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13. April 2016

FIND 2016 – Review Teil 1 (7.-9. April 2016): The Last Supper, The Trip, Checkov's First Play, Die Erfindung der RAF

ERSTER TAG (Donnerstag, 7.4.2016)

Endlich! Das FIND 2016 hat begonnen. Eine andere Welt für zehn Tage. Oder besser gesagt: Andere Welten. Ein geistiger Ausnahmezustand. Aber auch körperlich bin ich dieser Tage weniger in meiner Wohnung, sondern einmal mehr im Theater (der Schaubühne) zu Hause. Great! 


Familien-Selfie mit Kuhkopf (Foto: Mostafa Abdel Aty)

The Last Supper
Es beginnt mit „The Last Supper“ von Ahmed El Attar, einem Stück, das in der Zeit nach dem Arabischen Frühling und der Revolution auf dem Tahrir-Platz angesiedelt ist. Ägypten befindet sich im gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Wandel. Es wird die Gesellschaft im Umbruch aus der Perspektive der oberen Zehntausend beleuchtet: Die Mitglieder einer reichen Kairoer Großfamilie kommen anlässlich eines Abendessens zusammen. Ich brauche 10-15 Minuten, um mich in das Stück einzufinden, denn es wird viel gesprochen und meistens gleichzeitig. Und schnell. Die Hierarchie der handelnden Personen wird bald klar. Auch die Klischees. Spannend wird’s als eines der Kinder auf der Bühne einen Bediensteten solange piesackt, bis diesem die Hand ausrutscht und er sich der Dinner-Gesellschaft stellen muss – er wird bestraft. Als Zuschauerin bin ich natürlich empört. Und gerade mitten im Stück angekommen. Und da ist es schon vorbei. Gerade mal 45 Minuten hat die erste Vorstellung beim FIND gedauert. Kurz. Kurzweilig.

Konzept und Regie: Ahmed El Attar
Bühne und Kostüme: Hussein Baydoun
Licht: Charlie Aström
Musik: Hassan Khan
Sound: Hussein Sami

Mit: Boutros Boutros-Ghali, Mahmoud El Haddad, Ahmed Farag, Mona Farag, Mohamed Hatem, Ramsi Lehner, Nanda Mohammad, Sayed Ragab, Abdel Rahman Nasser, Mona Soliman, Marwa Tharwat

Dauer: ca. 55 Minuten

Eine Produktion der The Temple Independent Theatre Company in Kooperation mit Tamasi Collective.

Q&A with Ahmed El Attar by Joseph Pearson (4.4.2016).


ZWEITER TAG (Freitag, 8.4.2016)

The Trip

Selten sitze ich weinend im Theater, dieses Stück hat mich so berührt. Nicht nur mich. Ich höre, sehe und spreche anschließend mit Menschen, die ihren Gefühlen hier im Theater ihren Lauf lassen müssen. In „The Trip“ erzählt der syrische Regisseur Anis Hamdoun die Geschichte von Ramie, seinem Alter Ego, der zusammen mit seinen Freunden in Homs gegen das Assad-Regime auf die Straße ging und den Bürgerkrieg als einziger überlebte. Die jungen Menschen erzählen uns von ihren Träumen. Und dann wird alles anders. Sie geraten in Gefangenschaft, erleiden Folter und Ramie, der als einziger nach Deutschland flüchten konnte, quält sich mit der Situation als einziger überlebt zu haben. Der Preis, den das Überleben kostet. Das Stück dauert nur 40 Minuten, ist aber in seiner Intensität groß. Auch wenn das jetzt wie das immer gleiche Mantra klingt: Ich kann es wieder nicht fassen, dass es in diesem Land tatsächlich Menschen gibt, die glauben, dass Geflüchtete, die in Deutschland ankommen, sich ein leichtes Leben machen möchten. Bedauerlich, dass sie dieses Stück (wahrscheinlich) niemals sehen werden.


Anja S. Gläser und Marius Lamprecht vom Theater Osnabrück (Foto: Maik Reishau)

Regie: Anis Hamdoun
Bühne: Mona Müller
Kostüme: Anna Grabow, Miriam Schliehe
Dramaturgie: Elisabeth Zimmermann

Mit: Patrick Berg, Anja S. Gläser, Marius Lamprecht, Nawar Bulbul (im Video), Zainab Alsawah (Gesang)

Dauer: ca. 60 Minuten

Eine Produktion des Theater Osnabrück.

Checkov's First Play

Das macht das Festival aus: Nach dem emotionalen Hammer („The Trip“) kommt das erste Stück von Dead Centre. Ganz anders. Ganz toll, voller Energie. Es erinnert auch sofort ein wenig an Simon McBurney, der im letzten Jahr beim FIND in „Amazon Beaming“ ebenfalls mit Kopfhörern für die Zuschauer/innen gearbeitet hat und so Illusionen schaffte. In „Checkov's First Play“ hören wir die Kommentare des Regisseurs, wie eine kleine Stimme im Kopf, als Anmerkungen zu dem was, die Schauspieler/innen auf der Bühne umsetzen. Nach den ersten 30 Minuten, in denen (scheinbar) klassisch inszeniert „Platonov“ gespielt wird, löst sich die Form nach und nach auf. Und mit ihr der Inhalt. Bis sogar das Bühnenbild von einer Abrissbirne zerstört wir (begleitet von Miley Cyrus „Wrecking Ball“). Dann Auftritt der Hauptfigur: Platonov steht aus dem Publikum auf (kein Schauspieler!), betritt die Bühne und spricht kein einziges Wort. Alle projizieren ihr Sehnsüchte und Hoffnungen auf ihn. Er steht nur da und bewegt sich ohne zu handeln über die Bühne.

Platonov Projektionsfläche der Sehnsüchte  (Foto: Jose Miguel Jimenez)

Bush Moukarzel, der Regisseur, der auch die Rolle des Regisseurs im Stück spielt, erklärt im anschließenden Publikumsgespräch, dass es „Randnotizen“ von Tschechow tatsächlich gegeben hat. Auch er kommentierte die Auftritte der Schauspieler/innen. 

Regie: Ben Kidd, Bush Moukarzel
Bühne: Andrew Clancy
Ausstattung und Bühneneffekte: Grace O’Hara
Kostüme: Saileóg O’Halloran
Sound Design: Jimmy Eadie
Co-Sound Design: Kevin Gleeson
Licht: Stephen Dodd

Mit: Liam Carney, Breffni Holahan, Rory Nolan, Rebecca O’Mara, Annie Ryan, Dylan Tighe

Dauer: ca. 70 Minuten

In Auftrag gegeben von Battersea Arts Centre und Irish Arts Center, New York. In Koproduktion mit dem Dublin Theatre Festival, Baltoscandal (Rakvere) und Le Théâtre National de Bordeaux en Aquitaine. Das Projekt wurde koproduziert von NXTSTP, mit Unterstützung der Kulturförderung der Europäischen Union. Die Tour wird ermöglicht durch die Unterstützung von Culture Ireland.

Pearson's Preview: Unfinished Plays for Unfinished People: Dead Centre in Berlin


DRITTER TAG (Samstag, 9.4.2016)


Premiere: Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969 
Armin Petras hat Frank Witzels Buchpreis gekröntem Roman Szenen entnommen und in gut zwei Stunden auf die Bühne gebracht. In die Geschichte eines 13jähringe Jugendlichen aus der hessischen Provinz ist eine Rekonstruktion der alten Bundesrepublik eingewoben. Ich fange mit dem an, was mir gefallen hat: Die Musik von den "Nerven". Es ist toll zu sehen, wie viel Spaß die Jungs auf der Bühne haben und dank ihnen bekommt das Stück auch eine gewissen Drive. Das Bühnenbild (Katrin Brack) aus Schaufensterpuppen (Kinder und Erwachsene) mit Kleidung aus den 60ern/70ern ist wunderbar. Es gibt ein paar schöne Momente z.B. als die fünf Schauspieler/innen ikonografische Bilder der Zeit nachstellen (das Nacktbild der Kommune 1 von 1967, die Black Panther Fäuste der Sportler bei den Olympischen Spielen 1968, der Kniefall Willy Brandts in Warschau 1970 u.a.) oder Julischka Eichel als resolute Caritas-Mitarbeiterin. Insgesamt kann ich aber keine wirkliche Begeisterung aufbringen. Irgendwie hat das Stück nicht das richtige Tempo und ich habe den Verdacht, dass auch die Schauspieler/innen nicht hinter der Inszenierung stehen. Irgendwie unzufrieden verlasse ich den Saal.
Aber: Da das Festival so viele hervorragende Produktionen zu bieten hat, kann ich diese hier für den Moment gut verzeihen.

Die Nerven - Max Rieger, Kevin Kuhn, Julian Knoth (Foto: Thomas Aurin)


Autor: Frank Witzel   
Regie: Armin Petras   
Bühne: Katrin Brack
Kostüme: Annette Riedel   
Video: Rebecca Riedel   
Dramaturgie: Katrin Spira, Maja Zade   
Licht: Erich Schneider

Live-Musik: Die Nerven

Mit: Jule Böwe, Julischka Eichel, Paul Grill, Peter René Lüdicke, Tilman Strauß   

Dauer: ca. 120 Minuten

Koproduktion mit dem Schauspiel Stuttgart.

Weitere Infos zum Stück auf der Seite der Schaubühne.

Pearson's Preview "The Prism of the Red Army Faction, Reflections and Refraction"

17. März 2016

FIND Festival Internationale Neue Dramatik 2016 an der Schaubühne (7. bis 17. April)

Das FIND Festival Internationale Neue Dramatik findet in diesem Jahr zum 16. mal statt. Theatermacher/ innen aus der ganzen Welt kommen an der Schaubühne zusammen, um ihre Arbeiten zu präsentieren: Zu Gast sind Produktionen aus Ägypten, Belgien/Serbien, Deutschland, Iran, Irland/Großbritannien, Israel/Palästina, Italien, Schweden und der Schweiz.

Festival Internationale Neue Dramatik 2016 an der Schaubühne vom 7. bis 17. April 2016



»The Dark Ages« von Milo Rau, Regie: Milo Rau (Foto: Thomas Dashuber)

Neben großen Namen wie Milo Rau mit "The Dark Ages" (zweiter Teil der "Europa-Trilogie") und Romeo Castellucci mit "Natura e origine della mente" (nach dem gleichnamigen II. Buch der Ethik von Spinoza) gibt es beim FIND 2016 auch viele Neuentdeckungen - hier eine Auswahl an Produktionen, die besonders spannen klingen:

Dead Centre, die in Großbritannien bereits gefeiert werden, ist mit zwei Produktionen dabei: "Chekhov’s First Play" erzählt auf der Folie von "Platonov" von der Absurdität allen Seins. In "LIPPY" geht es um den rätselhaften Selbstmord vierer Frauen, die sich 2000 in ihrem Haus verbarrikadierten und 40 Tage zu Tode hungerten. Jegliche Hinweise fehlten. Ein Lippenleser versucht die Rekonstruktion ihrer letzten Gespräche und legt ihnen Worte in den Mund, die sie vielleicht nie sagten.

»LIPPY« von Dead Centre, Regie: Ben Kidd/Bush Moukarzel (Foto: Jeremy Abrahams)


Ahmed El Attar wurde mit "The Last Supper" eingeladen: Elf Figuren treffen während eines Abenessens aufeinander und formieren ein Tableau der ägyptischen Gesellschaft nach dem Sturz Mubaraks.

»The Last Supper« von Ahmed El Attar, Regie: Ahmed El Attar (Foto: Mostafa Abdel Aty)
 

Die Autorin, Regisseurin und Perfomerin Sanja Mitrović, die in Serbien geboren wurde und in Brüssel und Amsterdam lebt ist mit zwei Arbeiten vertreten: "Do You Still Love Me?" bringt zwei nur scheinbar meilenweit voneinander entfernte Welten zusammen: Fußball und Theater. In "SPEAK!" steht Mitrović selbst auf der Bühne, zusammen mit dem flämischen Performer Jorre Vandenbussche. In einem Kopf-an-Kopf-Duell hinterfragen die beiden die Verführungskraft von politischer Rhetorik. Das Publikum ist der Richter in diesem rhetorischen Zweikampf. Sanja Mitrović ist übrigens ebenfalls in Milo Raus "The Dark Ages" zu sehen.

»SPEAK!« von Sanja Mitrović, Regie: Sanja Mitrović (Foto: Bea Borgers)


Der schwedische Regisseur Marcus Lindeen zeigt uns in "Wild Minds" eine imaginäre Therapiegruppe, in der die Performer Texte sprechen, die auf Interviews mit vier echten Tagträumern aus New York basieren. Es geht dabei um "Maladaptives Tagträumen", eine psychologische Störung, bei der Menschen sich so sehr in ihre Phantasiewelt hineinsteigern, dass sie ihr Leben völlig dominiert.

»Wild Minds« von Marcus Lindeen, Regie: Marcus Lindeen (Foto: Helena Tossavainen)
 

Auch ein musikalischer Abend von und mit Patrick Wengenroth steht an: Die Lieder von Udo Jürgens sind seit Jahren ein Bestandteil der Theaterarbeit des Regisseur. In "Mein Jahr ohne Udo Jürgens" nimmt er uns zusammen mit dem Schauspieler Thomas Thieme und dem Musiker Matze Kloppe mit auf eine Reise in die ebenso unterhaltsame wie tiefsinnige Auseinandersetzung des Autors Andreas Maier mit dem Phänomen Udo Jürgens.

Und wie immer finde im Rahmen ds FIND auch eine Premiere statt: Armin Petras’ Adaption von Frank Witzels Roman "Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969". Der Roman wurde 2015 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet.

Zum sechsten Mal ist das Festival begleitet von FIND plus, dem Workshop-Programm für internationale Theaterstudierende. Gastland ist in diesem Jahr die Türkei.

Ein genauer Blick in das Programm des FIND lohnt sich, denn es finden auch Diskussionsrunden und Publikumsgspräche statt.

Gefeiert wird natürlich auch: am 16. April findet die große FIND Abschlussparty statt (mit einem Ticket des selben Tages ist der Eintritt frei).

Das FIND wird gefördert durch die Lottostiftung Berlin.

Tickets gibt es hier und an der Abendkasse.