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24. Februar 2019

Vorschau & Empfehlungen: Festival Internationale Neue Dramatik 2019 - "Archäologie der Gegenwart"

Vom 4. bis 14. April 2019 findet an der Schaubühne das 19. Festival Internationale Neue Dramatik (FIND) statt. Das Motto lautet "Archäologie der Gegenwart". Die Stücke aus Brüssel, Santiago de Chile, New York, London, Barcelona und Montréal werden das erste mal in Berlin gezeigt. Aktuelle Themen wie Flucht und Migration, Klimawandel, dysfunktionale Sozialsysteme, Feminismus und patriarchale Strukturen sind die Schwerpunkte beim diesjährigen Festival. Im FIND 2019 wird durch den Blick auf die (jüngere) Geschichte versucht, das Heute zu verstehen.



Eine gute Zusammenfassung der zehn Stücke, die während des Festivals gezeigt werden, findet sich auf der Seite der Schaubühne.

Hier möchte ich ein paar Empfehlungen aussprechen.

Trap Street vom Kollektiv Kandinsky (London)
Inszeniert wurde das Stück von James Yeatman, der als Co-Regisseur von Simon McBurney schon an der Schaubühnen-Produktion »Ungeduld des Herzens« mitgewirkt hat. Wenn wir auf dem FIND das Stück über den Verfall des britischen Sozialsystems sehen - die Kulisse bildet übrigens die Ruine eines 60er Jahre Plattenbaus -, wird der Brexit eine Woche her sein. Wie sich das wohl anfühlt?

Paisajes para no colorear von Marco Layera & Ensemble (Santiago de Chile)
Der Titel bedeutet übersetzt so viel wie "Landschaft zum Nicht-Ausmalen".
Neun Mädchen zwischen 13 und 17 Jahren befreien sich durch ein Re-enactment von der Unterdrückung durch die katholische Kirche, Faschismus und Machismus in Chile. Es handelt sich um Geschichten, die von den Medien nicht erzählt wurden. Spannend wird sein, wie die jungen Frauen, die viel Unterdrückung und Gewalt erfahren haben, die Kraft des Spielens nutzen werden, um sich von ihrer Vergangenheit zu befreien. 

Danke Deutschland - Cảm ơn nước Đức ist eine Projektentwicklung von Sanja Mitrović
Von ihr waren schon beim FIND 2016 zwei Stücke ("SPEAK!" und "Do you still love me") zu sehen. In der Inszenierung, die ins  Repertoire der Schaubühne übernommen wird, hinterfragt die Schauspielerin und Regisseurin das Verhältnis von Eingewanderten und Staatsbürger*innen. Dabei stehen in die DDR Eingewanderte aus Vietnam (sogenannten "Boat People") und Bürger*innen aus der BRD und DDR im Mittelpunkt. Schauspieler*innen des Ensembles, die in den beiden Teilen Deutschlands in den 70er und 80er Jahren groß geworden sind, sowie aus Vietnam eingewanderte bzw. der zweiten Generation durchleuchten die Konflikte im wiedervereinigten Deutschland und wie sich das Verhältnis zu Migrant*innen seitdem entwickelt hat.

Post-Humains von Dominique Leclerc (Montréal)
Die Schauspielerin, Regisseurin, Autorin beschäftigt sich in dieser Inszenierung mit der Welt der Cyborgs und der transhumanistischen Bewegung. Sie untersucht eine Zukunft, die bereits Gegenwart ist, denn die Menschen sind schon längst stärker mit Technologie (z.B. Smartphones, Implantate zu medizinischen Zwecken) verbunden und davon abhängig als ihnen bewusst ist. Die zunehmende Digitalisierung als Fluch oder Segen?

THE TOWN HALL AFFAIR von The Wooster Group (New York)
Seit den 70er Jahren gilt das Künstler*innenkollektiv The Wooster Group als eine der einflussreichsten Theaterkompanien und Vorreiter*in des postdramatischen Theaters. Unter den Künstler*innen, die mit der Wooster Group gearbeitet haben, befinden sich u.a. Willem Dafoe, Laurie Anderson, John Malkovich, John Lurie, Steve Buscemi. 
Bei der eingeladenen Inszenierung handelt es sich um ein Re-enactment des 40 Jahre alten Films "Town Bloody Hall" von Chris Hegedus und D.A. Pennebaker. 1971 fand in der New Yorker Town Hall eine Debatte zwischen den Feministinnen der zweiten Welle (u.a. Germain Greer) und dem Autor Norman Mailer (eher bekannt durch seine machistischen Texte) statt. Damals ging es um Themen wie die Benachteilung von Frauen, Abtreibungsgesetze und Vergewaltigung, also Dinge über die wir heute wieder - oder immer noch - diskutieren.

Eingeladen werden konnte diese Inszenierung u.a. Dank der finanziellen Unterstützung der Freunde der Schaubühne am Lehniner Platz e.V. 
 
Poetry Slam: ONE MIC STAND mit Young Identity (Manchester)
Hierbei handelt es sich um keine Inszenierung sondern um das Rahmenprogramm des FIND 2019:
Auf diese Show des Spoken Word Kollektivs freue ich mich besonders, da ich schon beim letzten FIND fasziniert von den jungen Künstler*innen war. Young Identity Mitbegründer Ali Gadema ist übrigens in der englischsprachigen Fassung von Thomas Ostermeiers "Rückkehr nach Reims" an der Schaubühne zu sehen.

Im Anschluss findet ein Konzert mit Carol Schuler & The Maenads (Soul, Rock, Blues, Psychedelic) statt.

Weitergefeiert wird danach auf der FIND Closing Party mit DJ Preller (detektor.fm, Vice).

Der Vorverkauf für das FIND 2019 beginnt am 1. März 2019.

25. April 2016

FIND 2016 – Review Teil 3 (13.-17. April 2016): Wild Minds, Natura e origine della mente, LIPPY, The Dark Ages

SIEBTER TAG (Mittwoch, 13. April 2016)
Ich musste die letzten Tage des Festivals erst ein wenig verdauen, bevor ich jetzt darüber schreiben kann. Auf der einen Seite ist es selbst für mich anstrengend so viele Theater-Eindrücke zu verarbeiten. Auf der anderen Seite wurde ich bereits Mitte der Woche beim Gedanken daran, dass das FIND bald schon wieder vorbei sein würde, wehmütig. Ich fühlte mich wie ein Gefäß, dass kurz vor dem Überlaufen ist. Das ist dann am letzten Tag eingetreten. Der Reihe nach...

Wild Minds
Wir betreten den Bühnenraum des Studios und setzen uns in einen Stuhlkreis. Geblendet vom Licht kann man sich nicht wirklich entspannen und die Situation ist sowieos schon ungewohnt. Wir befinden uns in einer (Selbsthilfe-)Gruppe, vier Schauspieler beginnen zu erzählen. »Maladaptive daydreaming«, eine psychologische Störung, bei der die Phantasien der Tagträumer das Leben völlig dominieren. Die Schauspieler erzählen uns von ihren Traumwelten und irgendwann vergisst man, dass man im Theater ist. Man beginnt zu nicken, zu verstehen, mitzufühlen. Und ist den Betroffenen sehr nah. Der schwedische Autor und Regisseur Marcus Lindeen hat in New York per Skype und im persönlichen Gespräch Menschen interviewt, die sich selbst als »compulsive daydreamers«, als zwanghafte Tagräumer, bezeichnen. Während der Performance hören die Schauspieler die Originalaufnahmen der von Lindeen geführten Interviews und versuchen, die Stimmen so genau wie möglich nachzusprechen. Auch so habe ich Theater noch nie erlebt...

Von Phantasiewelten bestimmt (Foto: Helena Tossavainen)
 
Englischsprachiger Essay zum Stück in Pearson's Preview: Daydreaming Theatre. Marcus Lindeen’s »Wild Minds«

Text und Regie: Marcus Lindeen
Musik und Sounddesign: Hans Appelqvist
Casting und Regieassistenz: Sara Björnstedt Qvarsell
Kuratorin: Catrin Lundqvist, Moderna Museet

Mit: Sandra Carpenter, Vaughn Rice, Mika Risiko, Kiki Snodgrass

Dauer: ca. 35 Minuten

Auftragswerk des Moderna Museet in Stockholm.


ACHTER TAG (Donnerstag, 14. Aril 2016) 
Für mich war heute Pause.


NEUNTER TAG (Freitag, 15. April 2016)

Natura e origine della mente
Von Romeo Castellucci erwartet man stets Merkwürdiges. Auch über "Natura e origine della mente" ("Von der Natur und dem Ursprung des Geistes") hörte man im Vorfeld schon kuriose Dinge. Als Grundlage für das Stück dient die Ethik von Baruch de Spinoza (1632-1677). Die Zuschauer/innen betreten durch eine Öffnung einen weißen Raum auf der Bühne und sind Teil der Inszenierung, die eher eine Installation ist. Sofort denkt man an einen White Cube aus der Bildenden Kunst.  An einem Drahtseil über den Köpfen der Zuschauer/innen hängt eine junge Frau (das Licht), sie hält sich mit nur einem Finger fest und droht abzustürzen. Ein großer schwarzer Hund (die Kamera) läuft umher, miaut und spricht mit ihr. Hinter der Öffnung, durch die wir eingetreten sind, bewegen und winden sich Geister, mal in weiß gekleidet, mal nackt, mal in schwarz. Es geht um Erkenntnis, um den Zusammenhang der Dinge, des Geistes, des Körpers, der Materie. Das alles ist so rätselhaft, dass es den Zuschauer/innen viel Raum für eigenen Assoziationen lässt. Optisch ist die Szene so überwältigend, verstärkt durch den Ausstellungscharakter und auch wegen der seltsamen Figuren, dass der Raum auf wundersame Weise heilig wird - so ist es zumindest für mich. Mit dem Gefühl, etwas Einmaliges und Sonderbares erlebt zu haben, verlasse ich nach einer halben Stunde diesen Raum. Es ist im übrigen das einzige Stück beim FIND, bei dem am Ende niemand klatscht - so wie man es im Museum auch nicht tun würde, wenn man einem Kunstwerk den Rücken zuwendet und geht.

Katzen-Hund und Geist (Foto: Claudia Castellucci)

Englischsprachiger Essay zum Stück in Pearson's Preview: Romeo Castellucci’s Dialogue with Spinoza (and ours with mind and body)

Konzeption und Installation: Romeo Castellucci   
Musik: Scott Gibbons   
Skulpturen auf der Bühne: Istvan Zimmermann, Giovanna Amoroso
Technische Leitung: Massimiliano Peyrone
Tontechnik: Matteo Braglia
Produktionsleitung: Benedetta Briglia
Organisation und Kommunikation: Valentina Bertolino, Gilda Biasini
Verwaltung: Michela Medri, Elisa Bruno, Simona Barducci, Massimiliano Coli

Mit: Silvia Costa, einem Hund/a dog, der Stimme von/the voice of Bernardo Bruno und Martina Borroni, Marcella Giesche, Rosabel Huguet, Pia Koch, Feline Lang, Christina Wintz (Statistinnen/Extras)

Dauer: ca. 45 Minuten

Produktion: Socìetas Raffaello Sanzio in Koproduktion mit T2G-Théâtre de Gennevilliers, Théâtre de la Ville, Festival d’Automne à Paris und La Biennale di Venezia. Entwickelt in Venedig im Rahmen des La Biennale College-Teatro im August 2013.


ZEHNTER TAG (Samstag, 16. April 2016)

LIPPY
Noch mal Dead Centre. Es geht wieder heiter los. Aber nach und nach wird es immer unheimlicher. Die Zuschauer/innen befinden sich zunächst in einem fiktiven Publikumsgespräch, ein Schauspieler erklärt, wie er Lippen liest und bald wird klar: er kann es nicht. In der darauf folgenden Szene sieht man vier irische Frauen, die sich gemeinsam in ihrem Haus zu Tode hungerten (diesen Fall gab es wirklich). Der Lippenleser soll bei der Aufklärung des rätselhaften Falls mithelfen, indem er die Aufzeichungen einer Überwachungskamera deutet. Er legt ihnen Worte in den Mund, die sie vielleicht nie gesagt haben. Das Publikum wird Zeuge der Tat und der (vielleicht falsch ersonnenen) Hintergründe. Die Performance der Schauspielerinnen ist verwirrend, nie weiß man was "echt" passiert ist, was "phantasiert". Das alles ist gruselig und sehr bedrückend.

Worte von den Lippen "lesen" (Foto: Jeremy Abrahams)


Englischsprachiger Essay zum Stück in Pearson's Preview: Unfinished Plays for Unfinished People: Dead Centre in Berlin

Regie: Ben Kidd, Bush Moukarzel
Sound und Musik: Adam Welsh
Bühne: Andrew Clancy
Kostüme und Bühneneffekte: Grace O’Hara
Licht: Stephen Dodd

Mit: Joanna Banks, Bush Moukarzel, Gina Moxley, Clara Simpson, Liv O’Donoghue, Dan Reardon, Adam Welsh

Dauer: ca. 80 Minuten

Entwickelt am National Theatre Studio, London mit Premiere beim Dublin Fringe Festival. Die Tour wird ermöglicht durch die Unterstützung von Culture Ireland.

Noch ist das Festival nicht ganz vorbei - am Sonntag gibt es noch ein paar Vorstellungen - aber am vorletzen Tag gab's die große FIND Abschlussparty, diesmal mit Stitch & Tchuani von Berries Berlin.


ELFTER TAG (Sonntag, 17. April 2016)

The Dark Ages 
Bis zum Rand gefüllt mit Eindrücken steht heute das letzte Stück auf dem Programm. Milo Rau war im letzten Jahr mit "The Civil Wars" beim FIND zu sehen. "The Dark Ages" ist der zweite Teil seiner Europa-Trilogie (der dritte Teil mit dem Titel "Empire" soll im September an der Schaubühne zu Beginn der Spielzeit 2016/17 Premiere haben). In "The Dark Ages" erzählen fünf Schauspieler/innen aus Bosnien, Deutschland, Russland und Serbien Geschichten der Vertreibung und der Heimatlosigkeit, des Weggehens und des Ankommens, des Engagements und der Verzweiflung. Das Stück ist wie ein klassisches Drama in fünf Akte unterteilt. Sie verknüpfen Geschichte mit persönlichen Erlebnissen - 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und 20 Jahre nach dem Massaker von Srebrenica. Untermalt werden die Berichte von der Musik der slowenischen Band Laibach. Dabei sind die Berichte sehr intim, teilweise schmerzhaft und sehr berührend. Etwa als Valery Tscheplanowa von ihrem Vater erzählt. Oder Manfred Zapatka vom Leben der Kinder nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Schauspieler/innen halten persönliche Fotos in die Kamera, die fortwährend alles filmt, was auf der Bühne berichtet wird. Es entstehen erstaunliche Parallelen zwischen den Biografien und immer wieder gibt es Anknüpfungspunkte zum Theater (Hamlet, Hamletmaschine).

Eine erstaunliche Parallele für mich: In wenigen Tagen werde ich Heiner Müllers "Hamletmaschine" von Dimiter Gotscheff im Deutschen Theater sehen. Vor neun Jahren inszenierte Gotscheff das Stück und trat darin selbst auf. Zu einem Gastspiel in Havanna konnte er im Herbst 2013 nicht mehr mitreisen, trug aber dafür Sorge, dass eine Version gezeigt werden konnte, die seine Passagen per Video einspielte. Das erzählt Valery Tscheplanowa auf der Bühne, sie selbst spielt die weibliche Hauptrolle. Zu Gotscheffs 73. Geburtstag ist diese Variante seiner legendären Inszenierung noch einmal am Deutschen Theater zu sehen. Der letzten Abend des FIND ist für mich noch mal ein Höhepunkt und tief beeindruckt verlasse ich das Theater.

Konzept, Text und Regie: Milo Rau   
Dramaturgie: Stefan Bläske   
Bühne und Kostüme: Anton Lukas   
Kamera und Videodesign: Marc Stephan   
Musik: Laibach
Dramaturgische Mitarbeit: Lucia Kramer, Rose Reiter
Regieassistenz: Jakub Gawlik
Recherche: Stefan Bläske, Mirjam Knapp
Übersetzung: Marija Karaklajic
Produktionsleitung IIPM (Tour): Mascha Euchner-Martinez

Text und Spiel, Text and Performance: Sanja Mitrović, Sudbin Musić, Vedrana Seksan, Valery Tscheplanowa, Manfred Zapatka

Dauer: ca. 120 Minuten

Eine Produktion des Residenztheaters München in Kooperation mit Milo Rau/International Institute of Political Murder (IIPM). Mit freundlicher Unterstützung von Pro Helvetia. 

15. April 2016

FIND 2016 – Review Teil 2 (10.-12. April 2016): Verleihung des ITI-Preises, Mein Jahr ohne Udo Jürgens, Do You Still Love Me, SPEAK!

VIERTER TAG (Sonntag, 10. April 2016) 

Man gewöhnt sich immer so schnell an die Festivalzeit, dass es einem gar nicht mehr merkwürdig vorkommt, jeden Tag im Theater zu verbringen.

Verleihung der ITI-Preises zum Welttheatertag an Milo Rau
Milo Rau, der auf dem FIND mit "The Dark Ages" und der Schaubühnen-Produktion "Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs" vertreten ist, wird mit dem ITI-Preis des Internationalen Theaterinstituts (ITI) geehrt. Aus der Jurybegründung: »Milo Rau erregt mit seinem International Institute of Political Murder Anstoß. Er steht für eine Generation, die mit Kompromisslosigkeit auf die sich immer stärker radikalisierende Wirklichkeit reagiert. Haltung beziehend und Haltung einfordernd verleiht Milo Rau dem Theater und der Gesellschaft Impulse, die den Sprengstoff der globalen Konflikte in unsere Mitte holen«.  Die Preisverleihung findet im Bühnenbild von "Mitleid" statt. Die Laudatio hält Kathrin Röggla.

Mein Jahr ohne Udo Jürgens
Eins mal vorweg: Ich bin kein Fan von Udo Jürgens. Aber ich bin, das ist bekannt, ein Fan von Patrick Wengenroth. Während des szenischen Konzerts lesen er und Thomas Thieme aus Andreas Maiers Buch und singen natürlich. Am Klavier wie immer Matze Kloppe. Höhepunkt ist der im Duett gesungene Ohrwurm "Liebe ohne Leiden" (im Original mit Jenny Jürgens). In den Texten geht es (gefühlt) andauernd um Apfelwein (mit Sekt! gesprizt), der in Frankfurt getrunken wird. Außerdem um die Emotionalität von Jürgens' Liedern und darum, warum das, was Udo Jürgens gemacht hat, nur Udo Jürgens machen konnte. Ein herrlicher, sehr lustiger, anregender Abend! Wengenroth halt. Mehr davon. Immer. Gerne. Und - ich glaub's selbst nicht - Udo Jürgens ist mir nach diesen drei Stunden ein wenig näher. Vielleicht lese ich sogar das Buch...

Realisation: Patrick Wengenroth   
Musik: Matze Kloppe   
Ausstattung: Alena Georgi   
Kostüme: Marc Freitag   
Dramaturgie: Sina Katharina Flubacher   

Mit: Thomas Thieme, Matze Kloppe, Patrick Wengenroth


FÜNFTER TAG (Montag, 11. April 2016)

Do You Still Love Me
Ich fand nie, dass Theater und Fußball wenig gemeinsam haben. Die Haltung mancher Theater-Fans (wie mir) zum "Hobby" ist der der Fußball-Fans nicht unähnlich. Die freie Zeit wird so eingeplant, dass man möglichst oft dabei ist und vieles wird dem untergeordnet. Die Beschäftigung mit allem, was damit irgendwie in Zusammenhang steht, ist intensiv. Beides findet live und vor Publikum statt und lebt vom konflikthaften Aufeinandertreffen. Die Unterschiede zwischen Theater und Fußball liegen freilich beim Geld - für das eine gibts (zu) wenig, für das andere (zu) viel. Und in der Größe der Fangemeinde sowie der öffentlichen Wahrnehmung. Sanja Mitrović lässt in "Do You Still Love Me" französische und belgische Fußballfans und Schauspieler/innen aufeinandertreffen und die Hintergründe für ihre Begeisterung erläutern, die im Zusammenhang mit der eigenen Lebensgeschichte stehen. Der Bezug zu nationalen Symbolen und das Zugehörogkeitsgefühl zu Gruppen spielt dabei eine wichtige Rolle. Interessanterweise kommt während des Stücks nie da Gefühl auf, dass die nicht-professionellen Darsteller bei ihren Auftritten hinter den professionellen Schauspieler/innen zurückfallen. Und irgendwann vergisst man, wer zu welcher Gruppe gehört.
 
Fans (Foto: Joeri Thiry)

Regie: Sanja Mitrović
Dramaturgie: Jorge Palinhos
Kostüme: Frédérick Denis
Sound: Vladimir Rakic
Kamera und Videodesign: Sanja Mitrovic
Licht: Stéphane Lebonvallet
Produktion und Tourmanagement: Liesbeth Stas

Mit: Servane Ducorps, Cédric Eeckhout, Ina Geerts, Sid van Oerle & Kostas Pericaud, Dominique Piron, Sam De Leener, Gregory Uytterhaegen (Anhänger des Fußballvereins Royale Union Saint-Gilloise)

Dauer: ca. 110 Minuten

Eine Produktion von Stand Up Tall Productions (NL), La Comédie de Reims-CDN / Reims Scènes d’Europe (FR), Hiros (BE) in Koproduktion mit STUK (BE), Beursschouwburg (BE). Unterstützt von: The Amsterdam Fund for the Arts (NL), The Flemish Community (BE), Performing Arts Fund (NL).


Englischsprachige Q&A zum Stück in Pearson's Preview: What Football Supporters and Theatre Have in Common  


SECHSTER TAG (Dienstag, 12. April 2016)

SPEAK!
Noch ein Stück von Sanja Mitrović. Diesmal steht sie selbst auf der Bühne, zusammen mit dem flämischen Performer Jorre Vandenbussche. Beide tragen in einem Wettbewerb in acht Runden bekannte poltische öffentliche gehaltene Reden vor. Die Zuschauer/innen erfahren dabei erst nach den einzelnen Runden, wer die Reden im Original gehalten hat (z.B. Fidel Castro, Rosa Luxemburg, Margaret Thatcher, Severn Suzuki) und zu welchem Anlass. Nach jeder Runde muss das Publikum wählen, welcher Vortrag besser war. Jede Runde ist anders gestaltet: Die beiden sprechen nacheinander, gleichzeitig, abwechselnd oder ohne Worte. Mit vielen Gesten oder keinen. Sie nutzen Requisiten, Kostüme oder Kulissen. Die letzte Runde ist eine Compilation aller Reden ("We must..."-Sätze). Es gilt zwar die Performance zu bewerten, doch kann man sich nicht frei machen vom Inhalt der Rede. Das fließt zwangsläufig in die Bewertung ein. Auch kann ein Vortrag gelungener sein, aber die Person im gleichen Moment unsympathischer erscheinen. Und natürlich spielt es (zumindest für mich) eine Rolle, ob man ihr oder ihm den Sieg mehr wünscht (schon deshalb weil sie schlicht mit Frau/women und Mann/men bezeichnet werden). Die Entscheidungen fallen immer schwerer. Das Ergebnis am Ende fällt sehr knapp aus. Zum Schlussapplaus darf nur die/der Gewinner/in vor das Publikum treten. Was für eine Idee! Dafür gehe ich ins Theater, denn nur hier gibt's so etwas.

Sanja Mitrović (Foto: Bea Borgers)

Konzept, Regie und Choreografie: Sanja Mitrović
Bühne und Licht: Laurent Liefooghe, Christophe Antipas (LLAC Architects)
Kostüme: Frédérick Denis
Sound Design: Luka Ivanovic
Dramaturgie: Jonas Rutgeerts

Mit: Sanja Mitrović, Jorre Vandenbussche

Dauer: ca. 70 Minuten

Eine Produktion von Stand Up Tall Productions (NL), koproduziert von Kunstenfestivaldesarts (BE). Unterstützt von: Beursschouwburg (BE), Pianofabriek Kunstenwerklplaats (BE), SPRING Festival (NL), STUK Kunstencentrum (BE). Finanziell unterstützt von: The Amsterdam Fund for the Arts (NL).

17. März 2016

FIND Festival Internationale Neue Dramatik 2016 an der Schaubühne (7. bis 17. April)

Das FIND Festival Internationale Neue Dramatik findet in diesem Jahr zum 16. mal statt. Theatermacher/ innen aus der ganzen Welt kommen an der Schaubühne zusammen, um ihre Arbeiten zu präsentieren: Zu Gast sind Produktionen aus Ägypten, Belgien/Serbien, Deutschland, Iran, Irland/Großbritannien, Israel/Palästina, Italien, Schweden und der Schweiz.

Festival Internationale Neue Dramatik 2016 an der Schaubühne vom 7. bis 17. April 2016



»The Dark Ages« von Milo Rau, Regie: Milo Rau (Foto: Thomas Dashuber)

Neben großen Namen wie Milo Rau mit "The Dark Ages" (zweiter Teil der "Europa-Trilogie") und Romeo Castellucci mit "Natura e origine della mente" (nach dem gleichnamigen II. Buch der Ethik von Spinoza) gibt es beim FIND 2016 auch viele Neuentdeckungen - hier eine Auswahl an Produktionen, die besonders spannen klingen:

Dead Centre, die in Großbritannien bereits gefeiert werden, ist mit zwei Produktionen dabei: "Chekhov’s First Play" erzählt auf der Folie von "Platonov" von der Absurdität allen Seins. In "LIPPY" geht es um den rätselhaften Selbstmord vierer Frauen, die sich 2000 in ihrem Haus verbarrikadierten und 40 Tage zu Tode hungerten. Jegliche Hinweise fehlten. Ein Lippenleser versucht die Rekonstruktion ihrer letzten Gespräche und legt ihnen Worte in den Mund, die sie vielleicht nie sagten.

»LIPPY« von Dead Centre, Regie: Ben Kidd/Bush Moukarzel (Foto: Jeremy Abrahams)


Ahmed El Attar wurde mit "The Last Supper" eingeladen: Elf Figuren treffen während eines Abenessens aufeinander und formieren ein Tableau der ägyptischen Gesellschaft nach dem Sturz Mubaraks.

»The Last Supper« von Ahmed El Attar, Regie: Ahmed El Attar (Foto: Mostafa Abdel Aty)
 

Die Autorin, Regisseurin und Perfomerin Sanja Mitrović, die in Serbien geboren wurde und in Brüssel und Amsterdam lebt ist mit zwei Arbeiten vertreten: "Do You Still Love Me?" bringt zwei nur scheinbar meilenweit voneinander entfernte Welten zusammen: Fußball und Theater. In "SPEAK!" steht Mitrović selbst auf der Bühne, zusammen mit dem flämischen Performer Jorre Vandenbussche. In einem Kopf-an-Kopf-Duell hinterfragen die beiden die Verführungskraft von politischer Rhetorik. Das Publikum ist der Richter in diesem rhetorischen Zweikampf. Sanja Mitrović ist übrigens ebenfalls in Milo Raus "The Dark Ages" zu sehen.

»SPEAK!« von Sanja Mitrović, Regie: Sanja Mitrović (Foto: Bea Borgers)


Der schwedische Regisseur Marcus Lindeen zeigt uns in "Wild Minds" eine imaginäre Therapiegruppe, in der die Performer Texte sprechen, die auf Interviews mit vier echten Tagträumern aus New York basieren. Es geht dabei um "Maladaptives Tagträumen", eine psychologische Störung, bei der Menschen sich so sehr in ihre Phantasiewelt hineinsteigern, dass sie ihr Leben völlig dominiert.

»Wild Minds« von Marcus Lindeen, Regie: Marcus Lindeen (Foto: Helena Tossavainen)
 

Auch ein musikalischer Abend von und mit Patrick Wengenroth steht an: Die Lieder von Udo Jürgens sind seit Jahren ein Bestandteil der Theaterarbeit des Regisseur. In "Mein Jahr ohne Udo Jürgens" nimmt er uns zusammen mit dem Schauspieler Thomas Thieme und dem Musiker Matze Kloppe mit auf eine Reise in die ebenso unterhaltsame wie tiefsinnige Auseinandersetzung des Autors Andreas Maier mit dem Phänomen Udo Jürgens.

Und wie immer finde im Rahmen ds FIND auch eine Premiere statt: Armin Petras’ Adaption von Frank Witzels Roman "Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969". Der Roman wurde 2015 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet.

Zum sechsten Mal ist das Festival begleitet von FIND plus, dem Workshop-Programm für internationale Theaterstudierende. Gastland ist in diesem Jahr die Türkei.

Ein genauer Blick in das Programm des FIND lohnt sich, denn es finden auch Diskussionsrunden und Publikumsgspräche statt.

Gefeiert wird natürlich auch: am 16. April findet die große FIND Abschlussparty statt (mit einem Ticket des selben Tages ist der Eintritt frei).

Das FIND wird gefördert durch die Lottostiftung Berlin.

Tickets gibt es hier und an der Abendkasse.