13. September 2015

Jubel für »Richard III.« und Hitze für alle beim Festival d’Avignon (Gastbeitrag von Elmar Engels)

Eine Woche in Avignon, Temperaturen bei Tag und Nacht zwischen 30 und 38 Grad, aber kaum mal Spuren
von Erschlaffung. Die vielen Besucher sind eben keine normalen Touristen, sondern Theaterfans aus aller
Welt, darunter auffällig viele Asiaten und diesmal nur wenige Deutsche. Die Karten für das offizielle, das 69.
Festival unter dem Motto „Je suis l’autre“, sind längst ausverkauft – aber die Werbeträger der weit über
1.000 kleinen Gruppen des 50. Off-Festivals finden sich überall: auf überfüllten Wandflächen oder – in
menschlicher Gestalt und auffällig kostümiert – auf den Straßen und Plätzen, wo sie mit gewinnendem
Charme die Flanierenden ansprechen und für den Besuch ihrer Produktion zu gewinnen suchen.

Darsteller werben für Le Off

Ihre Handzettel – samt immer freundlicher charmanter Erläuterung – summieren sich bald zu ein oder zwei
Kilogramm buntem Papier, der eigene dicke „Off“-Katalog kann sie kaum noch beieinander halten...
Erst gegen Mitternacht wird’s etwas ruhiger. Viele Ortsansässige sind auf den Campingplatz auf der Rhône-
Insel umgezogen und überlassen ihre Wohnungen den Festivalgästen; weit mehr als 100.000 sind es vom 4.
bis 25. Juli.

Das große Festival, dessen Star mal wieder Thomas Ostermeier ist, hat die bunte Werbung nicht mehr nötig.
Der Name unseres künstlerischen Leiters geht den immer diskussionsbereiten Franzosen erstaunlich glatt von
der Zunge, mit Lars Eidinger tun sie sich noch ein wenig schwer. Die Minderzahl unserer Gesprächspartner
strahlt bei der Nachfrage über das Glück, Karten erhalten und die Produktion gesehen zu haben, die Mehrzahl zitiert zumindest die Lobeshymnen von Freunden, die das Theaterereignis in der Opéra Grand Avignon selbst erleben durften. Elfmal wurde »Richard III.« gespielt; wir sahen die achte Aufführung: das Publikum war gebannt und dankte mit herzlichem Applaus. Danach plauderten wir mit unseren Schauspielern – und die waren ganz schön geschafft!

Eva Meckbach und Lars Eidinger beim Schlussapplaus zu "Richard III."

Die überaus positive Reaktion des Publikums, jeweils 600 Zuschauer passen in das neobarocke Operntheater mit seinen vier Rängen, und der Kritik (Lobeshymne z.B. auf Seite 1 von Le Monde!) wirken als nachhaltiges Elixier. Die ARTE-Übertragung am 13. Juli, die erst nach einer Nachbesserung in der Mediathek vollständig war, haben sicher viele deutsche Freunde gesehen. Natürlich war es keine echte Live-Übertragung: an zwei Abenden waren jeweils zehn Kameras bei der Arbeit, für die Post-Produktion stand immerhin ein voller Tag zur Verfügung. (Und beim einleitenden Gespräch der Moderatorin mit Thomas Ostermeier auf dem berühmten Pont d’Avignon war wohl eine Drohne im Einsatz…).

Der Eiserne des Opernhauses ist unten, der abgedeckte Orchestergraben ist die Spielfläche; das Publikum im Parkett und in den drei besetzten Rängen ist ähnlich nahe am Geschehen wir bei unserem Globe Theatre.
Unseren »Hamlet« sah ich im Juli 2008 im Ehrenhof des Papstpalastes, der dreimal so viel Zuschauer fasst. In der Maison Jean Vilar steht ein schönes Modell dieser Spielfläche im riesigen mittelalterlichen Palastgebäude; es zeigt den Aufbau für die allererste Festivalproduktion: Vilars »Richard II.« im Jahre 1947.

Ab morgens um zehn Uhr wird an vielen Stellen der Stadt, auf Podien, Plätzen, in Schulen und zeitweiligen
Theatern gespielt, getanzt, musiziert, diskutiert. Im Hof der Maison Jean Vilar wird die Finanzkürzung heftig
kritisiert, auf dem Platz vor einem Museum folgt eine recht große Besucherschar den Ausführungen zu Platons Staatsideen.

Blick auf das Geschehen in Avignon

Immer wieder sehen wir noch Warteschlangen, die auf Restkarten hoffen. Am letzten Abend trafen wir kurz noch Florian Borchmeyer, der die dürftige, knapp dreistündige Inszenierung von »Trilogie du revoir« von Botho Strauss nur mit Mühe überstanden hatte; ich selbst hatte (welch’ Glück) keine Karte mehr bekommen können. Auch andere Besucher fanden die Sache recht öde; so bleiben uns die Bilder von der UA-Premiere im März 1978 am Halleschen Ufer in bester Erinnerung.

Avignon und die Provence sind mehr als eine Reise wert, aber zur Festivalzeit ist es ein besonderes Erlebnis,
wenn die ganze kleine Stadt innerhalb ihrer intakten Mauern Kopf steht. Ausflüge zu seit Studententagen geliebten Nachbarorten ergänzten unser Vergnügen: In Saint-Rémy war die Zelle Vincent van Goghs im
Monastère Saint-Paul de Mausole ein Ziel, ein anderes die inzwischen (leider?) touristisch voll erschlossene
Bergfestung von Les Baux.

Le Baux

Elmar Engels

Website des Festival d'Avignon. 

Infos zu Richard III. an der Schaubühne. 

Kurzbericht zu Richard III. auf meinem Blog. 

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