Thomas Ostermeier und Marius von Mayenburg haben eine Petition gestartet, um gegen die Verhaftung des russischen Regisseurs Kirill Serebrennikov zu protestieren.
Serebrennikow steht unter Hausarrest und wird beschuldigt, staatliche Gelder veruntreut zu haben. Er darf bis zum Prozess keine Theater besuchen, keine Filme drehen und keinen Kontakt zu Medien aufnehmen. Diese Art der Vorverurteilung und Kontaktsperre ist untragbar. Es drohen ihm bis zu zehn Jahre Haft.
Die Petition richtet sich an Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Sigmar Gabriel sowie Wladimir Putin und die Russische Staatsanwaltschaft.
Der Text der Petition in deutsch und englisch:
Wir protestieren gegen die Verhaftung von Kirill Serebrennikov. Die Vorwürfe gegen ihn sind unhaltbar und lassen erkennen, dass hier ein international renommierter Regisseur mundtot gemacht werden soll.
Serebrennikov wird vorgeworfen, Gelder mittels einer nie stattgefundenen Inszenierung von Shakespeares „Sommernachtstraum“ veruntreut zu haben. Videoaufnahmen, Rezensionen, Zuschauerberichte auf Facebook, Gastspiele in Riga und Paris, eine Nominierung für den Russischen Nationaltheaterpreis „Golden Mask“ und nicht zuletzt der Spielplan des Gogol Center in Moskau beweisen, dass dieser Vorwurf absurd ist. Dennoch drohen Serebrennikov eine Verurteilung und bis zu zehn Jahre Gefängnis.
Unverhältnismäßig ist auch der Hausarrest, der bis Prozessbeginn über ihn verhängt wurde. Serebrennikov muss eine Fußfessel tragen, darf Internet und Email nicht nutzen und nur nahe Familienangehörige empfangen. Das bedeutet nichts anderes als Kontaktsperre, Vorverurteilung und Arbeitsverbot für einen der berühmtesten russischen Gegenwartskünstler.
Wir fordern die russische Staatsanwaltschaft auf, die Strafverfolgung gegen Kirill Serebrennikov einzustellen und die fadenscheinigen Vorwürfe gegen ihn fallenzulassen.
An unsere Regierungsvertreter richten wir den Appell, aufs Schärfste darauf zu drängen, dass Serebrennikov nicht als Opfer eines politisch motivierten Rufmords im Gefängnis landet.
+++
We protest against the arrest of Kirill Serebrennikov. The charges against him are untenable and indicative of the fact that the intention is to silence an internationally renowned director.
Serebrennikov stands accused of having embezzled government funds for a production of Shakespeare’s „A Midsummer Night’s Dream“ that allegedly never took place. Video recordings, reviews, Facebook entries by audience members, tours to Riga and Paris, a nomination for the Russian national theatre award „Golden Mask“ and, last but not least, the programme of the Gogol Center in Moscow prove that this charge is absurd. And yet Serebrennikov stands in danger of being convicted and of receiving a prison sentence of up to ten years.
Just as disproportionate is the house arrest he has been placed under until the trial. Serebrennikov has to wear an ankle monitor, isn’t allowed to use the Internet or write emails and is only permitted to see close family members. This is in effect a communication ban, a prejudgement and a prohibition to work for one of the most famous contemporary Russian artists.
We ask the Russian public prosecution office to stop the criminal prosecution of Kirill Serebrennikov and to drop the flimsy accusations against him.
We urgently appeal to our government representatives to ensure that Serebrennikov doesn’t become the victim of a politically motivated defamation of character and doesn’t end up in prison.
Erstunterzeichnende / Initial signers:
1. Maren Ade (film director)
2. Benedict Andrews (theatre and film director)
3. Josef Bierbichler (actor / author)
4. Cate Blanchett (actress)
5. Andrea Breth (theatre director)
6. Sophie Calle (artist)
7. Teodor Currentzis (conductor)
8. Lars Eidinger (actor)
9. Carolin Emcke (author / publicist)
10. Kristín Eysteinsdóttir (artistic director Reykjavik City Theatre)
11. Jürgen Flimm (artistic director Staatsoper unter den Linden)
12. Herbert Fritsch (theatre director)
13. David Harrower (author)
14. Nina Hoss (actress)
15. Elfriede Jelinek (author)
16. Vladimir Jurowski (conductor)
17. Ulrich Khuon (artistic director Deutsches Theater Berlin / president of german theatre association)
18. Barrie Kosky (artistic director Komische Oper Berlin)
19. David Lan (artistic director Young Vic London)
20. Igor Levit (pianist)
21. Joachim Lux (artistic director Thalia Theater Hamburg / president of International Theatre Institut Germany)
22. Ari Mattthíassin (artisitic director National Theatre of Iceland)
23. Marius von Mayenburg (author / theatre director)
24. Simon McBurney (theatre director / actor)
25. Sergio Moabito (dramaturg)
26. Sergej Newski (composer)
27. Thomas Ostermeier (artistic director Schaubühne Berlin and president of the Franco-German council)
28. Milo Rau (theatre director / author)
29. Mark Ravenhill (author)
30. Falk Richter (author / theatre director)
31. Julian Rosefeldt (video artist)
32. Volker Schlöndorff (film director)
33. Danis Tanović (film director)
34. Enda Walsh (author)
35. Jossi Wieler (artistic director Oper Stuttgart)
Hier mitzeichnen!
28. August 2017
4. August 2017
Rückblick Juni & Juli 2017: Abschiede und Wiederkehr
Es sind wieder Theaterferien! Daher kommt hier der letzte Rückblick der Spielzeit 2016/2717. Über welche Themen ich in der Sommerpause schreiben werde, ist noch nicht ganz klar.
JUNI
03.06.2017 PREMIERE Peng von Marius von Mayenburg (Schaubühne)
06.06.2017 re-vistied Peng
Als Donald Trump im November des letzten Jahres zum Präsidenten der USA gewählt wurde, hatte Marius von Mayenburg endgültig genug von den Macho-Männern. Erdogan, Putin, Orbán, Kaczynski - es ist eine lange Reihe dieser "Anführer", die ihn dazu veranlassten, die Figur Peng zu erfinden und ein Stück darüber zu schreiben. Verkörpert wird dieser Peng echt fies und unsympatisch von Sebastian Schwar - er ist einer der Stammschauspieler*innen von M.v. Mayenburg. Im Stück ist er das Kind eines Prenzlauer-Berg Paares. Moral und Anstand sind ihm vollkommen egal, wenn es darum geht an sein Ziel zu kommen. Er verdreht jedem die Worte im Mund, macht Opfer zu Tätern und ist so rücksichtslos, dass man sich einfach nur angewidert abwenden kann. Er wütet, ätzt und schießt jedoch so ungehemmt gegen jede*n der*die sich ihm in den Weg stellt, dass wegschauen, keine Lösung sein kann. Was macht macht, um so jemanden nicht groß werden zu lassen? Diese Frage stellt man sich verzweifelt beim Ansehen des Stück und überträgt sie sogleich in die Realität, in der Trump & Co. einfach immer so weiter machen (dürfen). Kopfschütteln hilft da nicht weiter. Wut, Verzweiflung, Machtlosigkeit macht sich bemerkbar. Es kann doch nicht sein, dass so einer bestimmt, wie und wo es langgeht. Peng ist auch ein Stück, das zur Auseinanderetzung mit der eigenen Haltung zum derzeitigen Weltgeschehen anregt. Der Griff zur Waffe ist keine Lösung. Im Stück dargestellt durch Eva Meckbach als Ärztin, die die Männer pauschal für die Greueltaten verantwortlich macht. Das wird hier übersitzt, aber ein Fünckchen Wahrheit ist doch dabei... Peng ist brutal, extrem unangenehm und stellenweise überzogen, aber in der Übertreibung liegt wie immer die Veranschaulichung.
Es wird vornehmlich vor einem Green Screen gespielt, damit die erfundene Realität künstlich auf die Leinwand projiziert werden kann. Wir wissen ja auch nicht, was echt ist und was inszeniert - im Theater, in der Politik und im Weltgeschehen. Alles ist nur ein Spiel mit unserer Wahrnehmnung und Voruteilen, oder?
Regie: Marius von Mayenburg
Bühne und Kostüme: Nina Wetzel
Video: Sébastien Dupouey
Dramaturgie: Maja Zade
Mit: Damir Avdic, Robert Beyer, Marie Burchard, Eva Meckbach, Sebastian Schwarz, Lukas Turtur
Essay zum Stück in Pearson's Preview: Theater sollte uns nicht in Sicherheit wiegen
09.06.17 Gift von Lot Vekemans (Deutsches Theater)
Ein Paar (Dagmar Manzel und Ulrich Matthes), schon länger getrennt, trifft sich im Warteraum eines Friedhofs. Der verstorbene Sohn soll umgebetet werden. Stochern in der Vergangenheit, alte Wunden, Vorwürfe, Trauer, Wut, Unverständnis, Härte, aber auch Zärtlichkeit und Annäherung bestimmen das Treffen während des knapp anderthalbstündigen Stückes. So "echt" gespielt und oft am Rande des Erträglichen liebt und hasst man abwechselnd die beiden Figuren auf der Bühne wie sie es selbst tun. Echte Tränen? Das Leid und das Leiden - man möchte wegsehen und weghören und muss doch immer weiter verfolgen, was die beiden sich da oben gegenseitig antun. Die Beziehung ist vergiftet und das Gift lässt sich nicht mehr entfernen. Weitergehen kann es nur ohneeinander.
Dagmar Manzel wurde 2014 für ihre Rolle "Sie" mit dem Deutschen Theaterpreis 'Der Faust' ausgezeichnet.
Regie: Christian Schwochow
Bühne: Anne Ehrlich
Kostüme: Pauline Hüners
Dramaturgie: John von Düffel
Gift von Lot Vekemans ist auch als eBook erschienen. Über die Website www.textbuehne.eu können Sie das Theaterstück in diversen Online-Shops bestellen.
10.06.17 Authentizität! Lesung und Gespräch (Schaubühne)
Von "Exzentrikern, Spielverderbern und Dealern" - so der Untertitel des neuen Buches von Wolfgang Engler, Rektor der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch. Im Gespräch mit Thomas Ostermeier wird hinterfragt, wie erstrebenswert es heute ist, authentisch zu sein. Authentizität - ein Begriff der auch häufig missverstanden und mit "natürlich" verwechselt wird. Verstellung im Alltag und auf der Bühne muss nicht zwangsläufig falsch und der gesellschaftliche Rahmen kann für das Streben nach Authentizität förderlich oder hinderlich sein.
Erschienen im Verlag Theater der Zeit.
14.06.17 Autorentheatertage: Point of no return von Yael Ronen (Deutsches Theater)
Zur Eröffnungn der Autorentheatertage wurde Yael Ronens "Point of no Return" gezeigt. Der Amoklauf in München im Sommer 2016, ein vermeintlicher Terroranschlag, wurde von den Schauspieler*innen, die Yael Ronen auftreten lässt, ganz unterschiedlich wahrgenommen. Wo warst du, was hast du gemacht als es passierte? Das ist wichtig und dass es nicht Berlin als erstes traf. "Je suis Munich." Eigentlich wollteYael Ronen in ihrem neuen Stück das Thema Sex in Zeiten von Dating-Apps thematisieren, doch während der Proben geschah der Amoklauf und "Point of no return" wurde ganz anders für allen Beteiligten. Die Angst vor dem Terror überlagerte plötzlich alles, der Point of no return wird zu einem anderen Bewusstsein.
Inszenierung: Yael Ronen Bühne: Wolfgang Menardi
Kostüme: Amit Epstein
Mit Niels Bormann, Dejan Bućin, Jelena Kuljić, Wiebke Puls, Damian Rebgetz.
16.06.17 PREMIERE Auszeit (Schaubühne)
Ein Projekt der Polyrealist_innen
Wer will ich sein und wie sollte mein Leben aussehen? Im neuem Projekt der Polyrealist_innen beschäftigen sich 15 Spieler`*innen mit der Frage, was sie sein und wie sei leben wollen. Die Wünsche und Sehnsüchte sind dabei sehr unterschiedlich. Die Mitglieder der Theatergruppe zwischen 21 und 73 stellen sich dabei nicht ganz einfachen Fragen: "Magst du deine Mutter oder deinen Vater lieber?" oder "Würdest du lieber ertrinken oder verbrennen wollen?" Das regt auch die Zuschauer*innen zum Nachdenken an und wirkt nach.
Leitung: Philipp Rost
Künstlerische Mitarbeit: Sidney Kaufmann
Bühne: Philipp Richter
Kostüme: Christin Noel
Musik: Lukas Zepf
Dramaturgie: Theresa Schlesinger
Mit: Robert Akstinat, Susan Amsler-Parsia-Parsi, Josefine Bomba, Jan-Robert Frank, Angelika Kadke, Solveig Kranzmann, Eva Levintova, Claudia Müller-Hoff, Julia Paulisch, Ulrich Pöll, Eva Reuss-Richter, Heike Schalk, André Schneider, Veronika Schulze, Sarah Strebelow
17.06.17 Bekannte Gefühle, gemischte Gesichter von Christoph Marthaler (Volksbühne)
Mein allerletzte Vorstellung an der Volksbühne. Mal abgesehenvon der in den in den letzten Wochen immerwährenden Abschiedsschmerz-Euphorie und 30 Minuten Applaus und Standing Ovations, war dieses Stück nicht so ganz mein Ding. Auf der Bühne stehen fast alle Schauspieler*innen der legänderen Murx-Inszeneriung vor über 20 Jahren. Wahrscheinlich macht das den Zauber des Stückes aus, das sogar zum Theatertreffen eingeladen wurde. Sie zitieren sich selbst - das kann man natürlich nur dann unterhaltsam finden, wenn man "Murx" gesehen hat. Bekannte Gefühle eben!
Regie: Christoph Marthaler
Bühne & Kostüme: Anna Viebrock
Mit: Hildegard Alex, Tora Augestad, Marc Bodnar, Magne Håvard Brekke, Raphael Clamer, Bendix Dethleffsen, Altea Garrido, Olivia Grigolli, Irm Hermann, Ueli Jäggi, Jürg Kienberger, Sophie Rois, Ulrich Voß.
23.06.17 Autorentheatertage: Kartonage von Yade Yasemin Önder (Deutsches Theater)
Im Rahmen der Autorentheatertage fand die Lange Nacht der Dramatikerinnen statt. Ja, es waren drei Frauen, deren Stücke aus 125 Einsendungen ausgewählt wurden und die Jury (die Journalistin Anke Dürr, die Schauspielerin Annette Paulmann, der Regisseur Jan-Ole Gerster) hatte diese drei ausgewählt, ohne zu wissen, dass es sich um rein weibliche Autorinnen handelte.
Ich sah Kartonage von Yade Yasemin Önder. - Die Eltern sitzen fest in ihren vier Wänden und kochen Marillen ein, bittersüß, selbtgewählte Gefangenschaft im Karton. Die Tochter Rosalie kommt zu Besuch, nach 16 Jahren und erlebt diese Hölle, der sie einst entfloh erneut. Die Vorwürfe der Eltern sind alles, was sie empfängt. Wie wieder rauskommen aus dem Karton, aus dem zähen Familien-Kleinmut? Die Knie werden blutig geschlagen, die Marmelade verklebt alles, kein Verständnis für ein anderes Leben. Die andere Welt bleibt draußen.
Regie: Franz-Xaver Mayr
Bühne: Michela Flück
Kostüme: Korbinian Schmidt
Video: Sophie Lux
Musik: Levent Pinarci
Frau Werner: Petra Morzé
Herr Werner: Bernd Birkhahn
Rosalie: Irina Sulaver
Ella: Marta Kizyma
Uraufführung am 23. Juni 2017
Koproduktion mit dem Burgtheater Wien
JULI
01.07.17 Abschiedsfeier der Castorf-Volksbühne
Die große Sause nach der letzten Vorstellung an der Volksbühne fand zwar bei strömendem Regen statt, doch haben sich hunderte von Fans auf dem Rosa-Luxemburg-Platz versammelt. Ein Riesenfest mit Musik (die Bands von Alexander Scheer und Daniel Zillmann spielen), eine Mischung aus Euphorie und Wehmut. Das Rad auf der Wiese vor der Volksbühne ist schon weg und auf dem Weg nach Avignon. Und irgendwann ist dann auch die Feier zu Ende. Als Höhepunkt singen Martin Wuttke, Milan Peschel und Frank Catorf begleitet von Shermin Langhoff, Klaus Lederer und vielen ehemaligen Schauspieler*innen der legendären Volksbühne "Für immer und dich" von Rio Reiser. Ein Trost: Viele werden an der Schaubühne und anderen Häusern zu sehen sein - auch wenn das natürlich nicht das gleiche ist.
08.07.17 PREMIERE Returning to Reims von Thomas Ostermeier nach dem Roman von Didier Eribon (MIF / HOME / Schaubühne)
Lest hier meinen Bericht über die Premiere in Manchster!
15.07.17 re-visited Love hurts in Tinder Timesvon Patrick Wengenroth (Schaubühne)
Ein Besuch der letzten Vorstellung vor der Sommerpause in der Schaubühne ist obligatorisch. Mark Waschke küsst und flirtet wieder mit dem Publikum. Lise Risom Olsen und Andreas Schröders absolvieren ihren letzten Auftritt als Ensemblemitglieder - ein paar Tränen und Blumen für den Abschied sowie Begeisterung für diese tollen Schauspieler*innen.
Theaterferien! Aber ich freue mich schon auf den Beginn der Spielzeit 2017/18 im September.
JUNI
03.06.2017 PREMIERE Peng von Marius von Mayenburg (Schaubühne)
06.06.2017 re-vistied Peng
Als Donald Trump im November des letzten Jahres zum Präsidenten der USA gewählt wurde, hatte Marius von Mayenburg endgültig genug von den Macho-Männern. Erdogan, Putin, Orbán, Kaczynski - es ist eine lange Reihe dieser "Anführer", die ihn dazu veranlassten, die Figur Peng zu erfinden und ein Stück darüber zu schreiben. Verkörpert wird dieser Peng echt fies und unsympatisch von Sebastian Schwar - er ist einer der Stammschauspieler*innen von M.v. Mayenburg. Im Stück ist er das Kind eines Prenzlauer-Berg Paares. Moral und Anstand sind ihm vollkommen egal, wenn es darum geht an sein Ziel zu kommen. Er verdreht jedem die Worte im Mund, macht Opfer zu Tätern und ist so rücksichtslos, dass man sich einfach nur angewidert abwenden kann. Er wütet, ätzt und schießt jedoch so ungehemmt gegen jede*n der*die sich ihm in den Weg stellt, dass wegschauen, keine Lösung sein kann. Was macht macht, um so jemanden nicht groß werden zu lassen? Diese Frage stellt man sich verzweifelt beim Ansehen des Stück und überträgt sie sogleich in die Realität, in der Trump & Co. einfach immer so weiter machen (dürfen). Kopfschütteln hilft da nicht weiter. Wut, Verzweiflung, Machtlosigkeit macht sich bemerkbar. Es kann doch nicht sein, dass so einer bestimmt, wie und wo es langgeht. Peng ist auch ein Stück, das zur Auseinanderetzung mit der eigenen Haltung zum derzeitigen Weltgeschehen anregt. Der Griff zur Waffe ist keine Lösung. Im Stück dargestellt durch Eva Meckbach als Ärztin, die die Männer pauschal für die Greueltaten verantwortlich macht. Das wird hier übersitzt, aber ein Fünckchen Wahrheit ist doch dabei... Peng ist brutal, extrem unangenehm und stellenweise überzogen, aber in der Übertreibung liegt wie immer die Veranschaulichung.
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Damir Avdic und Sebastian Schwarz (Foto: Arno Declair) |
Es wird vornehmlich vor einem Green Screen gespielt, damit die erfundene Realität künstlich auf die Leinwand projiziert werden kann. Wir wissen ja auch nicht, was echt ist und was inszeniert - im Theater, in der Politik und im Weltgeschehen. Alles ist nur ein Spiel mit unserer Wahrnehmnung und Voruteilen, oder?
Regie: Marius von Mayenburg
Bühne und Kostüme: Nina Wetzel
Video: Sébastien Dupouey
Dramaturgie: Maja Zade
Mit: Damir Avdic, Robert Beyer, Marie Burchard, Eva Meckbach, Sebastian Schwarz, Lukas Turtur
Essay zum Stück in Pearson's Preview: Theater sollte uns nicht in Sicherheit wiegen
09.06.17 Gift von Lot Vekemans (Deutsches Theater)
Ein Paar (Dagmar Manzel und Ulrich Matthes), schon länger getrennt, trifft sich im Warteraum eines Friedhofs. Der verstorbene Sohn soll umgebetet werden. Stochern in der Vergangenheit, alte Wunden, Vorwürfe, Trauer, Wut, Unverständnis, Härte, aber auch Zärtlichkeit und Annäherung bestimmen das Treffen während des knapp anderthalbstündigen Stückes. So "echt" gespielt und oft am Rande des Erträglichen liebt und hasst man abwechselnd die beiden Figuren auf der Bühne wie sie es selbst tun. Echte Tränen? Das Leid und das Leiden - man möchte wegsehen und weghören und muss doch immer weiter verfolgen, was die beiden sich da oben gegenseitig antun. Die Beziehung ist vergiftet und das Gift lässt sich nicht mehr entfernen. Weitergehen kann es nur ohneeinander.
Dagmar Manzel wurde 2014 für ihre Rolle "Sie" mit dem Deutschen Theaterpreis 'Der Faust' ausgezeichnet.
Regie: Christian Schwochow
Bühne: Anne Ehrlich
Kostüme: Pauline Hüners
Dramaturgie: John von Düffel
Gift von Lot Vekemans ist auch als eBook erschienen. Über die Website www.textbuehne.eu können Sie das Theaterstück in diversen Online-Shops bestellen.
10.06.17 Authentizität! Lesung und Gespräch (Schaubühne)
Von "Exzentrikern, Spielverderbern und Dealern" - so der Untertitel des neuen Buches von Wolfgang Engler, Rektor der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch. Im Gespräch mit Thomas Ostermeier wird hinterfragt, wie erstrebenswert es heute ist, authentisch zu sein. Authentizität - ein Begriff der auch häufig missverstanden und mit "natürlich" verwechselt wird. Verstellung im Alltag und auf der Bühne muss nicht zwangsläufig falsch und der gesellschaftliche Rahmen kann für das Streben nach Authentizität förderlich oder hinderlich sein.
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Erschienen im Verlag Theater der Zeit.
14.06.17 Autorentheatertage: Point of no return von Yael Ronen (Deutsches Theater)
Zur Eröffnungn der Autorentheatertage wurde Yael Ronens "Point of no Return" gezeigt. Der Amoklauf in München im Sommer 2016, ein vermeintlicher Terroranschlag, wurde von den Schauspieler*innen, die Yael Ronen auftreten lässt, ganz unterschiedlich wahrgenommen. Wo warst du, was hast du gemacht als es passierte? Das ist wichtig und dass es nicht Berlin als erstes traf. "Je suis Munich." Eigentlich wollteYael Ronen in ihrem neuen Stück das Thema Sex in Zeiten von Dating-Apps thematisieren, doch während der Proben geschah der Amoklauf und "Point of no return" wurde ganz anders für allen Beteiligten. Die Angst vor dem Terror überlagerte plötzlich alles, der Point of no return wird zu einem anderen Bewusstsein.
Inszenierung: Yael Ronen Bühne: Wolfgang Menardi
Kostüme: Amit Epstein
Mit Niels Bormann, Dejan Bućin, Jelena Kuljić, Wiebke Puls, Damian Rebgetz.
16.06.17 PREMIERE Auszeit (Schaubühne)
Ein Projekt der Polyrealist_innen
Wer will ich sein und wie sollte mein Leben aussehen? Im neuem Projekt der Polyrealist_innen beschäftigen sich 15 Spieler`*innen mit der Frage, was sie sein und wie sei leben wollen. Die Wünsche und Sehnsüchte sind dabei sehr unterschiedlich. Die Mitglieder der Theatergruppe zwischen 21 und 73 stellen sich dabei nicht ganz einfachen Fragen: "Magst du deine Mutter oder deinen Vater lieber?" oder "Würdest du lieber ertrinken oder verbrennen wollen?" Das regt auch die Zuschauer*innen zum Nachdenken an und wirkt nach.
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Die Polyrealist_innen (Foto: Gianmarco Bresadola) |
Leitung: Philipp Rost
Künstlerische Mitarbeit: Sidney Kaufmann
Bühne: Philipp Richter
Kostüme: Christin Noel
Musik: Lukas Zepf
Dramaturgie: Theresa Schlesinger
Mit: Robert Akstinat, Susan Amsler-Parsia-Parsi, Josefine Bomba, Jan-Robert Frank, Angelika Kadke, Solveig Kranzmann, Eva Levintova, Claudia Müller-Hoff, Julia Paulisch, Ulrich Pöll, Eva Reuss-Richter, Heike Schalk, André Schneider, Veronika Schulze, Sarah Strebelow
17.06.17 Bekannte Gefühle, gemischte Gesichter von Christoph Marthaler (Volksbühne)
Mein allerletzte Vorstellung an der Volksbühne. Mal abgesehenvon der in den in den letzten Wochen immerwährenden Abschiedsschmerz-Euphorie und 30 Minuten Applaus und Standing Ovations, war dieses Stück nicht so ganz mein Ding. Auf der Bühne stehen fast alle Schauspieler*innen der legänderen Murx-Inszeneriung vor über 20 Jahren. Wahrscheinlich macht das den Zauber des Stückes aus, das sogar zum Theatertreffen eingeladen wurde. Sie zitieren sich selbst - das kann man natürlich nur dann unterhaltsam finden, wenn man "Murx" gesehen hat. Bekannte Gefühle eben!
Regie: Christoph Marthaler
Bühne & Kostüme: Anna Viebrock
Mit: Hildegard Alex, Tora Augestad, Marc Bodnar, Magne Håvard Brekke, Raphael Clamer, Bendix Dethleffsen, Altea Garrido, Olivia Grigolli, Irm Hermann, Ueli Jäggi, Jürg Kienberger, Sophie Rois, Ulrich Voß.
23.06.17 Autorentheatertage: Kartonage von Yade Yasemin Önder (Deutsches Theater)
Im Rahmen der Autorentheatertage fand die Lange Nacht der Dramatikerinnen statt. Ja, es waren drei Frauen, deren Stücke aus 125 Einsendungen ausgewählt wurden und die Jury (die Journalistin Anke Dürr, die Schauspielerin Annette Paulmann, der Regisseur Jan-Ole Gerster) hatte diese drei ausgewählt, ohne zu wissen, dass es sich um rein weibliche Autorinnen handelte.
Ich sah Kartonage von Yade Yasemin Önder. - Die Eltern sitzen fest in ihren vier Wänden und kochen Marillen ein, bittersüß, selbtgewählte Gefangenschaft im Karton. Die Tochter Rosalie kommt zu Besuch, nach 16 Jahren und erlebt diese Hölle, der sie einst entfloh erneut. Die Vorwürfe der Eltern sind alles, was sie empfängt. Wie wieder rauskommen aus dem Karton, aus dem zähen Familien-Kleinmut? Die Knie werden blutig geschlagen, die Marmelade verklebt alles, kein Verständnis für ein anderes Leben. Die andere Welt bleibt draußen.
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Bernd Birkhan als Herr Werner, Petra Morzé als Frau Werner, Irina Sulaver als Rosalie (Foto: Reinhard Werner) |
Regie: Franz-Xaver Mayr
Bühne: Michela Flück
Kostüme: Korbinian Schmidt
Video: Sophie Lux
Musik: Levent Pinarci
Frau Werner: Petra Morzé
Herr Werner: Bernd Birkhahn
Rosalie: Irina Sulaver
Ella: Marta Kizyma
Uraufführung am 23. Juni 2017
Koproduktion mit dem Burgtheater Wien
JULI
01.07.17 Abschiedsfeier der Castorf-Volksbühne
Die große Sause nach der letzten Vorstellung an der Volksbühne fand zwar bei strömendem Regen statt, doch haben sich hunderte von Fans auf dem Rosa-Luxemburg-Platz versammelt. Ein Riesenfest mit Musik (die Bands von Alexander Scheer und Daniel Zillmann spielen), eine Mischung aus Euphorie und Wehmut. Das Rad auf der Wiese vor der Volksbühne ist schon weg und auf dem Weg nach Avignon. Und irgendwann ist dann auch die Feier zu Ende. Als Höhepunkt singen Martin Wuttke, Milan Peschel und Frank Catorf begleitet von Shermin Langhoff, Klaus Lederer und vielen ehemaligen Schauspieler*innen der legendären Volksbühne "Für immer und dich" von Rio Reiser. Ein Trost: Viele werden an der Schaubühne und anderen Häusern zu sehen sein - auch wenn das natürlich nicht das gleiche ist.
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Party im Regen - (Auf)Wiedersehen mit Volksbühnenlieblingen (Foto: Maren Vergiels) |
08.07.17 PREMIERE Returning to Reims von Thomas Ostermeier nach dem Roman von Didier Eribon (MIF / HOME / Schaubühne)
Lest hier meinen Bericht über die Premiere in Manchster!
15.07.17 re-visited Love hurts in Tinder Timesvon Patrick Wengenroth (Schaubühne)
Ein Besuch der letzten Vorstellung vor der Sommerpause in der Schaubühne ist obligatorisch. Mark Waschke küsst und flirtet wieder mit dem Publikum. Lise Risom Olsen und Andreas Schröders absolvieren ihren letzten Auftritt als Ensemblemitglieder - ein paar Tränen und Blumen für den Abschied sowie Begeisterung für diese tollen Schauspieler*innen.
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Lise Risom Olsen und Mark Waschke (Foto: Gianmarco Bresadola) |
Theaterferien! Aber ich freue mich schon auf den Beginn der Spielzeit 2017/18 im September.
13. Juli 2017
Reise zurück, Blick nach vorn: Premiere von "Returning to Reims" in Manchester (MIF / Schaubühne)
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Nina Hoss in "Returning to Reims" (Foto: Arno Declair) |
Zur Uraufführung von „Rückkehr nach Reims/Returning to Reims“ sind wir nach Manchester gereist. Thomas Ostermeier hat den Bestseller des französischen Soziologen Didier Eribon auf die Bühne gebracht. Im Rahmen des Manchester International Festival (MIF) hatte das Stück am 8. Juli 2017 im HOME (Centre for contemporary theatre, film, art, music) Premiere.
Eine Hommage an den Text von Eribon.
In Interviews hatte Ostermeier erklärt, er habe beim Lesen des Romans immer wieder Parallelen zu seiner eigenen Kindheit und Jugend entdeckt (siehe u.a. Programmheft des MIF zum Stück). In seinem Buch beschreibt Eribon die Arbeiterklasse, aus der er stammt, die schwierigen sozialen Verhältnisse, einen homophoben Vater, sein Loslösung vom Elternhaus und Milieu, den Umzug in die Großstadt und ein intellektuelles Umfeld und wie die ehemals links wählenden Eltern zu Wähler*innen von Marine Le Pens Front National wurden.
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Programmheft des MIF zu "Returning to Reims" |
Im Stück wird die Reise nach Reims (Eribon kehrt nach dem Tod seines Vaters das erste mal seit seiner Jugend wieder in seine Heimatstadt zurück) durch einen Dokumentarfilm nachgestellt. Nina Hoss spielt eine Schauspielerin, die dazu den Text aus dem Buch einliest. Sie unterbricht ihre Lesung dabei immer wieder, um mit dem Regisseur des Films, gespielt von Bush Moukarzel (künstlerischer Leiter von Dead Centre, deren Produktionen beim FIND 2016 und 2017 zu sehen waren) zu diskutieren, wie man diese Reise in Bildern am besten nachzeichnen kann, welche angebracht sind und passen, welche nicht. Schließlich bringt sie ihre eigene Geschichte bzw. die ihres Vaters ein, der ursprünglich Kommunist war, später die Grünen mitbegründete und am Ende im Amazonas gearbeitet hat. Somit wird dem Bild, das Eribon von seiner Familie und seinem Aufwachsen zeichnet, ein weiterer möglicher Weg entgegengesetzt - man hat die Wahl.
Die Inszenierung lebt vom Text Eribons und dem klaren ruhigen Vortrag von Nina Hoss. Und von den Bildern des Films (Sébastien Dupouey) eine Mischung aus Dokumentation der Reise sowie historischen und aktuellen Bildern aus Frankreich, England und Deutschland. Die Unterbrechungen, in denen Bush Moukarzel und Ali Gadema (als Angestellter des Tonstudios) - übrigens ein in Manchester bekannter Rapper und Word Artist - ihre Auftritte haben sind witzig und helfen der*m Zuschauer*in, selbst eine Zäsur zu machen und Text und Bilder zu verarbeiten.
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Bush Moukarzel und Nina Hoss in "Returning to Reims" (Foto: Arno Declair) |
Es ist wenig „Theater“, eher dokumentarisches Essay und für diejenigen, die den Text von Eribon kennen, weil sie ihn bereits gelesen haben, eine Nacherzählung in Bildern mit Kommentar."Wir sind ja hier nicht im Theater", weist der Regisseur die Schauspielerin zurecht. Genau! Für alle, die sich gefragt haben, wie Ostermeier den Roman dramatisiert, ist das die Antwort: Er macht es einfach nicht.
Die Deutschlandpremiere von „Rückkehr nach Reims“ mit Nina Hoss sowie Hans-Jochen Wagner und Renato Schuch wird am 24. September an der Schaubühne stattfinden, am Tag der Bundestagswahl 2017. Dies sei Absicht, erklärte Ostermeier in einem Deutschlandfunk Interview (vom 8.7.2017). Somit müsse man sich, nachdem die ersten Hochrechnungen feststünden, mit der Frage auseinandersetzen, warum Schulz es nicht geschafft habe. Der Abend befasst sich auch historisch mit der Politik und den unterschiedlichen sozialdemokratischen Regierungen der letzten 30 Jahre. Ein Ergebnis werden wir an diesem Tag sehen – im Theater sowie im Realen.
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Koproduktion mit dem Manchester International Festival MIF, HOME Manchester und dem Théâtre de la Ville Paris. Gefördert durch die Lotto Stiftung Berlin.
Regie: Thomas Ostermeier
Bühne und Kostüme: Nina Wetzel
Film: Sébastien Dupouey, Thomas Ostermeier
Kamera: Markus Lenz, Sébastien Dupouey
Ton: Peter Carstens
Musik: Nils Ostendorf
Sounddesign: Jochen Jezussek
Dramaturgie: Florian Borchmeyer, Maja Zade
Licht: Erich Schneider
Mit: Nina Hoss
Mit: Bush Moukarzel / Hans-Jochen Wagner
Mit: Ali Gadema / Renato Schuch
Premiere in Manchester: 8. Juli 2017
Premiere in Berlin: 24. September 2017
Weitere Infos auf der Seite der Schaubühne.
25. Juni 2017
Welches Jahr haben wir gerade? von Afsane Ehsandar / Autorentheatertage 2017 (Deutsches Theater) - Gastbeitrag von Steffi Eisenschenk
Entkommen, doch der Zeit entglitten?
„Heute morgen bin ich durchgedreht. Ich habe mein Bestes versucht.“
Wie so eine bizarre Zwiespältigkeit sitzt und steht die Hauptfigur, gespielt von zwei Schauspielerinnen, auf dem Grund eines Schwimmbeckens. Ein dünnes Licht beleuchtet das verhüllte Leben am Boden. Das Leben. Ein Fluss? Ein Meer? Oder ein eingegrenztes Becken? Wer aber setzt den Rahmen? Die Spielregeln? Die Leben einer Frau, mit mehreren Ichs. Die Stimmen aus der Vergangenheit übernimmt ein Kassettenrekorder. Ihr Geist beobachtet sich selbst aus allen Ecken oder kommentiert vom Beckenrand aus. Die Ketten der Erinnerungen, die Fluchterlebnisse - sie hängen in schweren Schatten in die Gegenwart hinein. Die grausamen Erlebnisse der Flucht zerstören jeden Versuch, einen klaren Gedanken zu fassen. Geradlinig ist gar nichts. Verunsicherung und eine unterschwellige Bedrohung hängen in der Luft. Immer wieder funkt die Stimme aus dem Kassettenrekorder dazwischen – eine Störung. Eine verzerrte Wahrnehmung. Das hier? Was jetzt? Die Vergangenheit, die Gegenwart, die Zukunft? Der Schock - ein mieser Anker, der einen zu Boden zieht, besucht einen immer wieder. Was war, was ist? Diese Vorstellung von Veränderung. Ist das nicht die Nahrung von Mut? Oder ist es eher die Hoffnung?
„Ich war mit dem Kopf in den Wolken“
sagt die Schauspielerin. Die Erinnerungen, die Alpträumen, die festkleben im Gehirn und die Gegenwart beeinflussen, in die Zukunft greifen. Und doch scheint der Wille stark gewesen zu sein, die Dinge nicht mehr aushalten zu wollen. Eine andere Idee zu haben. Vom Leben. Von der Zukunft. Von der Zukunft als schöner Traum vom blauen Himmel. Die Gedanken sind längst geflohen, nur der Körper ist noch gefangen. Eingemauert, eingegrenzt, eingesperrt. Überall sucht sie nach den Verboten. Privat. Members Only. Verzweifelt versucht sie es zu richten, ihr Leben. Als ob die Risse zu kitten wären wie so ein kaputter Schlauch. Endlich die Dinge zum Laufen zu bringen. Die Löcher stopfen. Wieder fest im Sattel zu sitzen, das Leben in den Griff bekommen. Und nicht in der Leere zu hängen, nicht auf der Stelle treten, sich abstrampeln, aber nicht vorwärtskommen. Dieses Leben, diese zwei Leben zu leben, das verlangt viel. Das Öffentliche und das Private. Diese Parallelen des gleichzeitigen Ichs. Was im Herkunftsland (Iran) der Autorin notwendig ist für viele: zwei Leben zu leben in diesem repressiven Wächterstaat. Gerade als Frau. Man muss Kopftuch tragen, Fahrrad fahren ist verboten, Sport treiben ist nur in speziellen Frauenparks erlaubt, um nur einige zu nennen. Aber die beiden Ichs sind geflohen. Das neue Leben fordert neue Dinge. Die alte Ordnung gilt nicht mehr, die neue ist noch nicht gefunden. Werden es drei oder vier Ichs werden? Diese Sehnsucht nach einem Leben.
Das Theaterstück, ein Dialog mit sich selbst und der Dialog mit ihm. Oder ein Verhör? Ein Mann. Ein Partner? Einer, der im Gefängnis sitzt? Ein Vater? Mehrere Männer. Beamte, Polizisten. Vergewaltiger. So genau weiß man das nicht, wann wer spricht. Die Erinnerungen durchkreuzen das Jetzt. Ungenau. Gestaltlos. Diffus. Diese Subtilität braucht keine Handgreiflichkeiten. Beängstigend sitzt die Angst im Raum zwischen den Worten. Ort, Zeit und Umstände sind unbekannt. Doch die Schlagstöcke der weißen Kälte sind immer noch da. Ein Schlagstock mit Uniform, der Nacktheit befiehlt. Im Kopf ist das nicht so einfach zu löschen, da stapeln sich die Erlebnisse. Die zwei Stimmen der beiden Ichs fallen in Chorgesänge, die Ichs kurz vereint. In einigen Momenten singt auch die männliche Stimme mit. Die Stimmen starten unterschiedlich, drehen sich und kommen wieder zusammen, um einen gemeinsamen Rhythmus zu finden. Gemeinsam, getrennt zusammen.
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Die Träume des Ichs sind schon längst hinausgeklettert und sitzen am Beckenrand. Eine Selbstbeobachtung. Mitleidig, weil der Körper hängt noch fest. Sitzt, bewegungslos. Der Körper folgt den Gedanken nicht so leicht. Der muss viel mehr aushalten und überwinden. Aber welchen Weg soll sie gehen? „Gehe nie da lang, wo alle gehen.“ warnt die männliche Stimme. „Die Polizei folgt immer den Menschenmengen.“ Immer noch bedrohlich, das Leben. Und auch, wenn der Körper die Flucht überlebt hat, mit allen Hindernissen der Vertreibung. Und auch, wenn sie allein in diesem neuen Land steht - in diesem neuen Leben, wo alles so fremd ist und die Ichs nach Halt suchen - will sie dazugehören, zu ihrer erträumten Zukunft. Dazugehören. Unbedingt dazugehören. Die beiden Ichs zusammen zum neuen Ich? Versuche, die immer wieder durchkreuzt werden, weil immer wieder andere Regeln gelten. Hier und dort, andere Spielregeln. Es muss der Maßstab gewechselt werden, was eine Orientierung erschwert.
„Neu anfangen. Sich blond machen. Sich blond färben. Alles neu.“
Afsane Ehsandar zeigt die Spaltung der Identität, die Einflüsse und die Transformation. Die Verwirrung, das Trauma der Hauptfigur ist spürbar, die sich im Titel ausdrückt: Welches Jahr haben wir gerade?
„Ein Drama über die Unmöglichkeit, Unaussprechliches auszusprechen. Gegen den Anspruch, es immer ganz genau wissen zu wollen. Gerade in der Verweigerung wird das Schreckliche spürbar.“ (Aus der Jurybegründung der Autorentheatertage 2017)
Afsane Ehsandar, geboren 1981 in Teheran, Iran. Sie ist als Autorin und Lektorin tätig. Sie lebt seit drei Jahren in Berlin und schreibt seither auf Deutsch. Ihre Stücke drehen sich häufig um Fragen von Identität, Gewalt und Sexualität.
(Gastbeitrag von Steffi Eisenschenk)
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Regie: Mélanie Huber
Bühne / Kostüme: Marie Luce Theis
Komposition: Martin von Almen
Arrangements der Liedtexte: Stephan Teuwissen
Uraufführung am 23. Juni 2017
Koproduktion mit dem Schauspielhaus Zürich
Besetzung:
Sarah Gailer, Sarah Hostettler, Nicolas Rosat, Isabelle Menke (Stimme)
Weitere Infos zu den Autorentheatertagen 2017 und zum Stück hier.
5. Juni 2017
Rückblick April & Mai 2017: Künstler*innen treffen und verabschieden
APRIL
26.04.17 Diskussionsveranstaltung zur Wahl in Frankreich (Schaubühne)
Entscheidung in Frankreich. Vor der zweiten Runde der französischen Präsidentschaftswahlen diskutierten in Berlin lebende französische Journalist*innen (Daniel Cohn-Bendit, Pascale Hugues, Hélène Kohl und Elise Graton). Es moderierten Andreas Fanizadeh und Tania Martini (taz-Kulturredaktion).
Es ging nicht nur um Trends, Ergebnisse, Einschätzungen zur Wahl in Frankreich sondern auch darum, wie sich das Ergebnis auf die Demokratie in Europa, die Zusammenarbeit über Grenzen hinaus, die freie Presse und die soziale Gerechtigkeit auswirken könnte sowie um eine Bewertung des Abschneidens der französischen Rechten.
Eine Koproduktion von taz.die tageszeitung und Schaubühne Berlin.
28.04.17 Freunde treffen Künstler: Christoph Gawenda (Freunde der Schaubühne)
Die Freunde und Freundinnen der Schaubühne trafen sich mit dem Ensemblemitglieder Christoph Gawenda, um mit ihm über seine schauspielerische Laufbahn zu sprechen und Einblicke in seine Arbeit an der Schaubühne zu bekommen. Christoph hatte sich zwischen Auslandsgastspielen, Vorstellungen und Fotoshooting Zeit für den Freundeskreis genommen hat.
Ein Fotobericht hierzu ist auf der Seite der Freunde der Schaubühne zu finden.
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Christoph Gawenda in "Angst essen Deutschland auf" von Patrick Wengenroth hier mit Jule Böwe und Lucy Wirth (Foto: Heiko Schäfer) |
MAI
10.05.2017 Angélica - Una tragedia (Schaubühne)
Dokumentarfilm über Angélica Liddell von Manuel Fernández-Valdés
Hätte ich diesen Dokumentarfilm über Angélica Liddell gesehen, bevor ich ihr aktuelles Stück "Toter Hund in der Chemischen Reinigung: Die Starken" gesehen habe, hätte ich dieses vermutlich anders wahrgenommen. Manuel Fernández-Valdés hat die spanische Schauspielerin, Regisseurin und Performerin Angélica Liddell bei den Proben zu "Todo el cielo sobre la tierra (El síndrome de Wendy)" im Frühjahr 2013 begleitet. Liddell nutzt dabei Elemente aus Peter Pan, verknüpft diese mit der realen Geschichte des norwegischen Massenmörders Anders Behring Breivik und lässt chinesische Walzertänzer*innen sowie einen deutschen Philosophistudenten auftreten. Außerdem rechnet sie in einem Monolg mit ihren Geschlechtsgenossinen ab. Gezeigt wird eine Künstlerin, die sich gemeinsam mit einem chinesischen Schauspieler zu "House of the rising sun" in Trance tanzt, die sich mit dem deutschen Schauspieler einen Kampf um einen deutschen Satz liefert, die einen Monolog wie eine Rasende spricht, die von ihren Schauspieler*innen fordert bis an viele Grenzen zu gehen. Außerdem liefert sie - im Film in Schriftform eingeblendet - Einblicke in ihr Inneleben. Angélica Liddell verbindet ihr Privatleben mit ihrer Kunst, drückt Ängste und Wut aus. Oft erinnert sie mich an Marina Abramovic. Manchmal meint man zu verstehen, was in ihr vorgeht. Manchmal ist man ratlos, was sie ausdrücken möchte. Faszinierend und berührend ist diese Persönlichkeit. - Sollte ich "Toter Hund" noch mal eine Chance geben? - Durch eine eigentlich unbedeutende Auseinandersetzung musste F.-V. seine Filmarbeiten und damit die Probenbegleitung unterbrechen. Auch hier zeigt sich die Eigensinnigkeit von Liddell. Erst kurz vor der Premiere versöhnten sich die beiden wieder und er durfte - wenn auch mit Einschränkungen - weiter filmen.
18.05.17 Ausstellungseröffnung: Enjoy the Journey - Fotos von Robert Beyer (Schaubühne)
In der ehemaligen Universum Lounge neben dem Kassenfoyer
vom 19. Mai bis 25. Juni 2017
Täglich von 11 bis 20 Uhr geöffnet
Eintritt frei
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Aus der Ausstellung "Enjoy the Journey":
Lars Eidinger, Gastspiel »Richard III.«, Avignon 2015
(Foto: Robert Beyer) |
Robert Beyer, Ensemblemitglied seit 1999, hat über zehn Jahre seine Kolleg*innen sowie das Leben vor und hinter der Bühne auf Gastspielreisen der Schaubühne dokumentiert, Portraits, die zwischen Privatheit und Selbstdarstellung changieren. Auch Bilder der Architektur der besuchten Städte sind zu sehen.
Gezeigt wird eine Auswahl von 60 Bildern, darunter Aufnahmen der Gastspielreisen nach Sydney (2010), Jerusalem (2011) und Ramallah (2012).
Alle Fotografien, die in der Ausstellung zu sehen sind, werden im Original (in einer Auflage von 5 Stück) verkauft:
22 x 14,5 cm, ohne Rahmen: 40 Euro
22 x 14,5 cm, mit Rahmen: 50 Euro
45 x 30 cm, ohne Rahmen: 70 Euro
45 x 30 cm, mit Rahmen: 100 Euro
74 x 79 cm, ohne Rahmen: 150 Euro
74 x 79 cm, mit Rahmen: 200 Euro
Wer ein Bild kaufen möchte, kann sich unter presse@schaubuehne.de an Maria Hartmann wenden.
19.05.17 revisited thisisitgirl von Patrick Wengenroth (Schaubühne)
Zum 5ten mal habe ich diese Inszenierung gesehen. Hier mein Bericht.
26.05.17 Faust (Volksbühne)
Die letzte große (und vor allem großartige) Inszenierung von Frank Castorf! Wunderbare sieben Stunden mit allen Volksbühnen-Lieblingen: Alexander Scheer, Sophie Rois, Martin Wuttke, Lilith Stangenberg, Marc Hosemann, Valery Tscheplanowa, Sir Henry uva.
"Das Männliche ist das Vergängliche."- Und weil wir alle wissen, dass dieser Abend einer der letzten mit diesem Ensemble und einer Volksbühne in dieser Art und Form ist, schwanken wir zwischen Euphorie und Wehmut. Diese sieben Stunden waren nie langweilig, sondern eine große Freude. Die Schauspieler*innen haben zum (fast) letzten mal auf dieser Bühne gezeigt, was die Volksbühne ist und nach dem Ende dieser Spielzeit vielleicht nie mehr sein wird.
Danke und auf Wiedersehen!
Mit: Martin Wuttke (Faust), Marc Hosemann (Mephistopheles), Valery Tscheplanowa (Margarete und Helena), Alexander Scheer (Lord Byron und Anaxagoras), Sophie Rois (Die Hexe), Lars Rudolph (Doktor Wagner), Lilith Stangenberg (Meerkatze Satin), Hanna Hilsdorf (Homunculus), Daniel Zillmann (Monsieur Bordenave, directeur du Théâtre des Variétés), Thelma Buabeng (Phorkyade), Frank Büttner (Valentin), Angela Guerreiro (Papa Legba und Baucis), Abdoul Kader Traoré (Baron Samedi & Monsieur Rap rencontrent Aimé Césaire) und Sir Henry (Der Leiermann)
Regie: Frank Castorf
Bühne: Aleksandar Denic
Kostüme: Adriana Braga
Licht: Lothar Baumgarte
Kamera: Andreas Deinert, Mathias Klütz
Videoschnitt: Jens Crull, Maryvonne Riedelsheimer
Musik/Ton: Tobias Gringel, Christopher von Nathusius
Tonangel: Dario Brinkmann, Lorenz Fischer, William Minke, Cemile Sahin
Dramaturgie: Sebastian Kaiser
25. Mai 2017
Noch mal, aber anders: Re-re-usw.-visited "thisisitgirl" von Patrick Wengenroth (Schaubühne)
Als ich hörte, dass aufgrund eines krankheitsbedingten Ausfalls von Andreas Schröder seine Rolle in thisisitgirl von Patrick Wengenroth übernommen wurde, beschloss ich kurzfristig, das Stück noch einmal zu sehen. Die Inszenierung gehört zu meinen Lieblingen auf dem Spielplan. Dies war mein 5ter Besuch.
Da Patrick Wengenroth sowohl von der Physiognomie her, als auch bei Stimme, Dialekt und Sprachrhythmus ein ganz anderer Typ ist als Andreas Schröders, hat er die Rolle anders gespielt. Das hat den entsprechenden Szenen eine neue Note gegeben. Jedoch war der Unterschied erstaunlicherweise nicht so groß, wie ich es erwartet hätte. Einige Stellen - P.W. hat den Text übrigens weitestgehend und verständlicherweise eingelesen - wurden wohl auch inhaltlich etwas geändert, aber ich fragte mich doch jedes mal, ob und wo ein Unterschied zur Ur-Version besteht. Zumal das Stück auch davon lebt, dass vieles improvisiert wirkt bzw. wird.
Die Anfangsszene, in der Wengenroth normalerweise den Teppich auf der Bühne saugt, wurde übrigens von einem Mitarbeiter aus der Requisite übernommen. Er trat im glitzernden Pailettenkleid mit Federboa auf.
Noch etwas muss ich erwähnen: Noch nie zuvor ist mir aufgefallen, wie unterschiedlich Iris Becher, (die einzige weibliche Rolle) in diesem Stück je nach Szene spielt: Mal wirkt sie ganz jung (wie ein Mädchen), mal total erwachsen, mal hysterisch-verrückt, mal ganz entschlossen. Und alle "Typen" sieht man ihr jedesmal intensiv am Gesichtsausdruck an. Was für eine tolle Schauspielerin!
Da Patrick Wengenroth sowohl von der Physiognomie her, als auch bei Stimme, Dialekt und Sprachrhythmus ein ganz anderer Typ ist als Andreas Schröders, hat er die Rolle anders gespielt. Das hat den entsprechenden Szenen eine neue Note gegeben. Jedoch war der Unterschied erstaunlicherweise nicht so groß, wie ich es erwartet hätte. Einige Stellen - P.W. hat den Text übrigens weitestgehend und verständlicherweise eingelesen - wurden wohl auch inhaltlich etwas geändert, aber ich fragte mich doch jedes mal, ob und wo ein Unterschied zur Ur-Version besteht. Zumal das Stück auch davon lebt, dass vieles improvisiert wirkt bzw. wird.
Die Anfangsszene, in der Wengenroth normalerweise den Teppich auf der Bühne saugt, wurde übrigens von einem Mitarbeiter aus der Requisite übernommen. Er trat im glitzernden Pailettenkleid mit Federboa auf.
Noch etwas muss ich erwähnen: Noch nie zuvor ist mir aufgefallen, wie unterschiedlich Iris Becher, (die einzige weibliche Rolle) in diesem Stück je nach Szene spielt: Mal wirkt sie ganz jung (wie ein Mädchen), mal total erwachsen, mal hysterisch-verrückt, mal ganz entschlossen. Und alle "Typen" sieht man ihr jedesmal intensiv am Gesichtsausdruck an. Was für eine tolle Schauspielerin!
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Iris Becher mit Ulrich Hoppe (Foto: Gianmarco Bresadola) |
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"thisisitgirl" Iris Becher (Foto: Gianmarco Bresadola) |
Labels:
Iris Becher,
Patrick Wengenroth,
Schaubühne
21. Mai 2017
Max Penthollow schreibt mir // Kapitel 18: Mobbing im Klinikum - Ein Ärztestück ("Professor Bernhardi" in der Schaubühne)
Max Penthollow schreibt mir...
Liebe Maren,
vor kurzem war ich in der Schaubühne bei "Professor Bernhardi" von Arthur Schnitzler.
Hier sind einige von meinen Eindrücken:
"Professor Bernhardi" von Arthur Schnitzler - Fassung von Thomas Ostermeier und Florian Borchmeyer - Regie: Thomas Ostermeier - Premiere am 17. Dezember 2016
Wien um 1900, Elisabethinum, Privatklinik. Professor Bernhardi ist Chefarzt einer klinischen Abteilung, und Ärztlicher Leiter des Hauses, Jude.
Der Tod einer jungen Patientin während eines sie betreffenden Disputs zwischen Pfarrer Reder und Professor Bernhardi ist der Auftakt zum Stück.
Es geht im einzelnen so: ein 18jähriges Mädchen hat nach einer verbotenen Abtreibung eine Sepsis und ist todgeweiht. Ihr Leben ist auch mit aller ärztlichen Kunst nicht mehr zu retten. Sie ist euphorisch und hat Phantasien, dass jemand sie abholen wird.
Hochroitzpointner (Moritz Gottwald), Kandidat der Medizin und superschlau ("die macht's nicht mehr lange!"), hat den Priester rufen lassen. Pfarrer Franz Reder (Laurenz Laufenberg) will der Patientin, die nichts von ihrem bevorstehenden Tod ahnt, die Sterbesakramente spenden, er will sie – Christin – von ihren Sünden freisprechen und sie mit Gott vereinen und ihre Seele der Erlösung und dem Ewigen Leben zuführen. Professor Bernhardi (Jörg Hartmann) kommt zur Szene hinzu und versucht, Pfarrer Reder von seinem Vorhaben abzuhalten, in der Absicht, die junge Patientin in ihrer glücklich-euphorischen Gefühlslage in Frieden sterben zu lassen und sie nicht mit der Schreckensnachricht ihres herannahenden Todes zu peinigen. Professor Bernhardi und der Pfarrer Reder diskutieren, währenddessen stirbt die junge Patientin.
Für Professor Bernhardis teilweise judenfeindliche und selbst karriere-affine Kollegen ist dieses Ereignis ein willkommener Anlass, um gegen Professor Bernhardi einen Skandal zu konstruieren. Professor Bernhardi wird in der Folge wegen Behinderung der Religionsausübung zu einer zweimonatigen Haftstrafe verurteilt und muss ins Gefängnis und verliert seine Berufserlaubnis. Seine Stelle wird frei.
Arthur Schnitzler (1862-1931), selbst Arzt und Jude, hat das Stück 1912 geschrieben, 21 Jahre vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 mit den bekannten Konsequenzen.
Auf der klinisch weißen Bühne spielen 15 Darsteller und Darstellerinnen des Ärztekollegiums und weiteren Krankenhauspersonals und dazu Politiker, 17 Rollen - 17 Hauptrollen. Aus meiner Sicht ist es ein schönes Ensemble-Theater in einer nuancenreichen Inszenierung mit fesselnder Bühnengestaltung mit ausgeklügelter Videoarbeit und mit hervorragendem lustvollem und unterhaltsamem Spiel aller Darsteller und Darstellerinnen.
In der Darstellung der Vehemenz und Besessenheit, mit der Menschen - unter bestimmten Voraussetzungen und in bestimmten gesellschaftlichen Konstellationen - in Gruppen oder in Massen auf andere Menschen oder Menschengruppen losgehen, um sie zu zerstören und zu vernichten, ist das Stück aus meiner Sicht zeitlos, immer aktuell und seine Botschaft allgemein gültig.
Ich finde: so präzise und dezent in der Darstellung, so verstörend und vernichtend in der Konsequenz! Finsterst und so realistisch!
Ein wichtiges Stück und ein munterer und unterhaltsamer Theaterabend!
Ich empfehle: hingehen und das böse Spiel genießen! Die Vorstellungen sind immer schnell ausverkauft!
Allerliebst
Max
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Regie: Thomas Ostermeier
Bühne: Jan Pappelbaum
Kostüme: Nina Wetzel
Musik: Malte Beckenbach
Ko-Komposition: Simon James Phillips
Bildregie: Matthias Schellenberg
Kamera: Moritz von Dungern, Joseph Campbell, Florian Baumgarten
Videodesign: Jake Witlen
Dramaturgie: Florian Borchmeyer
Licht: Erich Schneider
Wandzeichnungen: Katharina Ziemke
Dr. Bernhardi: Jörg Hartmann
Dr. Ebenwald: Sebastian Schwarz
Dr. Cyprian: Thomas Bading
Dr. Pflugfelder: Robert Beyer
Dr. Filitz: Konrad Singer
Dr. Tugendvetter: Johannes Flaschberger
Dr. Löwenstein: Lukas Turtur
Dr. Schreimann/Kulka, ein Journalist: David Ruland
Dr. Adler: Eva Meckbach
Dr. Oskar Bernhardi: Damir Avdic
Dr. Wenger/Krankenschwester: Veronika Bachfischer
Hochroitzpointner: Moritz Gottwald
Professor Dr. Flint: Hans-Jochen Wagner
Ministerialrat Dr. Winkler: Christoph Gawenda
Franz Reder, Pfarrer: Laurenz Laufenberg
Dauer: ca. 165 Minuten
Weitere Infos auf der Seite der Schaubühne.
Liebe Maren,
vor kurzem war ich in der Schaubühne bei "Professor Bernhardi" von Arthur Schnitzler.
Hier sind einige von meinen Eindrücken:
"Professor Bernhardi" von Arthur Schnitzler - Fassung von Thomas Ostermeier und Florian Borchmeyer - Regie: Thomas Ostermeier - Premiere am 17. Dezember 2016
Wien um 1900, Elisabethinum, Privatklinik. Professor Bernhardi ist Chefarzt einer klinischen Abteilung, und Ärztlicher Leiter des Hauses, Jude.
Der Tod einer jungen Patientin während eines sie betreffenden Disputs zwischen Pfarrer Reder und Professor Bernhardi ist der Auftakt zum Stück.
Es geht im einzelnen so: ein 18jähriges Mädchen hat nach einer verbotenen Abtreibung eine Sepsis und ist todgeweiht. Ihr Leben ist auch mit aller ärztlichen Kunst nicht mehr zu retten. Sie ist euphorisch und hat Phantasien, dass jemand sie abholen wird.
Hochroitzpointner (Moritz Gottwald), Kandidat der Medizin und superschlau ("die macht's nicht mehr lange!"), hat den Priester rufen lassen. Pfarrer Franz Reder (Laurenz Laufenberg) will der Patientin, die nichts von ihrem bevorstehenden Tod ahnt, die Sterbesakramente spenden, er will sie – Christin – von ihren Sünden freisprechen und sie mit Gott vereinen und ihre Seele der Erlösung und dem Ewigen Leben zuführen. Professor Bernhardi (Jörg Hartmann) kommt zur Szene hinzu und versucht, Pfarrer Reder von seinem Vorhaben abzuhalten, in der Absicht, die junge Patientin in ihrer glücklich-euphorischen Gefühlslage in Frieden sterben zu lassen und sie nicht mit der Schreckensnachricht ihres herannahenden Todes zu peinigen. Professor Bernhardi und der Pfarrer Reder diskutieren, währenddessen stirbt die junge Patientin.
Für Professor Bernhardis teilweise judenfeindliche und selbst karriere-affine Kollegen ist dieses Ereignis ein willkommener Anlass, um gegen Professor Bernhardi einen Skandal zu konstruieren. Professor Bernhardi wird in der Folge wegen Behinderung der Religionsausübung zu einer zweimonatigen Haftstrafe verurteilt und muss ins Gefängnis und verliert seine Berufserlaubnis. Seine Stelle wird frei.
Arthur Schnitzler (1862-1931), selbst Arzt und Jude, hat das Stück 1912 geschrieben, 21 Jahre vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 mit den bekannten Konsequenzen.
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Das Ärztekollegium tagt - Robert Beyer, Veronika Bachfischer, Lukas Turtur, Eva Meckbach, Thomas Bading, Jörg Hartmann, Sebastian Schwarz, David Ruland, Konrad Singer (Foto: Arno Declair) |
Auf der klinisch weißen Bühne spielen 15 Darsteller und Darstellerinnen des Ärztekollegiums und weiteren Krankenhauspersonals und dazu Politiker, 17 Rollen - 17 Hauptrollen. Aus meiner Sicht ist es ein schönes Ensemble-Theater in einer nuancenreichen Inszenierung mit fesselnder Bühnengestaltung mit ausgeklügelter Videoarbeit und mit hervorragendem lustvollem und unterhaltsamem Spiel aller Darsteller und Darstellerinnen.
In der Darstellung der Vehemenz und Besessenheit, mit der Menschen - unter bestimmten Voraussetzungen und in bestimmten gesellschaftlichen Konstellationen - in Gruppen oder in Massen auf andere Menschen oder Menschengruppen losgehen, um sie zu zerstören und zu vernichten, ist das Stück aus meiner Sicht zeitlos, immer aktuell und seine Botschaft allgemein gültig.
Ich finde: so präzise und dezent in der Darstellung, so verstörend und vernichtend in der Konsequenz! Finsterst und so realistisch!
Ein wichtiges Stück und ein munterer und unterhaltsamer Theaterabend!
Ich empfehle: hingehen und das böse Spiel genießen! Die Vorstellungen sind immer schnell ausverkauft!
Allerliebst
Max
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Regie: Thomas Ostermeier
Bühne: Jan Pappelbaum
Kostüme: Nina Wetzel
Musik: Malte Beckenbach
Ko-Komposition: Simon James Phillips
Bildregie: Matthias Schellenberg
Kamera: Moritz von Dungern, Joseph Campbell, Florian Baumgarten
Videodesign: Jake Witlen
Dramaturgie: Florian Borchmeyer
Licht: Erich Schneider
Wandzeichnungen: Katharina Ziemke
Dr. Bernhardi: Jörg Hartmann
Dr. Ebenwald: Sebastian Schwarz
Dr. Cyprian: Thomas Bading
Dr. Pflugfelder: Robert Beyer
Dr. Filitz: Konrad Singer
Dr. Tugendvetter: Johannes Flaschberger
Dr. Löwenstein: Lukas Turtur
Dr. Schreimann/Kulka, ein Journalist: David Ruland
Dr. Adler: Eva Meckbach
Dr. Oskar Bernhardi: Damir Avdic
Dr. Wenger/Krankenschwester: Veronika Bachfischer
Hochroitzpointner: Moritz Gottwald
Professor Dr. Flint: Hans-Jochen Wagner
Ministerialrat Dr. Winkler: Christoph Gawenda
Franz Reder, Pfarrer: Laurenz Laufenberg
Dauer: ca. 165 Minuten
Weitere Infos auf der Seite der Schaubühne.
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