23. Februar 2014

Gute Menschen: „Atmen“ von Duncan Macmillan (Regie: Katie Mitchell) an der Schaubühne

Über 75 Minuten sitzen sie (Lucy Wirth und Christoph Gawenda) auf Rädern und treten in die Pedale, um den Strom zu erzeugen, der für die Halogenlampen an den beiden Podien benötigt wird (108,75 Wattstunden Energie für den Abend). Das Atmen fällt schwerer nach einer guten Stunde auf den Rädern. Das Paar versichert sich immer wieder „Wir sind gute Menschen.“ Und dazu gehört neben dem Mülltrennen, der Lektüre gehaltvoller Bücher und dem Kauf von Fairtrade-Kaffee auch die körperliche Fitness.

Ein Baby? Kann man ein Kind in eine Welt setzen deren Bevölkerung explodiert, in der Ressourcen knapp werden, deren Zukunft ungewiss ist? Den CO2 Fußabdruck eines Menschenlebens auszugleichen ist praktisch unmöglich. Drohend hängt ein digitaler Zähler über der Bühne: Über 7 Milliarden Menschen und es werden jede Sekunde 2,6 mehr. Der Zähler tickt unerbittlich immer weiter. Wer diesen Effekt einmal erleben will, kann z.B. hier klicken.





Kinderkriegen in einer solchen Welt: Ein Thema das vermutliche viele Paar umtreibt. Die Gespräche, die das Paar führt, sind soetwas wie Blaupausen typischer Paar-Diskussionen, die Selbstgespräche der Spiegel vieler Zweifel und Ängste, die man als nicht mehr ganz junger Mensch in sich trägt. Das Paar – gebildet, dem Jugendlichenalter entwachsen und in einer Großstadt lebend – wird schließlich schwanger, verliert das Kind, trennt sich, wird nach einem Wiedertreffen erneut schwanger und bekommt schließlich das Kind, von dem sie nie sicher waren, ob sie es wollen. Die Zeitsprünge zwischen den einzelnen Episoden in Duncan Macmillans Text werden immer kürzer. Nach einem „Routineeingriff“ hört er auf zu treten. Das Licht an seinem Podium geht in Sekunden aus. Dieser Effekt geht nahe. Im Publikum sind Laute der Erschütterung zu hören. Sie bleibt zurück, doch auch das Licht ihres Podium erlischt nur wenige Minuten später. Das 75minütige Surren der Räder verstummt. Zwei Menschenleben sind beendet.



Katie Mitchells Regie-Einfall: Der gesamte Strom, der für den Abend benötigt wird, wird durch die Schauspieler und vier weitere Radfahrer, die auf Standrädern sitzen erzeugt. Die Podien und weiteren Bühnenaufbauten sind aus Recyclingmaterialen gefertigt oder stammen aus dem Schaubühnenfundus. Somit wurden keine neuen Materialien verwendet.


Fazit: Eine beeindruckende Inszenierung über Beziehungen, Zukunft, Entscheidungen und reale Probleme in unserer Welt mit einigen einfachen, aber sehr wirkungsvollen Effekten.


Weitere Information zu "Amen".

Fotos: Stephen Cummiskey

3. Februar 2014

tt14: Die Auswahl der Jury // Auswahl der Nachtkritik

Theatertreffen 2014


Die Auswahl für das Theatertreffen 2014 steht fest. Zusammengefasst hat sich die Jury (Barbara Burckhardt, Anke Dürr, Peter Laudenbach, Christoph Leibold, Daniele Muscionico, Bernd Noack, Andreas Wilink) für folgende "bemerkenswerte Inszenierungen" entschieden:
  
3x Schauspielhaus Zürich
4x München (1x Residenztheater, 3x Kammerspiele)
Keine Inszenierungen kleinerer Stadttheater - das war in der Vergangenheit auch schon auffällig anders.
Mittlerweile Dauergast: Herbert Fritsch, zum dritten mal in Folge dabei.
Frank Castorf, aber nicht mit einer Volksbühnen-Inszenierung.
(Leider nur) 3 Inszenierungen von Frauen (Karin Henkel, Susanne Kennedy und Helgard Haug vom Rimini Protokoll)

Amphitryon und sein Doppelgänger nach Heinrich von Kleist
Regie: Karin Henkel
Schauspielhaus Zürich

Die Geschichte von Kaspar Hauser von Carola Dürr und Ensemble unter Verwendung von Originaldokumenten und Zitaten von Kaspar Hauser, Georg Friedrich Daumer, Jakob Wassermann, Anselm Ritter von Feuerbach, Werner Herzog u.a.
Regie: Alvis Hermanis
Schauspielhaus Zürich

Die letzten Zeugen von Doron Rabinovici und Matthias Hartmann
Einrichtung: Matthias Hartmann
Burgtheater, Wien

Fegefeuer in Ingolstadt von Marieluise Fleißer
Regie: Susanne Kennedy
Münchner Kammerspiele

Ohne Titel Nr. 1 // Eine Oper von Herbert Fritsch
Regie: Herbert Fritsch
Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin

Onkel Wanja von Anton Tschechow
Regie: Robert Borgmann
Schauspiel Stuttgart

Reise ans Ende der Nacht von Louis-Ferdinand Céline
Regie: Frank Castorf
Residenztheater, München

Situation Rooms von Helgard Haug, Stefan Kaegi, Daniel Wetzel (Rimini Protokoll)
Regie: Helgard Haug, Stefan Kaegi, Daniel Wetzel
Rimini Apparat / Ruhrtriennale / Schauspielhaus Zürich / Spielart Festival und Münchner Kammerspiele / Perth International Arts Festival / Grande Halle et Parc de la Villette Paris / Hebbel am Ufer, Berlin / Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt am Main / Onassis Cultural Center-Athens

Tauberbach
von Alain Platel
Regie: Alain Platel
Münchner Kammerspiele / Les Ballets C de la B, Gent / NT Gent / Theatre National de Chaillot, Paris / Opéra Lille / KVS Brüssel / Torinodanza, Turin / La Batie – Festival de Genève, Genf

Zement
von Heiner Müller
Regie: Dimiter Gotscheff
Residenztheater, München

Weitere Infos zu den ausgewählten Inszenierungen auf der Website der Berliner Festspiele.

Die Leser/innen der Nachtkritik wählten aus einer Liste von insgesamt 61 Inszenierungen ihre 10 bemerkenswertesten Inszenierungen.

Und was fällt hier auf?
Mit der Auswahl der tt-Jury decken sich zwei Inszenierungen (unten grün markiert).
2x ist Shakespeare ("Hamlet" vom Theater Münster und "Romeo und Julia" vom Staatstheater Mainz) vertreten.
Die Auswahl beschränkt sich nicht allein auf die ganz großen Theater-Metropolen; mit dabei sind insgesamt 5 kleinere Stadttheater (Staatstheater Oldenburg, Schauspiel Dortmund, Theater Münster, Theater Heidelberg, Staatstheater Mainz).
Aus Berlin sind das Gorki dabei, das im Oktober 2013 seinen Neustart feierte, und ein kleines freies Theater (Theater unterm Dach).
Hier sind sogar nur zwei Regie-Frauen dabei: Alexandra Althoff und noch mal Helgard Haug.


Archiv des Unvollständigen von Laura de Weck
Regie: Thom Luz
Staatstheater Oldenburg / Ruhrfestspiele Recklinghausen

Das Fest nach Thomas Vinterberg und Mogens Rukov
Regie: Kay Voges
Schauspiel Dortmund

Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen von Sibylle Berg
Regie: Sebastian Nübling
Gorki Theater Berlin

Eurydice :: Noir Désir ein Projekt von Bernhard Mikeska, Lothar Kittstein, Alexandra Althoff
Residenztheater München


Hamlet von William Shakespeare
Regie: Frank Behnke
Theater Münster

König Ubu von Alfred Jarry
Regie: Viktor Bodó
Theater Heidelberg

Romeo und Julia von William Shakespeare
Regie: Thorleifur Örn Arnarsson
Staatstheater Mainz

Situation Rooms von Rimini Protokoll
Regie: Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel

Ruhrtriennale Bochum

X-Freunde von Felicia Zeller
Regie: Stephan Thiel
Theater unterm Dach Berlin

Zement von Heiner Müller
Regie: Dimiter Gotscheff

Residenztheater München

Weitere Infos zu den ausgewählten Inszenierungen auf nachtkritk.de sind hier zu finden.

Das Theatertreffen findet vom 2.-18. Mai 2014 statt.