17. Mai 2009

Theatertreffen 2009: Preiskampf

Am vergangenen Samstagabend wurde vor laufenden Kameras während einer einstündigen Jurydiskussion der Preisträger des mit 10.000 Euro dotierten 3sat-Preises für herausragende künstlerische Leistungen des deutschen Schauspiels bestimmt.

Beim sogenannten "Preiskampf" nominierten vier Theaterexperten einen persönlichen Kandidaten aus den zum Theatertreffen eingeladenen Ensembles. Innerhalb von 60 Minuten musste sich die Jury auf einen Gewinner einigen.

Die vier Jurymitglieder und ihre Kandidaten:

Eva Behrendt (Theaterkritikerin): Christoph Schlingensief mit seinem Fluxus-Oratorium „Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“

Jenny Erpenbeck (Regisseurin und Autorin): Marion Breckwoldt in „Marat, oder was ist aus unserer Revolution geworden“ von Volker Lösch

Claus Peymann (Direktor des Berliner Ensembles): Birgit Minichmayr, Nicholas Ofczarek und Werner Wölbern in „Der Weibsteufel“ von Martin Kušej

C. Bernd Sucher (Publizist): Annette Paulmann in „Der Prozess“ von Andreas Kriegenburg

Die vier Kandidaten wurden jeweils in einem zweiminütigen Plädoyer mit einem kurzen Filmeinspieler vorgestellt. Danach folgte die Diskussion, die zu einer Entscheidung über den Gewinner führen sollte.

Neben der Darlegung von pro und contra für die vier Kandidaten entspann sich eine Diskussion über das Theater in Deutschland und das Theatertreffen im Allgemeinen. Vier Theaterexperten mit unterschiedlichen Ansichten darüber, was das Theater zu leisten hat und welche Position das Theatertreffen einnehmen solle, präsentierten sich unterschiedlich stark auf der Bühne. Schon nach Sekunden war klar, wer hier im „Ring“ dominierte: Claus Peymann, der seine Kandidaten mit dem größten Selbstbewusstsein verteidigte. Das Ergebnis nach 60 Minuten Preiskampf lautete somit konsequenterweise auch: Minichmayr, Ofzarek und Wölbern im „Weibsteufel“.

Die Diskussion und das Ergebnis wurden von einer Vielzahl der Zuschauer mit Buh-Rufen dokumentiert, die sich sicher auch an Claus Peymanns Auftreten störten. Dieser wurde nicht müde zu erwähnen, dass er die größte Theatererfahrung in der Runde habe und eine Vielzahl wichtiger Schauspieler, Regisseure und Dramatiker (ebenso die nominierten Kandidaten) persönlich kenne bzw. schon mit ihnen gearbeitet habe. Dies kann ihm zwar als unbescheiden ausgelegt werden, ist aber als Mittel in diesem Preiskampf verständlich. Warum sollen persönliche Erfahrungen keine Rolle bei der Entscheidung spielen?
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Am Ende zählte nicht, wer besser argumentierte, sondern wer sich am selbstbewusstesten präsentierte. Und das war eindeutig Claus Peymann. Man muss mit Peymann nicht einer Meinung und mit dem Ergebnis nicht einverstanden sein, aber die Reaktion des Publikums war doch sehr irritierend, denn:
Die vier Jurymitglieder wurden ausdrücklich als „streitbare Experten“ eingeladen. Warum sollten sie sich dann nicht so verhalten? Kann man es jemandem vorwerfen, wenn er seinen Kandidaten mit allen Mitteln verteidigt? Genauso hätte man den anderen Jurymitgliedern vorwerfen können, ihre Kandidaten nicht mit mehr Herzblut verteidigt zu haben. Warum konnten die anderen mit ihrem Auftritt nicht besser überzeugen? Klar ist, es handelte sich hier um einen ungleichen „Kampf“, denn wenigstens zwei der Jurymitglieder waren Peymann offensichtlich nicht gewachsen. Als logische Konsequenz lenkte Eva Behrendt sogar wenige Sekunden vor Ende der Diskussion plötzlich ein und entschied sich ohne nähere Begründung für Peymanns Vorschlag. (Das wäre gar nicht nötig gewesen, da die Mehrheitsentscheidung für die „Weibsteufel“-Schauspieler schon stand.) Die Buh-Rufe am Ende des Preiskampfes sind daher für mich nur teilweise nachvollziehbar.

Das Verhalten aller auf der Bühne des Preiskampfes lässt sich vielleicht mit der besonderen Situation erklären. Die Diskussion live und vor laufenden Kameras auszutragen, war eine Neuerung. Es stellt sich also die Frage, ob die vier Jurymitglieder anders „gestritten“ hätten, wenn die Entscheidung nicht öffentlich ausgetragen worden wäre?

Die Entscheidung, wer den 3sat-Preis erhalten soll, wurde in nur 60 Minuten getroffen. Verständlicherweise bleibt da bei vielen Zuschauern ein ungutes Gefühl. Denn der Preis ist mit immerhin 10.000 Euro dotiert. Sollte eine solche Entscheidung nicht wohl überlegt und ohne Zeitdruck getroffen werden? Das teilweise doch sehr plötzliche Einlenken der Mitstreiter, geschah klar aus Gründen des Zeitdrucks und nicht weil, Peymann sie überzeugt hatte. Ich vermute, dass – wenn mehr Zeit gewesen wäre – Peymann sich auch mit Suchers Vorschlag (Annette Paulmann) einverstanden erklärt hätte, da er sich diesem von Anfang an nicht abgeneigt zeigte. Aber dafür war eben nicht genügend Zeit.

Interessant und spannend war die öffentliche Austragung einer Jurydiskussion in jedem Fall, doch ist schwer vorstellbar, dass eine Entscheidungsfindung im „stillen Kämmerlein“ ohne Publikum ähnlich verlaufen wäre.

Wäre es im übrigen nach dem Publikum gegangen, wäre Schlingensief der Gewinner gewesen, das machten die zahlreichen „Schlingensief“-Zwischenrufe deutlich. Aber der 3sat-Preis ist nun mal kein Publikumspreis.

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