7. Januar 2010

Kriemhilds Blutbad in der Schaubühne

Auf den leeren Stufen einer ansteigenden Tribüne sitzen Kriemhild, Siegfried, Hagen und alle anderen Figuren der Nibelungen-Sage. Sie tragen Alltagskleidung und wirken auch sonst ziemlich nichtssagend. Von schillernden Sagenfiguren und Helden ist nichts zu spüren. Sie wirken antriebslos. „Erzähl uns was, der Tag wird sonst zu lang“ beginnt König Gunther das 31/2 stündige Stück von Hebbel. Und so treten die Figuren des Dramas auf: Siegfried, der glänzende Held der Nibelungen-Sage, wirkt bisweilen wie ein Riesenbaby, ist übergewichtig, schlecht gekleidet und ungeschickt. König Gunther ist ein Durchschnittsbürger im Rollkragenpulli und Hagen sieht aus wie ein Student, den man erst nach und nach als eine der zentralen Figuren wahrnimmt. Er entpuppt sich freilich im Laufe des Stückes als mörderischer Psychopath. Kriemhild und Brunhild sind Mädchen in Röckchen und Lederjacke. Alles in allem scheinen die Sagenhelden entzaubert. Aber das ist auch gut so, denn in der Inszenierung von Marius von Mayenburg, dem Hausdramaturgen der Schaubühne, tritt somit stärker das zutage, um was es in den Nibelungen geht: Eifersucht, Rache, Wut, Betrug, Verrat, Großmut…

Erzählt wird viel, zumindest am Anfang halten sich die Schauspieler noch mit Aktionen zurück. Umso präsenter wirkt die von Hagen auf die Bühne getragene Riesen-Axt – das Schwert Balmung. Nach den bekannten Lügen, Intrigen und Misstrauen entspinnt sich das Unaufhaltsame. Brunhild wird betrogen, fordert Rache, die von Hagen durchgeführt wird. Siegfried stirbt, was in Kriemhild wiederum noch größere Rachegelüste wachruft. Nicht zuletzt auch dadurch, dass der eigene Bruder nicht zu ihr steht, sondern sich oportunistisch auf die Seite Hagens stellt.

Das Stück endet schließlich in einem furiosen Blutbad, und das ist durchaus wörtlich zu nehmen. Hagen, Gunther und Giselher schütten mehrere hundert Liter Blut vom oberen Absatz des Gerüsts. Ein rauschender roter Wasserfall ergießt sich minutenlang über die Treppe in der deren Mitte Kriemhild sitzt. Wer jetzt „typisch Schaubühne“ denken mag, dem sei gesagt, dass diese Szene aber genau das verdeutlicht, was im Stück gerade stattfindet: Kriemhilds nicht zu bremsender Blutrausch, der erst enden darf, wenn Hagens Kopf abgeschlagen wird. Die Königin, zu Beginn des Stückes noch ein braves, fast unschuldiges Mädchen, hat sich in eine rasende Mörderin verwandelt, der kein Opfer und kein Verlust zu groß ist, um ihr Ziel zu erreichen: die Rache an ihrem Gatten. Ideologie und Fanatismus haben sie blind gemacht gegenüber jeglicher Moral.

"Die Nibelungen" in der Schaubühne bleibt mit seinen Bildern und der Botschaft im Gedächtnis. Auch wenn bei dem sehr textlastigen Stück etwas Kondition gefragt ist, so lohnt es sich schon wegen des schauerlich beeindruckenden Endes bis zum Schluss zu bleiben.

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