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7. September 2015

Max Penthollow schreibt mir // Kapitel 3: Unser großes kleines Leben (Gedanken zu "Stück Plastik" an der Schaubühne)

Max Penthollow schreibt mir...

Liebe Maren,

hier ist mein Text zu „Stück Plastik“ von Marius von Mayenburg:

Stück Plastik – von Marius von Mayenburg -  Schaubühne Berlin – Premiere am 25. April 2015

Gestresste junge Familie aus Kunsthistorikerin, Arzt und pubertierendem Jungen bekommt Rettung in der Not von empathischer singender junger Haushaltshilfe und Putzkraft Jessica. Jessica wird irgendwie Bestandteil des Familien-Systems, irgendwie aber auch doch nicht so ganz richtig.

Konzeptkünstler und Arbeitgeber der Ehefrau, Serge, findet Jessica hübsch und cool, spannt sie den jungen Leuten aus und will sie als Putzfrau als Bestandteil seines Kunst-Installations-Projekts einsetzen.

Wunderbare Videoarbeit, teilweise vom Mobiltelefon aus, allerfeinste Globe-Theater-Bühne. Haushaltshilfe Jessica (Jenny König) singt wunderschön, und zwar nicht an der Rampe, sondern irgendwo während sie putzt und arbeitet oder duscht (aus dem Off backstage), sie singt alles und immer live.

Besondere Perle des Dramaturgischen: eine ganz kleine beiläufige Andeutung aus der ersten Hälfte des Stücks kommt als Motiv schließlich wieder und besiegelt den Schluss in einem finalen Furioso.

Liebevolle Zitate, Querverweise und Hommagen an Luis Bunuel und Alfred Hitchcock.

Marius von Mayenburg at his very best!

Er sagt etwa (im Publikumsgespräch auf der Bühne nach der Aufführung am 8. Juni 2015) „wenn man Stücke schreibt, die dann andere Leute inszenieren sollen, dann ist das wie so eine Art Bewerbung.“

So hat er es nun selbst in die Hand genommen und sein eigenes Stück Plastik als Regisseur in Szene gesetzt.

Marius von Mayenburg erweist sich aus meiner Sicht wieder und einmal mehr als Meister des Savoir Faire nach Inszenierungen wie z.B. seiner eigenen Stücke „Perplex“ und „Märtyrer“ oder Shakespeares „Viel Lärm um Nichts“ und nach seinen fabelhaften Shakespeare-Übersetzungen (z.B. „Hamlet“, „Othello“, „Maß für Maß“, „Viel Lärm um Nichts“, „Richard III“).

Wunderbares Stück, tolle Inszenierung und Regie, beste Besetzung, wunderbares Spiel der Darsteller/innen, lustvolle Songs, große Show.

Die Essenz, das eigentliche Thema: unser großes und kleines Leben.

Stück Plastik reflektiert das, was die Menschen da eben machen auf der Bühne. Es ist unser Leben, unsere Zeit, unsere kleine Welt. Die Menschen auf der Bühne, das sind wir, und das, was sie machen ist das, was wir machen. Komödie, auch ein bisschen traurig und nachdenklich. Wir dürfen richtig lachen. Wir lachen über uns selbst.

Allerfeinst!

Liebe Grüße

Max

Jenny König als Jessica mit Marie Burchard, Sebastian Schwarz, Robert Beyer (Foto: Arno Declair)

Infos zur Inszenierung auf der Seite der Schaubühne.

Pearsons's Preview zum Stück hier.

Mein (Marens) Bericht dazu hier. 

Regie: Marius von Mayenburg  
Bühne und Kostüme: Nina Wetzel  
Musik: Matthias Grübel  
Video: Sébastien Dupouey  
Dramaturgie: Maja Zade  
Licht: Erich Schneider  

Ulrike: Marie Burchard  
Michael: Robert Beyer  
Vincent: Laurenz Laufenberg  
Serge Haulupa: Sebastian Schwarz  
Jessica Schmitt: Jenny König

Premiere im Rahmen des F.I.N.D. 2015

30. April 2015

F.I.N.D. 2015 (2. Teil): PREMIERE Stück Plastik. Hochwertige Ziele. La imaginación del futuro. The Apple Family Plays.

Und da ist es auch schon wieder vorbei. So berauschend und verzaubernd es war, so stark wirkt die Ernüchertung nach dem letzten F.I.N.D.-Wochenende. Das liegt daran, dass man selten so viele unterschiedliche Stücke so dicht hintereinander sieht. Es hat seinen Reiz, wenn man zwischen zwei Vorstellungen schnell umswitchen und sich wieder auf etwas ganz anderes einlassen muss. Für die Zeit des Festivals ist das gut und eine tolle Herausforderung. Zum Glück ist es aber auch nicht der Normallfall, denn es ist schon sehr schön, wenn man seinen Gedanken Zeit lassen kann, um das eben Gesehene zu verarbeiten. Allein für sich (und oft verbunden mit einer Online-Recherche) oder mit Freunden und Bekannten, die auch noch Input geben.

Die Premiere von Marius von Mayenburgs Stück Plastik war ein Riesenerfolg. Die Zuschauer können während des Stücks befreit und laut lachen. Auch mir beschert Sebastian Schwarz einen der lustigsten Theatermomente, die ich bisher erleben durfte: das Bouillabaisse-Dinner an der weiß gedeckten Tafel (getoppt wird die Szene eigentlich nur durch Urs Juckers Darstellung des Monsieur Loyal in "Tartuffe" und die Elch-Szene aus "Perplex", ebenfalls von Marius von Mayenburg und ebenfalls gespielt von Sebastian Schwarz). Ich spare es mir, hier über die vielen Bezüge zu sprechen, die von Mayenburg macht, und muss auch nicht noch mal die schaupielerische Leistung loben, weil das die vielen Kritiker bereits zur Genüge getan haben. Diesmal auch fast ausnahmslos postiv. Das ist mal ein schönes Gefühl!

Der Sonntag beginnt für mich mittags um 14 Uhr und endet um Mitternacht. Auf dem Programm steht zunächst Hochwertige Ziele, eine szenische Einrichtung von Andreas Schröders. Das kurze Stück wird in der Alten Kantine gezeigt, ein passend zur Atmosphäre niedriger, schmaler, kleiner Raum. Andreas Schröders und Iris Becher alias Ike und Tina arbeiten sich an einem Dokument ab, das verspricht, "High Value Targeting Operations" zu einem wirksamen Mittel der Aufstandsbekämpfung zu machen. Die naive Ernsthaftigkeit, mit der sie den Text rezitieren, wie sie sich beim Mittagessen bei Kartoffelsalat und Würstchen über ihre Karrieren austauschen, macht die Situation so grotesk wie berührend.

La imaginación del futuro (Teatro La Re-sentida // Chile // Regie: Marco Layera)
Weiter geht's in einem ganz anderen Rhythmus. Die chilenische Gruppe La Re-sentida habe ich schon im letzten Jahr beim F.I.N.D. gesehen. Und auch da war ich fasziniert vom Tempo und Witz, dieses Jahr setzen sie noch eins drauf. Was wäre gewesen wenn...? Was wäre gewesen, wenn Salvador Allende am 11. September 1973 nicht Selbstmord begangen hätte als das Militär den Palast stürmte? La Re-sentida nimmt die letzte Rede Allendes als Ausgangspunkt und zeigt, wie Imageberater und Minister ihn coachen, um der Geschichte eine andere Wendung zu geben. Können Sie 17 Jahre Militärdiktatur unter Augusto Pinochet verhindern? Die Schauspieler/innen  von La Re-sentida schlüpfen in zig verschiedene Rollen, sind dabei komisch, traurig, grotesk, anrührend und zeigen eine große körperliche Präsenz sowie ein Tempo, wie man es selten auf der Bühne sieht.

The Apple Family Plays (The Public Theater // New York // Text & Regie: Richard Nelson)
Am Sonntagabend schaffe ich es sogar noch wenigstens zwei Teile (von insgesamt vier) von Apple Family Plays zu sehen. Bei dieser Reihe teilen die Zuschauer das Wohnzimmer der Apples, einer amerikanischen Mittelklasse-Familie in Rhinebeck, einem kleinen Ort im Staat New York. Die Familie besteht aus den vier erwachsenen Geschwistern Barbara, Marian, Richard und Jane, Janes Freund Tim sowie dem älteren Onkel Benjamin. Die Abende beleuchten vier wichtige Daten der jüngeren amerikanischen Geschichte, die im Abstand von ungefähr einem Jahr aufeinander folgten, und zeigen die privaten Entwicklungen und Verstrickungen der Familie sowie die politischen Hoffnungen und die folgende Desillusionierung der liberalen Mittelklasse Amerikas. Über den Abend spürt man, wie man in das Familienleben eintaucht und sich immer mehr in die Geschehnisse verstrickt. Ein sehr besonderes einmaliges Theatererlebnis. Nach dem vierten Teil belohnen die Zuschauer die Leistung der Schauspieler/innen mit Standig Ovations. Und wir haben nach dem Stück sogar noch die Möglichkeit, im Café mit einigen der Schauspieler/innen und Richard Nelson zu sprechen.

Um Mitternacht ist dann aber endlich Schluss. Bis zum nächsten F.I.N.D. heißt es nun leider wieder lange, lange warten.

17. März 2012

What a wonderful world: Uraufführung „Märtyrer“ von Marius von Mayenburg (Schaubühne)

Benjamin (Bernardo Arias Porras) will nicht mehr zum Schwimmunterricht gehen und beruft sich dabei auf die Bibel. Mädchen im Bikini verletzen seine religiösen Gefühle behauptet er. Die Mutter (Judith Engel) vermutet Drogen, die Biologielehrerin (Eva Meckbach) interpretiert das als Hilferuf eines Pubertierenden. Doch als sich der junge Mann immer tiefer in die Bibellektüre vertieft, gerät alles aus dem Lot.


Ein Mitschüler (Moritz Gottwald) – in der Klasse ein Außenseiter - wird zum Jünger, der seinem Vorbild voller Bewunderung und zunächst unreflektiert folgt, denn er findet in Benjamin jemanden, der ihm Aufmerksamkeit schenkt und verspricht ihn von seiner Gehbehinderung zu heilen. Benjamin hingegen nutzt die Schwärmerei des Mitschülers für seine Zwecke, um gegen die Erwachsene zu intrigieren.


Bei religiösem Fanatismus spielt es im Grunde keine Rolle, um welche Religion es sich handelt. Daher nimmt Autor und Regisseur Marius von Mayenburg in „Märtyrer“ an der Berliner Schaubühne nicht etwa den Koran als Zitatquelle, sondern die Bibel – insbesondere das neue Testament. Erstaunlich, denn eigentlich gilt ja das alte Testament als besonders blutrünstig. Aber so wie von Mayenburg die Aussagen von Jesus Christus mit dem Kontext der Handlung seines Stückes verknüpft, dienen sie als Aufruf zur Unterdrückung der Frau, als Ablehnung der Lust im allgemeinen und homosexueller Verbindungen im besonderen.

Zu den Highlights des Stückes gehört die Szene in der der Schulpfarrer - glänzend gespielt von Urs Jucker, dem die Rolle offenbar auf den Leib geschrieben wurde –versucht, Benjamin für ein religiöses Camp anzuwerben. Eine groteske Situation, in der der Kirchenvertreter vollständig ausblendet, wie gefährlich das Verhalten des Schülers ist.


Aus dem Ensemble sticht Eva Meckbach hervor, die als glühende Atheistin versucht, den Gründen für Benjamins Verhalten auf den Grund zu gehen, indem sie sich in die Lektüre der Bibel vertieft. Die Deutung der Bibeltexte, in die sie sich im Laufe des Stückes genau wie ihr Schüller immer stärker hinsteigert, wird zur Obsession. In der Schlussszene nagelt sie, soeben vom Schuldienst suspendiert, ihre Füße am Bühnenboden fest: „Ich bleibe hier!“ Die Erkenntnis (wenn auch nicht neu): Religion genauso wie deren Ablehnung dient leider allzu oft auf als Rechtfertigung für fanatisches Verhalten.

Weitere Infos zum Stück.

Trailer zum Stück.

Fotos: Arno Declair/Schaubühne

14. November 2011

Du wirkst etwas verhaltensauffällig: "Perplex" von Marius von Mayenburg (Schaubühne)

Wenn vier Schauspieler über ihre Rolle auf der Bühne erzählen und dabei von einer in die nächste Wechseln, ohne dass sich genau festlegen lässt, wann die Szene und die Rolle wechselt, dann ist das Perplex.

In dem Stück von Marius von Meyenburg spielen sich Eva Meckbach, Judith Engel, Robert Beyer und Sebastian Schwarz selbst. Oder vielleicht doch nicht? Sie spielen Eva, Judith, Robert und Sebastian, die verschiedene Rollen spielen in wechselnden Paarungen. Der Übergang von einer Szene in die nächste, der Wechsel von einer Rolle in eine andere ist dabei fließend. Beim Zuschauer entwickelt sich freudige Erwartung auf die die nächste Figur, die nächste Konstellation („Das ist in jedem Vier-Personen-Stück so: Beischlaf mit Partnertausch und anschließender Depression.“) Immer kann mindestens eine Person, die Szene nicht steuern, weil die anderen längst bestimmt haben, wohin es gehen soll.

Das Stück steckt voller Anspielungen auf die Arbeit am Theater, auf Klischees, auf Situationen, die Schauspieler seit Jahren kennen. So erklärt Judith, wie es ist, wenn sich die Schauspieler in ihren Rollen im Stück eben noch gegenseitig umbringen wollten und in der nächsten Minute, wenn das Licht aus und wieder angeht, rücksichtsvoll den umgefallenen Stuhl aufheben, der in der vorigen Szene umgestoßen wurde: „Immer hebt einer den Stuhl auf.“ Und als ob sie das unterstreichen wollten, schiebt einer der Schauspieler am Ende des Stückes vor der Verbeugung die soeben auf der Bühne verteilten Polster beiseite, damit die Kollegen nicht darüber stolpern. Unbewusst oder absichtlich?

Und auch der geübte Theaterzuschauer wird angeschubst. Wenn Eva Sebastian unterbricht, der in einer typischen Szene (alle sind von der Bühne verschwunden und jetzt mache ich mir ein Bild von der Situation) zu einem Monolog ansetzt: „Wir hatten doch gesagt, wir machen keine Monologe mehr“ führt das dazu, dass man sich, von der antrainierten Erwartung frei macht, dass jetzt einer die Bühne für sich hat. „All by myself“ singt Sebastian stattdessen.

„Perplex“ ist ein ständiger Identitätswandel – genau wie Schauspieler es täglich erleben, wenn sie jeden Abend in eine andere Rolle schlüpfen - und am Ende bleibt nicht nur die Erkenntnis, dass bei diesem Stück irgendwie kein Regisseur anwesend war, sondern auch die Frage „Aber wer hat mich den eigentlich besetzt?“ .

Weitere Infos und Trailer auf der Seite der Schaubühne.


Foto: Tania Kelley

15. Juni 2011

Freunde der Schaubühne: Einführung in "Maß für Maß"

Thomas Ostermeier (Regie), Marius von Mayenburg (Übersetzung) und Jan Pappelbaum (Bühne) gaben uns einen Einblick in die Arbeit an der Inszenierung „Maß für Maß“, die im September Premiere an der Schaubühne haben wird. Nachdem Ostermeier uns eine Einführung in die Handlung des Stückes gegeben hatte, erläuterte er die Wahl der Schauspieler/innen, u.a. Gert Voss, Lars Eidinger und Stefan Stern. Für die Wahl der weiblichen Hauptdarstellerin hat Ostermeier sich über 50 junge Schauspielerinnen angesehen und vorsprechen lassen. Er entschied sich für Jenny König, die Ensemblemitglied am Nationaltheater Mannheim ist. Die Problematik bei sehr jungen Schauspielerinnen, die gerade von der Schauspielschule kommen, sei, dass sie in klassischen Stücken, in denen es die Frauenfiguren in einer Männerwelt oft schwer haben, sich zu behaupten, versuchen, massiv gegen dieses Rollenbild anzuspielen. Dies führe häufig dazu, dass das Stück dann nicht mehr funktioniere, erklären Ostermeier und von Mayenburg. Ich kann die jungen Schauspielerinnen gut verstehen. Ich kann aber auch Ostermeier verstehen, der nach einer weiblichen Darstellerin gesucht hat, die die Ansprüche an die Rolle erfüllt und wie er sagt, dabei trotzdem ihre Würde behält. Ich bin gespannt, ob es funktioniert.

Genauso wie schon bei „Hamlet“ und „Othello“ hat Marius von Mayenburg auch dieses Shakespearestück neu übersetzt – und dabei natürlich eine bestimmte Lesart des Stückes wählen müssen. Wer sich die Mühe macht Shakespeares Stücke im Original zu lesen, weiß, dass von Mayenburg sicherlich keine leichte Aufgabe hatte, als er sich Satz für Satz durch Shakespeares Doppel- bzw. Mehrdeutigkeiten arbeiten musste. Bei den Schaubühnen-Inszenierungen von „Hamlet“ und „Othello“ hatte ich mehrere Aha-Erlebnisse, die mir im Studium oder bei anderen Inszenierungen leider oft verwehrt blieben, und ich habe beide Male das Theater mit dem Gefühl verlassen, neue Facetten des Stückes gesehen zu haben. Das stimmt mich zuversichtlich, dass mir der Zugang zu „Maß für Maß“, das ich bisher noch nicht von der Bühne kenne, leicht fallen wird.

Das Modell des Bühnenraums, der von Jan Pappelbaum komplett in Gold ausgestattet wurde, hat eine museale Anmutung, besonders im Modell für Salzburg (hier hat das Stück bereits im August Premiere). Ich versuche, mir vorzustellen, wie das später „in echt“ wirken wird und bin mir sicher, dass es ganz anders wird als wir es uns jetzt vorstellen können. Ich mag Inszenierungen, die mit wenig Requisiten und wenig Ausstattung auskommen, weil dann alles über die Schauspieler bzw. den Text funktionieren muss. Daher bin ich froh, dass Ostermeier und Pappelbaum ankündigen, dass sie diese für die „Maß für Maß“ Inszenierung bewusst reduzieren. Das sei bei Shakespeare übrigens auch so gewesen, erklärt Ostermeier.

Ich freue mich auf September, wenn das Stück an der Schaubühne läuft – und lasse mich gerne überraschen, ob dann alles so sein wird, wie ich es mir jetzt ausmale.

7. Januar 2010

Kriemhilds Blutbad in der Schaubühne

Auf den leeren Stufen einer ansteigenden Tribüne sitzen Kriemhild, Siegfried, Hagen und alle anderen Figuren der Nibelungen-Sage. Sie tragen Alltagskleidung und wirken auch sonst ziemlich nichtssagend. Von schillernden Sagenfiguren und Helden ist nichts zu spüren. Sie wirken antriebslos. „Erzähl uns was, der Tag wird sonst zu lang“ beginnt König Gunther das 31/2 stündige Stück von Hebbel. Und so treten die Figuren des Dramas auf: Siegfried, der glänzende Held der Nibelungen-Sage, wirkt bisweilen wie ein Riesenbaby, ist übergewichtig, schlecht gekleidet und ungeschickt. König Gunther ist ein Durchschnittsbürger im Rollkragenpulli und Hagen sieht aus wie ein Student, den man erst nach und nach als eine der zentralen Figuren wahrnimmt. Er entpuppt sich freilich im Laufe des Stückes als mörderischer Psychopath. Kriemhild und Brunhild sind Mädchen in Röckchen und Lederjacke. Alles in allem scheinen die Sagenhelden entzaubert. Aber das ist auch gut so, denn in der Inszenierung von Marius von Mayenburg, dem Hausdramaturgen der Schaubühne, tritt somit stärker das zutage, um was es in den Nibelungen geht: Eifersucht, Rache, Wut, Betrug, Verrat, Großmut…

Erzählt wird viel, zumindest am Anfang halten sich die Schauspieler noch mit Aktionen zurück. Umso präsenter wirkt die von Hagen auf die Bühne getragene Riesen-Axt – das Schwert Balmung. Nach den bekannten Lügen, Intrigen und Misstrauen entspinnt sich das Unaufhaltsame. Brunhild wird betrogen, fordert Rache, die von Hagen durchgeführt wird. Siegfried stirbt, was in Kriemhild wiederum noch größere Rachegelüste wachruft. Nicht zuletzt auch dadurch, dass der eigene Bruder nicht zu ihr steht, sondern sich oportunistisch auf die Seite Hagens stellt.

Das Stück endet schließlich in einem furiosen Blutbad, und das ist durchaus wörtlich zu nehmen. Hagen, Gunther und Giselher schütten mehrere hundert Liter Blut vom oberen Absatz des Gerüsts. Ein rauschender roter Wasserfall ergießt sich minutenlang über die Treppe in der deren Mitte Kriemhild sitzt. Wer jetzt „typisch Schaubühne“ denken mag, dem sei gesagt, dass diese Szene aber genau das verdeutlicht, was im Stück gerade stattfindet: Kriemhilds nicht zu bremsender Blutrausch, der erst enden darf, wenn Hagens Kopf abgeschlagen wird. Die Königin, zu Beginn des Stückes noch ein braves, fast unschuldiges Mädchen, hat sich in eine rasende Mörderin verwandelt, der kein Opfer und kein Verlust zu groß ist, um ihr Ziel zu erreichen: die Rache an ihrem Gatten. Ideologie und Fanatismus haben sie blind gemacht gegenüber jeglicher Moral.

"Die Nibelungen" in der Schaubühne bleibt mit seinen Bildern und der Botschaft im Gedächtnis. Auch wenn bei dem sehr textlastigen Stück etwas Kondition gefragt ist, so lohnt es sich schon wegen des schauerlich beeindruckenden Endes bis zum Schluss zu bleiben.