14. Dezember 2015

Blumen, Kleider, High Heels: Premiere "Ophelias Zimmer" von Katie Mitchell (Schaubühne)

Jenny König als Ophelia (Foto: Gianmarco Bresadola)

Eine ganz und gar beklemmende Inszenierung ist "Ophelias Zimmer" von Katie Mitchell. Die Dunkelheit, die Musik, die Geräusche drohend, quälende Monotonie. Zunächst strengen mich die ständigen Wiederholungen an und nerven sogar ein bisschen, aber dann wird mir die Figur dort auf der Bühne immer näher. Freilich ist Ophelia (Jenny König) hier das Opfer, so hat Shakespeare die Figur ja angelegt. Viele hatten etwas anderes erwartet von der Feministin Mitchell - so äußern sich die Freund/innen und Bekannten, die ich im Theater nach der Premiere spreche: Vielleicht eine Frau, die sich in ihrem Zimmer irgendwie versucht zu wehren gegen die Männer, gegen die Bevormundung, gegen die unangenehmen Liebes- und Lustbekundungen von Hamlet, gegen ihre Rolle, die ihr auch von der Mutter (Stimme aus dem Off von Jule Böwe) vorgeschrieben wird. Das tut sie in "Ophelias Zimmer" nicht. Sie bleibt und wird eingesperrt, gefangen in den immer gleichen Handlungen und im sich ständig wiederholenden Tagesablauf (Tee trinken, sticken, lesen, kurz mal an die frische Luft - was Frau halt so darf), mit Pillen vollgestopft. Verabreicht werden die Medikamente von einem "Bewacher" (Ulrich Hoppe), der nicht mal handgreiflich werden muss, damit sie diese schluckt, es reicht der Tonfall, der Befehl.

Liebesbekundungen von Hamlet auf Kassette (Foto: Gianmarco Bresadola

Trotzdem oder gerade deswegen ist das Stück großartig. Natürlich nicht, weil man mit Ophelia resignieren möchte. Sondern weil man sich bei allem eigenen feministischen Getue hin und wieder vor Augen führen lassen muss, dass nicht der bloße Wille reicht, sondern oft auch die Umstände Selbstbestimmtsein verhindern. Man möchte Ophelia/Jenny König trösten, wenn sie weinend auf ihrem Stuhl sitzt während Hamlet (Renato Schuch) seinen Affentanz aufführt (ein Anspielung auf Lars Eidinger als Hamlet in der Ostermeier-Inszenierung?). Die über ein Dutzend Kleider, die sie im Stück übereinander anzieht, erzeugen Assoziationen: Schutzpanzer, aber auch Zwangsjacke, der aufgedunsene Körper, der bald schon im Wasser treiben wird. Im übrigen werden ihr auch diverse Kleider vom Dienstmädchen angezogen (!), dazu High Heels (männliche Wunschvorstellung von Weiblichkeit), einmal sogar in rot, und immer wieder Blumen ("Blumen sind für Tote"). Die zweite Frau im Stück als Verbündete der Männer. Interessanterweise gespielt von Iris Becher, die in Patrick Wengenroths "thisisitgirl" eine ganz andere Frauenrolle verkörpert.

Sie weint, er tanzt (Foto: Gianmarco Bresadola)

Die Beschreibung der fünf Phasen des Ertrinkens, dazu das von Wasser geflutete Zimmer am Ende des Stückes, Bedrohung von allen Seiten, der Mädchenkram - die Blumen und Schuhe - treiben im Wasser vor sich hin. Und doch ertrinkt Ophelia nicht einfach, sondern sie nimmt sich - quasi als einzige selbstbestimmte Handlung - das Leben, indem sie sich die Kehle aufschneidet. Da fühlt man sich natürlich sofort an "Fräulein Julie" erinnert, eine andere großartige Inszenierung von Katie Mitchell (wobei Julie noch auf Jeans Empfehlung handelt).

Bedrohung Wasser (Foto: Gianmarco Bresadola)

Jenny König, eine Schauspielerin, die immer wieder von Neuem überzeugt, leistet hier Großartiges. Und natürlich stellt sich die Frage, inwiefern die Zuschauer/innen ihre Ophelia in Ostermeiers Hamlet-Inszenierung nun mit anderen Augen sehen und ob sich das Gesamtbild dieser Rolle verändern wird.

Für mich eine der besten Inszenierungen in dieser Spielzeit bisher!
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Koproduktion mit dem Royal Court Theatre London.

Text: Alice Birch  
Regie: Katie Mitchell  
Bühne und Kostüme: Chloe Lamford  
Sounddesign: Max Pappenheim
Dramaturgie: Nils Haarmann  
Lichtdesign: Fabiana Piccioli
Mitarbeit Regie: Lily McLeish

Mit: Iris Becher, Ulrich Hoppe, Jenny König, Renato Schuch  

Die Texte von Ophelias Mutter wurden eingesprochen von: Jule Böwe  

Statisten: Oliver Herbst / Mario Kutz

Dauer: ca. 120 Minuten

Weitere Infos Zum Stück & Probentrailer mit Erläuterungen von Katie Mitchell auf der Seite der Schaubühne.

Leseempfehlung: Der Text "Das 'poetischste' aller Themen" von Elisabeth Bronfen über die "schöne" Frauenleiche und die Misogynie E.A. Poes, der in seinem Essay "The Philosophy of Composition" die sterbende Frau ästhetisiert  (im Programmheft zu "Ophelias Zimmer").

Gunda Bartels vom Tagesspiegel hat Jenny König zu ihrer Rolle in "Ophelias Zimmer" und der als Gertrud/Ophelia in Thomas Ostermeiers Hamlet-Inszenierung interviewt - Die Schauspielerin Jenny König: Die Untergeherin (tagesspiegel.de am 8.12.2015)

Max Penthollow schrieb mir bereits vor ein paar Tagen.

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