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12. Mai 2017

FIND 2017 - Beziehungen und Trennungen (Rückblick Tag 9-11)

Finale beim FIND. In den letzten drei Tagen habe ich noch einmal Produktionen gesehen, die sowohl inhaltlich als auch formal sehr unterschiedlich sind.


7.4.2017. LOS INCONTADOS – Anatomía de la violencia en Colombia: un tríptico von Mapa Teatro (Bogotá)

Ein Karneval der Skurrilitäten. Eine Kinder-Marching-Band beginnt und beschließt diesen verrückten und ziemlich wirren Abend. Während das Bühnenbild immer weiter mit Requisiten, Pflanzen, Glitzerluftschlangen und Luftballons gefüllt wird und sich dadurch mehrmals verändert, wird ein Stück kolumbianische Geschichte erzählt. Drei ineinander geschachtelte Bühnenbilder, drei phantastische Mikrokosmen. LOS INCONTADOS - DIE UNERZÄHLTEN macht sichtbar, was in den letzten 50 Jahren in Kolumbien passierte: Ein langer Krieg. Die surrealen Bilder werden in den drei Teilen miteinander verbunden und zeigen eine Vision der lateinamerikanischen Demokratien seit Ende des Zweiten Weltkriegs. - Ein anstrengendes Stück, bei dem sich mir vieles nicht erschließt. Mit besseren Kenntnisse über das Land und die Geschichte Kolumbiens, hätte ich sicher mehr verstanden.

Das kolumbianische Kollektiv Mapa Teatro wurde 1984 in Paris von den Geschwistern Rolf, Heidi und Elizabeth Abderhalden gegründet. Es gehört seit mehr als 30 Jahren zu den bedeutendsten Theaterformationen Lateinamerikas. Mapa Teatro nutzt verschiedene Kunstformen (Theater, Musik, Video uvm.) und verbindet diese zu einem Gesamtkunstwerk.


"LOS INCONTADOS - Anatomía de la violencia en Colombia: un tríptico" von Mapa Teatro, Konzept und Regie: Heidi und Rolf Abderhalden (Foto: Mauricio Esguerra)
 
Koproduktion: Mapa Teatro, Iberescena, Festival Iberoamericano de Teatro de Bogotá und Prod.Art.Br, Europäisches Touring: Camille Barnaud, Ximena Vargas In Zusammenarbeit mit dem ¡Adelante! Festival des Theater Heidelberg.

Konzept, Dramaturgie und Regie: Heidi und Rolf Abderhalden
Musik und Sounddesign: Juan Ernesto Díaz
Visual Design: Heidi und Rolf Abderhalden
Kostüm: Elizabeth Abderhalden
Bühne: Pierre Henri Magnin
Video: Luis Antonio Delgado
Live Video: Ximena Vargas

Mit: Heidi Abderhalden, Agnes Brekke, Andrés Castañeda, Julián Díaz, Jeihhco, Danilo Jiménez, Santiago Nemirowski, Santiago Sepúlveda mit der Mapa Teatro Kinderkapelle: Lesly Ramírez, Melanie Ramírez, Sofía Rodríguez, Mariana Saavedra, Darío Sinisterra, Sebastián Zúñiga

Dauer: ca. 70 Minuten

Englischsprachiger Essay zum Stück in Pearson's Preview: Theatre that Lies to Tell the Truth (with an appearance by Pablo Escobar)


8.4.2017 From here I will build everything von Cédric Eeckhout

Die kurze Show des belgischen Schauspielers Cédric Eeckhout vor Mitternacht am vorletzen Tag des FIND ist eine kleine aber sehr unterhaltsame Performance, in der auch seine Mutter mitspielt (sie bereitet belgische Pommes zu, die am Schluss mit einem Zuschauer verzehrt werden). "My mother is Wallonian and my father is Flemish. They divorced in 1982. Ich bin en Europäisch produit. And I am in crisis. Just like Europe" erklärt er am Anfang. Er zieht Parallelen zwischen seiner eigenen Familiengeschichte und der Geschichte Europas (Scheidung / zerfallende EU). Vieles erinnert an die Autorenklubs von Patrick Wengenroth. Das merkt man auch am Publikum: Viele bekannte Gesichter - man fühlt sich wie in der Familie oder im Freundeskreis.

Die Inszenierung entstand beim Festival XS 2017 des Théâtre National de la communauté francaise de Belgique, Brüssel. Dank an: Théâtre de Vidy-Lausanne, La comédie de Reims, Le théâtre de la Criée à Marseille und Lieu Unique à Nantes.

Text und Regie: Cédric Eeckhout in Zusammenarbeit mit Douglas Grauwels
Dramaturgie: Nils Haarmann
Bühne und Kostüm: Frédérik Denis, Laurence Hermant
Beratung: Andrea Romano

Mit: Cédric Eeckhout, Douglas Grauwels, Jo Libertiaux

Dauer: ca. 25 Minuten


9.4.2017 Please Excuse My Dear Aunt Sally von Kevin Armento

Diese Geschichte wird aus der Sicht eines Handys erzählt. In der szenischen Lesung leihen Laurenz Laufenberg, Stephanie Eidt und Kay Bartholomäus Schulze, dem Erzähler ihre Stimmen. Ein Schüler verliebt sich in seine Lehrerin und beginnt mit ihr eine Beziehung. Zeuge dieser Verbindung ist das Handy, das mittles Fotos und Textnachrichten den Verlauf der Geschichte nachhalten kann. Mal witzig, mal hektisch, mal empört und mal (scheinbar) überlegen offenbart das Handy den Zuschauer*innen dieses Stücks, was sich zwischen den beiden Protagonist*innen abspielt und wie sich die Gefühle entwickeln. Der US-amerikanische Autor Kevin Armento erzählt in rasantem Tempo von der illusorischen Natur elektronischer Verbindungen und der Gefahr der Vereinzelung im Zeitalter digitaler Liebe. Die Schauspieler*innen der Schaubühne lesen und stehen schwarz gekleidet auf einer schwarzen Fläche mit Neon-Leuchtstreifen, sie sind die Inkarnation des Handy-Erzählers. Spannend ist diese Geschichte und Dank des hervorrangenden Vortrags mit den ausgezeichneten Stimmen ein großer Spaß beim Zuhören (und Zusehen).
Mein Wunsch: Mehr Darbietungen dieser Art beim nächsten FIND!

Laurenz Laufenberg, Kay Bartholomäus Schulze und Stephanie Eidt in »Please Excuse My Dear Aunt Sally« von Kevin Armento, Regie: Christoph Buchegger (Foto: Gianmarco Bresadola)

Regie: Christoph Buchegger
Aus dem Englischen von Theresa Schlesinger
Bühne: Emilie Cognard   
Kostüme: Anna Kurz

Mit: Stephanie Eidt, Laurenz Laufenberg, Kay Bartholomäus Schulze   

Dauer: ca. 60 Minuten


9.4.2017 Democracy in America von Romeo Castellucci (Cesena)
frei nach dem Buch von Alexis de Tocqueville

Es ist nicht unüblich, dass bei den Stücken von Romeo Castellucci das Performative mit philosphischen Gedanken verknüpft wird. In dieser Inszenierung greift er einen Text von Tocqueville auf, in dem ein neues Modell repräsentativer Demokratie beschrieben und auf deren Gefahren hingewiesen wird (Tyrannei der Mehrheit, Schwächung intellektueller Freiheit angesichts populistischer Rhetorik und die zweifelhafte Beziehung zwischen den Interessen der Gemeinschaft und individuellen Ansprüchen). Hinter einem Gaze-Vorhang tanzen Frauen und bilden aus den Buchstaben des Begriffe "Democray in America", die auf Fahnen genäht wurden, neue Begriffe; zwei Ureinwohner unterhalten sich, ebenso wie ein Paar. Etwas langatmig ist die gut zweistündige Vorstellung, optisch ist sie jedoch wie immer bei Castellucci ansprechend.

"Democracy in America" von Romeo Castellucci (Foto: Gianmarco Bresadola)

Produktion: Socìetas – Cesena Koproduktion: deSingel International Artcampus, Wiener Festwochen, Festival Printemps des Comédiens à Montpellier, National Taichung Theatre in Taichung (Taiwan), Holland Festival Amsterdam, Schaubühne Berlin, Festival d’Automne à Paris mit MC93 Maison de la Culture de Seine-Saint-Denis à Bobigny, Le Manège – Scène nationale de Maubeuge, Teatro Arriaga Antzokia de Bilbao, São Luiz Teatro Municipal (Lissabon), Peak Performances Montclair State University (NJ-USA).
Unter Beteiligung von: Théâtre de Vidy-Lausanne und Athens and Epidaurus Festival.

Regie, Bühne, Licht, Kostüme: Romeo Castellucci   
Text: Claudia Castellucci / Romeo Castellucci   
Musik: Scott Gibbons
Korrepition: Evelin Facchini
Regieassistenz: Maria Vittoria Bellingeri
Skulpturen auf der Bühne und Mechanismen: Istvan Zimmermann und Giovanna Amoroso

Mit: Olivia Corsini, Giulia Perelli, Gloria Dorliguzzo, Evelin Facchini, Stefania Tansini, Sofia Danai Vorvila
Tänzerinnen: Virág Arany, Emmanouela Dolianiti, Michèle Even, Lisanne Goodhue, Claudia Greco, Rosabel Huguet, Raisa Kröger, Elia López, Tatiana Mejia, Sofie Roels, Roberta Ruggerio, Elisabeth Ward

Choreographie inspiriert von Folkloretraditionen aus Albanien, Botswana, England, Ungarn, Sardinien.

Dauer: ca. 135 Minuten

Englischsprachiger Essay zum Stück in Pearson's Preview: What’s Gone Wrong in America? A Conversation with Romeo Castellucci

25. April 2016

FIND 2016 – Review Teil 3 (13.-17. April 2016): Wild Minds, Natura e origine della mente, LIPPY, The Dark Ages

SIEBTER TAG (Mittwoch, 13. April 2016)
Ich musste die letzten Tage des Festivals erst ein wenig verdauen, bevor ich jetzt darüber schreiben kann. Auf der einen Seite ist es selbst für mich anstrengend so viele Theater-Eindrücke zu verarbeiten. Auf der anderen Seite wurde ich bereits Mitte der Woche beim Gedanken daran, dass das FIND bald schon wieder vorbei sein würde, wehmütig. Ich fühlte mich wie ein Gefäß, dass kurz vor dem Überlaufen ist. Das ist dann am letzten Tag eingetreten. Der Reihe nach...

Wild Minds
Wir betreten den Bühnenraum des Studios und setzen uns in einen Stuhlkreis. Geblendet vom Licht kann man sich nicht wirklich entspannen und die Situation ist sowieos schon ungewohnt. Wir befinden uns in einer (Selbsthilfe-)Gruppe, vier Schauspieler beginnen zu erzählen. »Maladaptive daydreaming«, eine psychologische Störung, bei der die Phantasien der Tagträumer das Leben völlig dominieren. Die Schauspieler erzählen uns von ihren Traumwelten und irgendwann vergisst man, dass man im Theater ist. Man beginnt zu nicken, zu verstehen, mitzufühlen. Und ist den Betroffenen sehr nah. Der schwedische Autor und Regisseur Marcus Lindeen hat in New York per Skype und im persönlichen Gespräch Menschen interviewt, die sich selbst als »compulsive daydreamers«, als zwanghafte Tagräumer, bezeichnen. Während der Performance hören die Schauspieler die Originalaufnahmen der von Lindeen geführten Interviews und versuchen, die Stimmen so genau wie möglich nachzusprechen. Auch so habe ich Theater noch nie erlebt...

Von Phantasiewelten bestimmt (Foto: Helena Tossavainen)
 
Englischsprachiger Essay zum Stück in Pearson's Preview: Daydreaming Theatre. Marcus Lindeen’s »Wild Minds«

Text und Regie: Marcus Lindeen
Musik und Sounddesign: Hans Appelqvist
Casting und Regieassistenz: Sara Björnstedt Qvarsell
Kuratorin: Catrin Lundqvist, Moderna Museet

Mit: Sandra Carpenter, Vaughn Rice, Mika Risiko, Kiki Snodgrass

Dauer: ca. 35 Minuten

Auftragswerk des Moderna Museet in Stockholm.


ACHTER TAG (Donnerstag, 14. Aril 2016) 
Für mich war heute Pause.


NEUNTER TAG (Freitag, 15. April 2016)

Natura e origine della mente
Von Romeo Castellucci erwartet man stets Merkwürdiges. Auch über "Natura e origine della mente" ("Von der Natur und dem Ursprung des Geistes") hörte man im Vorfeld schon kuriose Dinge. Als Grundlage für das Stück dient die Ethik von Baruch de Spinoza (1632-1677). Die Zuschauer/innen betreten durch eine Öffnung einen weißen Raum auf der Bühne und sind Teil der Inszenierung, die eher eine Installation ist. Sofort denkt man an einen White Cube aus der Bildenden Kunst.  An einem Drahtseil über den Köpfen der Zuschauer/innen hängt eine junge Frau (das Licht), sie hält sich mit nur einem Finger fest und droht abzustürzen. Ein großer schwarzer Hund (die Kamera) läuft umher, miaut und spricht mit ihr. Hinter der Öffnung, durch die wir eingetreten sind, bewegen und winden sich Geister, mal in weiß gekleidet, mal nackt, mal in schwarz. Es geht um Erkenntnis, um den Zusammenhang der Dinge, des Geistes, des Körpers, der Materie. Das alles ist so rätselhaft, dass es den Zuschauer/innen viel Raum für eigenen Assoziationen lässt. Optisch ist die Szene so überwältigend, verstärkt durch den Ausstellungscharakter und auch wegen der seltsamen Figuren, dass der Raum auf wundersame Weise heilig wird - so ist es zumindest für mich. Mit dem Gefühl, etwas Einmaliges und Sonderbares erlebt zu haben, verlasse ich nach einer halben Stunde diesen Raum. Es ist im übrigen das einzige Stück beim FIND, bei dem am Ende niemand klatscht - so wie man es im Museum auch nicht tun würde, wenn man einem Kunstwerk den Rücken zuwendet und geht.

Katzen-Hund und Geist (Foto: Claudia Castellucci)

Englischsprachiger Essay zum Stück in Pearson's Preview: Romeo Castellucci’s Dialogue with Spinoza (and ours with mind and body)

Konzeption und Installation: Romeo Castellucci   
Musik: Scott Gibbons   
Skulpturen auf der Bühne: Istvan Zimmermann, Giovanna Amoroso
Technische Leitung: Massimiliano Peyrone
Tontechnik: Matteo Braglia
Produktionsleitung: Benedetta Briglia
Organisation und Kommunikation: Valentina Bertolino, Gilda Biasini
Verwaltung: Michela Medri, Elisa Bruno, Simona Barducci, Massimiliano Coli

Mit: Silvia Costa, einem Hund/a dog, der Stimme von/the voice of Bernardo Bruno und Martina Borroni, Marcella Giesche, Rosabel Huguet, Pia Koch, Feline Lang, Christina Wintz (Statistinnen/Extras)

Dauer: ca. 45 Minuten

Produktion: Socìetas Raffaello Sanzio in Koproduktion mit T2G-Théâtre de Gennevilliers, Théâtre de la Ville, Festival d’Automne à Paris und La Biennale di Venezia. Entwickelt in Venedig im Rahmen des La Biennale College-Teatro im August 2013.


ZEHNTER TAG (Samstag, 16. April 2016)

LIPPY
Noch mal Dead Centre. Es geht wieder heiter los. Aber nach und nach wird es immer unheimlicher. Die Zuschauer/innen befinden sich zunächst in einem fiktiven Publikumsgespräch, ein Schauspieler erklärt, wie er Lippen liest und bald wird klar: er kann es nicht. In der darauf folgenden Szene sieht man vier irische Frauen, die sich gemeinsam in ihrem Haus zu Tode hungerten (diesen Fall gab es wirklich). Der Lippenleser soll bei der Aufklärung des rätselhaften Falls mithelfen, indem er die Aufzeichungen einer Überwachungskamera deutet. Er legt ihnen Worte in den Mund, die sie vielleicht nie gesagt haben. Das Publikum wird Zeuge der Tat und der (vielleicht falsch ersonnenen) Hintergründe. Die Performance der Schauspielerinnen ist verwirrend, nie weiß man was "echt" passiert ist, was "phantasiert". Das alles ist gruselig und sehr bedrückend.

Worte von den Lippen "lesen" (Foto: Jeremy Abrahams)


Englischsprachiger Essay zum Stück in Pearson's Preview: Unfinished Plays for Unfinished People: Dead Centre in Berlin

Regie: Ben Kidd, Bush Moukarzel
Sound und Musik: Adam Welsh
Bühne: Andrew Clancy
Kostüme und Bühneneffekte: Grace O’Hara
Licht: Stephen Dodd

Mit: Joanna Banks, Bush Moukarzel, Gina Moxley, Clara Simpson, Liv O’Donoghue, Dan Reardon, Adam Welsh

Dauer: ca. 80 Minuten

Entwickelt am National Theatre Studio, London mit Premiere beim Dublin Fringe Festival. Die Tour wird ermöglicht durch die Unterstützung von Culture Ireland.

Noch ist das Festival nicht ganz vorbei - am Sonntag gibt es noch ein paar Vorstellungen - aber am vorletzen Tag gab's die große FIND Abschlussparty, diesmal mit Stitch & Tchuani von Berries Berlin.


ELFTER TAG (Sonntag, 17. April 2016)

The Dark Ages 
Bis zum Rand gefüllt mit Eindrücken steht heute das letzte Stück auf dem Programm. Milo Rau war im letzten Jahr mit "The Civil Wars" beim FIND zu sehen. "The Dark Ages" ist der zweite Teil seiner Europa-Trilogie (der dritte Teil mit dem Titel "Empire" soll im September an der Schaubühne zu Beginn der Spielzeit 2016/17 Premiere haben). In "The Dark Ages" erzählen fünf Schauspieler/innen aus Bosnien, Deutschland, Russland und Serbien Geschichten der Vertreibung und der Heimatlosigkeit, des Weggehens und des Ankommens, des Engagements und der Verzweiflung. Das Stück ist wie ein klassisches Drama in fünf Akte unterteilt. Sie verknüpfen Geschichte mit persönlichen Erlebnissen - 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und 20 Jahre nach dem Massaker von Srebrenica. Untermalt werden die Berichte von der Musik der slowenischen Band Laibach. Dabei sind die Berichte sehr intim, teilweise schmerzhaft und sehr berührend. Etwa als Valery Tscheplanowa von ihrem Vater erzählt. Oder Manfred Zapatka vom Leben der Kinder nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Schauspieler/innen halten persönliche Fotos in die Kamera, die fortwährend alles filmt, was auf der Bühne berichtet wird. Es entstehen erstaunliche Parallelen zwischen den Biografien und immer wieder gibt es Anknüpfungspunkte zum Theater (Hamlet, Hamletmaschine).

Eine erstaunliche Parallele für mich: In wenigen Tagen werde ich Heiner Müllers "Hamletmaschine" von Dimiter Gotscheff im Deutschen Theater sehen. Vor neun Jahren inszenierte Gotscheff das Stück und trat darin selbst auf. Zu einem Gastspiel in Havanna konnte er im Herbst 2013 nicht mehr mitreisen, trug aber dafür Sorge, dass eine Version gezeigt werden konnte, die seine Passagen per Video einspielte. Das erzählt Valery Tscheplanowa auf der Bühne, sie selbst spielt die weibliche Hauptrolle. Zu Gotscheffs 73. Geburtstag ist diese Variante seiner legendären Inszenierung noch einmal am Deutschen Theater zu sehen. Der letzten Abend des FIND ist für mich noch mal ein Höhepunkt und tief beeindruckt verlasse ich das Theater.

Konzept, Text und Regie: Milo Rau   
Dramaturgie: Stefan Bläske   
Bühne und Kostüme: Anton Lukas   
Kamera und Videodesign: Marc Stephan   
Musik: Laibach
Dramaturgische Mitarbeit: Lucia Kramer, Rose Reiter
Regieassistenz: Jakub Gawlik
Recherche: Stefan Bläske, Mirjam Knapp
Übersetzung: Marija Karaklajic
Produktionsleitung IIPM (Tour): Mascha Euchner-Martinez

Text und Spiel, Text and Performance: Sanja Mitrović, Sudbin Musić, Vedrana Seksan, Valery Tscheplanowa, Manfred Zapatka

Dauer: ca. 120 Minuten

Eine Produktion des Residenztheaters München in Kooperation mit Milo Rau/International Institute of Political Murder (IIPM). Mit freundlicher Unterstützung von Pro Helvetia. 

17. März 2016

FIND Festival Internationale Neue Dramatik 2016 an der Schaubühne (7. bis 17. April)

Das FIND Festival Internationale Neue Dramatik findet in diesem Jahr zum 16. mal statt. Theatermacher/ innen aus der ganzen Welt kommen an der Schaubühne zusammen, um ihre Arbeiten zu präsentieren: Zu Gast sind Produktionen aus Ägypten, Belgien/Serbien, Deutschland, Iran, Irland/Großbritannien, Israel/Palästina, Italien, Schweden und der Schweiz.

Festival Internationale Neue Dramatik 2016 an der Schaubühne vom 7. bis 17. April 2016



»The Dark Ages« von Milo Rau, Regie: Milo Rau (Foto: Thomas Dashuber)

Neben großen Namen wie Milo Rau mit "The Dark Ages" (zweiter Teil der "Europa-Trilogie") und Romeo Castellucci mit "Natura e origine della mente" (nach dem gleichnamigen II. Buch der Ethik von Spinoza) gibt es beim FIND 2016 auch viele Neuentdeckungen - hier eine Auswahl an Produktionen, die besonders spannen klingen:

Dead Centre, die in Großbritannien bereits gefeiert werden, ist mit zwei Produktionen dabei: "Chekhov’s First Play" erzählt auf der Folie von "Platonov" von der Absurdität allen Seins. In "LIPPY" geht es um den rätselhaften Selbstmord vierer Frauen, die sich 2000 in ihrem Haus verbarrikadierten und 40 Tage zu Tode hungerten. Jegliche Hinweise fehlten. Ein Lippenleser versucht die Rekonstruktion ihrer letzten Gespräche und legt ihnen Worte in den Mund, die sie vielleicht nie sagten.

»LIPPY« von Dead Centre, Regie: Ben Kidd/Bush Moukarzel (Foto: Jeremy Abrahams)


Ahmed El Attar wurde mit "The Last Supper" eingeladen: Elf Figuren treffen während eines Abenessens aufeinander und formieren ein Tableau der ägyptischen Gesellschaft nach dem Sturz Mubaraks.

»The Last Supper« von Ahmed El Attar, Regie: Ahmed El Attar (Foto: Mostafa Abdel Aty)
 

Die Autorin, Regisseurin und Perfomerin Sanja Mitrović, die in Serbien geboren wurde und in Brüssel und Amsterdam lebt ist mit zwei Arbeiten vertreten: "Do You Still Love Me?" bringt zwei nur scheinbar meilenweit voneinander entfernte Welten zusammen: Fußball und Theater. In "SPEAK!" steht Mitrović selbst auf der Bühne, zusammen mit dem flämischen Performer Jorre Vandenbussche. In einem Kopf-an-Kopf-Duell hinterfragen die beiden die Verführungskraft von politischer Rhetorik. Das Publikum ist der Richter in diesem rhetorischen Zweikampf. Sanja Mitrović ist übrigens ebenfalls in Milo Raus "The Dark Ages" zu sehen.

»SPEAK!« von Sanja Mitrović, Regie: Sanja Mitrović (Foto: Bea Borgers)


Der schwedische Regisseur Marcus Lindeen zeigt uns in "Wild Minds" eine imaginäre Therapiegruppe, in der die Performer Texte sprechen, die auf Interviews mit vier echten Tagträumern aus New York basieren. Es geht dabei um "Maladaptives Tagträumen", eine psychologische Störung, bei der Menschen sich so sehr in ihre Phantasiewelt hineinsteigern, dass sie ihr Leben völlig dominiert.

»Wild Minds« von Marcus Lindeen, Regie: Marcus Lindeen (Foto: Helena Tossavainen)
 

Auch ein musikalischer Abend von und mit Patrick Wengenroth steht an: Die Lieder von Udo Jürgens sind seit Jahren ein Bestandteil der Theaterarbeit des Regisseur. In "Mein Jahr ohne Udo Jürgens" nimmt er uns zusammen mit dem Schauspieler Thomas Thieme und dem Musiker Matze Kloppe mit auf eine Reise in die ebenso unterhaltsame wie tiefsinnige Auseinandersetzung des Autors Andreas Maier mit dem Phänomen Udo Jürgens.

Und wie immer finde im Rahmen ds FIND auch eine Premiere statt: Armin Petras’ Adaption von Frank Witzels Roman "Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969". Der Roman wurde 2015 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet.

Zum sechsten Mal ist das Festival begleitet von FIND plus, dem Workshop-Programm für internationale Theaterstudierende. Gastland ist in diesem Jahr die Türkei.

Ein genauer Blick in das Programm des FIND lohnt sich, denn es finden auch Diskussionsrunden und Publikumsgspräche statt.

Gefeiert wird natürlich auch: am 16. April findet die große FIND Abschlussparty statt (mit einem Ticket des selben Tages ist der Eintritt frei).

Das FIND wird gefördert durch die Lottostiftung Berlin.

Tickets gibt es hier und an der Abendkasse. 

7. Juli 2014

Eine beeindruckende Schwester, ein Abschied und das letzte Stück der Zwiefachen (Rückblick Mai / Juni / Juli 2014)

Mai       
01.05.2014 - Ismene, Schwester von (Lot Vekemans, Regie: Stephan Kimmig, Deutsches Theater)
...eine beeindruckende Susanne Wolff...

15.05.2014 - Veranstaltung der Freunde der Schaubühne: Ingo Hülsmann Einführung zu "Karl und das 20. Jahrhundert" (Schaubühne)
...Ingo Hülsmann holt uns wirklich ab!...

17.05.2014 - Hyperion. Briefe eines Terroristen nach Friedrich Hölderlin (Regie, Bühnenbild, Licht, Kostüme: Romeo Castellucci, Schaubühne)
..."Bitte verlassen Sie den Saal!"...
Schlussbild "Hyperion"


31.05.2014 - Der talentierte Mr. Ripley (Patricia Highsmith, Regie: Jan-Christoph Gockel, Schaubühne)
...feine, kleine Inszenierung im Studio...
       
Juni       
23.06.2014 - TRUST (Falk Richter, Schaubühne)
... immer und immer wieder gut...

24.06.2014 - Karl und das 20. Jahrhundert (Szenische Einrichtung von Ingo Hülsmann nach dem Roman von Rudolf Brunngraber, Schaubühne)
...Wahnsinn, wie viel Geschichte in diese zwei Stunden passt...

29.06.2014 - Ein Volksfeind (Henrik Ibsen, Regie: Thomas Ostermeier, Schaubühne)
...und wieder diskutieren wir...

Juli       
04.07.2014- Nice to eat you (ein Projekt der Zwiefachen an der Schaubühne) / Verabschiedung Uta Plate (Veranstaltung der Freunde der Schaubühne)
...Goodbye, Uta!...

05.07.2014 - Dämonen (von Lars Norén, Regie: Thomas Ostermeier, Schaubühne)
...was Beziehungen mit uns so tun...

06.07.2014 - Spielzeitende
...Theater-Entzugserscheinungen vorprogrammiert...