21. Mai 2017

Max Penthollow schreibt mir // Kapitel 18: Mobbing im Klinikum - Ein Ärztestück ("Professor Bernhardi" in der Schaubühne)

Max Penthollow schreibt mir...

Liebe Maren,

vor kurzem war ich in der Schaubühne bei "Professor Bernhardi" von Arthur Schnitzler.

Hier sind einige von meinen Eindrücken:

"Professor Bernhardi" von Arthur Schnitzler - Fassung von Thomas Ostermeier und Florian Borchmeyer - Regie: Thomas Ostermeier - Premiere am 17. Dezember 2016

Wien um 1900, Elisabethinum, Privatklinik. Professor Bernhardi ist Chefarzt einer klinischen Abteilung, und Ärztlicher Leiter des Hauses, Jude.

Der Tod einer jungen Patientin während eines sie betreffenden Disputs zwischen Pfarrer Reder und Professor Bernhardi ist der Auftakt zum Stück.

Es geht im einzelnen so: ein 18jähriges Mädchen hat nach einer verbotenen Abtreibung eine Sepsis und ist todgeweiht. Ihr Leben ist auch mit aller ärztlichen Kunst nicht mehr zu retten. Sie ist euphorisch und hat Phantasien, dass jemand sie abholen wird.

Hochroitzpointner (Moritz Gottwald), Kandidat der Medizin und superschlau ("die macht's nicht mehr lange!"), hat den Priester rufen lassen. Pfarrer Franz Reder (Laurenz Laufenberg) will der Patientin, die nichts von ihrem bevorstehenden Tod ahnt, die Sterbesakramente spenden, er will sie – Christin – von ihren Sünden freisprechen und sie mit Gott vereinen und ihre Seele der Erlösung und dem Ewigen Leben zuführen. Professor Bernhardi (Jörg Hartmann) kommt zur Szene hinzu und versucht, Pfarrer Reder von seinem Vorhaben abzuhalten, in der Absicht, die junge Patientin in ihrer glücklich-euphorischen Gefühlslage in Frieden sterben zu lassen und sie nicht mit der Schreckensnachricht ihres herannahenden Todes zu peinigen. Professor Bernhardi und der Pfarrer Reder diskutieren, währenddessen stirbt die junge Patientin.

Für Professor Bernhardis teilweise judenfeindliche und selbst karriere-affine Kollegen ist dieses Ereignis ein willkommener Anlass, um gegen Professor Bernhardi einen Skandal zu konstruieren. Professor Bernhardi wird in der Folge wegen Behinderung der Religionsausübung zu einer zweimonatigen Haftstrafe verurteilt und muss ins Gefängnis und verliert seine Berufserlaubnis. Seine Stelle wird frei.

Arthur Schnitzler (1862-1931), selbst Arzt und Jude, hat das Stück 1912 geschrieben, 21 Jahre vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 mit den bekannten Konsequenzen.


Das Ärztekollegium tagt - Robert Beyer, Veronika Bachfischer, Lukas Turtur, Eva Meckbach, Thomas Bading, Jörg Hartmann, Sebastian Schwarz, David Ruland, Konrad Singer (Foto: Arno Declair)

Auf der klinisch weißen Bühne spielen 15 Darsteller und Darstellerinnen des Ärztekollegiums und weiteren Krankenhauspersonals und dazu Politiker, 17 Rollen - 17 Hauptrollen. Aus meiner Sicht ist es ein schönes Ensemble-Theater in einer nuancenreichen Inszenierung mit fesselnder Bühnengestaltung mit ausgeklügelter Videoarbeit und mit hervorragendem lustvollem und unterhaltsamem Spiel aller Darsteller und Darstellerinnen.

In der Darstellung der Vehemenz und Besessenheit, mit der Menschen - unter bestimmten Voraussetzungen und in bestimmten gesellschaftlichen Konstellationen - in Gruppen oder in Massen auf andere Menschen oder Menschengruppen losgehen, um sie zu zerstören und zu vernichten, ist das Stück aus meiner Sicht zeitlos, immer aktuell und seine Botschaft allgemein gültig.

Ich finde: so präzise und dezent in der Darstellung, so verstörend und vernichtend in der Konsequenz! Finsterst und so realistisch!

Ein wichtiges Stück und ein munterer und unterhaltsamer Theaterabend!

Ich empfehle: hingehen und das böse Spiel genießen! Die Vorstellungen sind immer schnell ausverkauft!

Allerliebst

Max

--------------------------------------------------------------------

Regie: Thomas Ostermeier   
Bühne: Jan Pappelbaum   
Kostüme: Nina Wetzel   
Musik: Malte Beckenbach   
Ko-Komposition: Simon James Phillips
Bildregie: Matthias Schellenberg
Kamera: Moritz von Dungern, Joseph Campbell, Florian Baumgarten
Videodesign: Jake Witlen   
Dramaturgie: Florian Borchmeyer   
Licht: Erich Schneider   
Wandzeichnungen: Katharina Ziemke

Dr. Bernhardi: Jörg Hartmann   
Dr. Ebenwald: Sebastian Schwarz   
Dr. Cyprian: Thomas Bading   
Dr. Pflugfelder: Robert Beyer   
Dr. Filitz: Konrad Singer   
Dr. Tugendvetter: Johannes Flaschberger   
Dr. Löwenstein: Lukas Turtur   
Dr. Schreimann/Kulka, ein Journalist: David Ruland   
Dr. Adler: Eva Meckbach   
Dr. Oskar Bernhardi: Damir Avdic   
Dr. Wenger/Krankenschwester: Veronika Bachfischer   
Hochroitzpointner: Moritz Gottwald   
Professor Dr. Flint: Hans-Jochen Wagner   
Ministerialrat Dr. Winkler: Christoph Gawenda   
Franz Reder, Pfarrer: Laurenz Laufenberg   

Dauer: ca. 165 Minuten


Weitere Infos auf der Seite der Schaubühne.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen