9. März 2012

Ich vermisse: Galerie der Toten bei „Galaxy" von BLITZ auf dem F.I.N.D. 2012

"Ich bin River Phoenix. Ich starb am 31. Oktober 1993 an einer Mischung aus Drogen und Alkohol. Ich vermisse meine Geschwister, Johnny Depp und die Red Hot Chili Peppers.“ – „Ich bin eine Kassette. Ich starb vor einigen Jahren. Ich wurde getötet von der CD, der Minidisc, der MP3, der MP4. Wie konnte das passieren.“ So und so ähnlich lauten die Mini-Monologe in Galaxy: Eva Meckbach, Jule Böwe, Bernardo Arias Porras, Judith Engel, Christoph Gawenda und Thomas Bading von der Schaubühne sowie Christos Passalis von BLITZ aus Athen stellen in einer dreistündigen Performance Tote und Totgesagtes vor. Sie schreiben Namen und Begriffe mit Edding auf Zettel und erläutern Namen, Todesdatum, Bedeutung und Zusammenhänge.


Historische Persönlichkeiten, Ideale, Epochen, Kunstformen der letzten Jahrhunderte werden, ebenso wie tote Menschen, Tiere und Erfahrungen aus dem persönlichen Schatz der Schauspieler (Christoph Gawendas Bruder, Bernardo Arias Porras Schnurrbart, der Hund von Judith Engels Oma oder Eva Meckbach mit 18) beschrieben. Tänze (Breakdance, Steptanz uva.) werden genauso wie Liedgut (Pioniergesänge und Hymnen) in die Gegenwart geholt. Rollen, die die Darsteller einmal gespielt haben (Evas Meckbach spricht z.B. über Desdemona, die sie in Othello an der Schaubühne gespielt hat) werden in die Performance integriert, Menschen, von deren Ableben man aus dem Medien erfahren hat und theaterspezifische Anekdoten (das von den Kritikern immer wieder monierte schlechte (sic!) Sprechen der Schauspieler oder unkonkrete Regieanweisungen). Sowieso findet die Auseinandersetzung mit der Schaubühne (die „alte Schaubühne“ unter Peter Stein) oder dem künstlerischen Leiter (Erinnerung an die Baracke des DT unter der Leitung von Thomas Ostermeier, die Jule Böwe, Jens Hilje, Thomas Bading u.a. vermisst) Beachtung. Für Schaubühnen-Kenner wird sogar die von der Kritik geschmähte Edward II-Inszenierung thematisiert (die die Schauspieler, die das Stück gerne spielen, vermisst).

Die Performance ist offen, d.h. die Zuschauer können jederzeit den Raum verlassen und wieder zurückkehren. Aber da das alles ganz schön süchtig macht und man immer noch den nächsten und das nächste sehen will, möchte man nichts als hier bleiben. Der Zuschauer schwankt ständig zwischen Lachen-Müssen und Weinen-Wollen, zwischen Erinnern, Entsetzen und Erstaunen und wird mit einer Achterbahnfahrt der Gefühle sowie echten Herausforderung für das eigene historische Wissen konfrontiert. Einen besonderen Reiz macht auch die Überlagerung der Kurzmonologe aus, wenn die Schauspieler ihre Texte satzweise im Wechsel sprechen und dadurch unvermutete Bezüge entstehen (Freud/Depression). Oder wenn offensichtliche Bezüge eine andere Richtung nehmen: Auf Steve Jobs folgt konsequenterweise Apple, bei dem es sich jedoch nicht um die Software, sondern um einen verstorbenen Hundwelpen handelt.

Galaxy ist zunächst nur auf dem F.I.N.D. 2012 zu sehen. Bleibt zu hoffen, dass diese Performance in das Programm der Schaubühne übernommen wird.

Trailer Galaxy von BLITZ.

Foto: Schaubühne

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