31. Juli 2010

Kommen wir noch rein? - Offene Probe "Othello" (Schaubühne)

„Fünf können noch rein“ sagt die Dame am Bühneneingang der Schaubühne. Es ist kurz nach sieben und wir warten seit einer guten halben Stunde auf den Einlass. Die offene Durchlaufprobe von Othello (Regie: Thomas Ostermeier) wurde per Newsletter und auf Facebook angekündigt. Es hieß dort, man solle sich einfach um 19 Uhr am Bühneneingang einfinden und brauche auch keine Karte. Mit so vielen Leuten hatte die Schaubühne offensichtlich nicht gerechnet. Gut, dass wir so früh hier waren, denken wir noch als wir in der Schlange stehen. Hinter uns stellen sich immer mehr Menschen an. Jetzt stehen wir vor der Tür und können erst mal nicht rein, weil sich von der Seite einige reindrängeln wollen, die auf Sonderbehandlung hoffen. Während ein Mitarbeiter der Schaubühne über zwei Drittel der Wartenden nach Hause schickt, gehen ein, zwei, drei, vier, fünf Leute an uns vorbei hinein. Dreharbeiten unterbrochen, extra aus Cottbus angereist, Freund eines Schauspielers, das sind die Gründe, mit denen sie sich Einlass verschaffen. Das darf nicht wahr sein! Werden wir jetzt so kurz vorm Ziel weggeschickt? Zum Glück wurden eben in der Schaubühne die Plätze noch mal durchgezählt und wir sowie ca. zehn weitere dürfen dann noch rein.

Theater erzeugt bei mir ja sowieso immer ein Hochgefühl, aber wenn man zu den „Auserwählten“ einer solchen Veranstaltung gehört, ist das Kribbeln gleich noch mal so schön. Ostermeier macht eine kurze Ankündigung, erklärt den Zuschauern in der ersten Reihe, dass sie nass gespritzt werden könnten. Die haben sich das wohl schon gedacht, denn die Bühne ist ein riesiges Wasserbassin. Die Probe läuft ohne Unterbrechung durch, nur an wenigen Stellen gibt es kleine, kaum merkliche Fehler oder Versprecher. Irgendwann vergisst man, dass man eigentlich in einer Probe sitzt. Erst beim Schlussapplaus fällt das wieder auf, weil sich die Schauspieler nicht verbeugen, sondern einfach die Bühne verlassen als das Licht wieder angeht. Im Theater ist man eben abergläubisch. Vor der Premiere darf man sich nicht verbeugen. Ich finde diesen Aberglauben sympathisch.

Ich bin mir sicher, die Othello-Premiere wird ein Erfolg. Die Inszenierung ist an keiner Stelle ermüdend, die Schauspieler – so kennt man es von der Schaubühne – spielen sich die Seele aus dem Leib. Das Wasser – nein, kein abgedroschenes Theatermittel – wird perfekt eingesetzt. Und ich hatte mal wieder ein Aha-Erlebnis, weil mir der Text von Othello selten so verständlich war. Iago bzw. der Schauspieler Stefan Stern überragt alle. Wenn man ihn nicht hassen müsste, weil er einer der gemeinsten Intriganten in der Welt des Theaters ist, könnte man ihn glatt bewundern.

24. Juli 2010

Ja!

Paternoster, eines der renommiertesten Improvisationstheater aus Berlin hat heute etwas ganz Bezauberndes auf die Bühne gebracht. Wir waren zu dieser ungewöhnlichen Theatershow als „Komparsen“ eingeladen. Es handelte sich um einen Heiratsantrag, der als Firmenshow getarnt war. Das Publikum, bis auf den zukünftigen Bräutigam und die Eltern der Braut waren eingeweiht. Sie lockte ihn ins BKA, um die Show unter dem Motto „REWE Ost fusioniert mit REWE West“ zu sehen. Auf den Tischen luden – passend zur Show und passend zum eigentlichen Anlass des Abends – Produkte der REWE-Handelsmarke Ja! zum Verzehr. Das Ensemble von Paternoster gab eine gute halbe Stunde einige seiner Impro-Nummern zum Besten bis der, für den der gesamte Abend geplant war, unter einem Vorwand auf die Bühne gelockt wurde. Was folgte war ein Heiratsantrag von ihr, der selbst mich, die ich für derlei Kitschiges normalerweise nicht zu haben bin, rührte. Er sagte „Ja!“. Was für eine tolle Idee, glänzend umgesetzt vom Paternoster-Team! Danke für einen außergewöhnlichen Abend!

20. Juli 2010

Lohn des Lügners: "Der Parasit" (BE)


In Schillers Komödie „Der Parasit oder die Kunst sein Glück zu machen“ (Ein Lustspiel nach dem Französischen des Picard.) fallen fleißige und gebildete Bürger auf die Lügen eines Mannes herein. Dieser beherrscht nichts weiter als die Kunst des Blendens.



Die Handlung in Kürze:
Ein neuer Minister (Selicour) ist ins Kabinett berufen und tritt sein Amt an – Grund für die Ministerialbeamten, sich ihm als unentbehrlich darzustellen. Wer nach oben will, biedert sich an, zeigt sich eifrig, macht sich wichtig. List, Intrige und Lüge – oder anders gesagt: Manipulation, Networking, Mobbing sind die Mittel, um die eigene Karriere auf Kosten anderer voranzutreiben. Inkompetenz im Regierungsbetrieb geht rücksichtslos vor. Die Angestellten müssen hilflos mitansehen, wie sich der ungebildete Selicour durch Lug, Trug und Heuchelei eine berufliche Laufbahn bereitet. Dabei lebt er – wie ein gefräßiger Parasit – von den Mühen anderer Leute Arbeit (Firmin und dessen Sohn Karl), er nutzt sie rücksichtslos aus. Je höher er die Karriereleiter hinaufsteigt, umso tiefer fallen seine Konkurrenten. Der Erfolg Selicours beruht auch auf der Leichtgläubigkeit seiner Mitmenschen. Höhepunkt des falschen Spiels ist Selicours Plan, sich durch die Heirat mit Narbonnes Tochter in dessen Familie einzunisten.

„Der Parasit“ ist eine humorvolle Parabel über die Kunst des Lügens und darüber wie Rücksichtslosigkeit in einer Gesellschaft zum Erfolg führen kann. Das Stück ist höchst aktuell, denn heute und in unserer Gesellschaft wird Blendern und Lügnern häufig eher Aufmerksamkeit und Achtung geschenkt als Menschen, die mit fundiertem Wissen, einer guten (Aus-)Bildung und Können aufwarten können.

Oder um es mit Schillers Worten zu sagen: „Die kriecherische Mittelmäßigkeit kommt weiter als das geflügelte Talent, der Schein regiert die Welt". Bei Schiller scheitert der Betrüger am Ende, doch die nächsten warten schon. Denn: "Die Gerechtigkeit ist nur auf der Bühne“.

Zur Inszenierung:
In der Inszenierung von Philip Tiedemann am Berliner Ensemble werden sämtliche Figuren als Puppen dargestellt. Die Schauspieler agieren auf einer steilen pyramidenartigen Treppe. Sie sind halb menschlich, halb künstlich: Die Oberkörper sind die der Schauspieler, die Beine werden durch die von Puppen ersetzt. Sie tauchen aus den Klappen auf der Treppe auf wie Kasperlepuppen, wie der Teufel, die (Groß-)mutter, der junge Liebende und weitere Stereotypen. Jede Geste wird entsprechend mit einem passenden Geräusch eines Ein-Mann-Orchesters unterstrichen. Der Parasit Selicour wird gleich von sieben Schauspielern (Thomas Wittman u.a.) dargestellt, die teilweise gleichzeitig auf der Bühne erscheinen. Dejan Bucin als Karl Firmin und Axel Werner als Madame Belmont seien an dieser Stelle noch besonders lobend erwähnt.

Foto: Barbara Braun (Thomas Wittmann als Selicour und Alexander Ebeert als La Roche)

6. Juli 2010

Eines Abends wird ein Getös' sein: "Die Dreigroschenoper" (BE)


Der Mensch ist gar nicht gut,
Drum hau' ihn auf den Hut.
Hast du ihn auf den Hut gehaut,
Dann wird er vielleicht gut.
Denn für dieses Leben
Ist der Mensch nicht gut genug.
Darum haut ihn eben
Ruhig auf den Hut.

(Jonathan Jeremiah Peachum)



Christina Drechsler (Polly Peachum), Stefan Kurt (Macheath)
Foto: Lesley Leslie-Spinks


Schön wars mal wieder! Mal wieder eine Inszenierung von Robert Wilson am BE: Die Dreigroschenoper. Natürlich könnte man auch sagen, kennst du eine, kennst du alle. Denn die Wilson-Inszenierungen sind sich in ihrer Ästhetik ähnlich und viele Elemente wiederholen sich. Außerdem arbeitet Wilson immer wieder mit den gleichen Schauspielern. Aber wenn man wie ich Gefallen daran gefunden hat, dann kann man eigentlich auch nicht genug davon bekommen. Nicht genug von den tollen Kostümen, den roten Haaren und den androgyn geschminkten Gesichtern. Wilsons bricht in all seinen Inszenierungen die Geschlechterrollen auf und öffnet die Beziehungen der Figuren.

Hinzu kommt, dass ich die Musik der Dreigroschenoper so gerne mag, dass ich am liebsten immer mitsingen würde. Die gesangliche Leistung des Ensembles war wie immer solide und dem Stück absolut angemessen. Großartig war natürlich auch Stefan Kurt (der mir schon in Wilsons Leonce und Lena als Valerio von allen am besten gefallen hat) als Mackie Messer. Unter den weiblichen Darstellerinnen hat mir Traute Hoess besonders gefallen, weil sie die Celia Peachum mit so viel Witz und Charme spielt, dass sie zum heimlichen Star des Abends wird.