30. April 2015

F.I.N.D. 2015 (2. Teil): PREMIERE Stück Plastik. Hochwertige Ziele. La imaginación del futuro. The Apple Family Plays.

Und da ist es auch schon wieder vorbei. So berauschend und verzaubernd es war, so stark wirkt die Ernüchertung nach dem letzten F.I.N.D.-Wochenende. Das liegt daran, dass man selten so viele unterschiedliche Stücke so dicht hintereinander sieht. Es hat seinen Reiz, wenn man zwischen zwei Vorstellungen schnell umswitchen und sich wieder auf etwas ganz anderes einlassen muss. Für die Zeit des Festivals ist das gut und eine tolle Herausforderung. Zum Glück ist es aber auch nicht der Normallfall, denn es ist schon sehr schön, wenn man seinen Gedanken Zeit lassen kann, um das eben Gesehene zu verarbeiten. Allein für sich (und oft verbunden mit einer Online-Recherche) oder mit Freunden und Bekannten, die auch noch Input geben.

Die Premiere von Marius von Mayenburgs Stück Plastik war ein Riesenerfolg. Die Zuschauer können während des Stücks befreit und laut lachen. Auch mir beschert Sebastian Schwarz einen der lustigsten Theatermomente, die ich bisher erleben durfte: das Bouillabaisse-Dinner an der weiß gedeckten Tafel (getoppt wird die Szene eigentlich nur durch Urs Juckers Darstellung des Monsieur Loyal in "Tartuffe" und die Elch-Szene aus "Perplex", ebenfalls von Marius von Mayenburg und ebenfalls gespielt von Sebastian Schwarz). Ich spare es mir, hier über die vielen Bezüge zu sprechen, die von Mayenburg macht, und muss auch nicht noch mal die schaupielerische Leistung loben, weil das die vielen Kritiker bereits zur Genüge getan haben. Diesmal auch fast ausnahmslos postiv. Das ist mal ein schönes Gefühl!

Der Sonntag beginnt für mich mittags um 14 Uhr und endet um Mitternacht. Auf dem Programm steht zunächst Hochwertige Ziele, eine szenische Einrichtung von Andreas Schröders. Das kurze Stück wird in der Alten Kantine gezeigt, ein passend zur Atmosphäre niedriger, schmaler, kleiner Raum. Andreas Schröders und Iris Becher alias Ike und Tina arbeiten sich an einem Dokument ab, das verspricht, "High Value Targeting Operations" zu einem wirksamen Mittel der Aufstandsbekämpfung zu machen. Die naive Ernsthaftigkeit, mit der sie den Text rezitieren, wie sie sich beim Mittagessen bei Kartoffelsalat und Würstchen über ihre Karrieren austauschen, macht die Situation so grotesk wie berührend.

La imaginación del futuro (Teatro La Re-sentida // Chile // Regie: Marco Layera)
Weiter geht's in einem ganz anderen Rhythmus. Die chilenische Gruppe La Re-sentida habe ich schon im letzten Jahr beim F.I.N.D. gesehen. Und auch da war ich fasziniert vom Tempo und Witz, dieses Jahr setzen sie noch eins drauf. Was wäre gewesen wenn...? Was wäre gewesen, wenn Salvador Allende am 11. September 1973 nicht Selbstmord begangen hätte als das Militär den Palast stürmte? La Re-sentida nimmt die letzte Rede Allendes als Ausgangspunkt und zeigt, wie Imageberater und Minister ihn coachen, um der Geschichte eine andere Wendung zu geben. Können Sie 17 Jahre Militärdiktatur unter Augusto Pinochet verhindern? Die Schauspieler/innen  von La Re-sentida schlüpfen in zig verschiedene Rollen, sind dabei komisch, traurig, grotesk, anrührend und zeigen eine große körperliche Präsenz sowie ein Tempo, wie man es selten auf der Bühne sieht.

The Apple Family Plays (The Public Theater // New York // Text & Regie: Richard Nelson)
Am Sonntagabend schaffe ich es sogar noch wenigstens zwei Teile (von insgesamt vier) von Apple Family Plays zu sehen. Bei dieser Reihe teilen die Zuschauer das Wohnzimmer der Apples, einer amerikanischen Mittelklasse-Familie in Rhinebeck, einem kleinen Ort im Staat New York. Die Familie besteht aus den vier erwachsenen Geschwistern Barbara, Marian, Richard und Jane, Janes Freund Tim sowie dem älteren Onkel Benjamin. Die Abende beleuchten vier wichtige Daten der jüngeren amerikanischen Geschichte, die im Abstand von ungefähr einem Jahr aufeinander folgten, und zeigen die privaten Entwicklungen und Verstrickungen der Familie sowie die politischen Hoffnungen und die folgende Desillusionierung der liberalen Mittelklasse Amerikas. Über den Abend spürt man, wie man in das Familienleben eintaucht und sich immer mehr in die Geschehnisse verstrickt. Ein sehr besonderes einmaliges Theatererlebnis. Nach dem vierten Teil belohnen die Zuschauer die Leistung der Schauspieler/innen mit Standig Ovations. Und wir haben nach dem Stück sogar noch die Möglichkeit, im Café mit einigen der Schauspieler/innen und Richard Nelson zu sprechen.

Um Mitternacht ist dann aber endlich Schluss. Bis zum nächsten F.I.N.D. heißt es nun leider wieder lange, lange warten.

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