will die Bürger auf seine Seite zwingen. Dabei geht es ihm nicht mehr um das vergiftete Wasser, er prangert die Gesellschaft und ihre Politiker als Ganzes an. Der selbsternannte Wohltäter Stockmann wird zum Volksfeind, seine Familie ausgegrenzt, seine Frau (Eva Meckbach) und er verlieren ihre Anstellungen.

Die Handlung nimmt eine weitere Wendung als sein Schwiegervater Morten Kiil (Thomas Bading) die nun fallenden Aktien des Bades billig aufkauft. Sowohl sein Bruder als auch Hovstadt und Aslaksen sind nun der Meinung, dass Stockmanns Enthüllungen dazu dienten die Aktien zu senken, um diese aufkaufen zu können. Sein Bruder bezichtigt ihn des Betrugs, die Zeitung erhofft sich finanzielle Unterstützung und verspricht, sich wieder auf Stockmanns Seite zu stellen.

Ibsens Drama bewegt sich auf einem schmalen Grat: Stockmann, der zu Beginn als Aufklärer auftritt und dem das Wohlergehen der Bevölkerung das wichtigste Anliegen scheint, entwickelt sich durch zunehmenden Widerstand zum Fanatiker. In seiner Rede auf der Volksversammlung stellt er die Frage:  Kann eine Mehrheit (in Stockmanns Worten: die Dummen) die richtigen Entscheidungen treffen? Oder soll nicht besser eine wissende Minderheit darüber entscheiden, was gut für eine Gesellschaft ist. Er fordert sie Auslöschung der verlogenen/verseuchten Gesellschaft.

Stockmann (Stefan Stern) auf der Volksversammlung - Foto: Arno Declair
Thomas Ostermeiers lässt in seiner Inszenierung des Volksfeind an der Schaubühne Stockmann aus einem Pamphlet des „Unsichtbaren Komitees“ zitieren: "Der kommende Aufstand", entstanden  nach den Aufständen in den französischen Banlieues im Jahr 2005. Im Text wird zum Widerstand gegen den Konsum aufgerufen. Außerdem wird das Publikum zur Volksversammlung und aufgefordert mitzudiskutieren, wie nun weiter verfahren werden soll. Und es ist durchaus unentschlossen als der Stadtrat und Aslaksen fragen, wer denn nun der Meinung Stockmanns sei und wer nicht. Bei der Premiere auf dem Theaterfestival in Avignon im Juli soll heftig diskutiert worden sein. Bei der Berliner Premiere sind die Zuschauer eher zurückhaltend. Den Forderungen des fanatischen Stockmanns kann man ja eigentlich nicht zustimmen. Aber ist es nicht Unrecht, dass aus rein wirtschaftlichen Interessen die Wahrheit vertuscht werden soll? Die Mehrheit des Publikums entzieht sich der Diskussion und überlässt die Entscheidung den Protagonisten auf der Bühne.

Bei Ostermeier sind Stockmann, Hovstadt und Co. eine Gruppe von Freunden, die dem Studentenalter gerade entwachsen scheinen und sich noch nicht recht entscheiden können, ob ihnen Ideale wichtiger sind als die eigene Karriere und damit die Existenzsicherung. Zu Beginn proben sie als Band und singen David Bowies „Changes“ („Don’t want to be a richer man / just turn and face the strain“). Als jeder seinen persönlichen Interessen folgt, werden sie zu Gegnern, die sich mit Farbbeuteln bewerfen.

"Changes" (Moritz Gottwald, Stefan Stern, Eva Meckbach, Christoph Gawenda) - Foto: Arno Declair
Im Programmheft zum Stück wird eine Bildungselite beschrieben, die „einen Lebensstil […] entwickeln, der es ihnen ermöglichte, einerseits wohlhabend und erfolgreich zu sein, andererseits aber auch rebellisch und unorthodox zu bleiben.“ Die sogenannten Bobos (David Brooks: Die Bobos. Der Lebensstil der neuen Elite).

Stefan Stern als nervöser Badearzt Stockmann, der seine Emotionen kaum im Griff hat und für die Erreichung seiner Ziele gerne über dieselben hinausschießt und Ingo Hülsmann als arroganter, aalglatter Stadtrat, die Tatsachen zu verkehren und die Situation zu nutzen weiß, dass ihm andere schnell nachfolgen, sind bemerkenswert. Hülsmann, der gerade erst vom Deutschen Theater an die Schaubühne gewechselt ist, hat die Zuschauer mit dieser Rolle sofort für sich eingenommen.

Ehepaar Stockmann (Eva Meckbach, Stefan Stern) - Foto: Arno Declair
Auch großartig: Thomas Bading als Unternehmenschef Morton Kiil im schlecht sitzenden Anzug und Barbour-Jacke mit Schäferhund an der kurzen Leine.

Wie immer bei Ostermeiers Inszenierungen ist auch das Bühnenbild von Jan Pappelbaum perfekt für das Stück: Es kommt mit wenig Ausstattung aus, die Szenerie wird durch Zeichnungen und Schriftzüge geschaffen, die mit Kreide an die mit Tafelfarbe gestrichenen Wände gemalt werden.

1. August 2012

Freunde der Schaubühne auf Reisen in Stockholm

Bitte Regensachen einpacken!
Stockholm / 6° Grad / Regen. Und was für ein Regen… Die schwedische Hauptstadt wird auch das „Venedig des Nordens“ genannt und ist also eine Stadt mit viel Wasser. Dieses Wasser kommt am ersten Tag der Freundeskreis-Reise von oben, von unten, von der Seite. Unser „Reiseleiter“ Christian hatte uns vorab gewarnt, passende Kleidung und Schirm einzupacken. Dieses Wetter – das nicht typisch für die Saison ist und uns ausgerechnet während unseres 5-tägigen Aufenthalts ereilen sollte – wurde quasi zu unserem ständigen Begleiter. Regenschirmleichen säumten unseren Weg, wo auch immer wir waren. Wir nahmen’s zunächst mit Groll, im Laufe des Aufenthalts mit Humor und im Rückblick als unvergesslich mit unserer Reise verbundenes Erlebnis.


Regenschirm-Leichen: Das Wetter in Stockholm forderte seine „Opfer“

5 Tage voll Kunst, Kultur und als Höhepunkt „Julie“
Unsere kleine aber feine Runde der Freunde (14 Personen) war in diesem Jahr in die schwedische Hauptstadt gereist, um Kultur zu erleben, gemeinsam die Stadt zu erkunden und als Höhepunkt der 5-tägigen Reise das Ingmar Bergmann Festival zu besuchen. Hier wurde die Schaubühnen-Produktion von „Fräulein Julie“ gezeigt.


Dramaten:  Die Schweden sind sehr stolz auf ihre Schauspieler

 Im Dramaten (kurz für Kungliga Dramatiska Teatern, das schwedische Nationaltheater), in dem das Festival stattfand erhielten wir am ersten Tag eine Führung hinter die Kulissen und wurden herzlich von der Festivalleitung begrüßt. Die Empfehlung für die Gestaltung des Abends: Ein Besuch der Poduktion „Jag blev slagen klockan fjorton och fyrtiofem“. Die Autorin Éléonore Mercier hat für diese Koproduktion mit verschiedenen internationalen Theatern (darunter auch drei Häuser aus Deutschland - das DT, das Düsseldorfer Schauspielhaus und das Schauspiel Frankfurt) 1653 Sätze aus Telefonaten einer Telefon-Hotline für häusliche Gewalt zusammengestellt. Die beteiligten Theater konnten aus diesen Sätzen für ihre Performance frei wählen und dazu eigene Szenen entwickeln, die in einer zweistündigen Inszenierung gezeigt wurde. Bei einem solch bewegenden Thema fiel die Diskussion unter den Freunden im Anschluss an das Stück entsprechend kontrovers aus.


Schloss Drottningholm: Die grauen Wolken verdarben uns auch hier nicht die Freude

Besuche und Führungen durch diverse Museen (Modernes Museum, Schloss Drottningholm, Vasamuseum) gehörten wie immer zum Programm der Freundeskreisreise, ebenso ein Besuch der Barockoper „Jason & Medea“ im Schlosstheater. Da die Geschmäcker und Erwartungen bekanntlich verschieden sind, wurde das Kulturprogramm mal mit mehr (die äußerst charmante, kompetente und informative Führung durch Drottningholm) mal mit weniger Begeisterung aufgenommen (die leider sehr schlecht vorbereitete und etwas lustlose Dame im Modern Museet konnten den Kunstkennern unter uns nicht wirklich Neues bieten).

Die Schaubühnen-Julie begeistert das schwedische Publikum

Und dann gab’s natürlich noch „unsere Julie“! Gemeinsam mit zahlreichen schwedischen Theaterfans sahen wir Katie Mitchells Inszenierung im Annex, einer Außenspielstädte des Festivals. Die Schaubühnen-Julie, die ohnehin eine Herausforderung für Jule Böwe, Tilman Strauß, Cathlen Gawlich, Luise Wolfram und das gesamte Team darstellt, musste aufgrund der räumlichen Verhältnisse vor Ort noch einmal neu arrangiert werden – eine zusätzliche Schwierigkeit für die Schauspieler, die diese aber mit Bravour meisterten. Entsprechend begeistert war das schwedische Publikum. Bei der anschließenden Premierenfeier im Dramaten gemeinsam mit dem Schaubühnen-Team war die Stimmung zu Recht euphorisch.

Wohin geht es nächstes Jahr?
Am Abreisetag war uns der Wettergott dann zwischendurch doch noch einmal hold und endlich konnten wir einen Eindruck davon bekommen, wie bezaubernd Stockholm im Sommer ist. Auch Dank Christian Clement, der die Reise wie immer hervorragend organisiert hat, war unser Stockholm-Aufenthalt ein tolles Erlebnis für den Freundeskreis. Christian wird in wenigen Wochen nach New York gehen und die nächste Reise nicht mehr für uns gestalten können. Ob die amerikanische Cent-Münze, die wir auf dem letzten Spaziergang durch die Stadt finden, ein Zeichen für unser nächstes Reiseziel sein soll, überlasse ich jedem selbst.

Fotos: Elmar Engels

17. Juni 2012

FC Energie Schaubühne gewinnt Fußballmeisterschaft der Berliner Bühnen

Spannender hätte es der FC Energie Schaubühne nicht machen können. Im Finale der 6. Fußballmeisterschaft der Berliner Theater lagen Eidinger, Gawenda & Co. gegen die Spieler des Deutschen Theaters zunächst immer wieder hinten, auf die Ausgleichstreffer reagierte der Gegner jedes mal mit einem Gegentor. Nur wenige Minuten vor Ende des Spiels konnte sich die Elf (OK, auf der Bühne der Volksbühne durften nur jeweils drei Feldspieler ran, in der 14köpfigen Mannschaft konnte aber dank fliegendem Wechsel jeder mal an den Ball) mit einem Tor absetzen und erneut den Pokal in Empfang nehmen. Trainer Thomas Thieme konnte mehr als stolz auf seine Jungs sein.

Sorgen hätte man sich allerdings gar nicht machen brauchen, da die Jungs der Schaubühne, die auch im Viertel- und Halbfinale zunächst jeweils mit einem Tor hinten lagen, immer die Nerven behielten und jedes Mal überlegen gewannen. Mit Spielausgängen wie 5:1 oder 4:0 in den Gruppenspielen wurden die Fans des Theaters geradezu verwöhnt.

Ein paar Dinge müssen an dieser Stelle unbedingt noch erwähnt werden:

1. Die musikalische Untermalung von Sir Henry sorgte während des Turniers für großer Erheiterung: Egal, ob Nirvana, Bach oder Toto – der Volksbühnen-Musiker jagte gnadenlos alles durch seine Orgel, was das Repertoire des Sporthymnen so zu bieten hat.

2. Die Banden des Spielfelds wurden eigens von Jonathan Meese beschriftet. Ein bißchen Kunst am Spielfeldrand kann ja nie schaden.

3. Mit ihren hellgelben Shirts hatte die Mannschaft der Schaubühne auch modisch die Nase vorn -  das klassische Blau, Schwarz und Rot der anderen Theater konnte da nicht mithalten.

4. Thomas Ostermeier war sich nicht zu schade, seiner Mannschaft während des gesamten Turniers am Spielfeldrand den Rücken zu stärken. Vielleicht hat diese moralische Unterstützung auch dazu beigetragen, dass der FC Energie Schaubühne so souverän gewinnen konnte.

21. Mai 2012

tt12: Fünf Stunden "Platonov" mit Burgtheater-Stars / 3sat Innovationspreis für Nicolas Stemann

Burgtheater-Stars: Johanna Wokalek und Martin Wuttke (Foto: Georg Soulek)
Nachdem man die erste Stunde überstanden hat, wird die restliche Zeit von Alvis Hermanis’ „Platonov“ (Burgtheater Wien/Akademietheater) doch noch kurzweilig. Während das Stück am Anfang noch dahinplätschert und man sich fragt, ob man die fünf Stunden durchsteht – dabei ist die Inszenierung bei weitem nicht die längste auf dem tt12: acht Stunden Faust 1+2, unzählige Stunden Borkmann – nimmt es spätesten mit Martin Wuttkes Auftritt (wie zu erwarten) Fahrt auf. Absoluter Höhepunkt ist die lange Szene nach der Pause, in der Platonov (Wuttke) mit Isaac Abramovic (Fabian Krüger) über die Leidenschaft zu Anna Petrovna (Dörte Lyssewski) fabuliert. Beide sind nach einer langen Partynacht stockbesoffen – eine dankbare Szene für die beiden Schauspieler, die hier Komik vom Feinsten zeigen können und dem Publikum die verdienten Lacher bescheren. Überhaupt trägt der Liebes- und Beziehungsreigen des Stückes im zweiten Teil dazu bei, dass die Handlung eine größere Spannung erfährt. Neben Martin Wuttke als Star und Hauptfigur des Stückes bleibt vor allem Dörte Lyssewski (Megastimme, imposante Erscheinung, starkes Spiel) in Erinnerung.


Eine Zukunft für Sofia (J. Wokalek) und Michael (M. Wuttke)? (Foto: Georg Soulek)
Damit es das Publikum nach dem Theatermarathon nicht allzu schnell in den Garten der Berliner Festspiele zieht, um dort am Lagerfeuer bis in die Nacht zu feiern und diskutieren, spendiert 3sat Freigetränke für alle. Nach einer kurzen Pause wird zum Abschluss des Theatreffens nämlich noch der 3sat Innovationspreis verliehen. Und der geht dieses Jahr an Nicolas Stemann: Toll! Weil Stemann nicht nur ein großartiger Regisseur ist, sondern auch noch richtig gut reden kann, findet der Abend einen würdigen Abschluss.

Die Neuerungen, wie ein anderes, schickeres Coporate Design und räumliche Veränderungen, die wohl dem neuen Intendanten der Berliner Festspiele, Thomas Oberender und der neuen Leiterin des Theatertreffen, Yvonne Büdenhölzer, zu verdanken sind, haben dem tt12 gut getan. Wie immer wurde über die Auswahl gestritten und die eine oder andere eingeladene Inszenierung von Kritikern und Zuschauern mit Kopfschütteln bedacht. Aber das wird sich wohl nie ändern und gehört einfach dazu.

6. Mai 2012

tt12: „Knistern der Zeit“ - Film über Christoph Schlingensiefs Operndorf

Ich glaube, ich war nicht die einzige im HAU1, die heimlich die eine oder andere Träne während der Premiere von Sibylle Dahrendorfs Film „Knistern der Zeit – Christoph Schlingensief und sein Operndorf in Burkina Faso“, die im Rahmen des Theatertreffens 2012 statt fand, vergossen hat. Wie schon bei anderen Anlässen, ist die starke Präsenz von Schlingensief auch hier spürbar und es passt, wenn einer der Schauspieler im Film sagt, Christoph sei noch immer da.

Nach seinem Tod führen Aino Laberenz und Francis Keré das Operndorfprojekt in seinem Sinne fort. Sibylle Dahrendorf hat das Projekt von Beginn an bis jetzt filmisch begleitet. Durch geschickte Schnitte, macht sie die für alle Beteiligten spürbare Präsenz von Schlingensief auch nach seinem Tod deutlich. Der Film zeigt wie Schlingensief mit dem Operndorf ein scheinbar unmögliches Projekt möglich machte und unermüdlich Menschen motivieren konnte, ihn bei der Umsetzung zu unterstützen. Die Vision von einem Ort, an dem Leben und Kunst vereint werden, wird in Remdoogo Realität und hoffentlich (wenn sich weiterhin Geldgeber finden) noch lange fortgeführt werden können. Nach Fertigstellung und Eröffnung der Schule wird nun an der Krankenstation und dem Theater gebaut. Das Festspielhaus bildet das Zentrum des vom Architekten Francis Keré schneckenförmig angelegten – die typische Bauweise in Burkina Faso – Dorfes. Glorifiziert wird Schlingensief im Film dennoch nicht, denn Dahrendorf zeigt auch, seine Ungeduld und Unverständnis für die Arbeitsweise der Afrikaner. Dieses Dilemma verarbeitete Schlingensief in seinem letzten Stück  „Via Intoleranza II“, das während der Startphase des Projekts entstand. Ausschnitte aus den Proben und der Inszenierung sind im Film ebenfalls zu sehen. 

Der Film bietet einen tiefen Einblick in die Entstehung eines beispiellosen Projekts und hilft zu verstehen, was Schlingensiefs Operndorf wirklich ist. „Knistern der Zeit“ ist ab 7. Juni 2012 im Kino zu sehen.

Weitere Infos zum Operndorf und Spendenmöglichkeiten.


5. Mai 2012

tt12: Sophie Rois im Blumenmeer


Die Entscheidung, die Verleihung des Theaterpreises dieses Jahr in den Berliner Festspielen durchzuführen (anstatt im Deutschen Theater wie in den letzten Jahren) war gut. Als zentrale Spielstätte des Theatertreffens gehört diese erste wichtige Veranstaltung auch hier her.

Preisträgerin 2012: Sophie Rois (Foto: Nadine Loes)
Auch sonst war die Preisverleihung dieses Jahr besonders, denn es war von allem etwas dabei: ungewollte und gewollte Komik, Politik, Aufregung und eine Preisträgerin, deren Charme man sich kaum entziehen kann. Zu Sophie Rois, die den Preis 2012 erhielt, braucht man nicht viel zusagen. Es gibt wohl kaum jemanden, der bestreiten würde, dass sie ihn (schon längst) verdient hat.

Wie üblich sprach Walter Rasch von der Stiftung Preußische Seehandlung einige einleitende Worte und sorgte dank einiger peinlicher Versprecher für Spaß beim Publikum: Aus Thomas Oberender, dem neuen Intendanten der Berliner Festspiele, macht er Herrn Obermeier und Walter Momper wurde kurzerhand in Lomper…äh…Womper umgetauft.

Klaus Wowereit musste sich, bevor er den Preis übergeben durfte, zu den vor dem Festspielhaus demonstrierenden Studenten der Ernst-Busch-Schauspielschule äußern.Was nervte waren einige Buh-Rufe aus dem Publikum, denn schließlich ging es ja nicht um Wowereit bei dieser Veranstaltung. Wer da nur im Publikum sitzt, um zu stören - vorher oder nachher kann ja jeder gerne seine Meinung sagen - verweigert der Preisträgerin den gebührenden Respekt.

Wer sonst soll diese Laudation halten: René Pollesch (Foto: Nadine Loes)
Bernd Begemann, ein Chor und Schauspielkollegen von Sophie Rois sorgten für das Rahmenprogramm und René Pollesch hielt zitternd und super-aufgeregt die Laudatio. Die Rede auf seine Lieblingsschauspielerin gehörte zu den Höhepunkten der Verleihung. Wer hätte gedacht, dass ein Profi wie Pollesch so nervös sein würde. Diese Nervosität übertrug sich spürbar aufs Publikum und wahrscheinlich haben viele heimlich gebetet, dass er die Rede bis zum Ende durchsteht, ohne vorher zu kollabieren. Doch niemand nahm’s ihm übel und vielleicht hat ihn dieser Auftritt sogar etwas sympathischer gemacht. Und wen sonst hätte man sich als Laudator für Sophie Rois vorstellen können?!

Die Laudation von René Pollesch in voller Länge gibt's hier.

Ein paar Blumen für Sophie Rois (Foto: Nadine Loes)
Und dann kam sie – souverän und für den Spaß, den sich die Veranstalter mit ihr ausgedacht hatten, nicht zu schade. Anstatt des üblichen schön gebunden Blumenstraußes wurden Sophie Rois hunderte von einzelnen Blumen übergeben, so viele, dass bis sie sie am Ende kaum noch halten konnte. Und sie hat einfach mitgespielt – so was kann man auch nur mit Sophie Rois machen!

Sophie Rois ist während des Theatreffens 2012 (und danach wieder im regulären Programm der Volksbühne) in "Die (s)panische Fliege" von Herbert Fritsch zu sehen. 

30. April 2012

Die 4. Lange Nacht der Opern und Theater: Peaches, Staatsballett und Volksbühnen-Party

Foto: Berliner Bühnen

Letztes Jahr schrieb ich, dass es immer besser wird. Und dabei bleibe ich. Dieses Jahr stand auf unserem Programm: das uni.t (Bühne der UDK) mit Ausschnitten aus dem Intendantenvorsprechen, das HAU mit einem Ausblick auf „L’Orfeo“ von und mit Peaches, die Komische Oper mit einem öffentlichen Training des Staatsballett Berlin moderiert von Wladimir Malakhov persönlich und ein Rundgang durch das Kreativhaus auf der Fischerinsel. Zum Abschluss stand wie immer Party in der Volksbühne auf dem Plan.

Mein Highlight war natürlich Peaches im HAU, die sich mit ihrer Version von Monteverdis „Orpheus“ nun mal im Opernfach ausprobiert. Die Inszenierung, eine Mischung aus Travestieshow, Bondage und provokanter Performance, wurde in dem 20minütigen Ausblick auf die bevorstehende Premiere von einem Conferencier begleitet, der dem Publikum die nötigen Hintergrundinfos zur Handlung lieferte und für die passende Stimmung sorgte. Peaches fasziniert einfach und macht Lust auf mehr.

Im krassen Gegensatz dazu war das Training des Staatsballetts eher bieder aber dafür ebenso entspannend und sehr nett anzusehen. Es passiert ja auch nicht jeden Tag, dass man hochkarätigen Tänzern dabei zuschauen, kann wie sie ihre Pflichtübungen absolvieren. Und Malakhov hat das alles so charmant in einem deutsch-englisch-französisch-russich Kauderwelsch erklärt, dass der Spaß auch hier nicht ausblieb.

Treffpunkt Volksbühne, für alle, die noch feiern wollen (Foto: Sergej Horovitz)

Die Abschlussparty fand wie immer in der Volksbühne statt. Dank des guten Wetters war vor dem Theater eine ebenso gute Stimmung wie drinnen auf der Bühne, wo Max Dax, Ex-Spex Chefradakteur (ich mag diesen Stabreim!), dafür sorgte, dass diese von tanzwilligen Lange-Nacht-Besuchern und Theatermenschen bevölkert wurde.

Abschlussparty in der Volksbühne (Foto: Sergej Horovitz)

Feine Sache die Lange Nacht der Opern und Theater! Und jedes Jahr entdeckt man etwas Neues – und das ist ja auch der Sinn der Sache.

25. April 2012

Peter Stein inszeniert "Der zerbrochene Krug" als Brandauer-Show am Berliner Ensemble

„Nehmen Sie lieber Karten ganz vorne, der Brandauer nuschelt immer so“ rät uns der Mitarbeiter an der Kasse des Berliner Ensembles. Ganz so schlimm war’s dann nicht, denn Klaus Maria Brandauer als Dorfrichter Adam spricht nicht nur laut und deutlich genug, sondern auch, wenn er gar nicht dran ist. Nicht selten nimmt er seinen Schauspielkollegen die Möglichkeit, ihre Zeilen zu Ende zu sprechen und gestaltet damit den Abend nach seinem Rhythmus. Das passt natürlich perfekt zur Rolle. Peter Stein hat in seiner werktreuen Inszenierung von Kleists „Der zerbrochene Krug“ mit dem Bühnenaltstar die Hauptrolle passend besetzt. Der ganze Abend ist eine großer Brandauer-Show und offensichtlich genau das, was die Zuschauer sehen wollen. Verlässlich wird gelacht, wenn er andere nachäfft, Wortwitz in Kleists Text mit großer Pose spielt und über die Bühne schlurft, torkelt und stolpert.

Martin Seifert als Gerichtsrat Walter und Klaus Maria Brandauer als Dorfrichter Adam (Foto: Jim Rakete)


Peter Steins Krug-Inszenierung bietet nicht wirklich Neues oder Spannendes, ist aber für das Abopublikum und die BE-Touristen, die mal einen echten Bühnenstar (und Oscar-Nominee) live sehen wollen, eine verlässliche Sache.

Weitere Infos zum Stück hier.

12. April 2012

Ungezügelt lachen: „Die (s)panische Fliege“ von Herbert Fritsch an der Volksbühne

Was für ein Spaß! Dass „Die (s)panische Fliege“ von Herbert Fritsch zum Theatertreffen 2012 eingeladen wurde – Fritsch war schon im letzen Jahr mit zwei Inszenierungen vertreten – war klar.Die Handlung (Verwechslungen und Irreführung) ist bei dieser rasanten Komödie nicht so wichtig, denn die Inszenierung lebt von der Komik, dem Bühnenbild und vor allem den Schauspielern. Auf einem überdimensionalen Teppich fallen, torkeln und stolpern die Figuren in diesem Theaterwahnwitz umher. Gesteigert wird der Slapstick noch durch ein im Boden eingelassenen Trampolin, auf dem Schauspieler geradezu akrobatische Leistungen vollbringen. „[…] wie ein auf Speed gesetzter Robert-Wilson-Scherenschnitt“ schrieb der Nachtkritiker Wolfgang Behrens nach der Premiere. Und das trifft es ziemlich gut.
Bei einem Volksbühnenensemble - allen voran Wolfram Koch, aber auch Sophie Rois, ChrisTine Urspruch, Christoph Letkowski u.a. - das so ungezügelt agieren darf und das Fritsch wie wild geworden spielen lässt, darf auch das Publikum ungezügelt lachen. Lange ist es her, dass man so befreit und geradzu euphorisiert das Theater verlässt. Ein Spaß, den man sich auf jeden Fall ein zweites mal anschauen kann.


Fotos: Thomas Aurin

17. März 2012

What a wonderful world: Uraufführung „Märtyrer“ von Marius von Mayenburg (Schaubühne)

Benjamin (Bernardo Arias Porras) will nicht mehr zum Schwimmunterricht gehen und beruft sich dabei auf die Bibel. Mädchen im Bikini verletzen seine religiösen Gefühle behauptet er. Die Mutter (Judith Engel) vermutet Drogen, die Biologielehrerin (Eva Meckbach) interpretiert das als Hilferuf eines Pubertierenden. Doch als sich der junge Mann immer tiefer in die Bibellektüre vertieft, gerät alles aus dem Lot.


Ein Mitschüler (Moritz Gottwald) – in der Klasse ein Außenseiter - wird zum Jünger, der seinem Vorbild voller Bewunderung und zunächst unreflektiert folgt, denn er findet in Benjamin jemanden, der ihm Aufmerksamkeit schenkt und verspricht ihn von seiner Gehbehinderung zu heilen. Benjamin hingegen nutzt die Schwärmerei des Mitschülers für seine Zwecke, um gegen die Erwachsene zu intrigieren.


Bei religiösem Fanatismus spielt es im Grunde keine Rolle, um welche Religion es sich handelt. Daher nimmt Autor und Regisseur Marius von Mayenburg in „Märtyrer“ an der Berliner Schaubühne nicht etwa den Koran als Zitatquelle, sondern die Bibel – insbesondere das neue Testament. Erstaunlich, denn eigentlich gilt ja das alte Testament als besonders blutrünstig. Aber so wie von Mayenburg die Aussagen von Jesus Christus mit dem Kontext der Handlung seines Stückes verknüpft, dienen sie als Aufruf zur Unterdrückung der Frau, als Ablehnung der Lust im allgemeinen und homosexueller Verbindungen im besonderen.

Zu den Highlights des Stückes gehört die Szene in der der Schulpfarrer - glänzend gespielt von Urs Jucker, dem die Rolle offenbar auf den Leib geschrieben wurde –versucht, Benjamin für ein religiöses Camp anzuwerben. Eine groteske Situation, in der der Kirchenvertreter vollständig ausblendet, wie gefährlich das Verhalten des Schülers ist.


Aus dem Ensemble sticht Eva Meckbach hervor, die als glühende Atheistin versucht, den Gründen für Benjamins Verhalten auf den Grund zu gehen, indem sie sich in die Lektüre der Bibel vertieft. Die Deutung der Bibeltexte, in die sie sich im Laufe des Stückes genau wie ihr Schüller immer stärker hinsteigert, wird zur Obsession. In der Schlussszene nagelt sie, soeben vom Schuldienst suspendiert, ihre Füße am Bühnenboden fest: „Ich bleibe hier!“ Die Erkenntnis (wenn auch nicht neu): Religion genauso wie deren Ablehnung dient leider allzu oft auf als Rechtfertigung für fanatisches Verhalten.

Weitere Infos zum Stück.

Trailer zum Stück.

Fotos: Arno Declair/Schaubühne

10. März 2012

Erwachsenwerden oder so: Premiere „Bunny“ von Jack Thorne im Studio der Schaubühne

Katie ist ein Mädchen aus der Mittelschicht, sie lebt in Luton, einem Londoner Vorort und sie hat einen Freund. Doch sie will nicht langweilig und brav sein, das zumindest versucht sie, in ihrer Geschichte zu vermitteln – dem einstündigen Monolog „Bunny“ des britischen Drehbuch- und Theaterautors Jack Thorne, der am 6.3.2012 im Rahmen des F.IN.D. im Studio der Schaubühne Premiere hatte. Der Regisseur Christoph Schletz hat die Rolle der Protagonistin Katie mit der jungen Schauspielerin Jenny König besetzt, die in der aktuellen Spielzeit u.a. in „Maß für Maß“ und „Märtyrer“ zu sehen ist. Auch in diesen beiden Stücken spielt sie junge Frauen an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Mit Katie verkörpert sie wieder eine Figur, die noch ihren Platz in der Welt der Erwachsenen sucht.


Katie hat einen Freund, er ist schwarz. „Nicht, dass das ein Problem wäre oder so, aber ich weiß halt nie wann ich das sagen soll“, erklärt sie. Dies sagt sie scheinbar unbeschwert daher. Und ebenso plappert sie offenherzig von ihren sexuellen Erfahrungen. In ihrer Schuluniform mit Kniestrümpfen (Kostüm: Marc Freitag) gibt sie jedoch das Bild einer naiven Schülerin ab und reagiert Männern gegenüber seltsam unaufgeklärt. Diese Diskrepanz zeigt sich auch im Bühnenbild von Philipp Strigel. Während des gesamten Monologs befindet sich Katie in einem Wohnzimmer und stellt die Handlung durch Verrücken der Sofateile nach. Um andere Figuren der Geschichte zu zitieren, nutzt sie eine Stehlampe als Mikrofon. Dieses bürgerliche Umfeld steht in Kontrast zur Geschichte, die sie erzählt: Als ihr Freund von einem Radfahrer angefahren wird, eilen Kollegen aus der Fabrik, unter ihnen der Pakistani Asif zur Hilfe und nehme die Verfolgung auf. Während der Jagd nach dem Flüchtigen erhält Katie von Asif, der sie in seinem Auto zwingt, ihre Unterwäsche auszuziehen, den verächtlichen Spitznamen Bunny. Trotz dieser Demütigung ist sie von Asif fasziniert, ja sogar fast stolz darauf, ihre weiblichen Reize zeigen zu können. Schließlich erhofft sie sich Spannung von diesem „Abenteuer“ und ein Flucht aus ihrem bürgerlichen Leben, denn zu Hause wartet nur ein Platz an einer zweitklassigen Universität auf sie. Der Wunsch nach einem Leben frei von bürgerlichen Zwängen scheitert jedoch genau da, wo sie glaubt unkonventionell zu sein. Sie unterwirft sich den Wünschen der Männer und verwirkt ihre Chance, selbstbestimmt zu handeln.



Wer Jenny König in „Bunny“ sehen möchte, kann über die Seite der Schaubühne Tickets für die Vorstellungen am 13.3. und 22.4.2012 bestellen.

Fotos: Gianmarco Bresadola

9. März 2012

Ich vermisse: Galerie der Toten bei „Galaxy" von BLITZ auf dem F.I.N.D. 2012

"Ich bin River Phoenix. Ich starb am 31. Oktober 1993 an einer Mischung aus Drogen und Alkohol. Ich vermisse meine Geschwister, Johnny Depp und die Red Hot Chili Peppers.“ – „Ich bin eine Kassette. Ich starb vor einigen Jahren. Ich wurde getötet von der CD, der Minidisc, der MP3, der MP4. Wie konnte das passieren.“ So und so ähnlich lauten die Mini-Monologe in Galaxy: Eva Meckbach, Jule Böwe, Bernardo Arias Porras, Judith Engel, Christoph Gawenda und Thomas Bading von der Schaubühne sowie Christos Passalis von BLITZ aus Athen stellen in einer dreistündigen Performance Tote und Totgesagtes vor. Sie schreiben Namen und Begriffe mit Edding auf Zettel und erläutern Namen, Todesdatum, Bedeutung und Zusammenhänge.


Historische Persönlichkeiten, Ideale, Epochen, Kunstformen der letzten Jahrhunderte werden, ebenso wie tote Menschen, Tiere und Erfahrungen aus dem persönlichen Schatz der Schauspieler (Christoph Gawendas Bruder, Bernardo Arias Porras Schnurrbart, der Hund von Judith Engels Oma oder Eva Meckbach mit 18) beschrieben. Tänze (Breakdance, Steptanz uva.) werden genauso wie Liedgut (Pioniergesänge und Hymnen) in die Gegenwart geholt. Rollen, die die Darsteller einmal gespielt haben (Evas Meckbach spricht z.B. über Desdemona, die sie in Othello an der Schaubühne gespielt hat) werden in die Performance integriert, Menschen, von deren Ableben man aus dem Medien erfahren hat und theaterspezifische Anekdoten (das von den Kritikern immer wieder monierte schlechte (sic!) Sprechen der Schauspieler oder unkonkrete Regieanweisungen). Sowieso findet die Auseinandersetzung mit der Schaubühne (die „alte Schaubühne“ unter Peter Stein) oder dem künstlerischen Leiter (Erinnerung an die Baracke des DT unter der Leitung von Thomas Ostermeier, die Jule Böwe, Jens Hilje, Thomas Bading u.a. vermisst) Beachtung. Für Schaubühnen-Kenner wird sogar die von der Kritik geschmähte Edward II-Inszenierung thematisiert (die die Schauspieler, die das Stück gerne spielen, vermisst).

Die Performance ist offen, d.h. die Zuschauer können jederzeit den Raum verlassen und wieder zurückkehren. Aber da das alles ganz schön süchtig macht und man immer noch den nächsten und das nächste sehen will, möchte man nichts als hier bleiben. Der Zuschauer schwankt ständig zwischen Lachen-Müssen und Weinen-Wollen, zwischen Erinnern, Entsetzen und Erstaunen und wird mit einer Achterbahnfahrt der Gefühle sowie echten Herausforderung für das eigene historische Wissen konfrontiert. Einen besonderen Reiz macht auch die Überlagerung der Kurzmonologe aus, wenn die Schauspieler ihre Texte satzweise im Wechsel sprechen und dadurch unvermutete Bezüge entstehen (Freud/Depression). Oder wenn offensichtliche Bezüge eine andere Richtung nehmen: Auf Steve Jobs folgt konsequenterweise Apple, bei dem es sich jedoch nicht um die Software, sondern um einen verstorbenen Hundwelpen handelt.

Galaxy ist zunächst nur auf dem F.I.N.D. 2012 zu sehen. Bleibt zu hoffen, dass diese Performance in das Programm der Schaubühne übernommen wird.

Trailer Galaxy von BLITZ.

Foto: Schaubühne

4. März 2012

Die Realität ist keine Party: Ostermeiers „Fräulein Julie“ nach Strindberg auf dem F.I.N.D. 2012

Festival ist schon eine besondere Theateratmosphäre! Und gerade heute, wo Thomas Ostermeier „Fräulein Julie“, das er mit dem Ensemble des Theaters der Nationen aus Moskau einstudiert hat, gezeigt wird, setzt sich das Publikum natürlich völlig anders zusammen als gewohnt. Irgendwie ist heute im Zuschauerraum alles ein bisschen schicker, glamouröser und dekadenter als sonst. Ich warte nur darauf, dass irgendwer mit einem Handtaschenhund hineinkommt. Den trägt später Juli über die Bühne und aus dem Publikum kommt das obligatorische „Ohhhh…“. Auffällig ist außerdem, dass noch während der ersten Szene überall herumgetuschelt wird und dass sich mindestens fünf Zuschauer vom Hinweis das Handy während der Vorstellung auszuschalten, nicht angesprochen fühlten. Dafür gabs am Schluss jede Menge Blumen und sogar Pralinen für die Schauspieler. Festivals ist eben anders.


Aber nun mal vom Zuschauerraum auf die Bühne:
Für Ostermeiers Julie-Inszenierung hat der russische Autor Michail Durnenkow Strindbergs Stück ins heutige Russland übertragen. In der Eingangsszene kocht die Hausangestellte Kristina (Julia Peresild) am Silvesterabend stumm ein Huhn für den eingangs erwähnten Hund. Im Hintergrund fällt Schnee, aus dem Off hört man Technoklänge. Die Szene in der verchromten Küche (Bühne: Jan Pappelbaum), die nicht eben viel Gemütlichkeit ausstrahlt, wird von Videokameras, die irgendwo versteckt sind, gefilmt und auf eine Leinwand projiziert. In diese kühle Stille platzen zuerst der Chauffeur Jean (Jewgenij Mironow) und schließlich Julie (Tschulpan Chamatowa), die Tochter des Hausherrn. Die Handlung nimmt ihren Lauf wie sie muss: Die beiden fühlen sich aus unterschiedlichen Gründen zueinander hingezogen – er wittert Aufstiegschancen, sie ein Abenteuer durch den Ausbruch aus ihrer Welt. Nach einem Flirt landen die beiden im Bett. Währenddessen besetzen die Partygäste die Bühne und feiern im eben noch klinischen Setting eine wilde orgiastische Party. Das Schlachtfeld, das sie hinterlassen wird in der Folge der Schauplatz für das ungleiche Paar. Jean, der den Standesunterschied anerkennend noch während des Flirts kontrolliert und distanziert agierte, packt nun richtig zu: Er stößt und schleudert Julie über die Bühne, sperrt sie in den Gefrierschrank, mal leidenschaftlich, mal wütend und unkontrolliert . Julie, die vor der Verführung noch Herrin der Lage war und ihre weiblichen Reize als Machtinstrument einsetzte, bekommt es, die Konsequenzen nicht abschätzen könnend, mit der Angst zu tun und wechselt von einer Rolle in die nächste: mal hysterisch, dann wieder kokett, mal als Opfer und gleich darauf wieder gefährlich provokant reizt sie Jean. Beide stoßen sich permanent an und wieder ab, sind mal zärtlich miteinander, mal brutal. Keiner scheint mehr zu wissen, in welchen Grenzen er sich zu bewegen hat, haben sie diese doch gerade selbst aufgehoben. Weil es kein zurück mehr gibt, entschließen sie sich zur Flucht, die jedoch durch das erneute Auftreten der Hausangestellten Kristian gestoppt wird. Sie führt den beiden vor Augen, welche Rollen ihnen in dieser Gesellschaft zustehen. Das sich das Geschehene jedoch nicht mehr ungeschehen machen lässt, liegt die Lösung schließlich in der bewaffneten Hand Julies.


Mit seinen beiden Hauptdarstellern hat Ostermeier eine gute Wahl getroffen: Beide sind attraktiv, energetisch und verfügen über eine extreme Körperbeherrschung (wenn Chamatowa in 14-Zentimerter-Plateautschuhen mit einer Wodkaflasche in der Hand über den spiegelglatten Boden torkelt, der über und über mit Geschirr, Flaschen und Partydekoresten übersäht ist, grenzt das an Akrobatik). Und auch wenn man kein Wort russisch versteht (Anmerkung: deutsche und englische Übertitel), kommen die Emotionen in den Dialogen sogar in den hinteren Reihen an. Ostermeier ist hier mal wieder eine Inszenierung gelungen, die ihresgleichen sucht und die zwei Tage vor der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in Russland zusätzlich noch an Bedeutung gewinnt.

Weitere Infos zum F.I.N.D. 2012.

Fotos: Sergey Petrov

17. Februar 2012

Die Auswahl für das Berliner Theatertreffen 2012

Vom 4. bis 20. Mai 2012 findet das Berliner Theatertreffen statt. Heute wurde die Auswahl der zehn bemerkenswertesten Inszenierungen im deutschsprachigen Raum bekannt gegeben. Berlin ist mit gleich vier Inszenierungen (drei davon von der Volksbühne) stark vertreten.

Before your very eyes von Gob Squad
 - Gob Squad / Campo, Gent / HAU Berlin u.a.
Regie: Gob Squad

Die (s)panische Fliege von Franz Arnold und Ernst Bach
 - Volksbühne Berlin
Regie: Herbert Fritsch

Faust I & II von Johann Wolfgang von Goethe
 - Salzburger Festspiele/Thalia Theater Hamburg
Regie: Nicolas Stemann

Hate Radio von Milo Rau und Jens Dietrich 
- International Institute of Political Murder, HAU Berlin u.a.
Regie: Milo Rau

John Gabriel Borkman von Henrik Ibsen 
- Volksbühne Berlin/Nordwind Festival
Regie: Vegard Vinge und Ida Müller

Gesäubert / Gier / 4.48 Psychose von Sarah Kane
 - Münchner Kammerspiele
Regie: Johan Simons

Kill your Darlings! Streets of Berladelphia von René Pollesch
 - Volksbühne Berlin
Regie: René Pollesch

Platonov von Anton Tschechow
 - Burgtheater Wien
Regie: Alvis Hermanis

Macbeth von William Shakespeare
 - Münchner Kammerspiele
Regie: Karin Henkel

Ein Volksfeind von Henrik Ibsen
 - Theater Bonn
Regie: Lukas Langhoff

Das Theatertreffen wird in diesem Jahr erstmals von Yvonne Büdenhölzer geleitet.

Zur Jury gehören Vasco Boenisch, Anke Dürr, Ulrike Kahle-Steinweh, Ellinor Landmann, Christoph Leibold, Christine Wahl und Franz Wille.

Tickets gibts ab dem 14. April 2012 hier.

Quelle: nachtkritik.de

18. Januar 2012

Lesenswerte Theaterblogs

Es gibt einige tolle und informative Theaterblogs, die es sich zu lesen lohnt. Wer Lust hat, mal in den ein oder anderen reinzulesen, sei auf folgende aufmerksam gemacht:

Blog von René Pollesch
popp-Art
Theaternachtgedanken
Wanderlust Blog

Sehr ans Herz legen möchte ich euch noch den Theatertreffen-Blog, der jedes Jahr Hintergrundinfos während des tt bietet, Eindrücke in die Geschehnisse vor und hinter der Bühne des tt gibt und stets von sehr engagierten Bloggern betrieben wird. Während des Theatertreffens ist der tt-Blog für mich ein absolutes Muss: tt Blog 2012