26. April 2009

1. Lange Nacht der Opern und Theater

Wie plant man die Lange Nacht der Opern und Theater? Vor diese Frage sah ich mich gestellt als meine theaterinteressierten Freunde mich baten, doch eine Route für uns auszuarbeiten. Da es sich bei dieser Veranstaltung um eine Premiere handelte, konnte ich nicht mit Erfahrungswerten aufwarten. Recht machen kann man es sowieso nicht jedem - also stellte ich die Route ganz einfach nach meinen eigenen Vorlieben zusammen. Wichtig war, dass wir eine gute Mischung aus den großen Häusern und den kleinen Theatern haben würden.

Treffpunkt und Start: 18.30 Uhr am Bebelplatz. Wir: Sechs Berliner und ein Gast aus USA, aufgedreht und erwartungsfroh. Unseren ersten Programmpunkt, das BAT, an dem um 19.00 Uhr "aktuelle Arbeiten" gezeigt werden sollten, müssen wir leider direkt von der Liste streichen, da wir schon viel zu spät dran sind als wir um kurz vor sieben endgültig in den Bus steigen. Dieser braucht dann bis zum zweiten geplanten Ziel, der Volksbühne im Prater, eine gefühlte Ewigkeit. Wir entscheiden, ab jetzt auf die öffentlichen Verkehrsmittel umzusteigen, weil das wahrscheinlich schneller geht.

Um 20.00 Uhr sitzen wir vor einem glitzernden Blumenvorhang im Theatersaal des Praters und warten gespannt. Die Atmosphäre im Saal ist erfrischend locker. Ob das an dem Raum liegt (wir sitzen auf Holzbänken mit Blümchenkissen, man spürt und riecht geradezu, dass es sich um einen frisch renovierten Raum handelt, der noch etwas improvisiert wirkt)? Oder hängt es mit dem Event-Charakter des Abends zusammen? Sicher ist, dass es sich nicht um das gewohnte Volksbühnen-Publikum handelt; hier findet sich eine Mischung aus alteingesessenen Volksbühnen-Fans, Theater-Neulingen und Neugierigen. Es herrscht eine ungewohnte Unruhe im Saal. Und während noch weitere Zuschauer den Publikumsraum betreten, geht es auch schon los. Wir sehen einen halbstündigen Ausschnitt aus René Polleschs "Ein Chor irrt sich gewaltig". Auf der Bühne besticht vor allem Sophie Rois im schwarzen hochgeschlossenen Kleid und mit der gewohnt charmanten österreichischen Sprachfärbung. Die Gefechte, die sie verbal und körperlich mit dem in sehr bunten Kleidern gewandeten Chor, der wechselnde Figuren darstellt, austrägt, werden von den Zuschauern mit Zwischenapplaus belohnt. Wir bekommen eine Mischung aus Komödien-Elementen und Film-Motiven gespickt mit philosophisch-soziologischen Thesen ("Das Elend der Sexualität steckt nicht in ihrer Unterdrückung. Im Gegenteil, wir
sollen ja dauernd über Sex reden.") geboten. Das macht großen Spaß und Lust, das Stück bald komplett zu sehen. Fazit: Auftakt geglückt! Wir honorieren das mit Applaus und Bravo-Rufen.

Unser nächstes Ziel ist das "Theater unterm Dach". In diesem bezaubernden Haus, das ein wenig an eine Villa aus einem Märchen- oder Kinderfilm erinnert, wollen wir "Grete nach Goethes Faust" sehen, können aber leider nicht. Wir werden gemeinsam mit vielen anderen Besuchern weggeschickt, da der Raum schon voll besetzt ist. Schade!

Etwas enttäuscht beschließen wir umzudisponieren und machen uns direkt auf den Weg zur Schaubühne. Dort herrscht die gewohnt unprätentiöse Stimmung. Die Leute hier freuen sich einfach auf das Theater, müssen das aber deshalb nicht mit Kleidung, Habitus oder geschwollenen Reden dokumentieren. Herrlich! Ich liebe die Schaubühne! Wir freuen uns auf Szenen aus "Ein Sommernachtstraum" frei nach William Shakespeare (Regie: Thomas Ostermeier, Choreographie: Constanze Macras). Beinahe hätte man uns auch hier nicht reingelassen, doch die Damen am Einlass sind gnädig. Wir dürfen uns an den Rand stellen und auf die Treppen setzen. Doch zuerst müssen wir über die Bühne, um auf die andere Seite in den Zuschauerraum zu kommen. Die Schauspieler begrüßen
uns auf der Bühne zu einer Party und schenken uns Bowle aus. Die Elektro-Beats der dreiköpfigen Band dröhnen im Kopf. Die Darsteller tanzen orgiastisch auf der Bühne. Entspannt zurücklehnen kann und sollte man sich hier als Zuschauer nicht. Schauspieler Lars Eidinger stript und lässt anschließend seine Genitalien durch eine Maske zum Publikum sprechen ("Das ist das einzige Ziel, den Spaß euch auszumerzen"). Das ist der Moment, in dem bei vielen Zuschauern wohl ein unangenehmes Gefühl, vielleicht Scham, ausgelöst wird. Einige der älteren verlassen den Saal. Ob es an der Szene liegt oder ihnen einfach die Musik zu laut ist, sei dahingestellt. Wer hier einen "klassischen" Sommernachtstraum erwartet hatte, wurde sicherlich enttäuscht. Ruhig wird es erst als der Counter-Tenor Alex Nowitz seinen Einsatz hat. Die Mischung aus Tanz- und Sprechtheater mit Gesang ist eine gelungene Lesart des shakespearschen Sommernachtstraums. Als wir uns anschließend über das Gesehene austauschen fällt folgender Satz unseres amerikanischen Gastes: "This is what we in Amerika suppose German theater to be." Interessant! Scheinbar glaubt man in Amerika, dass das, was wir hier eben gesehen haben, auf deutschen Bühnen "normal" ist. Gerne würde ich dies bei Gelegenheit einmal nachprüfen.

In die Übersetzungs-Quizshow "Babelfish" im Studio der Schaubühne kommen wir dann zur Abwechslung erst mal nicht rein, weil wieder zu viel los. Wir warten eine Stunde in der Bar nebenan und schaffen es dann doch. Die Zuschauer müssen Zitate aus Literatur, Film und Politik, die zuvor mit der Übersetzungssoftware "Babelfish" in verschiedene Sprachen und dann wieder ins deutsche zurückübersetzt wurden, erraten. Die Lösung soll per Handy an die Schauspieler auf der Bühne durchgegeben werden, was nicht immer klappt, weil manchmal sofort die Mailbox anspringt. Spaß macht's trotzdem!

Mittlerweile ist es Mitternacht und wir fahren zum Admiralspalast, wo wir zum Glück nicht warten müssen, um eingelassen zu werden. Wir bekommen noch die letzten Songs der Band Cesarians mit. Die Musik mutet, so vertraut an, dass man bei jedem Lied glaubt, mitsingen zu können, doch das täuscht. Die Songs klingen wie eine Mischung aus Brecht/Weill, Waits, Cash, Musical u.v.a. und stimmen uns noch mal feierlich am Ende des Abends, der direkt übergeht in den tanzbaren Teil. Zwei DJs, einer von beiden Lars Eidinger, den wir heute schon einmal auf der Bühne gesehen haben, legen bis spät in die Nacht auf. Meinen Musikgeschmack trifft das, was von den Plattentellern kommt zu 100% - unmöglich die Tanzfläche zu verlassen. Und so wird es dann eine wirklich lange Nacht...

Fazit der 1. L.N.d.O.u.T.:
1. Mit der Entdeckung des Programms der kleinen Häuser hat es leider nicht ganz geklappt.
2. Um nicht die halbe Nacht im Bus zu verbringen, sollte man sich auf einen Bezirk konzentrieren. Wir haben letztlich nur drei Häuser geschafft, was dem Spaß aber keinen Abbruch getan hat.
3. Wer erwartet hat, sich durch die Veranstaltung einen guten Überblick über viele verschiedene Häuser schaffen zu können, wurde leider enttäuscht. Die Zeit dafür ist einfach zu kurz und die Spielstätten liegen zu weit auseinander.
4. Auf jeden Fall sollten sich die Veranstalter etwas einfallen lassen, damit die Besucher nicht permanent Schlange stehen müssen und dann doch nicht reinkommen (Zitat einer Dame in einer Warteschlange: "Habe ich mir jetzt ein Ticket für 12 Euro gekauft, um damit die ganze Nacht Bus zu fahren?")
. Vielleicht sollte beim nächsten Mal ein ganzer Tag oder sogar ein Wochenende eingeplant werden.
5. Was zählt ist das Gesamterlebnis. Alles in allem hat die L.N.d.O.u.T. großen Spaß gemacht! Ich freue mich auf's nächste Mal!