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24. Februar 2019

Vorschau & Empfehlungen: Festival Internationale Neue Dramatik 2019 - "Archäologie der Gegenwart"

Vom 4. bis 14. April 2019 findet an der Schaubühne das 19. Festival Internationale Neue Dramatik (FIND) statt. Das Motto lautet "Archäologie der Gegenwart". Die Stücke aus Brüssel, Santiago de Chile, New York, London, Barcelona und Montréal werden das erste mal in Berlin gezeigt. Aktuelle Themen wie Flucht und Migration, Klimawandel, dysfunktionale Sozialsysteme, Feminismus und patriarchale Strukturen sind die Schwerpunkte beim diesjährigen Festival. Im FIND 2019 wird durch den Blick auf die (jüngere) Geschichte versucht, das Heute zu verstehen.



Eine gute Zusammenfassung der zehn Stücke, die während des Festivals gezeigt werden, findet sich auf der Seite der Schaubühne.

Hier möchte ich ein paar Empfehlungen aussprechen.

Trap Street vom Kollektiv Kandinsky (London)
Inszeniert wurde das Stück von James Yeatman, der als Co-Regisseur von Simon McBurney schon an der Schaubühnen-Produktion »Ungeduld des Herzens« mitgewirkt hat. Wenn wir auf dem FIND das Stück über den Verfall des britischen Sozialsystems sehen - die Kulisse bildet übrigens die Ruine eines 60er Jahre Plattenbaus -, wird der Brexit eine Woche her sein. Wie sich das wohl anfühlt?

Paisajes para no colorear von Marco Layera & Ensemble (Santiago de Chile)
Der Titel bedeutet übersetzt so viel wie "Landschaft zum Nicht-Ausmalen".
Neun Mädchen zwischen 13 und 17 Jahren befreien sich durch ein Re-enactment von der Unterdrückung durch die katholische Kirche, Faschismus und Machismus in Chile. Es handelt sich um Geschichten, die von den Medien nicht erzählt wurden. Spannend wird sein, wie die jungen Frauen, die viel Unterdrückung und Gewalt erfahren haben, die Kraft des Spielens nutzen werden, um sich von ihrer Vergangenheit zu befreien. 

Danke Deutschland - Cảm ơn nước Đức ist eine Projektentwicklung von Sanja Mitrović
Von ihr waren schon beim FIND 2016 zwei Stücke ("SPEAK!" und "Do you still love me") zu sehen. In der Inszenierung, die ins  Repertoire der Schaubühne übernommen wird, hinterfragt die Schauspielerin und Regisseurin das Verhältnis von Eingewanderten und Staatsbürger*innen. Dabei stehen in die DDR Eingewanderte aus Vietnam (sogenannten "Boat People") und Bürger*innen aus der BRD und DDR im Mittelpunkt. Schauspieler*innen des Ensembles, die in den beiden Teilen Deutschlands in den 70er und 80er Jahren groß geworden sind, sowie aus Vietnam eingewanderte bzw. der zweiten Generation durchleuchten die Konflikte im wiedervereinigten Deutschland und wie sich das Verhältnis zu Migrant*innen seitdem entwickelt hat.

Post-Humains von Dominique Leclerc (Montréal)
Die Schauspielerin, Regisseurin, Autorin beschäftigt sich in dieser Inszenierung mit der Welt der Cyborgs und der transhumanistischen Bewegung. Sie untersucht eine Zukunft, die bereits Gegenwart ist, denn die Menschen sind schon längst stärker mit Technologie (z.B. Smartphones, Implantate zu medizinischen Zwecken) verbunden und davon abhängig als ihnen bewusst ist. Die zunehmende Digitalisierung als Fluch oder Segen?

THE TOWN HALL AFFAIR von The Wooster Group (New York)
Seit den 70er Jahren gilt das Künstler*innenkollektiv The Wooster Group als eine der einflussreichsten Theaterkompanien und Vorreiter*in des postdramatischen Theaters. Unter den Künstler*innen, die mit der Wooster Group gearbeitet haben, befinden sich u.a. Willem Dafoe, Laurie Anderson, John Malkovich, John Lurie, Steve Buscemi. 
Bei der eingeladenen Inszenierung handelt es sich um ein Re-enactment des 40 Jahre alten Films "Town Bloody Hall" von Chris Hegedus und D.A. Pennebaker. 1971 fand in der New Yorker Town Hall eine Debatte zwischen den Feministinnen der zweiten Welle (u.a. Germain Greer) und dem Autor Norman Mailer (eher bekannt durch seine machistischen Texte) statt. Damals ging es um Themen wie die Benachteilung von Frauen, Abtreibungsgesetze und Vergewaltigung, also Dinge über die wir heute wieder - oder immer noch - diskutieren.

Eingeladen werden konnte diese Inszenierung u.a. Dank der finanziellen Unterstützung der Freunde der Schaubühne am Lehniner Platz e.V. 
 
Poetry Slam: ONE MIC STAND mit Young Identity (Manchester)
Hierbei handelt es sich um keine Inszenierung sondern um das Rahmenprogramm des FIND 2019:
Auf diese Show des Spoken Word Kollektivs freue ich mich besonders, da ich schon beim letzten FIND fasziniert von den jungen Künstler*innen war. Young Identity Mitbegründer Ali Gadema ist übrigens in der englischsprachigen Fassung von Thomas Ostermeiers "Rückkehr nach Reims" an der Schaubühne zu sehen.

Im Anschluss findet ein Konzert mit Carol Schuler & The Maenads (Soul, Rock, Blues, Psychedelic) statt.

Weitergefeiert wird danach auf der FIND Closing Party mit DJ Preller (detektor.fm, Vice).

Der Vorverkauf für das FIND 2019 beginnt am 1. März 2019.

8. September 2017

Don't miss: "Acceso" von Roberto Farías und Pablo Larraín im September noch mal an der Schaubühne

Beim diesjährigen Festival Internationale Neue Dramatik (FIND) an der Schaubühne wurde das beeindruckende Ein-Mann-Stück "Acceso" von Roberto Farías und Pablo Larraín gezeigt.

Es handelt sich um ein Bühnen-Folgeprojekt von Pablo Larraíns Film "El Club", der 2015 bei der Berlinale mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet wurde. Zusammen mit dem Schauspieler Roberto Farías, der bereits im Film die Figur des Paria Sandokan spielte, hat Larraín einen schonungslos offenen Monolog entwickelt.

Im Film stehen die Täter im Fokus, das Stück konzentriert sich auf die Opfer von sexuellem Missbrauch und entwirft eine unerbittliche Anklage gegen das korrupte System in Chile.

Für alle, die während des FIND nicht die Möglichkeit hatten (die beiden Abende waren schnell ausverkauft), dieses Stück zu sehen, bei denen einem der Schauspieler in jeder Hinsicht Nahe kommt, gibt es jetzt an drei Abenden in der Schaubühne noch einmal die Möglichkeit.

Für den 15., 16. und 17. September 2017 gibt es hier noch Karten.

Hier mein Bericht zum Stück beim FIND.


Roberto Farías als Sandokan in "Acceso", Regie: Pablo Larraín (Foto: Sergio Armstrong)





12. Mai 2017

FIND 2017 - Beziehungen und Trennungen (Rückblick Tag 9-11)

Finale beim FIND. In den letzten drei Tagen habe ich noch einmal Produktionen gesehen, die sowohl inhaltlich als auch formal sehr unterschiedlich sind.


7.4.2017. LOS INCONTADOS – Anatomía de la violencia en Colombia: un tríptico von Mapa Teatro (Bogotá)

Ein Karneval der Skurrilitäten. Eine Kinder-Marching-Band beginnt und beschließt diesen verrückten und ziemlich wirren Abend. Während das Bühnenbild immer weiter mit Requisiten, Pflanzen, Glitzerluftschlangen und Luftballons gefüllt wird und sich dadurch mehrmals verändert, wird ein Stück kolumbianische Geschichte erzählt. Drei ineinander geschachtelte Bühnenbilder, drei phantastische Mikrokosmen. LOS INCONTADOS - DIE UNERZÄHLTEN macht sichtbar, was in den letzten 50 Jahren in Kolumbien passierte: Ein langer Krieg. Die surrealen Bilder werden in den drei Teilen miteinander verbunden und zeigen eine Vision der lateinamerikanischen Demokratien seit Ende des Zweiten Weltkriegs. - Ein anstrengendes Stück, bei dem sich mir vieles nicht erschließt. Mit besseren Kenntnisse über das Land und die Geschichte Kolumbiens, hätte ich sicher mehr verstanden.

Das kolumbianische Kollektiv Mapa Teatro wurde 1984 in Paris von den Geschwistern Rolf, Heidi und Elizabeth Abderhalden gegründet. Es gehört seit mehr als 30 Jahren zu den bedeutendsten Theaterformationen Lateinamerikas. Mapa Teatro nutzt verschiedene Kunstformen (Theater, Musik, Video uvm.) und verbindet diese zu einem Gesamtkunstwerk.


"LOS INCONTADOS - Anatomía de la violencia en Colombia: un tríptico" von Mapa Teatro, Konzept und Regie: Heidi und Rolf Abderhalden (Foto: Mauricio Esguerra)
 
Koproduktion: Mapa Teatro, Iberescena, Festival Iberoamericano de Teatro de Bogotá und Prod.Art.Br, Europäisches Touring: Camille Barnaud, Ximena Vargas In Zusammenarbeit mit dem ¡Adelante! Festival des Theater Heidelberg.

Konzept, Dramaturgie und Regie: Heidi und Rolf Abderhalden
Musik und Sounddesign: Juan Ernesto Díaz
Visual Design: Heidi und Rolf Abderhalden
Kostüm: Elizabeth Abderhalden
Bühne: Pierre Henri Magnin
Video: Luis Antonio Delgado
Live Video: Ximena Vargas

Mit: Heidi Abderhalden, Agnes Brekke, Andrés Castañeda, Julián Díaz, Jeihhco, Danilo Jiménez, Santiago Nemirowski, Santiago Sepúlveda mit der Mapa Teatro Kinderkapelle: Lesly Ramírez, Melanie Ramírez, Sofía Rodríguez, Mariana Saavedra, Darío Sinisterra, Sebastián Zúñiga

Dauer: ca. 70 Minuten

Englischsprachiger Essay zum Stück in Pearson's Preview: Theatre that Lies to Tell the Truth (with an appearance by Pablo Escobar)


8.4.2017 From here I will build everything von Cédric Eeckhout

Die kurze Show des belgischen Schauspielers Cédric Eeckhout vor Mitternacht am vorletzen Tag des FIND ist eine kleine aber sehr unterhaltsame Performance, in der auch seine Mutter mitspielt (sie bereitet belgische Pommes zu, die am Schluss mit einem Zuschauer verzehrt werden). "My mother is Wallonian and my father is Flemish. They divorced in 1982. Ich bin en Europäisch produit. And I am in crisis. Just like Europe" erklärt er am Anfang. Er zieht Parallelen zwischen seiner eigenen Familiengeschichte und der Geschichte Europas (Scheidung / zerfallende EU). Vieles erinnert an die Autorenklubs von Patrick Wengenroth. Das merkt man auch am Publikum: Viele bekannte Gesichter - man fühlt sich wie in der Familie oder im Freundeskreis.

Die Inszenierung entstand beim Festival XS 2017 des Théâtre National de la communauté francaise de Belgique, Brüssel. Dank an: Théâtre de Vidy-Lausanne, La comédie de Reims, Le théâtre de la Criée à Marseille und Lieu Unique à Nantes.

Text und Regie: Cédric Eeckhout in Zusammenarbeit mit Douglas Grauwels
Dramaturgie: Nils Haarmann
Bühne und Kostüm: Frédérik Denis, Laurence Hermant
Beratung: Andrea Romano

Mit: Cédric Eeckhout, Douglas Grauwels, Jo Libertiaux

Dauer: ca. 25 Minuten


9.4.2017 Please Excuse My Dear Aunt Sally von Kevin Armento

Diese Geschichte wird aus der Sicht eines Handys erzählt. In der szenischen Lesung leihen Laurenz Laufenberg, Stephanie Eidt und Kay Bartholomäus Schulze, dem Erzähler ihre Stimmen. Ein Schüler verliebt sich in seine Lehrerin und beginnt mit ihr eine Beziehung. Zeuge dieser Verbindung ist das Handy, das mittles Fotos und Textnachrichten den Verlauf der Geschichte nachhalten kann. Mal witzig, mal hektisch, mal empört und mal (scheinbar) überlegen offenbart das Handy den Zuschauer*innen dieses Stücks, was sich zwischen den beiden Protagonist*innen abspielt und wie sich die Gefühle entwickeln. Der US-amerikanische Autor Kevin Armento erzählt in rasantem Tempo von der illusorischen Natur elektronischer Verbindungen und der Gefahr der Vereinzelung im Zeitalter digitaler Liebe. Die Schauspieler*innen der Schaubühne lesen und stehen schwarz gekleidet auf einer schwarzen Fläche mit Neon-Leuchtstreifen, sie sind die Inkarnation des Handy-Erzählers. Spannend ist diese Geschichte und Dank des hervorrangenden Vortrags mit den ausgezeichneten Stimmen ein großer Spaß beim Zuhören (und Zusehen).
Mein Wunsch: Mehr Darbietungen dieser Art beim nächsten FIND!

Laurenz Laufenberg, Kay Bartholomäus Schulze und Stephanie Eidt in »Please Excuse My Dear Aunt Sally« von Kevin Armento, Regie: Christoph Buchegger (Foto: Gianmarco Bresadola)

Regie: Christoph Buchegger
Aus dem Englischen von Theresa Schlesinger
Bühne: Emilie Cognard   
Kostüme: Anna Kurz

Mit: Stephanie Eidt, Laurenz Laufenberg, Kay Bartholomäus Schulze   

Dauer: ca. 60 Minuten


9.4.2017 Democracy in America von Romeo Castellucci (Cesena)
frei nach dem Buch von Alexis de Tocqueville

Es ist nicht unüblich, dass bei den Stücken von Romeo Castellucci das Performative mit philosphischen Gedanken verknüpft wird. In dieser Inszenierung greift er einen Text von Tocqueville auf, in dem ein neues Modell repräsentativer Demokratie beschrieben und auf deren Gefahren hingewiesen wird (Tyrannei der Mehrheit, Schwächung intellektueller Freiheit angesichts populistischer Rhetorik und die zweifelhafte Beziehung zwischen den Interessen der Gemeinschaft und individuellen Ansprüchen). Hinter einem Gaze-Vorhang tanzen Frauen und bilden aus den Buchstaben des Begriffe "Democray in America", die auf Fahnen genäht wurden, neue Begriffe; zwei Ureinwohner unterhalten sich, ebenso wie ein Paar. Etwas langatmig ist die gut zweistündige Vorstellung, optisch ist sie jedoch wie immer bei Castellucci ansprechend.

"Democracy in America" von Romeo Castellucci (Foto: Gianmarco Bresadola)

Produktion: Socìetas – Cesena Koproduktion: deSingel International Artcampus, Wiener Festwochen, Festival Printemps des Comédiens à Montpellier, National Taichung Theatre in Taichung (Taiwan), Holland Festival Amsterdam, Schaubühne Berlin, Festival d’Automne à Paris mit MC93 Maison de la Culture de Seine-Saint-Denis à Bobigny, Le Manège – Scène nationale de Maubeuge, Teatro Arriaga Antzokia de Bilbao, São Luiz Teatro Municipal (Lissabon), Peak Performances Montclair State University (NJ-USA).
Unter Beteiligung von: Théâtre de Vidy-Lausanne und Athens and Epidaurus Festival.

Regie, Bühne, Licht, Kostüme: Romeo Castellucci   
Text: Claudia Castellucci / Romeo Castellucci   
Musik: Scott Gibbons
Korrepition: Evelin Facchini
Regieassistenz: Maria Vittoria Bellingeri
Skulpturen auf der Bühne und Mechanismen: Istvan Zimmermann und Giovanna Amoroso

Mit: Olivia Corsini, Giulia Perelli, Gloria Dorliguzzo, Evelin Facchini, Stefania Tansini, Sofia Danai Vorvila
Tänzerinnen: Virág Arany, Emmanouela Dolianiti, Michèle Even, Lisanne Goodhue, Claudia Greco, Rosabel Huguet, Raisa Kröger, Elia López, Tatiana Mejia, Sofie Roels, Roberta Ruggerio, Elisabeth Ward

Choreographie inspiriert von Folkloretraditionen aus Albanien, Botswana, England, Ungarn, Sardinien.

Dauer: ca. 135 Minuten

Englischsprachiger Essay zum Stück in Pearson's Preview: What’s Gone Wrong in America? A Conversation with Romeo Castellucci

26. April 2017

FIND 2017 - Zwei Klassiker mit neuer Perspektive (Rückblick Tag 7 & 8)

Hamlet und Iphigenie  - sie gehören mit zu den bekanntesten Bühnenfiguren, die Dramen zum Lektürekanon im Schulunterricht, die Stücke oft gespielt auf deutschen Bühnen. Zwei englischsprachige Theatermacher haben sich der Figuren angenommen und als Inspiration für ihre Stücke genommen.

5.4.2017 Hamnet von Bush Moukarzel und Ben Kidd (Dublin)

Hamnet trifft auf seinen Vater. Richtig! Hamnet mit "n", nicht mit "l" wie in Hamlet. Es handelt sich um den "echten" Sohn William Shakespeares, der im Alter von elf Jahren starb. Hamnet kann zwar in einen Dialog mit seinem Vater treten, ihn jedoch nur als Geist auf der anderen Seite der Leinwand sehen. Bis die Perspektive wechselt und Shakespeare leibhaftig auf der Bühne steht, nun aber seinen Sohn nur als Geist wahrnehmen kann. Dead Center war schon im letzten Jahr mit zwei Produktionen zum FIND eingeladen: In "Lippy" wird eine Geschichte erzählt, die so vielleicht nie stattgefunden hat und mit "Checkov's First Play" hatten sich Dead Center auch schon einen Klassiker vorgenommen und im wahresten Sinne des Wortes zerlegt. In "Hamnet" stellt der 11jährige Junge Fragen an seinen abwesenden Vater und kann sich für die Antworten nur der Stücke Shakespeares bedienen, die er jedoch nicht versteht. Das Faszinierende an diesem Abend ist zum einen die Leistung des Kinderdarstellers Ollie West, zum anderen die technischen Tricks, die den Vater auf die Leinwand zaubern. Auf dieser sind die beiden vereint, sie spielen und sprechen zusammen. Auf der Bühne ist Hamnet allein.


"Hamnet" von Dead Centre, Regie: Bush Moukarzel, Ben Kidd (Foto: Gianmarco Bresadola)

Dead Centre, gegründet 2012 in Dublin von Bush Moukarzel und Ben Kidd. Ihr erstes Projekt »Souvenir« entwickelten sie für das Dublin Fringe 2012. Mit »Souvenir« gastierten sie in London und in New York. Das zweite Projekt »(S)quark!« fand in Dublin statt und reiste anschließend nach Russland (2013). »LIPPY « feierte in Dublin Premiere (2013) und tourte bereitsnach New York, London, Deutschland und Edinburgh. 2015 fand die Premiere von »Chekhov’s First Play« in Dublin statt und wurde u. a. in Holland, Estland, Berlin, Bordeaux und Brisbane gezeigt.

Regie: Bush Moukarzel, Ben Kidd
Text: Bush Moukarzel, Ben Kidd, William Shakespeare
Bühne: Andrew Clancy
Kostüme: Grace O Hara
Lichtdesign: Stephen Dodd
Sounddesign: Kevin Gleeson
Video: Jose Miguel Jimenez
Dramaturgie: Michael West
Produktion: Matthew Smyth, Rachel Murray

Mit: Ollie West

Dauer: ca. 60 Minuten


Eine Koproduktion von Abbey Theatre und Dead Centre.



6.4.2017 Iphigenia in Splott von Gary Owen (Cardiff)

Die arbeitslose Effie lebt in Splott, einem Arbeiterviertel in Cardiff. Ihr Leben dreht sich um Ausgehen und Trinken. Als sie sich in einen Kriegsveteranen verliebt und von ihm schwanger wird, glaubt sie ihr Leben könnte sich ändern. Und sie glaubt plötzlich an die Liebe. Dank Effie kann der Ex-Soldat das erste mal seinen verstümmelten Körper ohne Scham zeigen. Sie muss allerdings bald feststellen, dass er eine Familie hat und statt ihn zu verpflichten, sich um das Kind zu kümmern, beschließt sie das Familienglück nicht zu zerstören. Sie "opfert" sich, um einem anderen zu helfen. Dennoch möchte sie das Kind zur Welt bringen. Endlich hat sie nicht nur eine Aufgabe, sondern weiß auch, dass sie nicht mehr alleine sein muss. Doch die Geburtswehen setzen viel zu früh und ausgerechnet in einer Unwetternacht ein, der Krankenwagen, der sie in eine Klinik für Frühgeburten bringen soll, kommt nicht rechtzeitig an. Das Kind stirbt bei der Geburt. Obwohl sie die Möglichkeit hat, das Krankenhaus zu verklagen und so eine hohe Summe kassieren könnte, die ihr finanzielle Sicherheit bringen würde, sieht sie davon ab, die Klage durchzubringen. Warum? Um die Angestellten des Krankenhauses zu schützen, denn die hohe Zahlung würde für das Krankenhaus hohe Einsparungen bedeuten, Entlassungen würden folgen und damit eine schlechtere Versorgung der Patientinnen. Effie "opfert" sich ein zweites mal. - "Iphigenia in Splott" ist inspiriert von der Geschichte der Iphigenie, die in der griechischen Mythologie von ihremVater geopfert wurde, um gute Winde für die Fahrt nach Troja zu bekommen. Doch hier geht es um ein marodes Sozialsystem und Opfer, die gebracht werden müssen, um Profitinteressen nicht weiter zu befüttern. - Sophie Melville spielt die Effie mit Arbeiter*innenjargon und Proll-Klamottten so echt, dass man irgendwann vergisst, dass es sich hier um eine Schauspielerin handelt. Im anschließenden Publikumsgespräch erzählt sie, dass ihr Leben auch wie das der Effie hätte verlaufen können...
Eine beeindruckende Leistung und eine bewegende Geschichte!


"Iphigenia in Splott" von Gary Owen, Regie: Rachel O'Riordan (Foto: Mark Doeut)

Mit "Iphigenia in Splott" gewann Gary Owen den Preis für das Beste Neue Stück bei den UK Theatre Awards 2015, den James Tait Black Drama Prize, sowie den George Devine, Meyer Whitworth und Pearson Best Play Award. Weitere Stücke: "Violence and Son", "Crazy Gary’s Mobile Disco", "The Shadow of a Boy", "The Drowned World", "Mrs Reynolds and the Ruffian" und "Love Steals Us From Loneliness".

Eine Produktion des Sherman Theatre, Cardiff.

Regie: Rachel O’Riordan   
Bühne und Kostüme: Hayley Grindle
Mit: Sophie Melville

Dauer: ca. 80 Minuten


19. April 2017

FIND 2017 - Traurigkeit und Selbstversuch (Rückblick Tag 5 & 6)

Mit etwas Verspätung hier nun weitere Rückblicke des insgesamt sehr eindrucksvollen und wechselhaften (im positiven Sinne!) FIND 2017.


3.4.2017 Tristesses von Anne-Cécile Vandalem (Brüssel/Liège)

Auf einer fiktiven dänischen Insel mit Namen "Traurigkeiten" leben acht Menschen. Dort wird an einem Abend die Leiche von Ida gefunden, an den Fahnenmast mit der dänischen Flagge geknüpft. Ihre Tochter Martha, die Parteiführerin der rechten "Partei des völkischen Erwachens", kommt auf die Inseln, um zu verhindern, dass der Vorfall in die Öffentlichkeit gelangt. Das Stück ist eine merkwürdige Mischung aus schwarzer Komödie, Kriminalfall und Politstück mit einem großen Schauspielensemble und eigens dafür komponierten Musik. Melancholie (vor allem verkörpert durch die Töchter) und Humoriges (die hysterische Figur des Pfarrers) wechseln sich ab bzw. greifen ineinander. Auf der Bühne ist das komplette Dorf mit kleinen beengenden Häusern nebst Kirche errichtet. Ein Großteil der Handlung spielt sich im Inneren der Häuser ab, die per Live-Video auf eine Leinwand projiziert wird, was zusammen mit der überdrehten Spielweise der Figuren stark an die Castorf-Inszenierungen der Volksbühne erinnert. In "Tristesses" untersucht Anne-Cécile Vandalem, die auch die Rolle der Martha Heiger spielt, die Beziehung zwischen Macht und Emotionalisierung.

"Tristesses" Konzept, Text und Regie: Anne-Cécile Vandalem (Foto: Christophe Engels)


Koproduktion: Théâtre de Liège / Le Volcan – Scène Nationale du Havre / Théâtre National – Bruxelles / Théâtre de Namur, centre dramatique / Le Manège.Mons / Bonlieu Scène Nationale Annecy / Maison de la Culture d’Amiens – Centre européen de création et de production / Les Théâtres de Marseille – Aix en Provence. Im Rahmen des europäischen Theaternetzwerks PROSPERO: Théâtre National de Bretagne / Théâtre de Liège / Schaubühne Berlin / Göteborgs Stadsteatern / Théâtre National de Croatie, World Theatre Festival Zagreb / Festival d’Athènes et d’Epidaure / Emilia Romagna Teatro Fondazione.

Konzept, Text und Regie: Anne-Cécile Vandalem   
Musik: Vincent Cahay, Pierre Kissling
Bühne: Ruimtevaarders
Video: Arié van Egmond, Federico D’Ambrosio
Technische Leitung: Damien Arrii
Produktion: Das Fräulein (Kompanie)

Mit: Vincent Cahay, Anne-Pascale Clairembourg, Epona und Séléné Guillaume, Pierre Kissling, Vincent Lécuyer, Bernard Marbaix, Catherine Mestoussis, Jean-Benoit Ugeux, Anne- Cécile Vandalem, Françoise Vanhecke

Dauer: ca. 130 Minuten

Englischsprachiger Essay zum Stück in Pearson's Preview: Creating Distance

Hierzu wird es in Kürze noch einen Gastbeitrag von Steffi Eisenschenk geben.


4.4.2017 Tijuana von Lagartijas tiradas al sol (Mexiko-Stadt)

Der mexikanische Schauspieler Gabino Rodríguez wagte eine Selbstversuch, indem er sich mit angeklebtem Bart, unter falschem Namen und ohne Kontakt zu Freund*innen und Familie in Tijuana an der US-Grenze in einer Montagefabrik als Arbeiter verdingte. Sechs Monate tauschte er sein Leben gegen das der Figur Santiago Ramírez und erlebt, was es bedeutet von einem Lohn von umgerechnet 3,50 Euro am Tag zu leben sowie den Arbeitsbedigungen, der Ausbeutung und der Willkür der Vorgesetzten ausgeliefert zu sein. Darüber hinaus muss er mit den Lebenumständen im Arbeiterviertel umgehen, in dem häufig Gewalt herrscht. Daneben plagen ihn ethische Zweifel, weil er die Menschen, die ihm vertrauen, für diesen Versuch permament anlügen muss. Rodríguez ließ sich dafür u.a. von der Methode Günter Walraffs inspirieren, filmte und fotografierte mit seinem Handy heimlich u.a. einen Mob, der einen vermeintlichen Dieb im Viertel fast totprügelt. Diese Bilder und Aufnahmen werden im Stück verwendet. Das Stück, das vornehmlich aus den Schilderungen des Schauspielers besteht, ist die Dokumentation über diesen Versuch, der - das zeigt das Stück - am Ende doch nicht widerspiegeln kann, wie es denen ergeht, die immer so leben müssen. Und man fragt sich: War es für Rodríguez schlimmer, weil er in einer Situation zurchtkommen muss, die er so nicht kennt, oder besser, weil er immer die Gewissheit hat, wieder in sein altes Leben zurückkehren zu können? Ein weiteres Highlight für mich bei diesem Festival - auch wegen des tollen Schauspielers!

"Tijuana" ist der Auftakt eines großangelegten politischen und gesellschaftlichen Panoramas mit dem Titel "Die Demokratie in Mexiko (1965–2015)", das insgesamt aus 32 Teilen bestehen soll (für jeden der mexikanischen Bundesstaaten). Das Theaterkollektiv Lagartijas tiradas al sol (gegründet 2003) versucht in verschiedenen theatralen Formen die Grenze von Dokumentartheater und Schauspiel auszuloten, um die Widersprüche des Landes aufzudecken und so mit den Mitteln des Theaters politisch zu mobilisieren.

"Tijuana" von Lagartijas tiradas al sol (Foto: Escensas do cambio)

Ein Projekt von Gabino Rodríguez, basierend auf Texten und Ideen von Günter Walraff, Andrés Solano, Martin Caparrós

Mitarbeit Regie: Luisa Pardo
Licht: Sergio López Vigueras
Bühne: Pedro Pizarro
Sounddesign: Juan Leduc
Video: Chantal Peñalosa, Carlos Gamboa
Künstlerische Mitarbeit: Francisco Barreiro

Dauer: ca. 75 Minuten


4. April 2017

FIND 2017 - Kochen und Tragödie (Rückblick Tag 1-4)

Demokratie und Tragödie ist das Motto des diesjährigen FIND. Das Festival Internationale Neue Dramatik hat begonnen und ist mittlerweile auch schon fünf Tage alt. Den Auftakt machte eine Inszenierung von Angélica Lidell (schon vor zwei Jahren beim FIND zu Gast), die das erste mal mit einem deutschen Ensemble arbeitete. Außerdem wurde in den ersten Tagen auffällig viel gekocht. Zeit für eine Zwischenbilanz.


30.3.2017 PREMIERE Toter Hund in der Chemischen Reinigung: Die Starken von Angélica Lidell

Eine der Hauptaufgaben des Schauspielers ist es Ethik und Ästhetik mit Unterhaltung zu verbinden, sagt der Hund (Damir Avdic), der, wie er erklärt, durch einen Schauspieler ersetzt wurde, weil der viel billiger ist. Die Publikumsbeschimpfung mit der anschließenden Aufforderung an das Publikum zu gehen, sollte das Stück nicht gefallen, ist das Spannendste an der Inszenierung.  Es entsteht dabei eine etwas 10minütige Pause, die für die Zuschauer*innen erst unangenehm ist und sich nach einer Weile in Entspannung auflöst. Diese Zumutung an das Publikum ist für viele erträglicher als die Performance. Schon vor dieser Szene haben viele das Theater verlassen. Warum? Es fällt schwer zu folgen – es wird viel gerannt, etwas zertrümmert, herumgeschrien. Rousseau und Diderot werden zitiert. Vielleicht liegt es daran, dann man die Botschaft daher nur schwer herausfiltern kann. Es soll ja um „Europa in einer dystopischen Zukunft“ gehen, in der es keine Migrant*innen und keine Kriminalität mehr gibt. In der chemischen Reinigung treffen Personen aufeinander, die Geschichten ihrer Schuld und Sünden erzählen. Mit großer Spannung wurde diese Produktion von Angélica Lidell erwartet, die derzeit zu den interessantesten Theatermacher*innen gehört. Wahrscheinlich wird es das Stück schwer haben, vielleicht findet es aber auch seine Fans.


"Toter Hund in der Chemischen Reinigung: Die Starken" von Angélica Lidell - Ulrich Hoppe, Renato Schuch, Veronika Bachfischer, Iris Becher (Foto: Gianmarco Bresadola)



Regie, Bühne und Kostüme: Angélica Liddell   
Mitarbeit Regie: Gumersindo Puche
Dramaturgie: Florian Borchmeyer   

Der Hund: Damir Avdic   
Getsemani: Iris Becher   
Octavio: Ulrich Hoppe   
Combeferre: Renato Schuch   
Lazar: Lukas Turtur   
Hadewijch: Veronika Bachfischer   
Susana: Susana AbdulMajid

Dauer: ca. 155 Minuten

Essay zum Stück in Pearson's Preview: Poesie, die unsere Bequemlichkeit zertrümmert. Angélica Liddell’s »Toter Hund in der Chemischen Reinigung«

31.3.2017 & 1.4.2017 The Gabriels:  Election Year in the Life of one Family von Richard Nelson (New York)
Teil 1: Hungry
Teil 2: What did you expect?
Teil 3: Women of a Certain Age

Menschen sind die einzigen Lebewesen, die kochen – egal wie schlimm die Zeiten sind.
Jeder der drei Teile der Gabriels hat die Dauer der Zubereitung eines Essens. Ratatouille, Pasta, Kekse und andere Dinge werden von den Mitgliedern der Familie Gabriel zubereitet. Die Handlung ist im Jahr der Wahlen zum neuen Präsidenten der USA angelegt und spielt im Frühjahr, Sommer und Herbst (am Wahltag) 2016. Die Familie Gabriel trifft sich, um gemeinsam zu kochen und über die Familie zu sprechen – vor allem im Andenken über den verstorbenen Thomas. Dabei fließen immer wieder Überlegungen über die anstehenden Wahlen und die Kandidat*innen ein. Das Besondere für alle Zuschauer*innen, die vor zwei Jahren die Apple Family (ebenfalls von Richard Nelson und mit den gleichen Schauspieler*innen) gesehen haben: Es fühlt sich an, würde man alte Bekannte wieder sehen und schnell wächst einem auch diese Familie mit all ihren sympathischen (und unsympathischen) Eigenschaften ans Herz.

"The Gabriels: Election Year in the Life of one Family" von Richard Nelson, Regie: Richard Nelson (Foto: Joan Marcus)

Eine Produktion des Public Theater New York.

Regie: Richard Nelson   
Bühne: Jason Ardizzone-West, Susan Hilferty
Kostüme: Susan Hilferty

Mit: Meg Gibson, Lynn Hawley, Roberta Maxwell, Maryann Plunkett, Jay O. Sanders, Amy Warren

Dauer: jeweils ca. 95 Minuten

Englischsprachiger Essay zum Stück in Pearson's Preview: Home Cooking and Intimacy: Richard Nelson’s »The Gabriels«


2.4.2017 Verein zur Aufhebung des Notwendigen von Christophe Meierhans (Brüssel)

Gekocht wir auch im nächsten Stück im Studio der Schaubühne und zwar vom Publikum selbst. Jeder erhält zu Beginn eine Nummer und muss eine Aufgabe aus dem ausgelegten Kochbuch, das Skript des Stückes, erledigen: Zutaten auswählen, wegbringen, schneiden, pürieren, braten, mischen und dabei ein zwei Gänge-Menü zubereiten. Dabei wird die Gruppe auf der Bühne, die das Essen zubereitet immer größer. Man muss sich arrangieren. Manche denken dabei an die Gruppe (Sind Vegetarier anwesend, die etwas anderes als das zerlegte Lamm essen möchten?), manche halten sich streng an ihre Aufgabe. Manche nutzen die Situation, um das zu tun, was sie vermutlich zu Hause in der eigenen Küche niemals tun würden (Obst wird an die Wand geworfen). Irgendwann entscheidet jede*r selbst, wie er*sie sich einbringen möchte. Dass das zubereitete Essen hinter nicht besonders gut schmeckt (jedoch immerhin genießbar ist), spielt keine so große Rolle. Das Gemeinschaftserlebnis gilt den meisten wohl mehr. Demnach geht allerdings die Idee, dass das "fertige Essen wie die Summe aller Entscheidungen schmeckt" nicht ganz auf. Auch dass sich im Vorgang des Kochens die "verinnerlichte und alltäglich gelebte Praxis, als Weg, unsere persönlichen und kollektiven Bedürfnisse zu befriedigen und gemeinsam bindende Entscheidungen zu treffen" zeigen soll, ist nicht ganz einleuchtend. Dennoch ist ein solcher Abend eine schöne Idee und tolles Theaterexperiment, das tatsächlich Spaß macht.

Koproduktion: Kaaitheater, Vooruit, BIT Teatergarasjen, BUDA, Nouveau Théâtre de Montreuil, Vaba Lava. Mit Unterstützung von: Regierung von Flandern, Kunstenwerkplaats Pianofabriek. Ein House On Fire Projekt, mit Unterstützung des Kulturprogramms der Europäischen Union.

Konzept und Regie: Christophe Meierhans   
Dramaturgie: Bart Capelle
Bühne und Konzeptionelle Beratung: Holger Lindmüller, Michael Carstens
Produktion: Hiros

Dauer: ca. 150 Minuten


2.4.17 Accesso von Pablo Larraín (Santiago de Chile)

Sandokan versucht Produkte zu verscherbeln, die niemand braucht. Da er sie aber humorvoll an Mann und Frau bringen möchte, hat er erst mal die Lacher auf seiner Seite. Doch die lustige Performance wird immer wieder durch Flashbacks unterbrochen. Er erzählt von seiner Kindheit, dem Missbrauch durch Priester, von Armut und Drogen. Diese Schilderungen sind detailliert und schockierend und manchmal kaum zu ertragen. Um Zugang (Accesso) zu einerm "besseren" Leben (=Essen, Drogen) zu bekommen, lässt der junge Sandokan das alles über sich ergehen, überredet schließlich seine Schwester, den "Onkel" auch zur Verfügung zu stehen und verwechselt Missbrauch mit Liebe. Als die Behörden schließlich auf den Missbrauch aufmerksam werden, die Kinder befragen und wieder zurück in ihre ärmlichen Verhältnisse schicken wollen, ist er sogar empört und will die Täter schützen. Der chilenische Schauspieler Pablo Larraín (der bereits im auf der Berlinale 2015 mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnetetn Film "El Club" den Paria Sandokan spielte) bewegt sich während des Stücks fortwährend durch die Zuschauerreihen und kommt den Leuten dabei sehr nah - manchen vielleicht zu nah -, spricht sie an, bietet Wein aus einer Flasche an und beendet den Abend mit einer Beschimpfung: Was für Menschen seien wir eigentlich, die ins Theater gehen und uns seine Geschichte als Kunst anschauen? Standing Ovations für Larraín. Beeindruckt und aufgewühlt verlässt man den Saal. - Bisher mein Highlight beim diesjährige FIND.

"Acceso" von Roberto Farías und Pablo Larraín, Regie: Pablo Larraín (Foto: Sergio Armstrong)

Regie: Pablo Larraín   
Produktion und Regieassistenz: Josefina Dagorret
Produktion: Association Sens Interdits (Frankreich/France) in Zusammenarbeit mit/in collaboration with Fitam, Fundación Teatro a Mil (Chile)

Mit: Roberto Farías

Dauer: ca. 55 Minuten

13. März 2017

FIND Festival Internationale Neue Dramatik 2017 an der Schaubühne (30. März bis 9. April)


 
Das FIND an der Schaubühne findet in diesem Jahr zum 17. mal statt und natürlich ist es auch in diesem Jahr ganz nah dran am politischen Geschehen. Die Themen, die uns zur Zeit wohl am meisten beschäftigen, werden im April ihren Weg auf die Schaubühne finden: Der erstarkende Rechtspopulismus, die gefährdete Demokratie, die Unsicherheit vieler Menschen durch Terrorismus, Fanatismus und Hass, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich sind die Dinge, die uns beunruhigen.

Das Motto des FIND 2017: Demokratie und Tragödie - anknüpfend an die Ursprünge des Theaters (in der griechischen Antike stand hinter der Demokratie die Erfahrung der Tragödie als politisches Bewusstsein und Beschreibung des Daseins).

Eingeladen sind Theatermacher*innen aus der ganzen Welt, die mit ihren Arbeiten Denkanstöße geben können zu den Fragen wie wir miteinander leben wollen und welche Wiedersprüche in einer Demokratie herrschen können.

Neben den insgesamt 16 gezeigten Inszenierungen werden die Künstler*innen mit dem Publikum über "Demokratie und Tragödie" diskutieren. Der Streitraum (Carolim Emke) im Rahmen des FIND beschäftigt sich mit dem Thema "Grenzen des Respekts - die radikalisierte Gesellschaft".

Zum siebten Mal wird das Festival auch begleitet von FIND plus. Das Workshop-Programm richtet sich an internationale Theaterstudierende.

Aus der Programmbeschreibung der Schaubühne:

Angélica Liddell (Madrid) arbeitet zum ersten Mal an einem Ensemble-Theater und inszeniert mit Schauspielerinnen und Schauspielern der Schaubühne »Toter Hund in der Chemischen Reinigung: die Starken«.

Damir Avdic in "Toter Hund in der Chemischen Reinigung: die Starken" (Foto: Gianmarco Bresadola)


März bis November 2016. Eine Küche im Hause der Gabriel Familie, South Street, Rhinebeck, ein kleiner Ort 100 Meilen nördlich von New York. In drei Stücken verfolgen wir in Momentaufnahmen in Echtzeit nicht nur die amerikanische Präsidentschaftswahl sondern auch ein Jahr im Leben einer Mittelklasse-Familie, die privaten Hoffnungen und Ängste der Familienmitglieder. Richard Nelson verwebt in seiner neuen Trilogie »The Gabriels: Election Year in the Life of one Familiy« große nationale Ereignisse mit kleinen Geschehnissen privatem Lebens und zeigt ein Porträt einer Welt, in der das Persönliche, das Gesellschaftliche, das Kulturelle und das Politische unzertrennbar miteinander verknüpft sind.

Aus der Perspektive der heutigen (Post-)Demokratie blickt Romeo Castellucci (Cesena) auf »Democracy in America« (1835) von Alexis de Tocqueville als Wendepunkt des europäischen Denkens über das Staatswesen. Assoziativ folgt Castelluccis Inszenierung der Geschichte dieses jungen Franzosen, der mit Erstaunen und Erschrecken auf die amerikanische Demokratie blickt.



"Democracy in America" von Romeo Castellucci (Foto: Luca Del Pia)

 

»Tristesses« von Anne-Cécile Vandalem (Brüssel/Liège) spielt in einem Europa der Gegenwart, in dem Rechtspopulisten zunehmend Einfluss gewinnen, unter ihnen die nordeuropäische »Partei des völkischen Erwachens« von Martha Heiger. Auf der fiktiven dänischen Insel »Tristesses« wird die Leiche von Marthas Mutter gefunden. Sie hat sich erhängt und ist in eine dänische Flagge gewickelt. Martha kommt zur Beerdigung. Zwei junge Mädchen planen, die Politikerin, die ihre Zukunft bedroht, zu vernichten. Doch am Beerdigungstag kippt die Situation. Mit schwarzem Humor legt Vandalem die Hysterisierung gegenwärtiger Politik offen.

In ihrer neuen Arbeit »Hamnet«, einem Solo für einen 11jährigen Jungen, widmet sich das irische Theaterkollektiv Dead Centre William Shakespeares einzigem Sohn, der im Alter von 11 Jahren starb. Hamnet ist zu jung, um Shakespeare zu verstehen. Wir sind zu alt, um Hamnet zu verstehen. Es entwickelt sich ein Denkraum zwischen zwei Generationen, die sich befragen, welches Erbe sie weitergeben und erhalten wollen.



"Hamnet" von Dead Centre, Regie: Bush Moukarzel und Ben Kidd (Foto: Photo: Ste Murray, Image: Jason Booher)


 

Das kolumbianische Kollektiv Mapa Teatro (Bogotá) zeigt »LOS INCONTADOS – Anatomía de la Violencia en Colombia: un triptico«, ein Panorama der Welle der Gewalt, die das Land seit über einem halben Jahrhundert bestimmt. Teil 1 verwandelt ein afro-kolumbianisches Ritual in eine delirierende Performance: Maskierte, als Frauen verkleidete Männer ziehen durch die Straßen und peitschen alle aus, die nicht maskiert und transvestiert sind. Teil 2 führt den Geist eines ermordeten Drogenmafia-Chefs vor, der im kolumbianischen Dschungel in Begleitung seiner Braut den Gespenstern der eigenen Vergangenheit in die Augen sehen muss. In Teil 3 wartet eine Familie vorm Radio auf die Nachricht einer Revolution, die nie stattfinden wird.

Christophe Meierhans (Brüssel) zeigt mit »Verein zur Aufhebung des Notwendigen« ein Abendessen über die Demokratie. Die Zuschauer bereiten nach einem von Meierhans verfassten Kochbuch ein Zwei-Gänge-Menü samt Apéro und Getränken zu. Die Küche wird zum Theaterkollektiv oder individuell getroffener, allgemein bindender Entscheidungen. Das Essen schmeckt so wie deren Summe – ein Experiment mit offenem Ausgang.

»Acceso« ist die erste Theaterarbeit des vielfach preisgekrönten chilenischen Filmregisseurs (»Neruda«, »Jackie«, »El Club«) Pablo Larraín (Santiago de Chile). Der Schauspieler Roberto Farías ist darin Sandokan, ein Außenseiter, der im Transantiago-Bus Billigprodukte an die Leute bringt. Nach und nach erzählt er aus seiner Vergangenheit, die geprägt ist von Armut, Gewalt und sexuellem Missbrauch, und entwirft eine schonungslose Anklage gegen ein tief korruptes System.

»Tijuana« des jungen mexikanischen Theaterkollektivs Lagartijas tiradas al sol (Mexiko Stadt) ist Teil eines Triptychons mit dem Titel »Die Demokratie in Mexiko« und basiert auf einem realen Selbstversuch: Autor und Performer Gabino Rodríguez arbeitet sechs Monate für den Mindestlohn unter falscher Identität in einer Montagefabrik der Grenzstadt Tijuana. Dabei wird er nicht nur mit menschenverachtenden Ausbeutungsmethoden und einer aus dem Versagen staatlicher Ordnung resultierenden Selbstjustiz unter den Arbeitern konfrontiert, sondern auch mit seinen eigenen Widersprüchen und sozialen Vorurteilen als bürgerlicher Künstler.

»Pendiente de voto« von Roger Bernat (Barcelona) lässt das Publikum in einem Wahl-Experiment über Fragen des Gemeinwesens entscheiden. Ausgerüstet mit Abstimmungsgeräten werden die Zuschauer zum Modell einer Öffentlichkeit, die individuell, zu zweit und in Gruppen Standpunkte verteidigen, andere überzeugen und Entscheidungen treffen muss.

»Iphigenia in Splott« von Gary Owen (Cardiff) erzählt die unmögliche Liebe der jungen Effie aus dem walisischen Arbeiterviertel Splott zu einem behinderten Ex-Soldaten.




"Iphigenia in Splott" von Gary Owen, Regie: Rachel O'Riordan (Foto: Burning Red)


»Sei, wer du nicht bist« von Saman Arastou (Teheran) stellt, ausgehend von der eigenen Figur des Autors, Regisseurs und Hauptdarstellers, die Situation von Transsexuellen im Iran ins Zentrum.

In »Please Excuse My Dear Aunt Sally« erzählt der US-Amerikanische Autor Kevin Armento die Geschichte eines Schülers, der ein Verhältnis mit seiner Mathelehrerin eingeht – alles aus der Perspektive eines Handys. Christoph Buchegger stellt das Stück in Form einer Werkstattinszenierung mit Ensemblemitgliedern zum ersten Mal einem deutschen Publikum vor.

In »From here I will build everything« verbindet der belgische Schauspieler Cédric Eeckhout, der bei FIND 2016 in Sanja Mitrovićs Produktion »Do You Still Love Me?« zu sehen war, in einem kurzen Stand-Up-Monolog seine persönliche Lebenskrise mit der Krise Europas.


"From here I will build everything" von Cédric Eeckhout (Foto: Rachel Lang)



Weitere Informationen, die komplette Programmübersicht und Tickets gibt es auf der Seite der Schaubühne.

Außerdem wird Joseph Pearson das FIND mit Beiträgen auf seinem Blog begleiten.

25. April 2016

FIND 2016 – Review Teil 3 (13.-17. April 2016): Wild Minds, Natura e origine della mente, LIPPY, The Dark Ages

SIEBTER TAG (Mittwoch, 13. April 2016)
Ich musste die letzten Tage des Festivals erst ein wenig verdauen, bevor ich jetzt darüber schreiben kann. Auf der einen Seite ist es selbst für mich anstrengend so viele Theater-Eindrücke zu verarbeiten. Auf der anderen Seite wurde ich bereits Mitte der Woche beim Gedanken daran, dass das FIND bald schon wieder vorbei sein würde, wehmütig. Ich fühlte mich wie ein Gefäß, dass kurz vor dem Überlaufen ist. Das ist dann am letzten Tag eingetreten. Der Reihe nach...

Wild Minds
Wir betreten den Bühnenraum des Studios und setzen uns in einen Stuhlkreis. Geblendet vom Licht kann man sich nicht wirklich entspannen und die Situation ist sowieos schon ungewohnt. Wir befinden uns in einer (Selbsthilfe-)Gruppe, vier Schauspieler beginnen zu erzählen. »Maladaptive daydreaming«, eine psychologische Störung, bei der die Phantasien der Tagträumer das Leben völlig dominieren. Die Schauspieler erzählen uns von ihren Traumwelten und irgendwann vergisst man, dass man im Theater ist. Man beginnt zu nicken, zu verstehen, mitzufühlen. Und ist den Betroffenen sehr nah. Der schwedische Autor und Regisseur Marcus Lindeen hat in New York per Skype und im persönlichen Gespräch Menschen interviewt, die sich selbst als »compulsive daydreamers«, als zwanghafte Tagräumer, bezeichnen. Während der Performance hören die Schauspieler die Originalaufnahmen der von Lindeen geführten Interviews und versuchen, die Stimmen so genau wie möglich nachzusprechen. Auch so habe ich Theater noch nie erlebt...

Von Phantasiewelten bestimmt (Foto: Helena Tossavainen)
 
Englischsprachiger Essay zum Stück in Pearson's Preview: Daydreaming Theatre. Marcus Lindeen’s »Wild Minds«

Text und Regie: Marcus Lindeen
Musik und Sounddesign: Hans Appelqvist
Casting und Regieassistenz: Sara Björnstedt Qvarsell
Kuratorin: Catrin Lundqvist, Moderna Museet

Mit: Sandra Carpenter, Vaughn Rice, Mika Risiko, Kiki Snodgrass

Dauer: ca. 35 Minuten

Auftragswerk des Moderna Museet in Stockholm.


ACHTER TAG (Donnerstag, 14. Aril 2016) 
Für mich war heute Pause.


NEUNTER TAG (Freitag, 15. April 2016)

Natura e origine della mente
Von Romeo Castellucci erwartet man stets Merkwürdiges. Auch über "Natura e origine della mente" ("Von der Natur und dem Ursprung des Geistes") hörte man im Vorfeld schon kuriose Dinge. Als Grundlage für das Stück dient die Ethik von Baruch de Spinoza (1632-1677). Die Zuschauer/innen betreten durch eine Öffnung einen weißen Raum auf der Bühne und sind Teil der Inszenierung, die eher eine Installation ist. Sofort denkt man an einen White Cube aus der Bildenden Kunst.  An einem Drahtseil über den Köpfen der Zuschauer/innen hängt eine junge Frau (das Licht), sie hält sich mit nur einem Finger fest und droht abzustürzen. Ein großer schwarzer Hund (die Kamera) läuft umher, miaut und spricht mit ihr. Hinter der Öffnung, durch die wir eingetreten sind, bewegen und winden sich Geister, mal in weiß gekleidet, mal nackt, mal in schwarz. Es geht um Erkenntnis, um den Zusammenhang der Dinge, des Geistes, des Körpers, der Materie. Das alles ist so rätselhaft, dass es den Zuschauer/innen viel Raum für eigenen Assoziationen lässt. Optisch ist die Szene so überwältigend, verstärkt durch den Ausstellungscharakter und auch wegen der seltsamen Figuren, dass der Raum auf wundersame Weise heilig wird - so ist es zumindest für mich. Mit dem Gefühl, etwas Einmaliges und Sonderbares erlebt zu haben, verlasse ich nach einer halben Stunde diesen Raum. Es ist im übrigen das einzige Stück beim FIND, bei dem am Ende niemand klatscht - so wie man es im Museum auch nicht tun würde, wenn man einem Kunstwerk den Rücken zuwendet und geht.

Katzen-Hund und Geist (Foto: Claudia Castellucci)

Englischsprachiger Essay zum Stück in Pearson's Preview: Romeo Castellucci’s Dialogue with Spinoza (and ours with mind and body)

Konzeption und Installation: Romeo Castellucci   
Musik: Scott Gibbons   
Skulpturen auf der Bühne: Istvan Zimmermann, Giovanna Amoroso
Technische Leitung: Massimiliano Peyrone
Tontechnik: Matteo Braglia
Produktionsleitung: Benedetta Briglia
Organisation und Kommunikation: Valentina Bertolino, Gilda Biasini
Verwaltung: Michela Medri, Elisa Bruno, Simona Barducci, Massimiliano Coli

Mit: Silvia Costa, einem Hund/a dog, der Stimme von/the voice of Bernardo Bruno und Martina Borroni, Marcella Giesche, Rosabel Huguet, Pia Koch, Feline Lang, Christina Wintz (Statistinnen/Extras)

Dauer: ca. 45 Minuten

Produktion: Socìetas Raffaello Sanzio in Koproduktion mit T2G-Théâtre de Gennevilliers, Théâtre de la Ville, Festival d’Automne à Paris und La Biennale di Venezia. Entwickelt in Venedig im Rahmen des La Biennale College-Teatro im August 2013.


ZEHNTER TAG (Samstag, 16. April 2016)

LIPPY
Noch mal Dead Centre. Es geht wieder heiter los. Aber nach und nach wird es immer unheimlicher. Die Zuschauer/innen befinden sich zunächst in einem fiktiven Publikumsgespräch, ein Schauspieler erklärt, wie er Lippen liest und bald wird klar: er kann es nicht. In der darauf folgenden Szene sieht man vier irische Frauen, die sich gemeinsam in ihrem Haus zu Tode hungerten (diesen Fall gab es wirklich). Der Lippenleser soll bei der Aufklärung des rätselhaften Falls mithelfen, indem er die Aufzeichungen einer Überwachungskamera deutet. Er legt ihnen Worte in den Mund, die sie vielleicht nie gesagt haben. Das Publikum wird Zeuge der Tat und der (vielleicht falsch ersonnenen) Hintergründe. Die Performance der Schauspielerinnen ist verwirrend, nie weiß man was "echt" passiert ist, was "phantasiert". Das alles ist gruselig und sehr bedrückend.

Worte von den Lippen "lesen" (Foto: Jeremy Abrahams)


Englischsprachiger Essay zum Stück in Pearson's Preview: Unfinished Plays for Unfinished People: Dead Centre in Berlin

Regie: Ben Kidd, Bush Moukarzel
Sound und Musik: Adam Welsh
Bühne: Andrew Clancy
Kostüme und Bühneneffekte: Grace O’Hara
Licht: Stephen Dodd

Mit: Joanna Banks, Bush Moukarzel, Gina Moxley, Clara Simpson, Liv O’Donoghue, Dan Reardon, Adam Welsh

Dauer: ca. 80 Minuten

Entwickelt am National Theatre Studio, London mit Premiere beim Dublin Fringe Festival. Die Tour wird ermöglicht durch die Unterstützung von Culture Ireland.

Noch ist das Festival nicht ganz vorbei - am Sonntag gibt es noch ein paar Vorstellungen - aber am vorletzen Tag gab's die große FIND Abschlussparty, diesmal mit Stitch & Tchuani von Berries Berlin.


ELFTER TAG (Sonntag, 17. April 2016)

The Dark Ages 
Bis zum Rand gefüllt mit Eindrücken steht heute das letzte Stück auf dem Programm. Milo Rau war im letzten Jahr mit "The Civil Wars" beim FIND zu sehen. "The Dark Ages" ist der zweite Teil seiner Europa-Trilogie (der dritte Teil mit dem Titel "Empire" soll im September an der Schaubühne zu Beginn der Spielzeit 2016/17 Premiere haben). In "The Dark Ages" erzählen fünf Schauspieler/innen aus Bosnien, Deutschland, Russland und Serbien Geschichten der Vertreibung und der Heimatlosigkeit, des Weggehens und des Ankommens, des Engagements und der Verzweiflung. Das Stück ist wie ein klassisches Drama in fünf Akte unterteilt. Sie verknüpfen Geschichte mit persönlichen Erlebnissen - 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und 20 Jahre nach dem Massaker von Srebrenica. Untermalt werden die Berichte von der Musik der slowenischen Band Laibach. Dabei sind die Berichte sehr intim, teilweise schmerzhaft und sehr berührend. Etwa als Valery Tscheplanowa von ihrem Vater erzählt. Oder Manfred Zapatka vom Leben der Kinder nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Schauspieler/innen halten persönliche Fotos in die Kamera, die fortwährend alles filmt, was auf der Bühne berichtet wird. Es entstehen erstaunliche Parallelen zwischen den Biografien und immer wieder gibt es Anknüpfungspunkte zum Theater (Hamlet, Hamletmaschine).

Eine erstaunliche Parallele für mich: In wenigen Tagen werde ich Heiner Müllers "Hamletmaschine" von Dimiter Gotscheff im Deutschen Theater sehen. Vor neun Jahren inszenierte Gotscheff das Stück und trat darin selbst auf. Zu einem Gastspiel in Havanna konnte er im Herbst 2013 nicht mehr mitreisen, trug aber dafür Sorge, dass eine Version gezeigt werden konnte, die seine Passagen per Video einspielte. Das erzählt Valery Tscheplanowa auf der Bühne, sie selbst spielt die weibliche Hauptrolle. Zu Gotscheffs 73. Geburtstag ist diese Variante seiner legendären Inszenierung noch einmal am Deutschen Theater zu sehen. Der letzten Abend des FIND ist für mich noch mal ein Höhepunkt und tief beeindruckt verlasse ich das Theater.

Konzept, Text und Regie: Milo Rau   
Dramaturgie: Stefan Bläske   
Bühne und Kostüme: Anton Lukas   
Kamera und Videodesign: Marc Stephan   
Musik: Laibach
Dramaturgische Mitarbeit: Lucia Kramer, Rose Reiter
Regieassistenz: Jakub Gawlik
Recherche: Stefan Bläske, Mirjam Knapp
Übersetzung: Marija Karaklajic
Produktionsleitung IIPM (Tour): Mascha Euchner-Martinez

Text und Spiel, Text and Performance: Sanja Mitrović, Sudbin Musić, Vedrana Seksan, Valery Tscheplanowa, Manfred Zapatka

Dauer: ca. 120 Minuten

Eine Produktion des Residenztheaters München in Kooperation mit Milo Rau/International Institute of Political Murder (IIPM). Mit freundlicher Unterstützung von Pro Helvetia. 

15. April 2016

FIND 2016 – Review Teil 2 (10.-12. April 2016): Verleihung des ITI-Preises, Mein Jahr ohne Udo Jürgens, Do You Still Love Me, SPEAK!

VIERTER TAG (Sonntag, 10. April 2016) 

Man gewöhnt sich immer so schnell an die Festivalzeit, dass es einem gar nicht mehr merkwürdig vorkommt, jeden Tag im Theater zu verbringen.

Verleihung der ITI-Preises zum Welttheatertag an Milo Rau
Milo Rau, der auf dem FIND mit "The Dark Ages" und der Schaubühnen-Produktion "Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs" vertreten ist, wird mit dem ITI-Preis des Internationalen Theaterinstituts (ITI) geehrt. Aus der Jurybegründung: »Milo Rau erregt mit seinem International Institute of Political Murder Anstoß. Er steht für eine Generation, die mit Kompromisslosigkeit auf die sich immer stärker radikalisierende Wirklichkeit reagiert. Haltung beziehend und Haltung einfordernd verleiht Milo Rau dem Theater und der Gesellschaft Impulse, die den Sprengstoff der globalen Konflikte in unsere Mitte holen«.  Die Preisverleihung findet im Bühnenbild von "Mitleid" statt. Die Laudatio hält Kathrin Röggla.

Mein Jahr ohne Udo Jürgens
Eins mal vorweg: Ich bin kein Fan von Udo Jürgens. Aber ich bin, das ist bekannt, ein Fan von Patrick Wengenroth. Während des szenischen Konzerts lesen er und Thomas Thieme aus Andreas Maiers Buch und singen natürlich. Am Klavier wie immer Matze Kloppe. Höhepunkt ist der im Duett gesungene Ohrwurm "Liebe ohne Leiden" (im Original mit Jenny Jürgens). In den Texten geht es (gefühlt) andauernd um Apfelwein (mit Sekt! gesprizt), der in Frankfurt getrunken wird. Außerdem um die Emotionalität von Jürgens' Liedern und darum, warum das, was Udo Jürgens gemacht hat, nur Udo Jürgens machen konnte. Ein herrlicher, sehr lustiger, anregender Abend! Wengenroth halt. Mehr davon. Immer. Gerne. Und - ich glaub's selbst nicht - Udo Jürgens ist mir nach diesen drei Stunden ein wenig näher. Vielleicht lese ich sogar das Buch...

Realisation: Patrick Wengenroth   
Musik: Matze Kloppe   
Ausstattung: Alena Georgi   
Kostüme: Marc Freitag   
Dramaturgie: Sina Katharina Flubacher   

Mit: Thomas Thieme, Matze Kloppe, Patrick Wengenroth


FÜNFTER TAG (Montag, 11. April 2016)

Do You Still Love Me
Ich fand nie, dass Theater und Fußball wenig gemeinsam haben. Die Haltung mancher Theater-Fans (wie mir) zum "Hobby" ist der der Fußball-Fans nicht unähnlich. Die freie Zeit wird so eingeplant, dass man möglichst oft dabei ist und vieles wird dem untergeordnet. Die Beschäftigung mit allem, was damit irgendwie in Zusammenhang steht, ist intensiv. Beides findet live und vor Publikum statt und lebt vom konflikthaften Aufeinandertreffen. Die Unterschiede zwischen Theater und Fußball liegen freilich beim Geld - für das eine gibts (zu) wenig, für das andere (zu) viel. Und in der Größe der Fangemeinde sowie der öffentlichen Wahrnehmung. Sanja Mitrović lässt in "Do You Still Love Me" französische und belgische Fußballfans und Schauspieler/innen aufeinandertreffen und die Hintergründe für ihre Begeisterung erläutern, die im Zusammenhang mit der eigenen Lebensgeschichte stehen. Der Bezug zu nationalen Symbolen und das Zugehörogkeitsgefühl zu Gruppen spielt dabei eine wichtige Rolle. Interessanterweise kommt während des Stücks nie da Gefühl auf, dass die nicht-professionellen Darsteller bei ihren Auftritten hinter den professionellen Schauspieler/innen zurückfallen. Und irgendwann vergisst man, wer zu welcher Gruppe gehört.
 
Fans (Foto: Joeri Thiry)

Regie: Sanja Mitrović
Dramaturgie: Jorge Palinhos
Kostüme: Frédérick Denis
Sound: Vladimir Rakic
Kamera und Videodesign: Sanja Mitrovic
Licht: Stéphane Lebonvallet
Produktion und Tourmanagement: Liesbeth Stas

Mit: Servane Ducorps, Cédric Eeckhout, Ina Geerts, Sid van Oerle & Kostas Pericaud, Dominique Piron, Sam De Leener, Gregory Uytterhaegen (Anhänger des Fußballvereins Royale Union Saint-Gilloise)

Dauer: ca. 110 Minuten

Eine Produktion von Stand Up Tall Productions (NL), La Comédie de Reims-CDN / Reims Scènes d’Europe (FR), Hiros (BE) in Koproduktion mit STUK (BE), Beursschouwburg (BE). Unterstützt von: The Amsterdam Fund for the Arts (NL), The Flemish Community (BE), Performing Arts Fund (NL).


Englischsprachige Q&A zum Stück in Pearson's Preview: What Football Supporters and Theatre Have in Common  


SECHSTER TAG (Dienstag, 12. April 2016)

SPEAK!
Noch ein Stück von Sanja Mitrović. Diesmal steht sie selbst auf der Bühne, zusammen mit dem flämischen Performer Jorre Vandenbussche. Beide tragen in einem Wettbewerb in acht Runden bekannte poltische öffentliche gehaltene Reden vor. Die Zuschauer/innen erfahren dabei erst nach den einzelnen Runden, wer die Reden im Original gehalten hat (z.B. Fidel Castro, Rosa Luxemburg, Margaret Thatcher, Severn Suzuki) und zu welchem Anlass. Nach jeder Runde muss das Publikum wählen, welcher Vortrag besser war. Jede Runde ist anders gestaltet: Die beiden sprechen nacheinander, gleichzeitig, abwechselnd oder ohne Worte. Mit vielen Gesten oder keinen. Sie nutzen Requisiten, Kostüme oder Kulissen. Die letzte Runde ist eine Compilation aller Reden ("We must..."-Sätze). Es gilt zwar die Performance zu bewerten, doch kann man sich nicht frei machen vom Inhalt der Rede. Das fließt zwangsläufig in die Bewertung ein. Auch kann ein Vortrag gelungener sein, aber die Person im gleichen Moment unsympathischer erscheinen. Und natürlich spielt es (zumindest für mich) eine Rolle, ob man ihr oder ihm den Sieg mehr wünscht (schon deshalb weil sie schlicht mit Frau/women und Mann/men bezeichnet werden). Die Entscheidungen fallen immer schwerer. Das Ergebnis am Ende fällt sehr knapp aus. Zum Schlussapplaus darf nur die/der Gewinner/in vor das Publikum treten. Was für eine Idee! Dafür gehe ich ins Theater, denn nur hier gibt's so etwas.

Sanja Mitrović (Foto: Bea Borgers)

Konzept, Regie und Choreografie: Sanja Mitrović
Bühne und Licht: Laurent Liefooghe, Christophe Antipas (LLAC Architects)
Kostüme: Frédérick Denis
Sound Design: Luka Ivanovic
Dramaturgie: Jonas Rutgeerts

Mit: Sanja Mitrović, Jorre Vandenbussche

Dauer: ca. 70 Minuten

Eine Produktion von Stand Up Tall Productions (NL), koproduziert von Kunstenfestivaldesarts (BE). Unterstützt von: Beursschouwburg (BE), Pianofabriek Kunstenwerklplaats (BE), SPRING Festival (NL), STUK Kunstencentrum (BE). Finanziell unterstützt von: The Amsterdam Fund for the Arts (NL).

13. April 2016

FIND 2016 – Review Teil 1 (7.-9. April 2016): The Last Supper, The Trip, Checkov's First Play, Die Erfindung der RAF

ERSTER TAG (Donnerstag, 7.4.2016)

Endlich! Das FIND 2016 hat begonnen. Eine andere Welt für zehn Tage. Oder besser gesagt: Andere Welten. Ein geistiger Ausnahmezustand. Aber auch körperlich bin ich dieser Tage weniger in meiner Wohnung, sondern einmal mehr im Theater (der Schaubühne) zu Hause. Great! 


Familien-Selfie mit Kuhkopf (Foto: Mostafa Abdel Aty)

The Last Supper
Es beginnt mit „The Last Supper“ von Ahmed El Attar, einem Stück, das in der Zeit nach dem Arabischen Frühling und der Revolution auf dem Tahrir-Platz angesiedelt ist. Ägypten befindet sich im gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Wandel. Es wird die Gesellschaft im Umbruch aus der Perspektive der oberen Zehntausend beleuchtet: Die Mitglieder einer reichen Kairoer Großfamilie kommen anlässlich eines Abendessens zusammen. Ich brauche 10-15 Minuten, um mich in das Stück einzufinden, denn es wird viel gesprochen und meistens gleichzeitig. Und schnell. Die Hierarchie der handelnden Personen wird bald klar. Auch die Klischees. Spannend wird’s als eines der Kinder auf der Bühne einen Bediensteten solange piesackt, bis diesem die Hand ausrutscht und er sich der Dinner-Gesellschaft stellen muss – er wird bestraft. Als Zuschauerin bin ich natürlich empört. Und gerade mitten im Stück angekommen. Und da ist es schon vorbei. Gerade mal 45 Minuten hat die erste Vorstellung beim FIND gedauert. Kurz. Kurzweilig.

Konzept und Regie: Ahmed El Attar
Bühne und Kostüme: Hussein Baydoun
Licht: Charlie Aström
Musik: Hassan Khan
Sound: Hussein Sami

Mit: Boutros Boutros-Ghali, Mahmoud El Haddad, Ahmed Farag, Mona Farag, Mohamed Hatem, Ramsi Lehner, Nanda Mohammad, Sayed Ragab, Abdel Rahman Nasser, Mona Soliman, Marwa Tharwat

Dauer: ca. 55 Minuten

Eine Produktion der The Temple Independent Theatre Company in Kooperation mit Tamasi Collective.

Q&A with Ahmed El Attar by Joseph Pearson (4.4.2016).


ZWEITER TAG (Freitag, 8.4.2016)

The Trip

Selten sitze ich weinend im Theater, dieses Stück hat mich so berührt. Nicht nur mich. Ich höre, sehe und spreche anschließend mit Menschen, die ihren Gefühlen hier im Theater ihren Lauf lassen müssen. In „The Trip“ erzählt der syrische Regisseur Anis Hamdoun die Geschichte von Ramie, seinem Alter Ego, der zusammen mit seinen Freunden in Homs gegen das Assad-Regime auf die Straße ging und den Bürgerkrieg als einziger überlebte. Die jungen Menschen erzählen uns von ihren Träumen. Und dann wird alles anders. Sie geraten in Gefangenschaft, erleiden Folter und Ramie, der als einziger nach Deutschland flüchten konnte, quält sich mit der Situation als einziger überlebt zu haben. Der Preis, den das Überleben kostet. Das Stück dauert nur 40 Minuten, ist aber in seiner Intensität groß. Auch wenn das jetzt wie das immer gleiche Mantra klingt: Ich kann es wieder nicht fassen, dass es in diesem Land tatsächlich Menschen gibt, die glauben, dass Geflüchtete, die in Deutschland ankommen, sich ein leichtes Leben machen möchten. Bedauerlich, dass sie dieses Stück (wahrscheinlich) niemals sehen werden.


Anja S. Gläser und Marius Lamprecht vom Theater Osnabrück (Foto: Maik Reishau)

Regie: Anis Hamdoun
Bühne: Mona Müller
Kostüme: Anna Grabow, Miriam Schliehe
Dramaturgie: Elisabeth Zimmermann

Mit: Patrick Berg, Anja S. Gläser, Marius Lamprecht, Nawar Bulbul (im Video), Zainab Alsawah (Gesang)

Dauer: ca. 60 Minuten

Eine Produktion des Theater Osnabrück.

Checkov's First Play

Das macht das Festival aus: Nach dem emotionalen Hammer („The Trip“) kommt das erste Stück von Dead Centre. Ganz anders. Ganz toll, voller Energie. Es erinnert auch sofort ein wenig an Simon McBurney, der im letzten Jahr beim FIND in „Amazon Beaming“ ebenfalls mit Kopfhörern für die Zuschauer/innen gearbeitet hat und so Illusionen schaffte. In „Checkov's First Play“ hören wir die Kommentare des Regisseurs, wie eine kleine Stimme im Kopf, als Anmerkungen zu dem was, die Schauspieler/innen auf der Bühne umsetzen. Nach den ersten 30 Minuten, in denen (scheinbar) klassisch inszeniert „Platonov“ gespielt wird, löst sich die Form nach und nach auf. Und mit ihr der Inhalt. Bis sogar das Bühnenbild von einer Abrissbirne zerstört wir (begleitet von Miley Cyrus „Wrecking Ball“). Dann Auftritt der Hauptfigur: Platonov steht aus dem Publikum auf (kein Schauspieler!), betritt die Bühne und spricht kein einziges Wort. Alle projizieren ihr Sehnsüchte und Hoffnungen auf ihn. Er steht nur da und bewegt sich ohne zu handeln über die Bühne.

Platonov Projektionsfläche der Sehnsüchte  (Foto: Jose Miguel Jimenez)

Bush Moukarzel, der Regisseur, der auch die Rolle des Regisseurs im Stück spielt, erklärt im anschließenden Publikumsgespräch, dass es „Randnotizen“ von Tschechow tatsächlich gegeben hat. Auch er kommentierte die Auftritte der Schauspieler/innen. 

Regie: Ben Kidd, Bush Moukarzel
Bühne: Andrew Clancy
Ausstattung und Bühneneffekte: Grace O’Hara
Kostüme: Saileóg O’Halloran
Sound Design: Jimmy Eadie
Co-Sound Design: Kevin Gleeson
Licht: Stephen Dodd

Mit: Liam Carney, Breffni Holahan, Rory Nolan, Rebecca O’Mara, Annie Ryan, Dylan Tighe

Dauer: ca. 70 Minuten

In Auftrag gegeben von Battersea Arts Centre und Irish Arts Center, New York. In Koproduktion mit dem Dublin Theatre Festival, Baltoscandal (Rakvere) und Le Théâtre National de Bordeaux en Aquitaine. Das Projekt wurde koproduziert von NXTSTP, mit Unterstützung der Kulturförderung der Europäischen Union. Die Tour wird ermöglicht durch die Unterstützung von Culture Ireland.

Pearson's Preview: Unfinished Plays for Unfinished People: Dead Centre in Berlin


DRITTER TAG (Samstag, 9.4.2016)


Premiere: Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969 
Armin Petras hat Frank Witzels Buchpreis gekröntem Roman Szenen entnommen und in gut zwei Stunden auf die Bühne gebracht. In die Geschichte eines 13jähringe Jugendlichen aus der hessischen Provinz ist eine Rekonstruktion der alten Bundesrepublik eingewoben. Ich fange mit dem an, was mir gefallen hat: Die Musik von den "Nerven". Es ist toll zu sehen, wie viel Spaß die Jungs auf der Bühne haben und dank ihnen bekommt das Stück auch eine gewissen Drive. Das Bühnenbild (Katrin Brack) aus Schaufensterpuppen (Kinder und Erwachsene) mit Kleidung aus den 60ern/70ern ist wunderbar. Es gibt ein paar schöne Momente z.B. als die fünf Schauspieler/innen ikonografische Bilder der Zeit nachstellen (das Nacktbild der Kommune 1 von 1967, die Black Panther Fäuste der Sportler bei den Olympischen Spielen 1968, der Kniefall Willy Brandts in Warschau 1970 u.a.) oder Julischka Eichel als resolute Caritas-Mitarbeiterin. Insgesamt kann ich aber keine wirkliche Begeisterung aufbringen. Irgendwie hat das Stück nicht das richtige Tempo und ich habe den Verdacht, dass auch die Schauspieler/innen nicht hinter der Inszenierung stehen. Irgendwie unzufrieden verlasse ich den Saal.
Aber: Da das Festival so viele hervorragende Produktionen zu bieten hat, kann ich diese hier für den Moment gut verzeihen.

Die Nerven - Max Rieger, Kevin Kuhn, Julian Knoth (Foto: Thomas Aurin)


Autor: Frank Witzel   
Regie: Armin Petras   
Bühne: Katrin Brack
Kostüme: Annette Riedel   
Video: Rebecca Riedel   
Dramaturgie: Katrin Spira, Maja Zade   
Licht: Erich Schneider

Live-Musik: Die Nerven

Mit: Jule Böwe, Julischka Eichel, Paul Grill, Peter René Lüdicke, Tilman Strauß   

Dauer: ca. 120 Minuten

Koproduktion mit dem Schauspiel Stuttgart.

Weitere Infos zum Stück auf der Seite der Schaubühne.

Pearson's Preview "The Prism of the Red Army Faction, Reflections and Refraction"