28. November 2015

Max Penthollow schreibt mir // Kapitel 9: Erstklassige Landung ("Der fliegende Holländer" in der Staatsoper im Schillertheater)

Max Penthollow schreibt mir...


Liebe Maren,

gestern Abend war ich in der Staatsoper im Schillertheater bei Wagners Oper „Der fliegende Holländer“.

Hier ist mein Bericht:

 
Der fliegende Holländer –  Oper von Richard Wagner, 1843 –  Staatsoper im Schillertheater –  Regie: Philipp Stölzl - Premiere: März/April 2013

Mittwoch, 25. November 2015 19:30Uhr, 16.Vorstellung, volles Haus.



Der fliegende Holländer ist ein reicher Segler mit einem unheimlichen Schiff. Das Stück ist für mich eine Seefahrersaga, Wagneroper, unglückliche Liebesgeschichte, tiefe Enttäuschung hier und Unglück, Tod und Verderben dort.

"Der fliegende Holländer" in der Staatsoper im Schillertheater (Foto: Matthias Baus)


Senta ist im Mittelpunkt der Handlung, zwischen zwei Männern, die Oper endet mit ihrem Tod. Es geht um Liebe, Treue und Verrat.

Traumhafte Musik und bezaubernder Gesang  –  der fliegende Holländer segelt durch ein wildes überschäumendes Meer von Musik, über einen tanzenden Ozean von Orchesterklängen und Gesang. Für Wagner-Fans dürfte es ein Traum von Sehnsucht und Erfüllung sein.

Kurz vor Beginn der Vorstellung um ca. 19:30Uhr tritt ein Vertreter des Opernhauses auf die Bühne vor den Vorhang und in die Mitte der Rampe und verkündet, dass er eine schlechte Nachricht hat, die aber durch eine gute Nachricht schnell wieder ausgeglichen werden kann:

die Hauptdarstellerin, die die Rolle der Senta hat, musste heute Mittag leider krankheitsbedingt ihre Teilnahme absagen.

Dann haben sie in München Ricarda Merbeth angerufen, Nachmittags um zwei, die dann nach Berlin gekommen ist mit dem Flieger und noch mit der Regieassistentin zwei Stunden die Aufführung durchgearbeitet und durchgesprochen hat, und er bitte um Nachsicht und Verständnis, wenn nicht alle Feinheiten und Details bis ins Kleinste hätten durchgearbeitet werden können und Ricarda Merbeth habe ja auch früher schon den Part der Senta gesungen und gespielt.

Das fand ich wunderbar: sie erfährt 5 ½ Stunden vor Beginn der Aufführung von der Not-Situation im Berliner Opernhaus, kommt sofort aus München eingeflogen, kann sich ein bisschen vorbereiten, abstimmen und einstimmen und  singt und spielt dann, steht auf der Bühne und rettet für alle, die ins Schillertheater gekommen sind, den Opernabend.

Ich bin immer wieder fasziniert von der Vorstellung, dass die Teilnehmer/innen an dem Spiel und die Spielenden und die Singenden selbst nicht ganz genau wissen, wie es sich entwickelt und wie es wird. Sie erwarten und hoffen mit gutem Grund, dass alles gut wird, aber ganz genau wissen sie es nicht. Das ist für mich immer besonders spannend.

Ricarda Merbeth hat es großartig gemacht, sie hat wunderbar gespielt und gesungen und hat zum Schluss tosenden Applaus bekommen für ihre virtuose Leistung an diesem Abend und dafür, dass sie ganz unerwartet und spontan für uns alle nach Berlin gekommen ist und für uns so zauberhaft gespielt und gesungen hat und so die Aufführung und den Opernabend für uns alle gerettet hat!

Sie kommt von München nach Berlin und macht es einfach! Das hat mich beeindruckt und hat mich den ganzen Opernabend lang in Atem und Aufregung gehalten. Es macht mich glücklich!

In den Opernhäusern muss man bestimmt ständig oder immer wieder mit solchen Improvisationen arbeiten. Trotzdem!

Der heutige Abend war und bleibt für mich auch deswegen ein ganz zauberhaftes und überwältigendes Erlebnis!

So hab ich‘s am liebsten!

Liebste Grüße

Max
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Musikalische Leitung: Markus Poschner
Regie: Philipp Stölzl
Co-Regie: Mara Kurotschka
Bühnenbild: Philipp Stölzl, Conrad Moritz Reinhardt
Kostüme: Ursula Kudrna
Licht: Hermann Münzer
Chor: Martin Wright

Daland: Peter Rose
Senta: Camilla Nylund (12./16./20./22. Nov.) // Ricarda Merbeth (25. Nov.)
Erik: Andreas Schager
Mary: Anja Schlosser
Steuermann: Joel Prieto
Der Holländer: Michael Volle


Staatsoper im Schiller Theater
Staatskapelle Berlin
Staatsopernchor
2:15 h (keine Pause)

Eine Produktion des Theater Basel.


Weitere Infos auf der Seite der Staatsoper.

24. November 2015

Max Penthollow schreibt mir // Kapitel 8: Handy-Erlebnis bei der Premiere von "Tartuffe" (Schaubühne)

Max Penthollow schreibt mir...

Liebe Maren,

hier ist mein Text „Tartuffe II“ über mein Premierenerlebnis mit Telefon-Klingeln – very special:


Handy Handy - Großer Moment – Flüchtige Kunst

Tartuffe – Molière - Schaubühne – Regie: Michael Thalheimer - Premiere am 20. Dezember 2013

Schaubühne Berlin, Saal A. Tartuffe. Premiere. Freitag, 20.Dezember 2013, Beginn 20 Uhr

Am Schluss der Premierenvorstellung von „Tartuffe“, gegen 21:45Uhr, tritt Zofe Dorine (Judith Engel) – ganz in Schwarz - an die Rampe und spricht im fahlen Licht mit leiser Stimme ihren Schluss-Monolog, einen der dramatischen Höhepunkte der Inszenierung:

"Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen, bist fern meinem Schreien, den Worten meiner Klage?“

Während sie spricht, in diesem großen heiligen Moment, klingelt ein Mobiltelefon mitten im Theatersaal, fünf, sechs, sieben oder acht Mal. Ein schlichter Klingelton, im Saal gut und deutlich hörbar. Dann hört es auf.

Virtuos ist es indessen an der Rampe weitergegangen, Judith Engel hält alle Zügel fest in ihrer Hand und setzt ihren Schluss-Monolog während des Klingelns ruhig und unbeirrt fort bis zum Ende:

„(…) Herr, es ist Zeit zu handeln; man hat dein Gesetz gebrochen."

Licht aus. Riesen-Applaus.

Nach der Aufführung erfahre ich im Gespräch mit Mit-Besucherinnen der Premiere, dass dem Klingeln noch ein kleines Telefonat gefolgt sei: „Ja, es ist jetzt ungünstig, ich bin gerade im Theater, ich kann jetzt gerade nicht telefonieren.“

Welcome the unpredictable!

Die Störung, der überraschende unvorhersehbare Zwischen-Fall ist nun Bestandteil unseres Theaterabends und nicht mehr weg zu denken. Ein Extra für uns, einzig und nicht wiederholbar. Es könnte auch ein Scheinwerfer sein, der mit lautem Knall durchbrennt. So oder so: ein großer Moment - auch und vielleicht gerade mit dem Klingeln des Mobiltelefons!

Möge der Himmel verhüten, dass jemals mein Mobiltelefon im Theater klingelt!

Allerliebst

Max

Wer "Tartuffe" mit Lars Eidinger, Ingo Hülsmann u.a. noch sehen möchte, findet Infos hier.

Wer weitere Blogbeiträge zum Stück lesen möchte, findet den von Max hier und meinen hier und einen weiteren hier.

12. November 2015

Zu den Drohungen gegen die Schaubühne und Falk Richter

Morddrohungen gegen Falk Richter, dessen Stück FEAR über das Wiederaufleben rechten Gedankenguts und Fremdenfeindlichkeit im Oktober Premiere an der Schaubühne hatte. Forderungen an die Schaubühne, das Stück abzusetzen. SPD und Grüne fordern jetzt von der AfD, sich davon zu distanzieren.

Während der Aufführungen des Stückes kam es zu einem Zwischenfall als AfD-Anhänger Videoaufnahmen machten. Außerdem wurde die Fassade der Schaubühne mit Graffitis beschmiert. Absurde Vorwürfe, das Stück rufe zur Gewalt auf.

Thomas Ostermeier äußerte sich dazu auf Deutschlandradio Kultur und die Schaubühne nimmt Stellung zu den Vorwürfen: "Die Schaubühne wird alle strafrechtlich relevanten Sachverhalte zur Anzeige bringen. Die Inszenierung FEAR wird, wie geplant, im Januar erneut auf dem Spielplan der Schaubühne stehen."

Der Deutsche Kulturrat fordert: Das Stück darf nicht abgesetzt werden. Künstler müssten sich in die Debatte einmischen. 

Weitere Berichte dazu auf rbb-online, berliner-zeitung.de und morgenpost.de.

Ein sehr guter Blogbeitrag hier: Wenn Theater Menschen wirklich dazu verleiten könnte, Autos anzuzünden und innerhalb eines Abends zu Handlungen bewegen könnte, "die sie vorher weder gedacht noch geplant hatten", dann bräuchte es auch nur ein gutes Stück, um Menschen davon abzuhalten, Flüchtlingsheime anzuzünden.

3. November 2015

Max Penthollow schreibt mir // Kapitel 7: Liegestütz und Golf - Executive’s Choice ("Don Giovanni" an der Deutschen Oper)

Max Penthollow schreibt mir...

Liebe Maren,

am 1. November 2015, war ich bei „Don Giovanni“ von Mozart in der Deutschen Oper. Die Inszenierung gibt es seit Oktober 2010. Ich fand es wunderbar und magisch.

Don Giovanni – Mozart – Deutsche Oper – Inszenierung: Roland Schwab - Musikalische Leitung: Daniel Cohen – Italienische Sprache  - Premiere am 16. Oktober 2010

Der Inhalt:
Don Giovanni ist der große Frauen-Vernascher und wird zum Schluss für sein ausschweifendes Lotterleben bestraft, indem er in die Hölle muss. Vorher dürfen wir aber noch reichlich teilhaben an seinem libertinären Leben.

Die Bestrafung war wohl für Publikum und Moralwächter der versöhnende Ausgleich, damit man  den frivolen Stoff auf die Bühne bringen konnte, für Männer und Frauen, die vielleicht selbst gern ihre Bessere Hälfte gegen zwei jüngere Viertel eingetauscht hätten.

Die Leute auf der Bühne sind gekleidet wie Menschen unserer Zeit, deren Anblick uns vertraut ist. Die Bühne ist schlicht in Anthrazit bis Schwarz, Investoren-Architektur. Don Giovanni wird flankiert von weiteren 20 Don Giovannis, Männern in dunkelgrauen Anzügen, mit gestählten Alabasterkörpern, Sixpack, Repräsentanten des Erfolgs. Männer aus einem Unternehmen mit Dress-Code, mit kompromisslosem  Anforderungsprofil und mit unerbittlichem Leistungsdruck.  Sie halten sich ständig fit, machen Liegestütze und anderes und trainieren ständig mit ihren Golfschlägern als den Insignien von Manneskraft und Mannesmacht. Sie haben gelbe Kärtchen, die sie dem Publikum zeigen, auf denen steht eine Zahl: die 6. Sie müssen immer bereit sein und sie sind immer bereit.

DON GIOVANNI von Wolfgang Amadeus Mozart , Deutsche Oper Berlin, copyright Bettina Stöss

Frauen in schlichten, sachlichen, wohl akzentuierten und nur leicht verspielten Kleidern in hellen Farbtönen, ganz feminin, starke Führungs-Frauen in mächtigen Führungs-Etagen.

Leporello ist Don Giovannis Persönlicher Referent, muskulös, drahtig, mit schwarzem Haar im Undercut-Style. Er führt eine Liste (das oder auch den „Leporello“) über Don Giovannis Fraueneroberungen, hier in Form von hellen Fetzen in einem schwarzen Müllsack.

Zwischendurch ein Auftritt anmutiger junger Frauen und fürsorglicher junger Männer, alle ganz in Weiß, unter herabhängenden Zweigen mit geschickt ausgeleuchtetem weißem Laub, für mich eine zauberhafte Impression.

Champagnerfest als Maskenball, karussellartige Bühnen-Aufbauten, Männerfitness, ein Fahrrad-Trainingsgerät und ein sportlicher Supertyp, der die Pedale jagt und ausdauernd alles gibt, bis der Indoor-Cycling-Trainer auch auseinanderfliegen könnte.

Don Giovanni lässt nichts anbrennen und nimmt, was er kriegen kann.

Nach der Pause hat sich die Bühne verändert, die Partygäste sind vom Fest angeschlagen, es ist dunkler geworden, die Stimmung ist gekippt. Es gibt umgestürzte Tische und viele schwarze Müllsäcke.

Im 3. Akt Exzess der Völlerei, mit Querverweis zur Silvester-TV-Show über den 90.Geburtstag und Hommage an Butler James und Miss Sophie: der immer betrunkener werdende Leporello schenkt Wein ein und trinkt ihn aus oder verschüttet ihn und navigiert geschickt über das Tigerfell! Déjà vu! Das Andere in der Wiederkehr des Gleichen! Sehr fein!

Grandiose und luxuriöse Bühnentechnik, wunderbare Mozart-Musik, grandioser Gesang, zum Schluss tobt der Saal im Bühnenglück der Deutschen Oper.

DON GIOVANNI von Wolfgang Amadeus Mozart , Deutsche Oper Berlin, copyright Bettina Stöss

Das Stück wird in dieser Spielzeit noch einmal gespielt, und zwar bald, am Donnerstag, 12. November, 19:00Uhr.

Das Bestechende an der Inszenierung ist für mich: die Einfachheit, Präzision und Klarheit in den Motiven und Symbolen, dazu die tolle Mozart-Musik mit dem wunderbaren Gesang.

Ich fand‘s einfach hinreißend und zauberhaft!

Ich liebe zur Musik ja auch immer die Bühnenshow und das visuelle Erlebnis und Abenteuer, und aus dieser Sicht empfehle ich:

„Fahr schnell los – zu deinem Opernhaus!“

Deutsche Oper
Donnerstag, 12. November, 19:00 Uhr bis 22:30Uhr
Kartentelefon: 030 / 343 84 343

Nichts wie hin!

Allerliebst

Max
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Dramma giocoso in zwei Akten
Libretto von Lorenzo da Ponte
Uraufführung am 29. Oktober 1787 in Prag
Premiere an der Deutschen Oper Berlin am 16. Oktober 2010

In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Musikalische Leitung: Daniel Cohen
Inszenierung: Roland Schwab
Bühne: Piero Vinciguerra
Kostüme: Renée Listerdal
Chöre: Thomas Richter
Choreografische Mitarbeit: Silke Sense

Don Giovanni: Davide Luciano
Donna Anna: Aurelia Florian
Don Ottavio: Matthew Newlin
Der Komtur: Tobias Kehrer
Donna Elvira: Jana Kurucová
Leporello: Seth Carico
Masetto: Andrew Harris
Zerlina: Alexandra Hutton

Chöre: Chor der Deutschen Oper Berlin
Orchester: Orchester der Deutschen Oper Berlin

Weitere Informationen auf der Seite der Deutschen Oper.

31. Oktober 2015

Max Penthollow schreibt mir // Kapitel 6: Kleine Projekte – Großes Theater (Theaterpraktische Werkstatt an der Schaubühne )

Max Penthollow schreibt mir...

Liebe Maren,

hier habe ich für Dich – wie neulich schon besprochen - meinen Text zur „Theaterpraktischen Werkstatt“ an der Schaubühne. Sie wird regelmäßig durchgeführt von den Vertreter/Innen der Theaterpädagogik, Leitung Wiebke Nonne seit 2014, davor Uta Plate.

Ich war schon oft da! 

Ich habe es immer genossen, dabei zu sein, jeder einzelne Workshop war für mich ein besonderes Erlebnis und eine neue Erfahrung!

Was passiert da?

Wir arbeiten mit einem oder mit mehreren Menschen für eine kurze Zeit gemeinsam an einem sehr persönlichen kleinen Projekt, nämlich am Erfinden, Entwickeln und Aufführen einer kurzen Szene zu einem bestimmten Thema.

Wie funktioniert dieses Zusammenwirken von Menschen, die sich zum Teil  nicht kennen, wie geht jeder einzelne an so eine  Aufgabe heran, welche Dynamik entsteht und wie finden wir in der kurzen Zeit ein Ergebnis, eine Szene, die wir dann gemeinsam den anderen vorspielen?

Darauf gibt es keine Antwort, alles ist jedes Mal anders!

Das ist für mich immer wieder wunderbar an diesen kleinen Projekten, immer vollkommen spannend! 

Einige Teilnehmer/Innen kommen regelmäßig hin und kennen sich untereinander schon aus früheren Workshops.

Die Szenen werden: klassisch, verrückt, absurd - verstörend, befreiend, entzückend - zum Lachen und zum Weinen. Cäsar spielt mit Cleopatra, Tigerstreifenbaby mit Tarzan. Es gibt immer Applaus!

Bei der Aufführung der Szenen haben wir immer wunderbare Momente erlebt: unterhaltsam, bezaubernd, inspirierend - überraschend: Großes Theater!  

Das ist für mich das Besondere und Faszinierende an diesem Workshop: interaktive gemeinsame kleine Projekte und Großes Theater!

Allerfeinst!

Liebe Grüße

Max



Theaterpraktische Werkstatt, Theaterpädagogik Schaubühne, Probebühne im Studio, Leitung Wiebke Nonne.

Workshop jeweils zu einem bestimmten meist neueren Stück des Schaubühnen-Repertoires. Näheres im aktuellen Schaubühnen-Spielplan.

Ca. einmal monatlich, oft dienstags oder mittwochs, 18-22Uhr, vier Stunden, meistens ca. 20-25 Teilnehmer/Innen, alle Altersgruppen.

In der ersten Hälfte Warming Up, Kennenlernen, Lockerung, Entwicklung von Szenen zum Thema des Stücks in kleinen Gruppen. Kurze Pause, in der zweiten Hälfte Aufführung des Stücks in verkürzter Fassung. Alle sind einbezogen.

Neu seit Frühjahr 2015: auch Workshops in englischer Sprache, siehe aktueller Schaubühnen-Spielplan.

Karten kosten 2,50€, am besten frühzeitig reservieren und besorgen!

Infos zur Theaterpädagogik an der Schaubühne.

29. Oktober 2015

Viel Angst, viel Wut: Premiere "FEAR" von Falk Richter (Schaubühne)

Da ist ziemlich viel Wut im ersten Teil von Falk Richters neuem Stück FEAR. Wie kann es sein, dass in Deutschland seit Wochen Fremdenhass, Feindlichkeit gegen Homosexuelle und alternative Familienmodelle, Ablehnung der "Lügenpresse" und Politik massenhaft auf die Straße getragen und öffentlich im Netz und auf Pegida-Demos ausgedrückt werden? Woher kommt diese Angst?

Die Zombies sind wieder da (Foto: Arno Declair)
 Wie Zombies, unberechenbar, tauchen sie auf - Menschen mit Gedankengut, das man für längst überkommen hielt. Sehr aktuell, da nicht mal eine Woche vor der Premiere geschehen: Akif Pirinccis KZ-Rede und der Auftritt von Björn Höcke mit Deutschlandfahne bei Günther Jauch.

Auch andere Ängste spielen eine Rolle: Angst vor dem Verlust des Partners in einer Beziehung, Angst vor der Gestaltung der Zukunft...und natürlich unsere Angst vor Pegida, Neonazis, Fanatikern.

Warum diese Angst? (Foto: Arno Declair)
Mit Tänzeren und Schauspieler/innen versucht Falk Richter der Angst auf die Spur zu kommen. Verstärkt durch die Videos von Bjørn Melhus und O-Töne von Demonstranten. Natürlich ist das alles sehr performativ, aber man kann und darf sich gar nicht genug wehren gegen die Zombies.

"We are the others" - Frank Willens Worte am Ende des Stückes klingen fast wie eine Aufforderung.

Und wenn Tilman Strauß uns in seinem Monolog vorschlägt: Lasst uns doch versuchen, es anders zu machen und Alternativen auszuprobieren - dann ist das wie ein Appell uns nicht entmutigen zu lassen.
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Text, Regie und Choreographie: Falk Richter
(Die Choreographie entstand in Zusammenarbeit mit Denis Kuhnert, Frank Willens und Jakob Yaw.)
Bühne: Katrin Hoffmann   
Kostüme: Daniela Selig   
Musik: Malte Beckenbach   
Video: Bjørn Melhus   
Dramaturgie: Nils Haarmann   
Licht: Carsten Sander   

Mit: Bernardo Arias Porras, Denis Kuhnert, Lise Risom Olsen, Kay Bartholomäus Schulze, Alina Stiegler, Tilman Strauß, Frank Willens, Jakob Yaw   

Dauer: ca. 120 Minuten

Weitere Infos und Trailer auf der Seite der Schaubühne.

9. Oktober 2015

Max Penthollow schreibt mir // Kapitel 5 : Özzen Fözzen Tuzzi Muzzi – Walle Walle Bumm Bumm (Gedanken zu "Tartuffe" an der Schaubühne)

Max Penthollow schreibt mir...

Liebe Maren,

hier ist mein Text zu Tartuffe:


Tartuffe – Molière - Schaubühne – Regie: Michael Thalheimer - Premiere am 20. Dezember 2013


Der Inhalt

Der Hausherr Orgon ist so begeistert von dem besonders fromm und heilig erscheinenden Tartuffe, dass er ihm seine Tochter zur Frau geben und ihm sein Haus überschreiben will, damit Tartuffe für immer bei ihm und seiner Familie bleibt, „der gute Mann“!


Tartuffe macht sich an Orgons Ehefrau Elmire heran und vertreibt nach erfolgter Überschreibung des Hauses Orgon und seine ganze Familie aus dem Haus, fort, denn das Haus gehört ja jetzt ihm, Tartuffe.

Ein schlimmes Ende einer Komödie!


Fromm und heilig? Lars Eidinger als Tartuffe, Ingo Hülsmann als Orgon und Felix Römer als Madame Pernelle (Foto: Katrin Ribbe)

Die Historie: Molière, Tartuffe und Ludwig XIV

Molière musste sein Stück zweimal umschreiben (1664 bis 1669), die ersten beiden Fassungen wurden nach Premiere und Skandal verboten, erst die dritte Fassung kam auf die Bühne, protegiert vom König, Ludwig XIV, nur diese dritte Fassung soll noch erhalten sein.

Diese letzte Fassung hat ein Happy-End: Tartuffe ruft die Polizei, die erkennt in Tartuffe den lang gesuchten Betrüger und nimmt ihn fest, der König (!) in seiner großen Weisheit, Huld und Güte schafft Gerechtigkeit und löst den Vertrag über das Haus zugunsten von Orgon und seiner Familie. Alles wird endlich gut, die Familie kann im Haus wohnen bleiben, Tartuffe muss ins Gefängnis.

Ein schönes ausgleichendes glückliches Ende für gerechtigkeitsbewusste Genießer eines entspannenden und stimmungsgelösten Theaterabends zur Zeit Ludwigs XIV und zu allen Zeiten danach! 

Die Schaubühnen-Fassung

Sie ist die mutmaßlich ursprüngliche verbotene Version von Molières Stück: die Schaubühnen-Fassung lässt das Happy-End weg. Das Stück endet böse: die Familie muss aus ihrem Haus raus und fertig! 

Die tragenden Leit-Motive der Inszenierung:

Tongewaltige sakrale Musik im Orgel-Sound!

Dazu lautstark und wirkungssicher von Tartuffe (Lars Eidinger) deklamierte übermächtige alttestamentarische Bibelzitate über Gottes Segen und Fluch für Gehorsam und Ungehorsam, weitere eher verhaltene Bibelzitate am Schluss von der Zofe Dorine (Judith Engel / Cathlen Gawlich)!

Die Bühne als vertikaler quadratischer Kasten in Gold mit Stuhl und Wandkreuz, mitten in einem dunkelgrauen haushohen vertikalen Rad, mit diesem Rad rotierend!

Die handelnden Personen als bleiche Untote in zeitlosen Kostümen im Zombie-Look in bizarren Auftritten und Szenen!

„Özzen Fözzen Tuzzi Muzzi – Walle Walle Bumm Bumm!“

 Am Schluss tritt Zofe Dorine – ganz in Schwarz - an die Rampe und spricht mit leiser Stimme:

"Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen, bist fern meinem Schreien, den Worten meiner Klage? (…) Herr, es ist Zeit zu handeln; man hat dein Gesetz gebrochen."

Die "Untoten": Cathlen Gawlich als Zofe Dorine und Tilman Strauß als Valère (Foto: Katrin Ribbe)


Das Wesentliche ist für mich damit gesagt!

Ich fand’s wunderbar und fantastisch!

Meine Empfehlung:  nichts wie hin!


Liebe Grüße

Max
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Von: Molière   
Regie: Michael Thalheimer   
Bühne: Olaf Altmann   
Kostüme: Nehle Balkhausen   
Musik: Bert Wrede   
Dramaturgie: Bernd Stegemann   
Licht: Erich Schneider   

Orgon: Ingo Hülsmann   
Elmire: Regine Zimmermann   
Tartuffe: Lars Eidinger   
Dorine: Cathlen Gawlich   
Mariane: Luise Wolfram   
Damis: Franz Hartwig   
Valère: Tilman Strauß   
Cléante: Kay Bartholomäus Schulze   
Madame Pernelle: Felix Römer   
Monsieur Loyal: Urs Jucker   

Dauer: ca. 105 Minuten

Weitere Infos zum Stück auf der Seite der Schaubühne.

Mein (Marens Bericht) zum Stück hier.